~LXVI.~
Ein Mann mit schütterem Haar stand dort und eine Frau, die zuvor einen Tisch abgeräumt hatte, verschwand durch der Schwingtür in die Küche. Als wir kamen, stellte er ein Glas ab, welches er gerade befüllte, und wandte sich uns zu. „Was kann ich für Euch tun?", fragte er freundlich.
„Wir hätten gern ein Zimmer für die Nacht", antwortete Shay lächelnd und holte einen Lederbeutel mit klirrenden Münzen heraus.
„Sicher", erwiderte der Wirt nickend und kritzelte etwas auf einen Zettel, welchen er gut sichtbar auf die Theke legte. „Bitte folgt mir."
Shay und ich taten, wie uns geheißen, und gingen hinter dem Wirt durch die Gaststube. Dort stieß er eine ältliche Holztür auf und wir stiegen eine kurze, steile Treppe hinauf.
Oben angekommen öffnete sich vor uns ein Flur, der aber nicht gerade bis zum Ende des Hauses führte, sondern recht viele Biegungen enthielt und dem wir bis zu einer der Türen folgten. Sie sahen hier alle gleich aus, die Türen. Unsere unterschied sich nur von den anderen, wenn man genau hinschaute wie ich. Auf dem alten Lack befanden sich ein paar mehr Kratzer und das Holz sah älter aus.
Ich wurde aus meiner Trance gerissen, als der Wirt geräuschvoll gegen die Tür trat. Es knarrte und knackte gewaltig, doch als er noch ein Mal am Schloss ruckelte, ging die Tür auf. „Entschuldigt mein Vorgehen", meinte er zu uns gewandt. „Das Schloss klemmt zuweilen ein bisschen, aber das sollte eigentlich keine Probleme bereiten." Shay und ich nickten freundlich. Der Wirt drehte sich wieder nach vorne und zeigte uns unser Gemach für diese Nacht. Es bestand aus nur einem Zimmer - es gab auch keinen getrennten Raum, in dem man sich waschen konnte, sondern nur ein Eimer mit Wasser stand neben dem Bett -, in dem, zu unser beider Bedauern, nur ein Doppelbett stand.
„Könnten wir, ohne Euch Umstände bereiten zu wollen, getrennte Betten haben?", erkundigte sich Shay ruhig.
Der Wirt bedachte uns erst mit einem Blick, als sei er überrascht, dass wir kein Paar waren, schüttelte dann aber bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, aber gerade heute ist hier recht viel los. Wir haben kein freies Zimmer mehr."
Ich nickte freundlich, aber sichtlich enttäuscht. Shay erging es wohl ebenso, wie ich merkte, als ich zu ihm herüberblickte.
„Nun, für eine Nacht wird es wohl in Ordnung gehen", begann Shay zögerlich und meinte dann eilig und lauter: „Wir danken vielmals für dieses hübsche Zimmer."
Der Wirt neigte den Kopf. „Werdet Ihr heute noch etwas zu Abend essen? Weil dann müsstet Ihr noch einmal die Gaststube aufsuchen", meinte er freundlich.
„Nein, danke, wir sind recht müde, wir werden vermutlich erst wieder morgen früh auftauchen", lächelte ich zaghaft und musste ein Gähnen unterdrücken.
Er neigte den Kopf. „Wie Ihr wünscht. Noch eine gute Nacht." Ein freundliches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, bevor er sich umdrehte und im Gang verschwand.
~~~
Die Sonne kletterte mühselig über den fernen Horizont, als ich aus dem Bett schlich und mich leise anzog. Die Farben änderten sich von hellgrün zu gelb zu orange zu rosa zu lila und schließlich zu hellblau, das bald den gesamten Himmel überzog. Nur noch einige wenige, weiße Wattebausche rannten wie Schafe von ihrem Hirten gejagt über das blaue Leinentuch. Die Strahlen blendeten mich, als ich mich vorbeugte, um mir meine durchgetretenen Stiefel anzuziehen. Meine Haare fielen über meine Schultern und grenzten mein Sichtfeld wie dunkle Vorhänge ein. In dem Moment kam von hinten ein Geräusch. Ohne mich umzudrehen wusste ich, dass Shay aufgewacht war.
„Guten Morgen. Na, gut geschlafen?", erkundigte ich mich und lächelte leise, als ich meinen Kopf ein Stück wandte und sein verschlafenes Gesicht und seine Haare sah, die nach allen Richtungen abstanden.
Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und blickte mich dann überrascht an. Sie schienen verschmitzt aufzuleuchten. „Nun ja, das Einschlafen hat mir Schwierigkeiten gemacht. Aber sonst... Ich komme einfach nicht darüber hinweg..."
„Was?"
„Du... Als ich nicht einschlafen konnte, habe ich mich unruhig von einer Seite auf die andere gewälzt. Du aber lagst reglos da, wie eine Tote, als würde dir das Einschlafen keine Schwierigkeiten bereiten..." Shay erhob sich rasch aus dem Bett und zog sich ebenfalls an. Ich merkte, wie er den Augenkontakt zu mir mied.
„Ich weiß", sagte ich nur und blickte schnell wieder hinunter auf meine Stiefel. „Das ist nur Einbildung. Ich war noch viel länger wach. Während der Zeit allein als Waldläuferin habe ich mich in Selbstkontrolle geübt. Und ich bin gut geworden."
Etwas befremdlich sah mich der Mann an. Aber schnell wandte er sein Augenmerk zurück auf seine Montur.
Als er dann fertig war, hob er seinen Kopf und fragte: „Wollen wir jetzt essen gehen?"
Bestätigend nickte ich. „Ja, wir können los. Ich bin fertig."
~~~
Nach einer herzhaften Suppe, gefolgt von einem Spiegelei mit Schinken, stand ich nun mit den drei Pferden, die an der Hauswand angebunden waren, vor dem Wirtshaus und wartete auf Shay, der irgendetwas in unserem Zimmer vergessen hatte und es jetzt holte. Es wehte ein frischer Wind durch die Straßen, und eine Frau kehrte einen Hof. Eine graue Tigerkatze rannte in einiger Entfernung über den Weg. Ein paar Tauben flatterten panisch gurrend auf, als ein Wagen mit einem braunen Esel, der vor ihn gespannt war, des Weges zuckelte. Einmal geriet eines der hölzernen Räder in ein tiefes Schlagloch. Der Karren wackelte wie wild und der Esel iahte verängstigt. Der Ruf geisterte noch zwischen den Häusern und in meinem Kopf umher, als die Kutsche schon längst verschwunden war.
Plötzlich wurde ich durch ein helles Wiehern von hinten gewarnt. Morhir hatte sich, wie auch immer, losreißen können und wollte allem Anschein nach wegrennen. Aber das konnte ich nicht zulassen. Also baute ich mich vor dem grauen Tier auf und drängte es zurück. Panisch verdrehte er seine Augen, sodass ich das Weiße sehen konnte und streckte angespannt seinen Hals in die Höhe. Ich versuchte, seine Zügel zu fassen, doch es gelang mir nicht, weil er in dem Moment stieg. Gerade noch so konnte ich mich auf den Boden werfen und seine harten Hufe verfehlten meinen Kopf, aber sie trafen meine Schulter und rissen die Haut unter meinem Mantel auf. Der Schmerz durchzuckte mich so unvorbereitet, dass meine Hand zu der blutenden Verletzung schnellte und ich nach Luft schnappte, als würde ich ersticken. Trotzdem versuchte ich so gut wie möglich aufrecht zu stehen, damit Morhir nicht abhaute.
Als mein Hengst meine Situation erkannte, stieg er und zerrte solange an seinem neuen Zaumzeug, bis es ihm gelang, es über seinen schmalen Hechtkopf zu streifen. Ich hatte geahnt, dass es ihm ein bisschen zu groß sein würde.
Er stieß mich um, als er begann, mit Morhir zu kämpfen. Schnell kroch ich aus der Schusslinie, damit mich nicht auch noch seine Hufe, die sehr viel härter sein mussten, trafen. Auch Aimée riss unwohl an ihrem Führstrick, doch sie war nicht stark genug, um ihn zu zerreißen und sie konnte ihre Trense auch nicht einfach über ihren Kopf streifen. Wenigstens hatte ich bei ihr das richtige Halfter gekauft.
Die beiden Pferde lieferten sich einen ernsten Kampf, als ging es hier tatsächlich um Stuten, und sie hörten auch nicht auf, als Blut floss.
Erst als Shay kam, hielt Nocturîan irritiert inne. Morhir biss ihm in die Brust und riss sogar ein Stückchen Haut und Fell mit heraus. Nocturîan quietschte auf und verdrückte sich zu mir.
„Hey!" Aufrecht und sichtlich wütend ging der Braunhaarige auf den grauen Wallach zu. Der gab sich unterwürfig und wagte nicht aufzumucken, während Shay seine Zügel packte und ihn erneut anband. Dann kam er zu mir.
„Geht es dir gut?", fragte er mich und ein sorgenvoller Schleier lag über seinen freundlichen Augen.
„Ja, klar, es tut nur etwas weh. Ein Glück hat er meinen Kopf verfehlt." Etwas verlegen, weil ich nicht wusste, was man in so einer Situation sagte oder tat, beobachtete ich interessiert den unebenen Boden.
„Was ist denn überhaupt passiert?", wollte Shay mit seiner tiefen Stimme wissen und hockte sich hin, um meine Wunde zu untersuchen.
„Morhir hat sich losgerissen und wollte wegrennen, doch ich habe ihm den Weg abgeschnitten und wollte seine Zügel packen, als er plötzlich stieg und mich an der Schulter traf. Da hat sich dann Nocturîan losgerissen und mit ihm gekämpft und, naja, den Rest kennst du ja." Ich betrachtete sein Profil eingehend und sah, wie er nickte.
„Ich werde es dir verbinden, aber lass uns erst einmal weiterreiten, wenn das okay ist." Sein Blick traf meinen und mir wurde bewusst, wie gering der Abstand zwischen unseren Gesichtern war. Ich nickte heftig.
„Gut." Er erhob sich und zog mich am Arm mit sich. „Dann lass uns mal losreiten, bevor es noch mehr Verletzte gibt."
~~~
Inzwischen zogen dunkle Wolken eilig über den hellen Himmel und der Wind pfiff über uns und die Landschaft nur so hinweg. Die volle, schwarze Mähne von Aimée formte sich zu mysteriösen Gestalten, als sie mit angelegten Ohren gegen den Wind anlief. Schon seit geraumer Zeit trabten wir über die immer gleich aussehenden Ebenen und sogar die beiden Pferdemänner hätten jetzt nur zu gern eine Pause gemacht, doch wir gestatteten sie ihnen nicht, denn wenn sie erschöpft waren, zankten sie wenigstens nicht. Ich ließ meinen Blick über den grauen Wallach schweifen und sah die unzähligen Bissspuren von Nocturîan, besonders gehäuft an den Vorderbeinen, an der Brust und am Hals. Das getrocknete Blut fiel aber in seinem grauen Fell nicht so sehr auf wie in Nocturîans weißem, welches die Wunden schlimmer aussehen ließ, als sie waren. Seine Brustwunde hatte seit einiger Zeit aufgehört zu bluten und das verklebte Fell hatte einen satten Braun-Rot-Ton angenommen.
Ab und zu wagte die Sonne einen kurzen Blick durch die Wolken und teilte uns die Tageszeit mit. Es musste schon weit nach Mittag sein, als wir vor uns einen Hügel mit vielen Häusern erkannten. Das war sicher Edoras. Ich tauschte mit Shay ein erleichtertes Lächeln aus. Für die nächsten Tage hatten wir eine warme Unterkunft sicher und eine warme Mahlzeit und Gandalf war ganz bestimmt auch nicht fern.
Wir trieben unsere Pferde in den Galopp und erreichten nach ungefähr einer Stunde die Stadt. Wir sahen, wie vor uns viele Menschen mit ihren Pferden und Karren wieder durch das Tor zogen. Was war da nur los gewesen?
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