~LXIV.~
Wenig später befanden wir uns auf den Pferderücken, die im Trab durch die windige Hügellandschaft schaukelten. Der Wirt hatte mir zu meiner Enttäuschung nicht sehr viel mehr sagen können, als dass Ninnîach Ladûróin sehr reich war und viel Einfluss hatte in ganz Mittelerde. Außerdem sei sie neuerdings interessiert an langen Mänteln mit Kapuze. Das Ganze hatte mir nicht wirklich weitergeholfen, aber vielleicht konnte ich sie ja dadurch besser kennen lernen, und besser einschätzen. Natürlich war sie mir nicht gänzlich unbekannt. Schon seit früher Kindheit waren wir die Art von Freundinnen gewesen, die nur befreundet waren, weil sie nebeneinander wohnten und die Eltern die Freundschaft guthießen. Sobald ich ein bisschen älter wurde und merkte, dass sie sich nur um ihre eigenen Vorteile scherte, hatte ich sie links liegen gelassen. So kam es dann, dass am Tag meiner Verbannung eine gewisse Person nicht zu einem für mich positiven Ausgang des Prozesses beigetragen hat. Allerdings hatte mir Miréla während der Tage meines unfreiwilligen Aufenthalts in dem kleinen Elbendorf im Düsterwald ja erzählt, dass eben genannter sehr wohl positiv ausgegangen war - für alle Beteiligten. In diesem Punkt war ich zwiegespalten. Ich war zwar nicht in die Hände der Assassinen gefallen, doch wurde ich verstoßen von jenen, die ich liebte und getrennt von allem, was ich zu lieben gelernt hatte. Man konnte sich streiten, was die bessere Wahl gewesen wäre.
Shay riss mich aus meinen Gedankengängen. „Isengart ist zu sehen", meinte er und deutete an den nördlichen Horizont, an dem die schmale Silhouette eines Turmes zu sehen war. „Und ich denke, dort vorne werden wir rasten." In der Ferne war der zerstörte Turm einer Festungsanlage oder etwas Ähnlichem zu sehen.
Ich nickte, teils erfreut darüber, dass mein Plan aufgegangen war, und wir weit im Süden Isengart umgangen hatten, teils aber auch verärgert, weil ich nicht so nahe bei Isengart nächtigen wollte.
„Lass uns noch ein paar Stunden weiterreiten", erwiderte ich ausweichend.
„Aber die Chance, einen solchen - für die Verhältnisse - komfortablen Schlafplatz zu finden, fällt dann recht schnell gegen Null. Das ist dir hoffentlich bewusst, oder?", erkundigte sich Shay amüsiert und ich konnte ein leises Grinsen aus seinen Worten heraushören.
„Es ist mir einfach unangenehm, so nahe bei Isengart zu kampieren", eröffnete ich ihm geradeheraus und wagte nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Erst, als seine Antwort auf sich warten ließ, blickte ich auf.
Shay jedoch nahm sich alle Zeit der Welt. „Wieso hast du denn solche Angst davor? Ist Saruman denn eine Art böser Zauberer, der des Nachts gerne draußen herumschleicht und ahnungslose Wanderer aufschreckt?"
Ein bisschen beleidigt setzte ich mich aufrechter hin, und Nocturîan warf, als Zeichen, dass ihm meine Aktion unangenehm gewesen war, leise grummelnd den Kopf hoch und zeigte das Weiße in seinen Augen. „Aus welchem Grund glaubst du, ich hätte es nötig, Angst zu haben? Ich bin keine einfache Magd, die noch nie einen Dolch zu sehen bekommen hat. Ich weiß mich durchaus zu wehren."
Der braunhaarige Mann hob abwehrend die Hände. „Entschuldigung, ich nehme alles zurück. Außer das mit der Angst. Weißt du, Emewýn, manchmal ist es nur natürlich, Angst zu haben. Aber wie ich feststelle, hast du meine Frage nicht beantwortet."
„Das war keine Frage, sondern eine Frechheit!", platzte ich heraus und ward danach sofort still.
Mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen musterte Shay meine starrköpfige Miene. „Wenn das so ist und du keine Angst zu haben brauchst", begann er in einem listigen Tonfall - und überging damit meinen sinnigen Einwurf -, den ich zwar kaum von ihm hörte, aber schon hasste, „warum weigerst du dich dann so strikt, in der Gegenwart von Isengart die Nacht zu verbringen? Saruman ist doch auch nur ein Zauberer wie Gandalf."
„Ja, aber anders als Gandalf hat er sich dem Bösen zugewandt und dient nun mit seinen unberechenbaren Handlungen einem Mächtigeren als sich selbst und denen, die seiner Hilfe bedürfen. Er setzt zum Erreichen seiner Ziele alle Mittel ein, ohne auf die Konsequenzen zu achten. Kurz und gut, er ist ein totaler Machiavellist. Sich nur in seiner einfachen Nähe aufzuhalten ist lebensmüde. Vor allem, wenn man nicht auf seiner Seite steht." Ich war lauter geworden und hatte die Worte nur so ausgespuckt, und den Pferden schien das nicht wirklich zu behagen, doch der Assassine neben mir sah nun endlich ein wenig überzeugter aus.
„Du hast einen guten Grund, um auf Saruman so eine Wut zu haben, oder?"
Ich zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Nun, Gandalf ist mein langjähriger Freund und außerdem war mir Saruman noch nie sympathisch. Genug Gründe?" Noch bevor Shay antworten konnte, meinte ich: „Wir reiten weiter, bis zur Dämmerung." Und damit trieb ich meinen Hengst in den Galopp. Aimée klebte an Nocturîan wie eine Klette und meinem Mitwanderer blieb nichts anderes übrig, als mir zu folgen.
~~~
Es war schon nach Einbruch der Dämmerung, und wir ritten immer noch weiter. Shay hatte zu meinem Bedauern recht behalten, dass keine „komfortable Ruine" mehr auftauchen würde. Aber nicht nur an eingestürzten Bauwerken, nein, auch an Bäumen mangelte es dieser Ebene, welche uns zumindest etwas Schutz vor Wind und Wetter gewährt hätten, nicht zu vergessen der Sichtschutz. Das war auch der einzige Grund, warum wir noch unterwegs waren. Inzwischen waren die Temperaturen wohl gefallen, doch immerhin war es hier nicht so kalt wie im Norden. Allerdings waren wir beide von unseren warmen Aufenthalten noch ein bisschen verwöhnt und sehnten uns nach einer Decke. Sowohl wir als auch die Pferde waren strapaziert nach dem langen Ritt, wobei zumindest Nocturîan daran hätte gewöhnt sein müssen, doch er war trotzdem müde. Aimée trottete uns mit hängendem Kopf hinterher und musste anscheinend aufpassen, nicht im Laufen einzuschlafen.
Schließlich, nach kalten zehn Minuten, die sich allerdings wie Stunden in die Länge gezogen hatten, tauchten am Horizont ein paar fast nicht mehr zu erkennende Rauchsäulen auf. Überrascht und erfreut zugleich schnalzte ich, damit unsere Reittiere nicht kurz vor der Siedlung einschliefen. Zudem vermied ich es nun, Shay anzusehen, da sich seine Prognose ja letztendlich nicht erfüllt hatte und ich wollte nicht, dass er meinen Blick in irgendeiner Hinsicht als gehässig deutete.
Als wir fröstelnd unsere Pferde hinter dem Gebäude im Hof an einem Wassertrog angebunden und uns mit einem Heunetz für den anstrengenden Tag entschuldigt hatten, betraten wir durch die Hintertür die Taverne. Drinnen brannten viele Kerzen, was wahrscheinlich eine romantische Atmosphäre erzeugen sollte, doch mich machten die flackernden Schatten an der Wand unheimlich nervös. Die meisten Gäste waren offensichtlich schon gegangen. Nur noch wenige Leute saßen an den Tischen und erzählten oder spielten Karten. Shay warf ihnen einen interessierten Blick zu, aber ich sah, dass er heute zu müde war, als noch eine Runde mitzuspielen und wandte sich schnell wieder ab. Zwischen den lachenden, biertrinkenden Männern erkannte ich den schwarzhaarigen Wirtsjungen, der meinem Begleiter ein merkwürdiges Augenmerk schenkte. Doch auch ich drehte mich eilig wieder nach vorne zu der Wirtstheke.
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