~LXX.~
Niennás point of view:
Ich schreckte hoch. Ein Geräusch hatte mich geweckt, ein Geräusch, wie wenn Stoff an Stoff rieb. Eine kleine Gestalt huschte an meinen Füßen vorbei. Vorsichtig setzte ich mich auf. Das leise Patschen bei jedem Fußtritt ließ mich darauf schließen, dass es sich bei dem Schlafwandler um einen Hobbit handelte. Er kniete sich hin und wühlte in einem Kleiderstapel, ich vermutete neben Gandalfs Schlafplatz. Was suchte er da?
„Hey", zischte ich scharf. „Was machst du da? Hast du was verloren?"
Erschrocken blitzte das Weiße in seinen Augen auf. „Ich... ähm... ich will nur schnell was schauen...", murmelte Pippin unsicher. Damit fuhr er fort mit dem, was er tat.
Ich verfolgte seine Armbewegungen, so gut es mir in dem stockfinsteren Raum möglich war. Irgendwann stieß er wohl auf das, was er suchte und holte einen in ein Tuch gewickelten Gegenstand hervor. Vorsichtig streifte er den Stoff hinunter und hielt den dunklen Stein staunend in der Hand, der immer heller wurde. Schockiert sog ich die Luft ein und legte eine Hand auf meinen Mund, um einen Schrei des Entsetzens zu unterdrücken. Seit wann besaß Gandalf einen Palantír? Noch dazu einen, von dem Pippin wusste, wo er war?
Nachdem ich mich aus meiner Schreckstarre gelöst hatte, sprang ich auf und weckte dabei die anderen. Inzwischen war das Auge Saurons in dem Palantír zu sehen und Pippin schrie auf vor Schmerzen. Das schien Merry zu rufen, der von Legolas auf Gandalfs Zeichen aus dem Weg gezerrt wurde, sodass er seinen lieben Freund mit schmerzverzerrtem Gesicht nicht erreichen konnte. Aragorn und ich unterdes versuchten, den Palantír aus seinen Händen zu lösen. Nur mit Mühe gelang es Aragorn und er zitterte und sank auf die Knie, als er dieselben Schmerzen durchlebte wie Pippin, bevor Gandalf endlich wieder das Tuch über den Stein warf. Ruhe kehrte ein, wie die Ruhe nach einem vernichtenden Wirbelsturm. Wir alle waren angespannt, hofften, dass Pippin nichts Schlimmes zugestoßen war. Er lag reglos auf dem Boden vor uns, teils auf unordentlich auf die Seite geworfenen Kleidern. Schließlich öffnete er stöhnend die Augen.
„Meine Güte, hast du uns einen Schreck eingejagt, du kleiner Narr", meinte ich mit einem halben Lächeln im Gesicht, weil ich froh war, dass es ihm doch recht gutzugehen schien.
Gandalf dagegen war weniger nachsichtig. „Peregrin Tuk! Was hast du dir nur dabei gedacht?", brauste der Zauberer auf.
„Ich... ähm...", brachte er hervor. Dann kniff er die Augen zusammen, als könnte er sich so verstecken.
Gandalf schüttelte erzürnt den Kopf und erhob sich schnell. „Nun eil dich. Wir werden sofort aufbrechen."
In Windeseile packten wir unsere wenigen Sachen zusammen und liefen geschwind zum Stall. Gandalf ritt grundsätzlich immer ohne jegliches Zaumzeug auf Schattenfell, doch Shay hatte schon jemanden vorgeschickt, der den grauen Wallach sattelte, da ich mich geweigert hatte. Ich hatte sonst keine Angst vor Pferden, doch dieses Tier war mir nicht geheuer.
Selbst legte ich die bunte Flickendecke anstelle eines Sattels auf Nocturîans Rücken, damit der lange Ritt ihn und mich weniger schmerzte. Schließlich kamen die Hobbits endlich in den Stall, wobei beide ein langes Gesicht machten, denn Pippin sollte wegen seiner Dummheit mitkommen. Gandalf schwang sich auf Schattenfell und winkte Pippin heran, der daraufhin durch den Gang zu ihm rannte. Aragorn hob ihn zu Gandalf aufs Pferd und auch Shay stieg auf Morhir, der bereits unwohl tänzelte, da er so viele fremde Personen auf einmal nicht mochte. Auch ich stand aufbruchbereit neben meinem Hengst und wartete nur auf Gandalfs Signal. Er verabschiedete sich von Legolas, Gimli, Aragorn und Merry und wünschte ihnen Glück. Legolas öffnete die Boxentür von Aimée und die Stute schaute neugierig zu mir. Dann trieb Gandalf Schattenfell aus dem Stand in den Galopp und Shay preschte hinterher. „Amlelyas (Auf geht's!)!", flüsterte ich meinem Hengst zu und er galoppierte sofort los, hinter den anderen her. Ich sprang schnell auf und hörte an den Huftritten, dass Aimée folgte. Nach wenigen Galoppsprüngen hatten wir kein Dach mehr über dem Kopf und die unangenehm kalte Nachtluft schlug uns entgegen. Der heftige Wind peitschte meine Haare und Nocturîans Mähne und wir konnten nur mit Mühe die zwei Pferde vor uns erkennen in der Düsternis, doch ein heller Streifen am Horizont sicherte mir zu, dass die Sonne in ein paar Stunden aufgehen würde. Wir halfen ihr dabei und preschten gen Osten über das windige Grasland.
~~~
Als die Sonne aufgegangen war, hatten wir unser Tempo ungefähr um die Hälfte reduziert. Trotzdem war Aimée schweißgebadet und konnte kaum mehr rennen. Nocturîan und ich blieben deshalb extra ein wenig bei ihr. Gandalf ritt an der Spitze, danach folgte Shay. Um uns herum hatte sich das karge Grasland zu einem offenen Mischwald gewandelt. Hier und da stand eine Lärche und eine kahle Birke, und an besonders feuchten Stellen wuchs auch mal eine Eibe. Ihre immergrünen Blättchen waren fast die einzigen Farbtupfer neben den Nadeln der Fichten und Tannen. Kiefern gab es hier kaum, wahrscheinlich war der Boden nicht sandig genug.
Zwischen den Bäumen sahen wir manchmal einen Sprung Rehe oder einen einzelnen Hirsch, der an den Flechten an einem Büschchen zupfte. Überall in dem lichten Wäldchen verteilt gedieh Waldgras, die Halme waren feiner und dünner als die des Grases in der Ebene und auch im Winter, wenn es mit morgendlichem Reif bedeckt war, wunderschön. Außerdem lagen ab und zu große Felsbrocken in der Landschaft herum, auf denen schon grünliche Flechten und Moos gewachsen waren. Wenn wir leise genug waren, erhaschten wir gelegentlich einen Blick auf die weiße Blume eines Hasen, der verängstigt davon hoppelte. Alles in allem war dies hier ein idyllisches Plätzchen, doch leider wollten wir nicht verweilen.
Der Tag und die Landschaft flogen vorüber und mir brannten die Augen von dem schnellen Ritt ohne Pause. Auch Aimée hing etwas zurück, und wir mussten uns bemühen, sie nicht abzuhängen. Schließlich drosselte ich das Tempo auf Schritt, und die kleine Stute konnte schwer atmend endlich wieder aufholen. Die anderen galoppierten weiter, ohne etwas zu merken, und waren bald in der Ferne verschwunden.
Noch eine Weile trotteten wir langsam geradeaus weiter, und zufrieden schweifschlagend lief Aimée nebenher. Als die Dämmerung hereinbrach, beschloss ich, eine Pause einzulegen, die für die Erholung der Pferde dringend nötig war. Gandalf und Shay würde ich sowieso nicht mehr einholen. Und so schwenkten wir nach links, da dort ein Bächlein fröhlich vor sich hin plätscherte. Behände sprang ich von Nocturîans Rücken und mit Aimée zusammen schritt er schnurstracks zu dem gurgelnden Wässerchen. Die Pferde wateten in das kühle Nass und tauchten ihre Nüstern unter Wasser, während sie tranken. Ich beobachtete sie schmunzelnd, während ich Dörrfleisch und Trockenfrüchte für mich selbst aus meiner Ledertasche holte. Nachdem ich einige Bissen genommen hatte, lief ich ebenfalls zum Wasser, hockte mich auf eine steinige Sandbank am Ufer und schöpfte mit zu einer Schale geformten Händen das klare Bergwasser, um meinen Durst zu stillen. Leider hatte ich vergessen, mein Trinkwassergefäß in Edoras zu füllen.
Ein Stückchen weiter neben dem Bach lag ein Felsen, der genügend Schutz für die Nacht bieten würde. Das Licht schwand weiter und so entfachte ich ein Feuer mit dem trockensten Holz, was ich in der Umgebung finden konnte. Als Flammen an den Ästchen hinaufkletterten, stand ich auf und suchte weiteres Brennmaterial. Das Feuer sollte in der Nacht nicht ausgehen, denn ich fürchtete, in dieser Gegend wimmelte es nur so von hungrigen Raubtieren.
„Uhuuu, uhuuu!", schallten die schauerlichen Rufe der Käuzchen durch das lichte Wäldchen. In einem nahen Baum raschelte ein Marder und ein einzelner Rehbock tat sich an dem Wasser des Baches gütlich, wie ich dem Plätschern entnahm. Ein weiterer Marder huschte über den Boden und ein Hirsch röhrte einmal laut, auch wenn die Balzzeit längst vorbei war. Nocturîan hatte sich in meine Nähe gestellt, oder besser gesagt in die des Feuers. Aimée war wieder in Richtung des Baches verschwunden, um zu trinken. Langsam fielen mir die Augen zu und die nächtlichen Geräusche wiegten mich in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte ich durch das entzückende Gezwitscher der Vöglein. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und das Feuer qualmte nur noch vor sich hin. Gähnend setzte ich mich auf und streckte mich genüsslich. Wenn doch nur jeder Tag so beginnen könnte...
Plötzlich registrierte ich die Abwesenheit eines vertrauten Geräusches, was mich zutiefst beunruhigte. Nocturîan war nirgendwo zu sehen. Und auch von der kleinen braunen Stute fehlte jede Spur. ‚Komisch, das ist so gar nicht ihre Art', dachte ich und erhob mich, um die zwei zu suchen. Im Aufstehen griff ich auch gleich nach meiner Tasche und der Flickendecke und lief los. Ich umrundete den Felsen und tatsächlich, dort lag ein brauner Körper, daneben Nocturîan. Aimée schlief wohl noch. Aber warum so weit vom schutzbietenden Feuer entfernt? Als ich näher kam, wurde mir klar warum. Der stolze Schimmelhengst hatte den Kopf trauernd gesenkt und beschnupperte hoffnungsvoll und doch, im wahrsten Sinne des Wortes, todessicher Aimées teils verklebtes, braunes Fell. Als ich neben ihn trat, schien er zu erschrecken, er hatte mich durch den Schleier seiner Trauer vermutlich nicht kommen gehört. Auch ich richtete meinen Blick nun auf den leblosen Körper, sah, wie sie ihre Augen verdreht hatte im Angesicht des Todes. Und doch bemerkte ich keine Wunden, was bedeutete, dass ihr Tod mehr oder weniger natürlich gewesen war. Ich vermutete, dass sie zu viel getrunken hatte und an Lungenversagen gestorben war. Sie hatte am vergangenen Tag einfach zu viel Durst gehabt. Ich hätte sie nicht mitnehmen sollen, wo ich doch ahnen konnte, dass sie das lange Laufen nicht gewohnt war. „Seséremir (Ruhe in Frieden)", murmelte ich schnell.
Fliegen sirrten schon um sie herum und Nocturîan hatte bisher alle möglichen hungrigen Aasfresser erfolgreich davon abgehalten, sich an dem Kadaver zu laben. Behutsam zog ich ihn von seiner toten Freundin weg, stieg auf und ritt im Schritttempo weiter Richtung Minas Tirith.
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