~LXIX.~

Gespannt hielt ich die Luft an, denn das war genau die Frage, die mich selbst schon lange beschäftigte. Mit gerunzelter Stirn musterte ich ihn von oben bis unten und von unten bis oben. Irgendwoher kannte ich diese Pose. Und in dem Moment erinnerte ich mich.

Der Tag war lang gewesen. Lang, aber nicht anstrengend, zumindest nicht für mich. Heute war Thandruil in Lothlórien empfangen worden, von niemand Geringerem als von den Herrschaften Galadriél und Celeborn. Und da es meinen Eltern nicht an Geld mangelte und sie aus adeligem Hause stammten, pflegten sie eine enge und gute Beziehung zu der Herrin des goldenen Waldes. So kam es, dass ich an besagtem Tag ebenfalls im Palast der Elbin anwesend war.

Als Thandruil kam, war alles festlich geschmückt. Nun ja, ich gebe zu, in dem Hause der Herrin ist das ja meistens so, doch diesmal war etwas ein kleines bisschen anders. Selbst meine Schwester und mich, die zu der Zeit ungefähr 12 Jahre alt waren, hatte man in ein kleines, silbern-blaues Kleid gesteckt, das wie Wellen an auf den Boden floss. Alles sah wunderschön aus, ich kann mich sogar noch erinnern, dass ich ein kleines Körbchen bei mir trug, mit allerlei farbigen Blüten und Blütenblättern, genau wie Lûthien. Die streute ich auf den Weg unter mir, als ich neben ihr auf die dunkle Kutsche zulief. Und es stieg nicht nur ein ältlicher Elb aus dem Gefährt, vor das Schimmel mit sorgsam gestriegeltem Fell gespannt waren, sondern auch ein Junge, wohl so alt wie wir. Sein Haar schimmerte in der Mittagssonne ebenso blond wie das seines Vaters. Höflich knicksten wir und begrüßten beide mit einem Nicken. Sie gingen an uns vorbei, in den Schatten der Bäume. Lûthien lief ihnen aufgeregt, aber beherrscht hinterher, immer noch Blumen streuend. Ich hätte wohl auch zurückgehen sollen, doch ich war wieder einmal gefesselt gewesen von der Kraft und Schönheit der alten Rassen und ich ging auf die Schimmel zu. Es waren Stuten und sie warfen ihren wohlgeformten Köpfe nach oben, als ich kam, doch sie waren neugierig und beschnupperten mich mit zuckenden Nüstern. Ich flüsterte einige elbische Worte, als in dem Moment eine Stimme ertönte. Eine glockenhelle Frauenstimme. „Nienná!"

Ich verabschiedete mich von den beiden Schönheiten und rannte zu Galadriél.

„Da bist du ja", meinte sie und strich mir stirnrunzelnd eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann ging sie voraus, unter dem Blätterdach entlang, das in der Mittagszeit ein wenig Kühle spendete, und sie dachte wohl nicht daran, dass ihr ein kleines Mädchen bei dem Tempo nur mühsam folgen konnte, oder es war ihr egal. Manchmal dachte ich, sie mochte mich nicht, weil ich so dunkle und glatte Haare hatte, genau das Gegenteil von ihren goldenen Locken. Oft kam es mir so vor, als sei sie eine wunderschöne Magierin, die ich aus den Geschichten kannte, und ich die böse Gegenspielerin.

Bald hatten wir meine Mutter erreicht, die sich mit Herrn Celeborn und Herrn Thandruil unterhielt. Lûthien stand bei ihnen und folgte mit großen Augen dem Gespräch. Sie schien außerdem von all dem Glanz um uns herum ganz begeistert zu sein und bestaunte alles. Der Junge stand auch bei der Gruppe, doch er lenkte sich anderweitig ab.

Als Galadriél die Bühne betrat, machte meine Mutter ihr respektvoll Platz. Die blonde Elbin jedoch winkte nur mit der Hand. „Lasst uns eintreten", sagte sie fest und ruhig. Thandruil und Celeborn folgten ihr und auch meine Mutter durfte mit hineingehen, doch zu uns wurde gesagt: „Bleibt draußen und spielt schön."

Missmutig setzte ich mich schwungvoll auf eine Wurzel und spielte mit einigen Stöcken und Steinen, die ich in der Nähe fand.

An Genaueres erinnerte ich mich nicht mehr, sondern nur daran, dass ich irgendwann fortging und in den Wald, weil mir langweilig war. Und wie es das Schicksal wollte, trug ich an dem Tag, warum auch immer, mein Messer bei mir. Ich hatte mich auf einen Baumstamm gesetzt und aus kleinen Holzstücken Miniaturpferde geschnitzt, nach dem Vorbild der Schimmelstuten, die ich am Morgen gesehen hatte. Irgendwann war dann der blonde Junge hinter mir aufgetaucht. Ich hatte ihn gehört, weil er etwas zu laut über den moosigen Waldboden lief. Überrascht drehte ich mich um, und da stand er, in fast derselben Pose, in der Legolas nun vor mir stand.

„Ich glaube schon. Zumindest meine ich mich an ein solches Treffen zu erinnern", fing ich an. „Damals, in den Wäldern Lothlóriens."

Langsam nickte er, den Blick in der Ferne starrend. „Ich glaube, du könntest Recht haben."

Meine Augen folgten Legolas', doch ich konnte nichts erkennen in der Ferne. Also wandte ich mich zur Tür. „Wenn es denn nichts weiter zu sagen gibt, so gehe ich nun." Ich drehte mich noch einmal zu Legolas, doch der nickte nur abwesend und rührte sich nicht von der Stelle. Also trat ich hinaus in den kühleren Flur und schloss vorsichtig die Tür hinter mir.

~~~


Meine Schritte knirschten ungewohnt laut auf der trockenen Erde, die den Weg zum Stall bildete. Ich begegnete einigen Leuten, doch die meisten kannte ich nicht. In den Stallungen befanden sich kleine Fenster in allen Himmelsrichtungen. So fielen auch jetzt die Strahlen in die Boxen. Nocturîan war leicht zu finden, doch Aimée fiel als Pony zwischen den anderen großen Pferden gar nicht auf, deshalb musste ich erstmal eine Weile suchen, bis ich feststellte, dass sie genau neben Nocturîan stand. ‚Kein Wunder.' Die beiden waren ein Herz und eine Seele.

Eilig betrat ich die Box der kleinen Braunen, und das frische Stroh duftete, als ich zu Aimées Kruppe ging. Ich wollte ihre Wunde noch einmal überprüfen, ob sie auch soweit gut verheilt war. Es schien alles normal, und ich wandte mich wieder zum Gehen, als ich Gandalf bei Schattenfell bemerkte. Doch ich ließ mich ablenken, als sich Aimée und Nocturîan spielerisch neckten. Meine Mundwinkel hoben sich, und die zwei ärgerten sich weiter, bis ich schließlich aus vollem Halse lachte.

Lächelnd blickte Gandalf zu mir. „Es schon lange her, seit ich dich das letzte Mal so lachen gesehen habe." Seine freundlichen Augen schmunzelten mich an.

Unvermittelt fror mein Lachen ein und erstarb schließlich ganz, und ich betrachtete das Stroh zu meinen Füßen. Immer noch aber spürte ich Gandalfs Augen auf mir.

„Das war ein Kompliment, Nienná." Der Zauberer suchte meinen Blick, und scheu hob ich denselben. Sein Gesicht sprach in dem Moment Bände. ‚Nur Mut, es ist nicht schwach, Gefühle zu zeigen.' Plötzlich jedoch wurde er wieder ernst. „Diese Reise hat dich in vielerlei Hinsicht geändert, und sie wird es noch weiterhin tun."

Schnell brach in den Blickkontakt wieder ab und spielte mit einigen Heuhalmen aus Nocturîans Heunetz. Beklommen schluckte ich und nickte. „Ja, ich weiß." Gandalf blieb still, er bedachte mich nur weiterhin mit einem merkwürdig intensiven Blick. Die Worte sollten freiwillig aus meinem Mund kommen. „Ich war alleine, alleine in der Wildnis, in der Kälte. Und dann plötzlich habe ich wieder die Wärme von Gesellschaft erfahren." Ich holte tief Luft. „Der Wandel ist wie eine Lawine, Gandalf. Einmal losgetreten ist er nicht mehr zu stoppen."

~~~

Allmählich schlich sich der Nebel auf die trockene Grasprärie, als die Sonne hinter dem Horizont versank. Das Meer aus orange-roten Wolken, das sie hinterließ, verriet, dass der morgige Tag ein guter werden sollte.

Ich saß mit angezogenen Knien in den langen, verdorrten Grashalmen und beobachtete den Sonnenuntergang. Ich hörte die Huftritte von Nocturîan und Aimée auf den trockenen Boden stampfen und ab und zu quiekten sie verspielt. Wenn sie gerade nicht spielten, zupften sie an den braunen Halmen. Einige Raben flatterten keifend aus dem hohen Gras ein paar Meter vor mir auf und zu ein paar vereinzelten Bäumen in einem nahen Hain.

Nachdenklich beobachtete ich die beiden, und die Sonne war schon so gesunken, dass ich nur noch ihre dunklen Gestalten zu erkennen vermochte. Nocturîan trabte und galoppierte mit anmutig im Wind wehendem Schweif an Aimée vorbei, augenscheinlich wollte er sie beeindrucken. Aimée dagegen schien sich dafür nicht sehr zu interessieren, als sie verspielt ihre Beine in die Luft warf.

Irgendwann ließen mich Schritte im kargen Gras hinter mir aufhorchen und umdrehen. Es war Legolas, der mir zunickte. „Du sollst bitte hineinkommen. Gandalf möchte etwas mit uns allen besprechen und außerdem ist das Abendmahl aufgetischt."

Stumm neigte ich meinen Kopf und schnalzte mit der Zunge, dass meine Pferde zu mir kamen. Aber nur Aimée kam mit niedlich aufgestellten Ohren sofort auf mich zugetrabt. Ich steckte ihr eine Leckerei zu, die sie knuspernd zwischen den Zähnen zermalmte. Nocturîan wollte noch nicht rein und dachte anscheinend, wenn er mich nur lange genug ignorierte, würde ich ohne ihn gehen. Doch als er mit der Einstellung eine Weile erfolglos gewartet hatte, gab er sich geschlagen und kam schließlich doch zu mir. Auch ihm schenkte ich eine kleine Aufmerksamkeit, eine Streicheleinheit, bevor ich loslief und Legolas wieder in die Stadt folgte. Dabei fragte ich mich, ob ich noch oft diesen Weg gehen und von meinem heutigen Sitzplatz aus den Sonnenuntergang beobachten würde.

Shays point of view:

Die Luft war gefüllt mit den Schwatzereien der Hobbits. Sie tauschten sich über alles Mögliche aus, vorwiegend aber über das, was in unserer Abwesenheit passiert war, deshalb konnte ich nur schwer beurteilen, was Wahrheit und was Übertreibung war. Vielleicht wollten sie, dass ich es hörte, doch meist redeten sie so schnell und unverständlich, dass ich es mir kaum vorstellen konnte. Ab und zu sagten auch Aragorn, Gimli und Gandalf ein Wörtchen dazu. Dann wurde es immer ein bisschen stiller im Raum und alle lauschten ihnen, doch vielleicht war das auch nur Einbildung. Nienná war seit dem späten Nachmittag nicht mehr aufzufinden gewesen, weshalb sich Legolas aufgemacht hatte, sie zu suchen.

In dem Moment wurde die Klinke der großen Tür hinunter gedrückt und Legolas trat ein, gefolgt von Nienná. Ihre schwarzen Haare waren zerzaust von Wind, vermutlich also war sie draußen gewesen. Sie kamen näher und setzten sich an den Tisch.

Gandalf erhob seine Stimme. „Jetzt, nachdem Saruman tot und seine Armee besiegt ist, müssen wir überlegen, was weiter zu tun ist, um Frodo und Sam zu unterstützen bei unserem gemeinsamen Vorhaben."

Grübelnd betrachteten ich die anderen, die wohl weniger lange Bedenkzeit benötigten, denn schon meldete sich Nienná zu Wort, und ihre plötzliche Zu-Wort-Meldung erschien etwas unbedacht und voreilig. „Die Monster von Mordor werden von Sauron bestimmt zuerst nach Osgiliath geschickt, und dann nach Minas Tirith. Wir müssen die Menschen dort schützen, falls wir tatsächlich recht haben sollten."

Gandalf blickte sie ruhig an, als ob er das schon erwartet hätte. „Ja...", begann er langsam und gedehnt. „Ja, in der Tat könntest du recht haben. Ich werde zur weißen Stadt reiten. Gleich morgen früh, wenn die Sonne ihre ersten Strahlen über die Hügel schickt."

„Ich begleite dich", hörte ich eine mir vertraute Stimme und ich blickte in Niennás dunkelblaue Augen, als warte sie auf meine Bestätigung.

„Ja", nickte ich Gandalf zu. Somit würden wir also morgen nach Minas Tirith aufbrechen.

Da es nichts weiteres Wichtiges mehr zu bereden galt, wandten sich alle augenscheinlich entspannter ihren Tellern zu.

~~~

Gegen Abend verschwanden alle nach und nach in den Gemächern. Ich betrat ebenfalls den kleinen Raum und legte mich auf mein provisorisches Bett. Nienná war schon in ihren Decken eingeschlafen. Als sich auch alle anderen zum Schlafen niedergelegt hatten, und ich als einziger noch wach war und grübelte, war der Raum still, bis auf die vielen gleichmäßigen Atemzüge. Nur von dem Schlafplatz der schwarzhaarigen Elbin drang natürlich kein Geräusch zu mir. Zugegebenermaßen, ich war etwas aufgewühlt, weil morgen die Reise nach Minas Tirith gehen sollte. Ich war noch nie in der weißen Stadt gewesen, nur vom Hören-Sagen kannte ich sie, und nun sollte ich sie endlich mit eigenen Augen sehen! Man sagte sich, die weißen Türme glänzten wie pures Gold in der Mittagssonne und der Weiße Baum blühte das ganze Jahr lang und seine reinweißen Blüten verströmten einen einzigartigen, honigsüßen Duft, der über der Stadt hing. Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass ich sehr gespannt war auf die berühmte „Stadt der Könige", von der ich so viel gehört hatte. So sank ich doch langsam in einen unruhigen Schlaf, und ich träumte von einem wunderschönen Baum, der blühte und gedieh, und die Leute, die um ihn herum standen, applaudierten ihm zu. Doch plötzlich fielen die Blüten zu Boden und wandelten sich im Fall zu messerscharfen Klingen, die gegen die Schwerter der Menschen kämpften, die ihnen erst zu applaudiert hatten. Am Himmel, an dem eben noch die Sonne gestanden hatte, zogen viel zu schnell dunkle Gewitterwolken auf, und die blitzenden Türme stürzten nur Augenblicke später in sich zusammen. Das erst noch paradiesische Städtchen war innerhalb weniger Sekunden ein zerstörtes Trümmerfeld. Ich wandte meinen Blick ab, konnte es nicht mehr mit ansehen, und so sah ich nicht, wie aus den Trümmern kleine Schösslinge mit grünsilbernen Blättchen auftauchten.

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