~LV.~
Shays point of view:
In der Nacht erwachte ich durch ein Poltern in der Nähe. Ich setzte mich leise auf, um Nienná nicht zu wecken. Dann, kurz darauf drang wieder ein Rumoren im Eingangsbereich durch die dünnen Wände. Fragend zog ich die Brauen zusammen. Plötzlich hörte ich einen Schrei, der jäh abriss. Ein gedämpftes Wimmern folgte. Wer machte in der Nacht solchen Terror? Es wurde doch nicht etwa die alte Dame überfallen?
Vorsichtig erhob ich mich von der quietschenden Matratze und zog mein Schwert unter dem Bett hervor. Ein leiser, metallischer Ton erklang, als es an einen Nagel stieß. Augenblicklich hielt ich inne, wollte ich doch weder Nienná aufwecken noch die Aufmerksamkeit der unheimlichen Geräusche oder besser ihrer Verursacher auf mich ziehen. Ich zählte bis zehn und vernahm kein Laut, nicht einmal regelmäßige Atemzüge von Nienná. Aber sie benahm sowieso etwas seltsam, also wunderte es mich nicht.
Kein weiteres Poltern ertönte, welches hätte auf Einbrecher schließen lassen. Entweder waren diese schon abgehauen oder eigentlich hinter etwas anderem her. Mich fröstelte es. Doch ich fuhr fort zu lauschen und schlich mit meinem Schwert Richtung eines niedrigen Schranks, auf dem eine angefangene Zündholzschachtel lag. Ich entfachte eine Flamme und gab sie an eine kleine Kerze weiter, die wenig Licht spendete.
Vorsichtig lief ich zur Tür und öffnete sie. Sie ächzte und stöhnte leise vor sich hin. In dem Moment knarzte Niennás Bett unter ihr und als ich meinen Kopf zurück zum Zimmer wandte, drehte sie sich im Halbschlaf um und gähnte lautlos.
Plötzlich war es still im Zimmer. Zu still, als dass sich eine Schlafende darin befinden konnte. Niennás Augenlider flackerten; ich erkannte es, weil ihre hellen Augen in der Dunkelheit verräterisch aufblitzten. Bedeutungsvoll legte ich einen Finger an meine Lippen, dass sie leise sei, war mir aber nicht sicher, ob sie es sah.
Dann trat ich auf den Flur. Mit wachsam geöffneten Augen schaute ich in beide Richtungen, zum Ende des Flurs, wo durch ein undichtes und fast blindes Fenster das Licht der Straßenlaterne an einem Nachbarhaus fiel und unheimliche Muster auf den Dielenboden zeichnete, gleich darauf zum Anfang des Flures, wo wir hergekommen waren. Dieser verbarg sich in Dunkelheit. Plötzlich tönte ein bittendes Weinen durch den Gang, das wenige Zeit später verstummte.
Auf einmal tat es einen dumpfen Schlag. Ich hörte ein gläsernes Gefäß am Boden zerschellen. Ich ging noch näher. Die Geräusche schwiegen nun, nur der Wind pfiff um das alte Haus und ließ die Dachbalken ächzen.
Mithilfe der Kerze machte ich links gleich neben der Treppe eine Tür aus. Ich stellte mich an die Wand daneben und hob das Schwert. Mein Herz schlug eilig gegen meine Brust und meine Augen rasten durch die kleine „Eingangshalle", nur um festzustellen, dass sie leer war. Der Kamin in der Ecke war ausgegangen und die Wärme durch das offene Fenster auf der anderen Seite entflohen, das ich erst jetzt bemerkte. Die schweren Vorhänge flogen in der heftigen Herbstbrise, die zwischen den Häusern entlang tobte.
Wieder konzentrierte ich mich auf den Raum links von mir, in dem ich schon lange keine Geräusche mehr vernommen hatte. Ruckartig öffnete ich die Tür - und starrte in einen Raum, der vollgepackt war mit antik aussehenden Möbelstücken. Die Zugluft, die entstanden war, als ich die Tür aufgerissen hatte, ließ die Flamme der Kerze in meiner Hand zucken. Leise schritt ich ein bisschen weiter in das Zimmer. Der Körper der alten Frau wölbte die Bettdecke und ihre Kleider hingen auf einem Stuhl daneben. Ihr Schreibtisch war voll mit Papierkram und die Schubladen quollen über. Auf einem Schränkchen an der Wand rechts neben mir entdeckte ich eine Öllampe. Ich tat einen Schritt nach rechts und griff die Lampe, die ich mit der Kerze entzündete. Dabei stieß ich an ein offenes Tintenfass und es zerschlug klirrend auf dem Boden. Ein dunkler Fleck breitete sich wie ein böses Omen auf den Dielen aus. Hektisch atmete ich aus und hob die Lampe hoch, sodass der Raum erleuchtet war. Die Frau regte sich nicht. Atmete sie überhaupt? Ich ging näher. Erst erkannte ich nichts, doch dann sah ich einige dunkle Tropfen auf dem Laken. Mit einer bösen Vorahnung trat ich noch näher und sah, dass ihre Bettdecke an einer Ecke rot war. Angespannt packte ich sie und schlug sie zurück. Blut sicherte unter ihr hervor und sie lag unnatürlich verkrümmt da. Jemand war hier!
Auf einmal schlug die Tür. Panisch drehte ich mich mit erhobenem Schwert um und erwartete, dem Mörder in die kalten Augen zu blicken. Doch ich sah niemanden. Die Kerze in meiner Hand flackerte kurz. Ein kalter Wind streichelte meine Wange und ich blickte zum Schreibtisch. Neben ihm befand sich ein Fenster, das offen stand. ‚Wie merkwürdig.' Langsam schlich ich durch den Raum und wurde zurückversetzt in die Zeit, in der ich noch Assassine gewesen war. Ein Hund heulte auf in einer fernen Gasse und sein Ruf wurde von den Schatten durch die engen Wege gejagt.
Ich wagte einen Blick hinunter auf die leere Straße. Ein paar Hühner rannten, panisch gackernd, wahrscheinlich aus ihrem Käfig entflohen, durch die dunkle Gasse. Doch sonst hörte und sah man nicht viel.
Der Wind fuhr in den Raum und pustete einige Papiere vom Schreibtisch, die sachte zu Boden segelten. Allem Anschein nach war der Mörder durch das Fenster geflohen. Ich schloss es, damit er nicht zurückkommen konnte und lief zur Tür, plötzlich von Furcht getrieben, um Nienná zu warnen und zu fliehen. Was immer der gesucht hatte, der hier eingebrochen war, er hatte es nicht gefunden. Ich riss die Tür auf.
Als ich sie leise schloss, tat es einen heftigen Schlag, der das Gebäude zittern ließ. Erschrocken holte ich mit dem Schwert aus und hob die Kerze vor mich. Im selben Augenblick sprintete eine ungepflegte Tigerkatze hinter der Theke hervor. Ich zuckte zusammen, ehe ich erleichtert mein Schwert sinken ließ. Wahrscheinlich hatte sich in dem Sturm nur ein Dachziegel gelöst und die Katze war aufgeschreckt worden. ‚Genau, Shay, das ist die logischste Erklärung. Kein Grund zur Panik.'
Eilig trat ich einige Schritte näher auf die Treppe zu. In dem Moment schritt aus dem Schatten einer verborgenen Tür links von der Treppe eine schemenhafte Gestalt. Verunsichert tat ich einen Schritt nach hinten. Mehr dunkle Personen kamen auf mich zu und ich hob das Schwert, bereit mich zu verteidigen. In dem Moment wuchs hinter mir ein Mann unheimlich und groß auf und ich schaffte es gerade noch so, ein erschrockenes ‚Ah!' aus meinem Mund zu entlassen, ehe ich durch einen Schlag in den Nacken außer Gefecht gesetzt wurde.
Niennás point of view:
Inzwischen war schon einige Zeit vergangen, seitdem Shay das Zimmer verlassen hatte. Langsam machte ich mir Sorgen. Etwas zittrig packte ich meinen Dolch fester, sodass meine Knöchel weiß hervortraten.
Ein erschrockenes ‚Ah!' tönte durch den leeren Gang, kurz darauf folgte ein Schlag. Jetzt! Leise erhob ich mich aus meinem Bett und schlich zur Tür. Meine Oberbekleidung hatte ich mir angezogen, kurz nachdem Shay gegangen war. Vorsichtig öffnete ich sie einen Spalt breit und versicherte mich, dass da draußen niemand meinen Weg kreuzen würde. Dann quetschte ich mich durch die Lücke und lief in die Richtung, aus der die Laute gekommen waren.
Ein schwacher Lichtschein erhellte den Raum. Fragend zog ich die Stirn in Falten, bis ich erkennen konnte, dass jener von einer Öllampe stammte, die jemand achtlos auf den Boden geschmissen hatte. Ich hob sie auf und sah mich mit klopfendem Herzen um. Ein Fenster war geöffnet, durch welches die frische, nächtliche Brise strich. Der Wind spielte mit den schweren Vorhängen. Eine erloschene Laterne hing windschief an einem benachbarten Haus und sah aus, als würde sie gleich runter fallen. Blitzschnell wandte ich meinen Kopf zur nächsten Ecke. Mit meinen Elbenaugen erkannte ich die Glut, die sich tief unter der Asche im Kamin verbarg, doch die Wärme war längst vor den Schatten geflohen.
Ich presste meine bebenden Lippen aufeinander, als ich mich der Tür näherte. Ich hatte sie schon bei unserer Ankunft bemerkt. Sicher das Gemach der Frau. ‚Komm schon, Nienná, da drinnen verbirgt sich nichts, was du nicht bezwingen könntest.' Aber ich konnte meinem Verstand nicht glauben, denn meine Angst widersprach. Und deren Argumente waren wahrlich glaubhafter.
Schließlich umschlossen meine Finger das kalte Metall der Klinke. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen. Dann riss ich sie geräuschvoll auf und hob die Öllampe hoch, wie eine Waffe, um die Finsternis zu besiegen. Das Zimmer war leer. Ich erkannte, dass das Fenster nur eilig geschlossen worden war, denn es hatte doppelte Flügel und der innere war nicht richtig verschlossen. Der Teppich war faltig, wahrscheinlich war jemand darüber gerannt. Dann sauste mein Blick weiter, und ich sah das blutige Laken mit der toten Frau. Erschrocken keuchte ich auf und trat zurück. Das war nicht gut! Jemand meinte es verdammt ernst mit...ja, mit was überhaupt? War es die Karte, von der Shay gesprochen hatte oder meine Verbannung? Es gab so viele Gründe, warum man mich hassen könnte. Meine Ungeselligkeit, meine Ängstlichkeit...
Schnell verdrückte ich mich aus dem Unglück verheißenden Raum und der Wind schlug die Tür hinter mir zu. Dumpf eilte mir der Schlag nach, als ich zu unserem Zimmer hastete, meine Sachen zusammen suchte und aus dem Haus verschwand.
Schnell hatte ich die feuchtkalten, dunklen Gassen hinter mir gelassen und jagte auf einen nahen Hain zu. Auf Wald zu hoffen war hier vergebens.
Ich kam auf einem Hügel zum Stehen, als schon die ersten Strahlen des Tages die Schrecken der Nacht verjagten. Atemlos blickte ich hinunter zum Dorf, aus dem mich der Tod selbst verscheucht hatte. Einige Schornsteine qualmten bereits, und ein Schwarm Krähen hieß den Morgen willkommen mit ihren Schreien. Als ich meinen Kopf wandte, erkannte ich im Dunst schon einige Wagen, die das Dorf aufsuchten. Auf der anderen Seite ragten die Spitzen des Weißen Gebirges in den Himmel, als wolle es die Wolken küssen. Der Wind nahm zu und ließ die Kronen rauschen. Meine schwarzen Haare wurden von ihm befreit und flogen in der Brise. Ein Rehbock, der mich bemerkt hatte, bellte panisch und rief damit seine Ricken. Sein Ruf wurde weiß in der frostigen Luft. Erst jetzt merkte ich, wie kalt es nachts geworden war. Der Herbst stellte sich ein, was hieß, dass der Winter nicht fern war.
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