~LXVIII.~

Nachdem wir wortlos durch die hohen Gänge gegangen waren, standen wir in der Bibliothek. Überall befanden sich übervolle Regale mit Büchern, und Decke und Wände waren reich verziert.

Ich trat an eines der Regale und strich abwesend mit den Fingern über die edlen Buchrücken.

„Wir wollten fragen, ob du etwas über die Assassinen weißt", hob ich an, immer noch apathisch die Wand anstarrend.

Gandalf hob die Augenbrauen. „Über die Assassinen?" Er blickte von mir zu Shay, der sein Augenmerk erwiderte. „Nun gut." Der Zauberer holte tief Luft. „Ich habe etwas über sie gehört in der Vergangenheit, doch es ist mehr als dürftig. Aber ich werde es euch trotzdem sagen. Vielleicht hilft es euch. Die Bruderschaft war schon immer berüchtigt dafür, sich mehr anzueignen, als ihr zustand. Vor allem haben sie diesen Ruf ihren machthungrigen Anführern zu verdanken. Damals kamen einige Gerüchte auf, dass sie illegitime Methoden zur Anwendung brachten, um ihre Macht auszuweiten. Inwiefern habe ich leider nie genau erfahren.

Später brach dann der Ringkrieg aus, und die Gerüchteküche hörte auf zu brodeln. Keiner verschwendete mehr einen Gedanken an die Assassinen, was im Nachhinein vielleicht ein Fehler war. Nach dem Krieg war alles recht still, und man hörte nichts mehr über sie. Vermutlich haben sie die Zeit des Aufruhrs zu ihren Gunsten genutzt, und die Möglichkeit ergriffen, im Geheimen ihre Taten zu vollziehen."

Das Schweigen schien in dem großen Raum immer lauter zu werden, bis Shay seine Stimme erhob, und es hatte etwas von einem Orca, der prustend durch die Meeresoberfläche brach. „Also, ich hätte auch eine Frage: Mich würde interessieren, wie die Bruderschaft an einen Palantír gekommen ist."

Erstaunt atmete ich auf. Was bewog Shay dazu, eine solche Frage zu stellen?

Gandalf blickte ihn an, gleichermaßen erstaunt. „Sie haben einen Palantír? Tut mir leid, ich weiß leider nichts darüber." Er drehte sich schon in Richtung des Ausgangs, als ihm plötzlich etwas einzufallen schien. „Nur... ich weiß nicht, ob ihr das wissen solltet, aber Saruman ist im Besitz eines solchen Steines. Vielleicht machen die Assassinen ja eine Sache mit dem Bösen Mordors." Damit verließ der Zauberer die Bibliothek durch die große, zweiflügelige Tür.

Shay und ich starrten ihm eine Weile hinterher. Dann drehte ich mich schnell zu dem Bücherregal und betrachtete die Buchtitel.

Ich hörte Shays Seufzen hinter mir. „Vielleicht hat Gandalf recht, was die Assassinen angeht."

„Ja", meinte ich knapp. „Wie kommst du eigentlich auf die Idee, die Assassinen hätten einen Palantír?" Als die Antwort von Shay auf sich warten ließ, wandte ich mich zu ihm um.

„Ich... ähh... bin in Besitz eines Dokumentes, das diese Vermutung nahelegt." Unwohl knetete er seine Hände, bevor er sie in den weiten Taschen seines Umhanges verbarg und auf eines der Regale zuging.

Nickend bekannte ich meine Zustimmung, wobei er es wahrscheinlich nicht einmal sah. Als die Stille andauerte, sank ich wieder zurück in meine Gedanken. Abwesend nahm ich verschiedene Bücher hinaus, schlug sie auf, las einige Sätze in der teilweise noch alten Sprache, klappte sie wieder zu - und dabei wirbelte eine Menge Staub auf - und stellte sie zurück an ihren Platz im Regal. So vergaß ich die Zeit und als ich mich zu Shay umdrehte, war er bereits verschwunden und die Sonne hatte schon ihren Höchststand erreicht. Das hieß Mittagszeit, doch ich war gefangen genommen von den Geschichten, in die ich bis jetzt nur einen kurzen Einblick gehabt hatte, also entschied ich mich zu bleiben.

Ich riss meinen Blick von den großen Fenstern los und meine Augen eilten erneut suchend über die Buchrücken. Als ich zu einem sehr dicken und sehr alten Buch kam, zögerte ich einen Moment und nahm dasselbe kurzerhand hinaus. Es hatte einen samtigen, dunkelblauen Einband, auf dem mit Goldlettern stand: ‚Die Chroniken der Stadt Edoras', und obwohl mich dieser Ort eigentlich nicht interessierte, schlug ich wahllos eine vergilbte Seite auf, weil ich gerne in der Geschichte las, insbesondere der einer so ruhmreichen Stadt. Es war eine der ersten Seiten, und das Buch berichtete über die frühsten Beginne der Siedlung. In den jüngsten Jahren rasteten auf dem Hügel einige Wanderer, die, nachdem sie eine Nacht oder zwei an diesem Ort geschlafen hatten, beschlossen, eine Siedlung auf dem Hügel zu gründen, da man Feinde schon sehr früh sah. Nur mühsam konnten sie einige Gleichgesinnte davon überzeugen, dass dieser Ort viele Vorteile bereitstellte. Dass er auch Gefahren barg, gab der Autor sarkastisch seinen Kommentar ab, hatten wohl die meisten, die nicht auf den Kopf gefallen waren, gemerkt und sich geweigert, auf der freien Fläche zu leben, ohne Sichtschutz, auf der man weithin gesehen werden konnte. Spätestens ein Feuer hätte ungeladene Gäste angelockt. Die Siedlung wuchs nur langsam, und irgendwann wurde sie wieder verlassen, wie über Nacht. Alle Pferdewagen und alle Werkzeuge, alle Möbel und alles Essen befand sich noch dort, als der Autor, neugierig, wie man als Grünschnabel eben war, sich auf den Weg zu ebendiesem Ort machte. Er schrieb, dass er Hinweise darauf gefunden habe, dass die Bewohner ermordet worden wären, doch keiner glaubte ihm. Natürlich, es klang etwas verrückt, gab er zu, wer sollte schon eine so kleine Siedlung auslöschen wollen? Er fand noch etwas, nämlich eine Kutte mit mystischen Runen und eine Handvoll reich verzierter, edler und leichter Waffen, die er auch mitgenommen habe, doch unglücklicherweise habe seine Scheune in einer Nacht begonnen, plötzlich lichterloh zu brennen. Er holte sofort mit einem Eimer Wasser aus dem Brunnen, doch viel konnte er gegen die gefräßigen Flammen nicht tun. Am nächsten Morgen beschaute er sich den Schaden noch einmal, und es war wohl jemand da gewesen, denn die Waffen, die das Feuer verschont hatte, waren weg. Leider hatte er sie nicht abgezeichnet, doch er fügte Skizzen aus seinen Erinnerungen hinzu, und das alles erinnerte mich sehr an die Assassinen. Gab es vielleicht damals schon so etwas wie eine frühe Bruderschaft?

Die folgenden Jahrzehnte passierte nicht viel, und ich überblätterte einige Seiten. Doch auf einmal tauchte das Wort Palantîr zwischen den ganzen anderen Schriftzeichen auf und erregte meine Aufmerksamkeit. Wieso kam ein einfacher Geschichtsschreiber in die Verlegenheit, mit einem solch mächtigen Objekt Bekanntschaft zu machen?

Es sollte einen mächtigen Stein geben, nämlich in Helms Klamm. Also, nicht, dass das sehr verwunderlich wäre, es gab viele Steine dort. Aber die meisten besaßen eben nicht die Macht, irgendeinen Ort zu zeigen, den man sehen wollte. Das war vielleicht auch der Grund, warum so viele Menschen zur Hornburg pilgerten, um den ‚Stein der Weisheit' mit eigenen Augen zu beschauen. Was sie damit genau bezwecken wollten, dahinter bin ich nie so ganz gekommen. Aber es war wohl wichtig, denn als ich zu der stattlichen Feste reiste auf meinem Rapphengst Nîthunor an einem dieser brütend heißen Tage, an der nicht einmal der Schatten wahre Kühle bot, drängten und schubsten und prügelten sich die armen Bauern und Bürger (die, die die Reise bewerkstelligen konnten) um einen Platz möglichst nah an dem großen Tor, dass der Burgherr wohl heruntergelassen hatte, da die Festungsmauern keinen Besucher mehr fassen konnten, und er ließ es jede neue Stunde ein Stück hoch, dass ja nicht zu viele Leute in die Feste kommen konnten. Erstaunt und gleichermaßen verwirrt wischte ich mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und ritt mit meinem Hengst zu einem Hintereingang, den nur ich kannte. Der Berg wuchs über mir auf, als ich immer mehr in seinen Schatten eindrang. Schließlich sprang ich hinunter und begrüßte den Mann, der auf mich zukam. Er nahm mir die Zügel aus der Hand und brachte Nîthunor in den nahen Stallungen unter. Ich unterdes überquerte den gepflasterten Hof und trat in einen Raum, der sich halb unterirdisch befand, und ich ließ die schwüle, heiße Luft erleichtert hinter mir, als ich die Treppen hinunter ging. Unten erwartete mich ein weiser Mann, viel zu warm angezogen für dieses Wetter. Er war in eine Kutte aus schwerem Stoff gehüllt, trug allerlei Kostbarkeiten wie Schmuck und Waffen bei sich, obgleich er wahrscheinlich diesen Raum schon seit Tagen nicht mehr verlassen hatte. Hinter ihm zierte ein großer, stilisierter Adler die Wand und unter seinen weiten und langen Ärmeln blitzte etwas silbern auf in dem schwachen Licht der hundert Kerzen, als er die Arme hob und mich mit einem Kopfnicken begrüßte.

In dem Moment polterte Gimli herein, gefolgt von Legolas und den Hobbits, die gemächlich folgten. Erschrocken wandte ich mich zur Tür.

„Da bist du ja, wir haben dich schon gesucht. Was machst du hier?" Gimli betrachtete verwundert die ganzen Bücherregale, die wie Gewitterwolken vor ihm in die Höhe wuchsen. Aber auch der Elb sah nicht schlecht erstaunt aus, mich hier zu finden, obwohl er einen solchen Anblick schon gewohnt sein müsste. Für die Hobbits schien das alles eine oder zwei Nummer zu groß zu sein, und sie stolperten ehrfürchtig ein paar kleine Schritte zurück.

„Darf ich fragen, wieso ihr mich gesucht habt?" Ich versuchte mich an einem freundlich-kühlen Gesichtsausdruck, worin ich noch nie gut gewesen war.

Interessiert und ein bisschen amüsiert biss ich mir auf die Unterlippe und schaute Gimli in die Augen. Umso mehr überraschte es mich, als der Elb seine Stimme erhob. „Wir wollten eine Freundin begrüßen. Ist das so abwegig?"

Wortlos schüttelte ich den Kopf. „Wieso habt ihr nicht Shay gefragt, wo ich bin?"

„Der war... nun ja... nicht auffindbar." Vorsichtig sprach Legolas die Worte aus und musterte intensiv meinen Gesichtsausdruck. Etwas verwundert erwiderte ich sein Augenmerk.

„Ach wirklich? Ich dachte, er wäre bei euch." Teilnahmslos blickte ich wieder auf das Buch in meiner Hand. Ich wusste, wie befremdlich mein Verhalten wirken musste, doch ich wusste nicht, wie ich mich anders verhalten sollte.

Es vergingen einige Minuten des Schweigens, da Legolas auf einige Regale zuging und sich ebenfalls wahllos Bücher herausnahm, wie ich es zuvor getan hatte, und nach einiger Zeit räusperte ich mich. „Nun, da wir uns augenscheinlich begrüßt haben, denke ich, ihr könnt jetzt gehen, oder nicht?" Ich wusste nicht um den Grund, warum ich wollte, dass sie den Raum verließen, wahrscheinlich wollte ich auf meinen kleinen Zeitreisen in die Vergangenheit alleine sein. Gimli und die Hobbits nickten und drehten sich schon zur Tür, nur Legolas machte keine Anstalten, den Raum zu verlassen. Und dann erkundigte er sich auch noch, ob er mit mir unter vier Augen sprechen dürfe. Ich willigte ein, obwohl ich überdurchschnittlich nervös war und fürchtete, jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen.

„Natürlich", grinste Gimli und warf dem Elben noch einen vieldeutigen Blick zu, ehe er die Tür hinter sich zu zog.

Legolas' Schritte schienen lauter zu hallen, als wir alleine waren und er auf und ab lief. Mit versteinerter Miene schaute er mal zu mir, mal zu den schweren, grünen Vorhängen, mal aus dem Fenster und mal auf die Holzdielen. Auch wenn er nichts von seiner inneren Unruhe in seine Körpersprache preisgab, ich konnte sie doch erahnen, als er leise flüsterte „Wie fange ich am dümmsten an...". Schließlich wandte er sich recht abrupt mir zu und seine blauen Augen bohrten sich in meine. „Ich bin mir sicher,... das heißt, ich glaube, dein richtiger Name lautet nicht Emewýn. Wer also bist du und wieso bist du hier?"

Ich hielt kurz die Luft an und ließ sie gleich darauf wieder geräuschvoll hinaus. Diese Art von Gespräch sollte ich wirklich nicht führen. „Du... du liegst richtig... Dies ist nicht mein echter Name, dennoch glaube ich nicht, dass ich irgendjemand bin, den die Leute kennen. Was ich hier mache... nun ja, ich bin nun mal an nichts und niemanden gebunden, das mich davon abhalten könnte, durch ganz Mittelerde zu reisen. Daher ziehe ich dorthin, wo es mir gefällt."

Legolas nickte. „Das ist... interessant. Du fragst dich jetzt sicherlich, warum ich das wissen wollte. Nun ja, du erinnerst mich an jemanden. Oder besser, es kommt mir vor, als haben wir uns schon einmal getroffen." Er hielt kurz an, um eilig nach Luft zu schnappen. „Haben wir uns schon einmal getroffen?"

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