~IXL.~
Plötzlich hörte ich einen Schrei. Mein Kopf schnellte in die Richtung, aus der ich gekommen war und rasch trugen mich meine Beine hinunter zu der Granitstatue. Durch die Bäume konnte ich erkennen, dass Frodo am Boden kauerte, während Boromir ihn bedrängte. Eilig lief ich weiter bergab, blieb aber mit einem Zipfel meines Umhangs an einer jungen Rotbuche hängen. Ruckartig wurde ich zurückgerissen und fiel rücklings hin. Mit meinen vor Aufregung zitternden Händen konnte ich den Mantel nicht von dem Schössling lösen, also riss ich ungeduldig daran. Einige Fäden blieben am Baum zurück, aber ich rannte weiter, halb laufend, halb rutschend. Am Ort des Geschehens war aber niemand mehr. Hektisch blickte ich mich um. Boromir lag auf dem Boden ausgestreckt ein wenig abseits - im braunen Laub war er gut getarnt - und Frodo erspähte ich nirgendwo. Wahrscheinlich hatte er Rettung in der Benutzung des Ringes gesucht und gefunden, näher wollte ich darüber nicht nachdenken. Nachdem ich mit einem eiligen Blick geprüft hatte, ob bei Boromir alles okay war, jagte ich den imaginären Fußspuren hinterher. An der Ruine angekommen blieb ich stehen. Leise Stimmen drangen an mein Ohr. Beim Näherkommen erkannte ich Aragorn, wie er ruhig auf Frodo einredete. Ich rührte mich nicht, wollte Frodo nicht noch mehr verschrecken, als es Boromir getan hatte. Auf einmal erhob sich Aragorn. „Lauf, Frodo!", rief er und zog sein Schwert. In dem Moment wurde mir auch bewusst, warum. Eigentlich hätte ich die schweren Schritte der Uruk-hai längst bemerken müssen. Also riss ich schnell den Bogen von meiner Schulter und kletterte leise auf die Ruine. Dort verharrte ich einige nervenaufreibende Sekunden, bis die Uruk-hai mit vor Kampfeslust verzerrtem Gesicht und viel Geschrei in Sichtweite kamen. Gezielt schoss ich die Uruk-hai mit Schusswaffen ab, doch es waren zu viele, die in den Wald rannten. Deshalb sprang ich mit gezückten Dolchen hinunter und erstach gleich zwei der Ungeheuer. Dann machte ich weiterhin von meinem Bogen Nutzen. "Ach, Emewýn, wie schön, ein vetrautes Gesicht zu sehen inmitten dieser..." "Monster?" "Fremden wollte ich sagen", meinte er nur und schlug mit dem Schwert einem Uruk den Kopf ab. Auch ich schoss weiterhin fleißig die Kreaturen ab, als plötzlich Gimli und Legolas aus Richtung Wald kamen. "Ach wie schön, Unterstützung zu bekommen", meinte ich mit einem Seitenblick zu Legolas. Dieser fiel ihm aber auf und er bemerkte spitz: "Ihr habt ja auch nicht gerade um Hilfe gerufen." Trotzdem halfen sie uns tatkräftig mit den Uruk-hai.
Wir waren ganz in den Kampf vertieft, als plötzlich ein Geräusch ertönte. Es klang wie ein Horn. "Das Horn Gondors!", rief Legolas überrascht und erschrocken auf. "Boromir", murmelte ich, mehr zu mir als zu den anderen, die es schon längst bemerkt hatten. Wie aufs Kommando jagten wir alle gleichzeitig in den Wald. Erst sahen wir nur Uruk-hai, später erkannten wir Pippin, Merry und Boromir. Geschockt blieb ich abrupt stehen. Er war von zwei Pfeilen durchbohrt und der Bogenschütze legte bereits wieder zu einem erneuten Schuss an. Doch trotz alledem schlug Boromir wie wild um sich. Noch nie hatte ich jemanden, den ich persönlich kannte, dem Tode so nahe gesehen. Noch ehe ich klar denken konnte, zog ich reflexartig meinen Bogen und erschoss den Schützen. Doch zu spät. Der Pfeil flog schon durch die Lüfte, unumgehbar auf Boromir zu. Der hielt inne, röchelte etwas und brach dann zusammen. "NEIN!", schrie Aragorn und rannte Richtung Boromir. Die Uruk-hai nahmen die Halblinge an sich und verschwanden zwischen den Bäumen. Und ich stand einfach nur da, unfähig mich zu äußern oder zu rühren.
Legolas fasste mir vorsichtig an die Schulter. "Alles okay?" Ich zuckte zusammen bei der unerwarteten Berührung. "Ja... klar. Warum sollte etwas denn nicht in Ordnung sein?" "Ich dachte nur, angesicht dessen, was gerade passiert ist..." Besorgt blickte er mir in die Augen. "Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern", erwiderte ich und starrte herausfordernd zurück.. "Übrigens, du blutest", bemerkte er und deutete auf eine dunkelrote Stelle auf meinem Oberteil. "Wie schon gesagt", fing ich an und streifte mir die Kapuze über meinen Kopf, "Du brauchst dich nicht um mich zu sorgen." Eigensinnig drehte ich mich um und wollte gehen, aber ich hielt inne, als ich Legolas' leise Stimme hörte: "Und wer sagt das?" "Ich. Reicht das nicht?" Eine kleine Pause entstand, in der sein Seufzen erklang. "Ich weiß es nicht", gestand er. Dem Klang des Gesagten hörte ich das Schuldbewusstsein an, das ihm im Gesicht stehen musste. Auf einmal überkam mich Mitleid. "Ich auch nicht", wisperte ich, ehe ich davoneilte.
Aragorn saß noch lange bei dem gefallenen Gefährten, sodass ich irgendwann zu ihm ging. Er kniete mit dem Rücken zu mir auf dem Boden und hatte den Kopf gesenkt. Als er meine Schritte auf dem Waldboden vernahm, hob er ihn langsam. "Boromir wurde mit drei Pfeilen getötet", begann er. "Ich weiß", antwortete ich leise. "Warum hast du es dann nicht verhindert?" "Ich hab es versucht, aber ich war nicht schnell genug." "Du hättest bei ihm bleiben können", meinte er vorwurfsvoll. Unvorbereitet wurde ich zurückgedrängt. "Ich habe versprochen, euch alle zu beschützen, keinen bestimmten. Aber..." Etwas beschämt senkte ich den Kopf. "Insgeheim hatte ich nur vor, dich zu schützen, und das habe ich getan." "Und was bringt dir jetzt, dass Boromir tot ist und ich am Leben bin?" Während des Sprechens drehte er sich zu mir. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht und ich blickte eilig auf den Boden. "Nun...?" Er wurde ungeduldig. Ich hob den Kopf und schritt auf Aragorn zu. "Dass, mein lieber Freund, eine geliebte Person weiterhin am Leben ist und wir mit dir noch einiges erleben können." Gimli und Legolas traten an meine Seite, doch Aragorn hatte noch immer einen gequälten Gesichtsausdruck. "War es das denn wert?", wollte er wissen. Ich überlegte kurz. "Weißt du, manchmal ist es nicht so einfach. Da hat man keinen Einfluss auf das, was passiert. Es ist das, was man Schicksal nennt. Ich kann nicht behaupten, dass es das wert war, aber es ist eben geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen." Die Hoffnung, dass sich Aragorn damit zufrieden gab, hatte ich nie gehabt. Doch er sagte nichts mehr.
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