~LXVII.~

Wir ritten hinüber zu einer Frau mittleren Alters, die einen kleinen Jungen an der Hand hinter sich herzog. In der anderen lag der Führstrick eines schweren, braunen Pferdes. Es zog einen Karren mit allerlei Dingen, die man normalerweise nur mit auf eine Reise nahm.

Das Tier riss unwohl den Kopf in die Höhe, als wir an sie heran kanterten. Kurz vor ihr bremsten wir unsere Pferde und trieben sie neben der Frau her.

„Sagt, wo kommt Ihr her, dass Ihr so viel Gepäck mithabt?", erkundigte ich mich sogleich und verzichtete dabei auf eine Begrüßung.

Die Frau blickte uns etwas ängstlich an. „Mein Volk und ich suchten Zuflucht in Helms Klamm, als wir hörten, dass uns eine große Schlacht bevorstand. Nun ist sie vorbei und wir kehren nach Edoras zurück."

„Eine Schlacht?", fragte Shay überrascht. „Wir haben überhaupt nichts davon gewusst, sonst wären wir euch zu Hilfe geeilt. Könnt Ihr uns Näheres über die Schlacht erzählen?"

Sie blickte verunsichert zu uns hoch. „Ähh, natürlich. Wir zogen ungefähr..." Sie zögerte, schien zu überlegen. „... vor neun Tagen los, in Richtung der Feste. Théoden hat versucht, so viele Kämpfer wie möglich zusammen zu trommeln, doch es waren wohl nicht genug. Wie auch immer, am zweiten Tag unserer Reise wurden wir von Wargen angegriffen."

Kaum merklich entfernte Shay sich und fing ein Gespräch mit einem Mann hinter uns an.

„Der König übergab uns der verlässlichen Hand seiner Nichte, dass sie uns nach Helms Klamm führe. Und das tat sie auch. Am dritten Tag kamen wir dort an, wir alle waren erleichtert, die gefahrvolle Reise hinter uns zu haben. Noch am selben Tage, jedoch spät am Abend kehrten die Kämpfer heim, und - ich habe zwar nicht alles mitbekommen - sie haben wohl schwere Verluste erlitten. Am Morgen des nächsten Tages dann ritt einer der Totgeglaubten ein - er sah erbärmlich aus. Ich war zu der Zeit gerade draußen und habe es mit eigenen Augen gesehen. Er berichtete von einer 10.000 Mann starken Armee, die auf dem Weg zu uns war und uns am Abend noch erreichen sollte. Hektisch wurden die gröbsten Vorkehrungen zum Schutze der Menschen in der Feste getroffen, doch die Schlacht war wohl trotz alledem verheerend. Die anderen Frauen und ich, wir hatten uns in den Höhlen versteckt und zitterten bei jedem Erbeben der Felsen. Sie kämpften die Nacht hindurch, bis zum Sonnenaufgang, und dann passierte etwas, was sie zum Aufhören bewegte. Ich weiß nicht, was es war, aber man munkelt, es war ein Lichtstrahl, so hell wie die Sonne selbst, aber so heilbringend, wie nur ein Zauber sein kann. Man flüstert sich zu, dass der Wald Beine bekam und die Ork-Armee zerschmetterte. Wie auch immer, wir haben die Schlacht tatsächlich gewonnen und jetzt sind wir bald wieder in unserer Stadt, wo wir diesen Sieg ausgelassen feiern können." Die Frau holte tief Luft, als sie am Ende ihrer Ausführungen angelangt war, und schaute mich etwas unterwürfig, aber doch interessiert an. „Darf ich fragen, warum Ihr dies wissen wolltet? Wer seid Ihr?"

Ich atmete scharf ein, als ich so unvorbereitet mit dieser Frage konfrontiert wurde. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass das Gespräch eine derartige Wendung genommen hatte. Nach einigem Zögern erhob ich dann meine Stimme: „Ich bin Emewýn Palantîr, und mit Eurem König... befreundet. Außerdem bin ich auf der Suche nach jemandem, und hatte gehofft, hier auf ihn zu stoßen. Aber wie es aussieht, wird derjenige wohl nicht in der Stadt sein..."

Ein kleines bisschen verwirrt legte die Frau ihren Kopf schief. „Mhh, vielleicht kann ich Euch helfen. Wen sucht Ihr denn?"

Dankbar, dass mir tatsächlich jemand helfen wollte und hoffentlich auch konnte, fing ich an: „Ich bin auf der Suche nach Gandalf dem Weißen."

„Gandalf?" Sie schielte zu mir, um zu sehen, wie ich bestätigend nickte. „Ich habe durchaus von ihm gehört. Er war in Helms Klamm, und hat an unserer Seite gekämpft. Aber als wir aufbrachen, schlug er einen anderen Weg ein."

Meine Schultern sackten ein Stück herab. Also war ich keinen Schritt weiter.

Die Frau aber, die meine resignierte Körperhaltung wahrnahm, bot mir an, eine Weile in der Stadt zu bleiben. „Gandalf hat kurz vor unserer Abreise gesagt, er werde so bald wie möglich nach Edoras kommen, um das weitere Vorgehen im Krieg gegen Sauron zu besprechen."

„Krieg?" Etwas befremdlich sah ich sie an. „Ist es wirklich schon so weit? Befinden wir uns im Krieg?"

Sie konnte mir als Antwort nur ein Schulterzucken geben. „Sauron begehrt wieder auf. Und er ist nicht allein. Saruman hat sich ihm angeschlossen und viele Bergvölker dazu gebracht, Dörfer und Städte niederzubrennen. Außerdem züchtet er eine neue Rasse, noch tödlicher als Orks, und das nur zu einem Zweck: Um Sauron zu helfen bei seinem Streben, die Menschen in Mittelerde auszulöschen. Wenn wir uns verteidigen wollen, dann - ja - dann kann man es wohl einen Krieg nennen."

Stumm stierte ich eine Weile vor mich hin, als wir durch das Tor in dem Holzwall in die Stadt hineinritten.

Nach einem Moment, als sie gehen wollte, sprang ich von Nocturîans Rücken und hielt sie am Ärmel fest. Mit vor Schreck aufgerissenen Augen starrte sie mich an. „Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft." Ich lächelte und neigte den Kopf.

„Dankt nicht mir, sondern dem König", sagte sie nur, ehe sie forteilte und zwischen den Häusern verschwand.

~~~

Es war schon lange dunkel, als wir, vom König eingeladen, in seinem Saal eine dampfende Suppe zu uns nahmen. Zwar war ich Théoden noch nie persönlich begegnet, doch als ich ihm von der langjährigen Freundschaft zwischen mir und Gandalf erzählte, lud er uns ein, bei ihm zu verweilen, bis der Zauberer gedachte zu kommen. Für meinen Geschmack war er etwas gutgläubig, doch in diesem Fall konnten wir wirklich nur von Glück sprechen.

Die Pferde hatten wir im Stall untergebracht, wo sie sich dankbar über das dortige Stroh hergemacht hatten. Ich hatte einen einfachen Heilzauber ausgesprochen, um das Heilen von Nocturîans und Morhirs Wunden zu beschleunigen und ich hoffte, dass sie sich nicht entzünden würden, da ich nicht mehr den Nerv gehabt hatte, noch einmal auf die Suche nach Kräutern zu gehen.

Inzwischen waren wir beide fertig mit Essen und ich kramte aus meiner Tasche eine tatsächlich noch blütenweiße Mullbinde hervor. Ich gab sie Shay und instruierte ihn, wie er sie anlegen musste. Einen Heilzauber konnte ich hier nicht anwenden, weil ich erstens nur durch Verrenkungen an die Wunde herankam und zweitens konnten Hexer ihre Heilkunst nicht bei sich selbst zur Anwendung bringen. Eigentlich ziemliche Ironie, das Ganze. Sie können alle vor dem Tod retten, außer sich selbst.

„Au!", meinte ich laut, als Shay mir weh tat. Er versuchte den Verband zu befestigen, doch er wollte nicht halten.

„Lass' mich mal." Eine bekannte Stimme sorgte dafür, dass ich mich umdrehte. Èomer kam über die Holzdielen auf uns zu. Ich war etwas überrascht. Seit unserem unerfreulichen, nun ja, Zusammenstoß auf den Ebenen, als wir auf der Suche nach den Hobbits waren, hatte ich ihn nicht mehr gesehen und daher kannte ich nur den Eindruck, den er damals auf mich gemacht hatte, und da wirkte er nicht gerade wie der wohlwollende Samariter. Aber trotzdem ließ ich zu, dass er mich verarztete - ich wäre dumm gewesen, wenn ich es nicht täte - und blickte zu Shay, dessen Gesicht durch einen schmalen Lichtstrahl zweigeteilt wurde.

„Ich dachte, Ihr wäret verbannt worden von Théoden?", begann ich zögerlich.

Er blickte nicht auf, schien sich sogar noch mehr als vorher in seine Arbeit zu vertiefen, als er nebenbei sagte: „Ja, das war ich auch, bis Gandalf kam und Saruman aus dem Kopfe des Königs verscheuchte."

Ich nickte, irgendwie hatte ich Derartiges schon geahnt. „Also war Gandalf hier."

Èomer bestätigte dies stumm und meinte dann, nach einigen Augenblicken Stille: „Er hat uns gesucht und gefunden und als Kämpfer nach Helms Klamm gebracht. Wahrscheinlich hätten sie es ohne uns gar nicht geschafft."

Wieder nickte ich. „Das glaube ich Euch ausnahmsweise auch."

Verwundert schaute er auf und sein dunkler Blick bohrte sich in meine Augen. „Warum solltet Ihr es nicht tun?"

„Männer sind eitel", fing ich an. „Oft prahlen sie mit Tatsachen, die keine sind."

Èomer versuchte anscheinend, etwas aus meinem Gesicht herauszulesen, dass das nur ein Scherz sei, doch meiner ausdruckslosen Miene konnte er nichts Dergleichen entnehmen. Dann begann er anders. „Darf ich dann fragen, warum Ihr mir glaubt?"

Ich zuckte die Schultern, als wäre es selbstverständlich. „Weil ich mir es durchaus vorstellen kann, dass ein einzelnes Königreich nicht gegen die Heerscharen von Sauron und Saruman ankommt."

In seinen Augen konnte ich noch immer seinen gekränkten Stolz sehen, doch langsam schien er sich besänftigen zu lassen. „In der Tat, es ist gar unmöglich, mit einer 6.000 Mann starken Armee gegen eine 10.000 Mann starke Armee zu kämpfen. Aber glücklicherweise bekamen wir unerwartete Unterstützung."

Fragend hob ich die Augenbrauen. „Unterstützung welcher Art?"

„Die Elben kamen uns zur Hilfe."

Zum zweiten Mal and diesem Abend weiteten sich meine Augen vor Überraschung. „Ach wirklich?"

„Ja, aber es sind leider viele gefallen." Éomers Blick wurde von einem grauen Schleier getrübt.

Mein Interesse war nun geweckt, doch ich wagte nicht, Èomer danach zu fragen.

Schließlich begann er von selbst: „Es waren zu viele. Sie sprengten ein Teil der Mauer. Ich selbst kam erst später, doch nach der Schlacht besah ich mir den Schaden. Es war entsetzlich. Aragorn stand nur stumm vor einer elbischen Leiche, als könnte er sie mit seiner bloßen Anwesenheit wieder zum Leben erwecken. Und überall war Blut, oh, es war so viel Blut, das nur vergossen worden ist wegen Sauron. Verluste, die er zu verschulden hat. Wie gern würde ich ihn eigenhändig vernichten, wenn ich es könnte!"

Kaum merklich horchte ich auf. „Vor welcher Leiche stand Aragorn, wisst Ihr dies?"

Bedauernd schüttelte er den Kopf. „Ich kenne seinen Namen nicht, doch es war einer der Kommandeure des Heers. Er hatte lange, blonde - ja, fast weiße - Haare. Er sah friedlich aus, als würde er schlafen, doch wir alle wussten, dass es nicht so war - leider."

Mir wurde schwarz vor Augen und Tränen stiegen in meinen Augen auf, denn ich wusste, wen er meinte. Gerade war Èomer fertig geworden mit dem Verbinden meiner Schulter. Eilig erhob ich mich und verschwand in Richtung der Gemächer. Ich konnte mir den verdutzten Blick der beiden Männer geradezu bildlich vorstellen.

~~~

Am nächsten Morgen erwachte ich wegen dem Pferdewiehern, das durch die großen, teils undichten Fenster drang. Ich blinzelte und fand Shays Schlafplatz leer vor. Er musste schon aufgestanden sein. Also erhob ich mich ebenfalls von dem provisorischen Bett und trat vor eines der Fenster, während ich mich gähnend streckte. Draußen herrschte schon reger Betrieb. Pferde wurden gesattelt, um die kleinen Schafherden der Bauern zusammenzutreiben und andere sprangen von ihren Rössern; anscheinend hatten sie nach Gefahren Ausschau gehalten.

Aus Richtung der Gräber der Rohirim kam Théoden mit - und ich konnte es kaum glauben - Gandalf im Schlepptau, der auf ihn einredete. Ich blickte wieder zurück zu den Reitern und tatsächlich waren es Legolas, Aragorn, Gimli, Merry und Pippin. Ich konnte es nicht fassen, dass sie sich so hineingeschlichen hatten.

Flink zog ich mich an und lief die Treppen hinab zu dem Saal, in dem es Frühstück geben würde. Als ich das große Tor aufstieß, sah ich Shay schon am Tisch sitzen und Tee trinken, und er wirkte, als wäre er froh mich zu sehen.

„Guten Morgen", begrüßte er mich. „Hast du gut geschlafen?"

Ich kam näher an den Tisch. „Es geht so, danke", meinte ich und holte sogleich tief Luft für meine nächste Aussage: „Gandalf ist da. Und Aragorn. Weißt du das schon?"

Shay schien nicht sehr begeistert. „Ja, ich war vorhin mit Èomer und seiner Schwester draußen, da habe ich sie kommen gesehen."

Schweigend nickte ich und aß dann meinen Teller mit Rührei, den mir Shay hinschob.

„Sie haben die Hobbits aufgegabelt. Hast du schon gehört? Die Ents haben Isengard geflutet und die beiden waren dabei." Shay beobachtete mich beim Essen.

Ich schluckte und sagte: „Nein, das wusste ich noch nicht. Woher auch? Ich bin ja gerade erst aufgestanden."

„Achso." Verständnisvoll, aber in seinen eigenen Gedanken vertieft, neigte er den Kopf. „Ich dachte, du wärest vielleicht Gandalf über den Weg gelaufen. Er wollte nämlich in die oberen Gemächer zu Théoden."

Verwirrt zog ich die Stirn kraus. „Er hat Théoden gefunden. Als ich aufgestanden bin, ist er mit ihm von den Grabhügeln wiedergekommen. Sie waren in ein Gespräch vertieft. Ich glaube, dass wir zu ihm hinunter müssen, wenn wir ihn etwas fragen wollen."

Shay nickte. „Wahrscheinlich hast du recht. Gehen wir, sobald du fertig bist."

Schnell war mein Teller leer und ich erhob mich, um ihn in die Küche zu schaffen. Eigentlich war dies ja die Aufgabe der Bediensteten, doch ich würde mich wohl nie an so ein gehobenes Leben gewöhnen. Danach gingen Shay und ich sofort durch die Halle nach draußen und die Treppe hinab, wo Gandalf gerade mit Aragorn in ein Gespräch vertieft war.

„Ahh, Nienná", begrüßte er mich und ausnahmsweise sagte ich einmal nichts dagegen, dass er nicht meinen Decknamen verwendete. Hier würde mir ja niemand etwas Böses tun, wenn er wusste, wer ich war.

„Gandalf. Ich hatte dich gesucht. Wir wollten dir einige Fragen stellen", erwiderte ich seine Worte.

Interessiert zog er die Augenbrauen hoch. „Was wollt ihr denn wissen?"

Shay machte einen Wink mit dem Kopf in Richtung des großen Gebäudes hinter uns. „Ich glaube nicht, dass hier draußen der Ort ist, um darüber zu reden. Gehen wir in die Bibliothek."

Gandalf kam seiner Aufforderung nach und ging voran die flache Treppe hinauf. Ich gesellte mich zu Shay. „Warum erledigen wir es nicht gleich hier draußen?"

„Ich fürchte..." Er lehnte sich etwas zu mir, damit er nicht zu laut sprechen musste. „Ich fürchte, dass auch hier den ganzen aufmerksamen Ohren nicht zu trauen ist."

Ich nickte, auch wenn ich ihn nicht vollends verstand. Wir waren doch sicher, oder nicht? Sein Misstrauen gegen die Bewohner dieser Stadt stimmte mich nachdenklich. Wann hatten wir den Punkt erreicht, an dem wir nichts und niemandem mehr vertrauen konnten?


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