~LX.~
Als endlich niemand mehr zu sehen war, hangelte ich mich an den schmucken Verzierungen an der Fassade eines edlen Hauses hinab.
Geduckt schlich ich durch die Gassen, die langsam breiter wurden und die Laternen waren nur spärlich gesät. Es waren gerade einmal wenige Minuten vergangen, als ich schon das freie Feld zwischen den Häusern erkannte. Froh, dieses Dorf endlich zu verlassen, joggte ich los.
Plötzlich kamen aus einer schmalen Gasse Orks. Ich war so erschrocken, dass ich erst einmal wie erstarrt stehen blieb, statt etwas zu tun. Eine näherkommende Bewegung ließ mich auftauen und ich riss das Falchion hoch, um den Angriff des Orks zu parieren. In dem Moment griffen auch die anderen an und hatten mich schnell umzingelt. Es waren vier, nein, fünf der Unwesen, so zählte ich, als ich langsam an eine Wand gedrängt wurde. Das würde ich nicht lange durchhalten.
Auf einmal sank einer der Orks stöhnend zu Boden, durchbohrt von einem gut gezielten Pfeil. Überrascht schaute ich in die düstere Gasse und erblickte Nienná, die mit erhobenem Bogen dastand und mir zu nickte. Dadurch war ich einen Moment lang abgelenkt und wurde unvorbereitet knapp über meinem Ellenbogen getroffen. Schmerzen durchfuhren mich und gaben mir neue Kraft. Ich konnte einen Schlag stoppen, der meinen Kopf hätte treffen sollen. Nur Sekundenbruchteile danach fiel der Angreifer ohne Vorwarnung nach hinten um. Wütend drosch ich auf die Orks ein, tötete einen und verletzte die anderen, mehr oder weniger schwer. Noch bevor ich blinzeln konnte, sank der Vorletzte tot in sich zusammen. Ich erledigte noch den letzten der Orks mit einem kräftigen Schwerthieb und einer eleganten Drehung. Dann atmete ich erst einmal tief durch.
Nienná kam auf mich zu. „Da hast du ja Glück gehabt, dass ich in der Nähe war." Eine Pause entstand und schwer atmend nickte ich. Ihr Blick flog zu meinem Arm. Unwillkürlich griff ich an die Stelle, wo sich der Stoff ringsum mit Blut vollgesogen hatte.
„Bist du okay?" Mir war kurz schwarz vor Augen geworden, das merkte ich erst jetzt, aber ich stand noch. Niennás Augen suchten irgendeine Form von Schmerz in meinem Gesicht.
„Ja klar." Dann schüttelte ich den Kopf. „Ist nur eine oberflächliche Wunde, die stark blutet. Nichts Schlimmes."
Abrupt drehte sie sich in Richtung Feld. Ohne zu Zögern folgte ich ihr.
Niennás point of view:
Nachdem ich Shays Wunde gesäubert und, soweit es in meiner Macht stand, geheilt hatte, kramte ich eine saubere Mullbinde aus meiner Tasche und drückte sie ihm mit den Worten „Fest verbinden" in die Hand. Als ich mich versichert hatte, dass er dies richtig tat, ging ich aus dem verfallenen Häuschen. Langsam dürften nun Nocturîan und Aimée wieder auftauchen. Seufzend ließ ich meinen Blick über die graue Landschaft schweifen. Noch bis zum Morgengrauen würde ich ihnen Zeit geben, danach würde ich mich in Richtung Edoras aufmachen - in der Hoffnung, Gandalf dort zu finden, denn er würde mir einige Fragen beantworten müssen - und ich hoffte natürlich, Shay begleitete mich. Er war zu einer angenehmen Gesellschaft geworden, der nicht zu viele Fragen stellte und im Allgemeinen nicht zu viel redete. Außerdem konnte man sich auf ihn verlassen, man konnte sich nachts wie tags beim Schlafen abwechseln und es gab ein Augenpaar mehr, das jegliche Gefahren ausmachen konnte.
Das Stichwort war es, das mich zurückdenken ließ an das Erlebte, das ich schon hinter mir hatte. Dieses Abenteuer nahm aber auch kein Ende. Vielleicht hätte ich doch lieber im Norden bleiben sollen. Kaum zu glauben, dass schon ein Jahr vergangen war.
Nachdenklich ging ich wieder hinein. Drinnen kauerte Shay und quälte sich in seine Oberbekleidung. Danach nahm er sich seine Waffen und schnallte seinen Gürtel um.
„Nocturîan und Aimée sind noch nicht gekommen", merkte er an, ohne aufzublicken.
„Nur keine Panik", meinte ich sicher. „Die kommen schon noch. Wir geben ihnen bis zum Morgengrauen Zeit, wenn sie bis dahin nicht hier sind, ziehen wir ohne sie los und hoffen, dass sie uns noch finden." Ich ließ mich in einem alten Sessel nieder. „Aber nun lass' uns schlafen. Deine Wunden brauchen Ruhe, um ganz zu heilen." Ich verschwieg, dass ich selbst todmüde war.
„Wo willst du denn hin?" Shay sah mich fragend an.
Ich erwiderte sein Augenmerk. „Nach Edoras. Hoffentlich ist Gandalf dort."
Shay runzelte die Stirn. „Was willst du von ihm?"
„Informationen", war meine knappe Antwort und blickte wieder nach unten, wo meine Hände den Inhalt meiner Ledertasche auf seine Vollständigkeit prüften. „Informationen zu den Assassinen."
Mein Blick war zwar nach unten gerichtet, doch ich spürte Shays blau-grüne Augen auf mir. „Wenn du Fragen hast, frag' ruhig."
Ich hielt inne und schaute zu ihm. „Was bezwecken die Assassinen? Wer gehört zur Bruderschaft? Wer ist ihr Anführer?"
„Okay." Shay lehnte sich auf dem knarrenden Holzstuhl zurück. „Das sind kniffelige Fragen. Ich kann sie dir nur teilweise beantworten." Er fing an zu erzählen: „Soweit ich weiß, gibt es keinen ‚Obersten' Anführer. In vielen Orten gibt es viele Assassinenanführer, die einen Überblick haben. In Krisensituationen setzen sie sich zusammen und schmieden einen Plan.
Ich weiß nicht genau, wer zur obersten Bruderschaft gehört - weder meinem Vater noch mir war es vergönnt, in die obersten Bunde aufzusteigen -, aber es sind mindestens fünf Assassinen und sicher auch einige andere Personen. Zur Bruderschaft im allgemeinen Verständnis gehören alle, die der Bruderschaft den Eid geschworen haben, aber inoffiziell sind auch diejenigen ein Teil der Gruppe, die nur für sie arbeiten. Mehr kann ich dir dazu leider nicht sagen."
Ich nickte. Dies lichtete schon ein Großteil meines intellektuellen Verwirrungsgestrüpps. Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen, Shay über die Assassinen auszufragen? Achja, seine Gefangennahme kam mir dazwischen.
„Gut", erhob ich meine Stimme. „Nun lass uns schlafen."
Am nächsten Morgen erwachte ich, als sich der Himmel schon rosa-rot verfärbt hatte. Ich war noch etwas verwirrt, wusste nicht, wo ich war, doch als ich Shay sah, tauchte in meinem Kopf alles wieder auf. Nocturîan und Aimée waren nicht gekommen. Ich wurde ein bisschen nervös. War ihnen etwas zugestoßen? Leise stand ich auf, doch trotz aller Bemühungen wachte Shay auf.
„Wir müssen los", tat ich sogleich kund.
Irritiert blickte er sich um, er schien sich zu fragen, wo er war. „Aber die Pferde..." Seine Stimme versagte und er setzte erneut an. „Aber die Pferde sind noch nicht da!"
„Das ist mir wohl aufgefallen", erwiderte ich verbittert und wiederholte seufzend meine Worte vom gestrigen Abend. „Ich habe gesagt, wir geben ihnen bis zum Morgengrauen Zeit, und wenn sie uns bis dahin nicht gefunden haben, ziehen wir ohne sie los. Und sie sind nicht gekommen, also brechen wir auf."
Shay nickte, auch wenn er sich etwas unsicher zu sein schien. „Also, gehen wir."
Ich nahm meine Tasche zur Hand und verließ das Häuschen. Draußen hing eine nasse Kälte in der Kuhle rund um das Dorf, vor der uns die Hütte geschützt hatte. Ich ging weiter, wollte südlich um das Dorf laufen, in der Hoffnung, dort niemandem zu begegnen. Kurz blickte ich zurück, um mich zu versichern, dass Shay mir folgte, und wandte mich danach wieder nach vorne. In der Ferne sah ich schon eine Aue und die frisch geborene Sonne wärmte mir den Rücken. Vor mir erblickte ich die langen Nebelschleier, und sie schienen wie die Schleppe vom Kleid einer schönen Frau.
Nach ungefähr einer Stunde hatten wir uns der Aue schon erheblich genähert, nur noch etwa zwanzig Minuten würden wir brauchen. Als wir die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht hatten, erkannte ich Silhouetten in der Ferne, Silhouetten von drei Pferden. Aber ich wunderte mich nicht großartig. Immerhin war es möglich, dass bei dem Überfall am gestrigen Tage einige Pferde entlaufen waren.
Shay wandte sich zu mir: „Ist das da vorne nicht Nocturîan?"
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Möglich wäre es. Aber ich glaube kaum. Die Pferde bleiben nie länger als ein paar Stunden am selben Ort, weil es so sicherer für sie ist." ‚Es sei denn, sie sind verletzt', vervollständigte ich den Satz in Gedanken.
Mein Mitwanderer sah wenig überzeugt aus, blieb jedoch still.
Bald hatten wir uns bis auf zehn Meter genähert und erkannten deutlich, dass es sich nur um Nocturîan und Aimée handeln konnte. Das dritte Pferd kannte ich nicht. Es war nicht schön. Faustgroße, graue Sprenkel bedeckten seinen gesamten Körper. Mähne und Schweif waren schwarz, bis auf einige graue Strähnen. Außerdem schien es eine unangenehme Begegnung mit Feuer gehabt zu haben, denn stellenweise waren sein Fell, seine Mähne und sein Schweif verkohlt. An der Flanke hatte es einige offene Wunden, die nicht bluteten, wahrscheinlich hatte es die sich auf seiner Flucht zugezogen. Der Wallach, wie ich bald ausmachte, war gesattelt und aufgezäumt, doch der Sattel war hinuntergerutscht, ebenso wie die Trense, und mit den langen Zügeln hatte es sich im Gestrüpp verheddert. Er scheute, als wir auf sie zukamen. Shay redete beruhigend auf ihn ein und ging langsam immer näher, bis er die Zügel ergreifen konnte, bevor der Graue mitsamt dem Sattel verschwinden konnte. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Shay ein Händchen für Tiere hatte, wenn er wollte, und blickte ihm verdutzt nach, bis Nocturîan mich mit einem Schnauben in die Realität beförderte.
Ich lief zu ihnen und entdeckte die tiefe, klaffende Wunde an Aimées Kruppe, vermutlich verursacht von einem Ork. Sie hatte schon aufgehört zu bluten und das getrocknete Blut verklebte Aimées schönes, braunes Fell. Die Stute beachtete sie nicht mehr, obwohl sie sehr schmerzhaft sein musste, und tat sich an dem klaren, kalten Bachwasser gütlich. Erschrocken richtete ich meinen Blick auf Nocturîan, zu sehen, was er wohl für Verletzungen erlitten hatte, doch lediglich die Kratzer auf seiner Stirn und seinen Vorderbeinen deutete darauf hin, dass er seine kleine Freundin verteidigt hatte.
Ich lief auf Aimée zu, die erst erschrocken zurück zuckte, als ich kam, mich dann aber erkannte und sich beruhigte, und betastete die geschwollenen Wundränder. Dafür würde ich viele Kräuter benötigen und ich hoffte, dass ich um diese Jahreszeit noch etwas fand. Zuerst suchte ich nahe des Bächleins, wo wahrscheinlich noch am ehesten etwas wuchs. Dort, zwischen einigen kleinen Eichen-, Buchen- und Ahornbäumen fanden sich tatsächlich noch einige Stängel vom kriechenden Gundermann. Jedoch wusste ich aus den Büchern, die ich einmal gelesen hatte, dass Gundermann besonders für Pferde giftig war. Also fiel diese Pflanze schon einmal weg. Ich schaute mich weiter um. Zwischen heruntergefallenem Laub streckte ein recht unscheinbares, flach wachsendes Kraut seine immergrünen Blättchen empor. Dort wuchs ein ganzer Tuff der Heilpflanze und einige Blätter waren trotz des bis jetzt recht milden Winters stellenweise braun geworden. Vorsichtig grub ich ein paar Wurzeln aus und steckte sie in meine Tasche. Noch ein anderes Kraut wäre hilfreich...
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