~LIX.~
Shays point of view:
Im Gang wurde es lauter. Die Uruks schienen nun genau im Zimmer nebenan zu sein. Irgendwann verstummten jedoch die kämpferischen Schreie und wurden von einem dumpfen Poltern abgelöst. Waren alle tot? Ich packte das Brett fester und drängte mich in den Schatten nahe bei der vergitterten Tür.
Nach ein paar Minuten klackte das Schloss und jemand betrat den Raum, in dem sich meine Zelle befand. Er hob seine kratzige Stimme: „Vielleicht gibt es hier noch Waffen." Aber niemand schien ihn gehört zu haben oder zumindest hörte ich keine weiteren Uruks im Zimmer. Er schien das zu merken und beschloss, allein den Raum zu durchsuchen.
Schwere Schritte näherten sich und er öffnete die anscheinend erstbeste Zelle, direkt neben meiner. Mein Herz schlug schneller.
„Hier ist nichts Besonderes. Nur so eine Art... Gefängnis." Er schien sich irritiert umzuschauen. ‚Keine Foltergeräte?', drängte sich eine Frage, seine Frage, wie ich vermutete, in meinen Kopf.
„Such weiter", hörte ich einen harschen Befehl von nebenan. „Vielleicht haben die das versteckt. Du weißt doch, wie er ausflippt, wenn wir mit leeren Händen nach Isengart kommen." Saruman steckte also hinter dem Ganzen. Das hätte ich mir ja denken können.
Mürrisch brummelte Ersterer eine gehässige Antwort und fuhr fort mit dem, was er tat. Er schien alle anderen Zellen zu öffnen, oder so kam es mir zumindest vor, bevor er an meiner angelangt war und sich an der Tür versuchte - vergeblich. Sie war natürlich abgeschlossen. Etwas verwirrt über diese Tatsache hielt er erst kurz verwirrt inne, dann leuchteten seine dreckig-gelben Augen auf, wie ich mir vorstellte, weil ich in dem dämmrigen Licht nichts erkennen konnte. Anscheinend dachte er, er habe das Versteck gefunden. Er trat gegen die Tür - nichts. Sie zitterte nur ein bisschen, aber sonst blieb alles beim Alten. ‚Fester!', dachte ich nervös und schrie ihn in Gedanken an. Genau das tat er auch, und schmiss sich mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen. Das Schloss ächzte auf, doch die Tür gab nicht nach. Schließlich griff er nach einem hölzernen, kleinen, runden Tischchen, das sich in dem sparsam möblierten Raum befand, anscheinend war es als eine Art Ablage genutzt worden, und stemmte damit die Tür auf. Er stolperte ein Stück zurück, ehe er in den Raum kam und irritiert umher blickte. ‚Sollte hier nicht das geheime Waffenversteck sein?', klang seine Verwirrung in meinen Gedanken.
Geschwind bewegte sich das Brett in meinen Händen auf seinen Kopf zu. Lautlos war ich aus meiner Starre erwacht und sah zu, wie der Uruk-hai stöhnend zu Boden sank. Dieser Schlag war nicht tödlich, er würde nur, wenn ich Glück hatte, solange bewusstlos sein, bis ich aus diesem Gebäude fliehen konnte. Und hoffentlich würden seine Freunde ihn bis dahin nicht finden, denn sonst hätte ich ein ernstes Problem.
Leise ging ich zur noch offen stehenden Tür und versicherte mich, dass der Raum leer war. Geduckt rannte ich zur nächsten Wand und presste mich dagegen. Ich hörte entfernte Stimmen, konnte aber nicht ausmachen, ob sie aus dem Nachbarzimmer oder aus dem darauffolgenden Flur kamen. Falls mir jemand auf meinem Weg begegnete, standen meine Chancen denkbar schlecht. Ohne Waffen kam ich nicht weit. Ich musste mir dringend welche besorgen. Vorsichtig spähte ich um die Ecke. Das Zimmer war vollkommen leer und sauber, es lagen keine Leichen herum und auch sonst hatten die Uruk-hai keine Spuren hinterlassen - wenn man von der Unordnung und den umgestoßenen Möbelstücken absah.
Ich griff nach einer noch brennenden Lampe an der Wand und nahm sie an mich - als Waffe und als Licht -, bevor ich in das große Zimmer trat. Nichts ließ sich hören und auch in der dunkelsten Ecke versteckte sich niemand. Gedämpfte Stimmen kamen näher, wahrscheinlich war wer-auch-immer auf dem Flur. Schnell drückte ich mich gegen die Wand neben der Tür und hoffte, dass der Schein der Lampe nicht allzu hell und auffällig war. Glücklicherweise stapften die Schritte, die wohl zu den Stimmen gehörten, ahnungslos an mir vorbei. Als die Luft rein war, huschte ich ohne Lampe weiter. Der Flur war größtenteils vom fast vollen Mond beleuchtet.
Bis auf die schweren, roten Vorhänge an den großen Fenstern gab es hier keine erwähnenswerte Deckung, weshalb ich froh war, als vor mir etwas Silbernes unter einem toten Soldaten aufblitzte. Ja, ich war verwirrt, als ich die Wächter erblickte, die verkrümmt und regungslos auf dem mit Teppich ausgelegten Flur lagen, war es doch in dem großen Raum vorher so viel sauberer gewesen. Die Uruks schienen das Kampfmesser schlichtweg übersehen zu haben, zumal es auch noch von seinem ehemaligen Besitzer fast vollständig verdeckt wurde. Hätte der Mond nicht so günstig auf die Stelle geschienen und den Knauf verräterisch aufblitzen lassen, hätte ich es nicht entdeckt. Eilig holte ich das Messer unter dem Uniformierten hervor. Anscheinend hatte es hier einen erbitterten Kampf gegeben. Aber unter all den Toten sah ich keinen Assassinen, während ich weiter den Flur entlang huschte. Allesamt waren es Wächter der Assassinen, die dort auf dem Boden lagen. ‚Wahrscheinlich sind die Feiglinge geflüchtet. Würde zu ihnen passen.' Grimmig zog ich meine Mundwinkel nach oben.
Langsam schlich ich mich an eine Ecke heran, als der Flur in ein weiteres Zimmer mündete. Plötzlich hörte ich laute Stimmen, direkt neben mir. Erschrocken zuckte ich zurück.
„Haben wir den Laden hier leer geräumt?" „Budgul wollte eigentlich nachschauen, ob wir noch etwas übersehen haben." „Er ist noch nicht zurück?" „Nein." „Dann werde ich ihn mal suchen." „Mach das. Dann können wir dieses dreckige Loch endlich hinter uns lassen."
Ich wusste nicht, wie viele Uruks es waren, doch es stand fest, dass mindestens vier hinter der Ecke warteten. Gegen sie kam ich niemals an. Und noch dazu würde meine Flucht spätestens jetzt auffliegen. Nur mit dem Kampfmesser sanken meine Chancen mit hoher Geschwindigkeit gegen Null. Ich drehte mich panisch nach hinten um. Dort war eine Tür. In der Hoffnung, in niemanden hineinzurennen, stahl ich mich in das Zimmer. Gerade, als ich die Tür angelehnt hatte, lief einer von ihnen vorbei. Das Zimmer war groß und gemütlich eingerichtet, mit einem Kamin in der Ecke und einem weichen, weißen Sofa. Ich ging noch ein paar Schritte in den Raum hinein. Hinter dem Möbelstück lag zu meiner Überraschung ein toter Assassine. ‚Also waren doch nicht alle geflohen.' Mein Blick blieb an seinem Handgelenk haften. Dort befand sich eine Phantomklinge. Jene, die ich mir lange schon gewünscht hatte. Eilig nahm ich sie an mich und brachte sie an meinem Unterarm an.
Dann blickte ich mich nach einem Fenster um. Wie es aussah, war es jetzt meine einzige Fluchtmöglichkeit. In den vorderen Räumen waren die Fenster glücklicherweise nicht vergittert, worüber ich unglaublich erleichtert war, und hektisch riss ich die Flügel auf. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie ihren bewusstlosen Freund entdecken würden. Das benachbarte Haus klebte zu meiner Freude an dem Gebäude, in dem ich mich befand. Sachte stieg ich also aus dem Fenster und zog die Flügel wieder nach außen, damit sie nicht gleich auf meine Flucht aufmerksam wurden.
Draußen war inzwischen alles von einem orangenen Schein erhellt und der Himmel wurde von schwarzen Rauchwolken verdunkelt. Es fiel mir erst jetzt auf, dass die Häuser brannten und die Frauen mit ihren Kindern panisch kreischend aus ihren Wohnungen flüchteten. Die Straßen waren das reinste Chaos. Ich hoffte, niemand würde auf die Idee kommen, nach oben zu gucken. Trotzdem rannte ich geduckt von Dach zu Dach von der Dorfmitte weg.
Ein Adler flog lautlos knapp über meinem Kopf und verschwand vor mir in den Rauchwolken. Unwillkürlich duckte ich mich und stutzte. Adler waren doch nicht nachts unterwegs. Es sei denn, er wollte irgendwo hin. Und Tiere suchten sich meistens Orte aus, an denen keine Menschen waren. Also, ich würde ihm folgen. Hauptsache weg von diesem Ort.
Ich war schon recht nah am Rande des Dörfleins, und noch immer brannten in der Nähe irgendwelche Häuser aus. Langsam schwand meine Hoffnung, irgendwann diesem Terror zu entkommen. Ich schlüpfte schnell durch eine offene Dachluke, weil unten in der Gasse erneut Uruks entlang rannten. Dort fand ich wider Erwarten nicht nur Heu, sondern einen Schreibtisch mit allerhand Papieren darauf, anscheinend hatte der Schreiber seine Arbeit sehr schnell beendet und zurückgelassen. Statt zu den Zetteln zu greifen, nahm ich ein in Leder eingebundenes Buch in die Hand. Allem Anschein nach war es ein Tagebuch. Ich bin ein Narr. Vielleicht war ich es immer schon. Das hat zumindest Nathan behauptet. Ich dachte, ich könnte das große Geschäft machen. Ich dachte, ich hätte Freunde, auf die man sich verlassen kann, als ich der Bruderschaft den Eid schwor. Ich wurde hellhörig. Sprach er von dem Nathan, der mich verprügelt hatte? Bis jetzt deutete alles darauf hin, dass der Besitzer dieses Tagebuchs ein Assassine oder zumindest ein Anhänger gewesen war. Gespannt flogen meine Augen weiter über die schmutzige Seite.
Ich fühle mich schuldig. Und gleichzeitig fühle ich mich hintergangen von denen, die ich einst meine Freunde nannte. Haben sie ihren Eid vergessen? Ich wollte doch nur ein gutes Geschäft machen, etwas Geld auf die Seite schaffen, bevor ich ins Alter komme. Ist das so schwer zu verstehen? Nur vorsorgen, ja, das wollte ich, als ich die Kugel genommen habe. Ist ja nichts weiter dabei, dachte ich, ist ja nur eine dämliche Kugel. Ein Edelstein vielleicht, dachte ich noch, sicher bringt er mir viel Geld ein, wenn ich ihn verkaufe. Und wahrlich, das hätte er! Doch es ist nicht unbemerkt geblieben. Auf dem Dorf spricht sich so etwas schnell rum. Es war nur ein Gerücht, als sie das erste Mal zu mir kamen und meine Frau bedrohten. Sie wollen die Kugel zurück, sagten sie. Welche Kugel?, fragte ich immer wieder, aber ich bekam keine Antwort. Muss das ein Teufelsding sein, dachte ich. Es war nur ein Gerücht, doch sie meinten es ernst. Sie nahmen sie mit, verdammt! Jeden Tag lag ein neuer Umschlag mit ihren Haaren in meinem Briefkasten. Und jetzt habe ich es immer noch! Und ich weiß nicht, wie ich es los werde, ohne dass jemand etwas davon merkt. Und sie machen weiter! Sie suchen die Kugel und wollen mich holen! Aber ich wollte nur Geld machen, ausgesorgt haben fürs Alter, ja? Nur vorsorgen, damit ich später keine Gedanken an meine Existenz verschwenden muss. Nur ein Geschäft machen, ein gutes, und keine Angst mehr haben, glaubt mir! Ich wusste nichts davon, ich wusste nichts von alledem! Lasst mich in Frieden! Ich werd...
Ich fuhr herum. Plötzlich war da ein Geräusch, hinter mir. Doch ich konnte niemanden erkennen. Vielleicht war es nur eine Maus, oder eine Ratte. Die gab es doch auf solchen Dachböden zu tausenden.
Der Text beschäftigte mich. Was hatte er gestohlen, dass er gejagt wurde? Wieso hatten ihn seine Freunde verraten? Und zu allerletzt: Wo war er jetzt? All diese Fragen schwirrten wie aufgescheuchte Fliegen in meinem Kopf herum. Jetzt konnte ich eigentlich nur an mich denken. Und das tat ich auch. Ich sah mich um, ob es hier noch etwas gab, was notwendig für jemanden wie mich war.
Am anderen Ende war ein Schrank, neben dem ein paar unordentlich zusammengeknüllte Klamotten lagen. Neugierig ging ich zu dem Kleiderhaufen und hob die Sachen hoch, bis ich unten auf eine Kugel stieß. Sie war dunkel, fast schwarz, aber irgendwie nicht ganz. Da war mehr Tiefe. Unbewusst beugte ich mich näher zu ihr. Plötzlich blitzte ein Bild auf, nur ganz kurz, es zeigte die Assassinen, wie sie über irgendeiner Karte brüteten. In der Mitte erkannte ich auch Nathan. Als er aufblickte, schien er direkt in meine Augen zu sehen, obwohl ich wusste, dass das unmöglich war. Im selben Augenblick erwachte ich aus der Starre, die mich vorher gefangen gehalten hatte, und schmiss die Tücher wieder darüber. Ob das die Kugel war, die der mysteriöse Tagebuchschreiber erwähnt hatte? Ich wusste es nicht zu sagen, wagte es mir nicht, darüber Vermutungen aufzustellen. Als ich eilig zurück schritt, erkannte ich eine Kiste in der Ecke. Sie war aus massivem Eichenholz, wenn ich es richtig erkannte, und an den Kanten waren eiserne Beschläge angebracht. Der Schlüssel steckte zum Glück noch. Leise drehte ich ihn um und öffnete den Deckel. Darin lagen wieder zahlreiche, alte Lumpen und dreckige Bekleidung, doch als ich etwas wühlte, weil ich es im schwachen Licht aufblitzen gesehen hatte, kam ein leichtes Falchion zum Vorschein. Ich nahm es vorsichtig heraus. Sicher würde ich es gut gebrauchen können. Leise schloss ich die Kiste wieder und ging zu der Luke. Draußen sah ich immer noch vereinzelte Uruk-hai, doch die würden mich hoffentlich nicht bemerken. Geschickt kroch ich aufs Dach und lief eilig weiter, nach einer geeigneten Stelle Ausschau haltend, an der ich hinunter klettern konnte.
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