~IX.~

Im Verlaufe des Tages klarte der Himmel etwas auf, doch wirklich besserte es sich nicht. Nachdem ich die zwei vorherigen Tage relativ viel gegessen hatte, hatte ich die kurze Zeit danach gespart. Trotzdem war nur noch das Ende des Brotes übrig, das hauptsächlich aus Rinde bestand. Zwar hatte ich noch einen Laib, doch meine Vorräte an Trockenobst und Dörrfleisch neigten sich dem Ende. Als wir gerade einen Hain passierten, drehte ich mich nochmal um, weil ich ein Geräusch gehört hatte. Und Tatsache, hinter dem Stamm einer alten Rotbuche sah ich einen Mann, denselben, der mich im Dorf herausgefordert hatte. Er musste echt ein Talent im Spurenlesen sein, wenn er mich vom Dorf an durch den Wald verfolgt hatte. Aber er war ja auch ein Elb. Ich drückte dem überraschten Nocturîan meine Schenkel in die Seite. Sofort sprang er los. „Wir müssen möglichst über trockenen Boden laufen und bis zum Wald kommen, um ihn abzuhängen", flüsterte ich Nocturian ins Ohr. Er schnaubte. Wir galoppierten bis zu einer Senke, dann verlangsamten wir das Tempo auf einen zügigen Trab. Bei Einbruch der Dämmerung machten wir keine Pause, wie üblich, sondern trabten weiter. Es gab hier in der Steppe sowieso keinen nicht einsehbaren Rastplatz oder eine Wasserstelle. Also mussten wir sehen, so schnell wie möglich hier wegzukommen. Als der Morgen graute, hatte Nocturîan das Tempo auf Schritt verringert. Ich nahm es ihm nicht übel. Ich war selber todmüde. Erschöpft plante ich, wenn ich einen Tagesmarsch vom Waldrand entfernt war, würde ich rasten. Am Waldrand wollte ich Nocturîan freilassen. Er konnte sich dann allein etwas erholen, außerdem kannte er mich so gut, dass er sicher ahnte, wohin ich wollte und mir später folgen würde. ‚Mist', dachte ich. ‚Nun muss ich wohl Diät machen, bis ich wieder mal zu einem Dorf komme. Das war einfach Pech.'

Die Sonne traute sich auch an diesem Tag nicht hervor, die Wolken stürmten über den grauen Himmel. Dazu kam der Nieselregen, der mir eiskalt und spitz wie Dolche ins Gesicht stach. Zitternd zog ich mir meine Kapuze noch tiefer ins Gesicht und ritt gebückt weiter. Am Nachmittag dämmerte es schon, das heißt, es war schon so dunkel durch die dichte Wolkendecke, dass jetzt, am späten Nachmittag fast kein Tageslicht mehr auf die Erde kam. Der Nieselregen hatte glücklicherweise nachgelassen und war stattdessen einem pfeifenden Wind gewichen, der nun unerbittlich über die Steppe jagte. Als wir kurz darauf einen Hain erreichten, der den Wald einleitete, waren wir beide dankbar für den Schutz, den er bot. Ich kraulte Nocturîan hinter den Ohren und murmelte Abschiedsworte in seine weiche Mähne. Er hatte mir wieder gut als Lastentier und als Reittier gedient. Unserer Zusammenarbeit zum Trotz beruhte unser Verhältnis zum größten Teil darauf, dass Nocturîan wieder frei sein durfte. Ich hatte ihn schon einige Male gerettet, als ihn Bauern eingefangen hatten und verkaufen wollten. Schmunzelnd wandte ich mich zum Gehen. Mittlerweile fiel mir der Abschied immer schwerer, obwohl wir erst seit kurzem zueinander gefunden hatten. Nur etwa zwei Jahre waren vergangen, seit sich unsere Wege gekreuzt hatten. Zügig ging ich auf den Wald zu, doch an Nocturians Blick spürte ich, dass er meine Tränen bemerkt hatte.

Trotz meiner Erschöpfung lief ich stetig durch die Wildnis, nur einmal kletterte ich auf einen Baum, um zu sehen, ob mir der Elb noch folgte. Von ihm war weit und breit nichts zu sehen. Mit ein bisschen Glück folgte er dem weißen Fell von Nocturîan, das weithin zu sehen war. Das klang zwar herzlos, aber er kam schneller voran als ich, vor allem alleine. Mittlerweile war ich total durchnässt. Auch wenn der Regen in der Steppenlandschaft aufgehört hatte, hielt im Wald das Tropfen an. Ein bisschen besser wurde es, als die großen Buchen Fichten und Tannen wichen. Zudem dämpften die heruntergefallene Schicht Nadeln meine Schritte. Als ich den Morgen in den aufsteigenden Nebelschwaden zwischen den Bäumen erkannte und sich die Sonne hervorwagte, legte ich mich zum Schlafen nieder. Unter den Fichten war es wunderbar trocken und auch noch recht warm. Augenblicklich schlief ich ein.

Schläfrig erwachte ich, als mich die späten Sonnenstrahlen im Gesicht kitzelten. Ich war erst nach einigen Augenblicken wach und setzte mich auf, um etwas Brot und trockenes Obst zu essen. Lustlos kaute ich auf einer halben Dörrpflaume herum, als ich durch einige Huftritte richtig wach wurde. ‚Was, Huftritte?' Leise kroch ich weiter. ‚Hier muss eine Straße sein.' Unbemerkt folgte ich dem Geräusch und sah tatsächlich einen Weg, eine Handelsstraße, auf der Händler mit Esel und Karren fuhren. Die Esel schrien, doch die Händler trieben sie barsch weiter. Zu meinem Glück, denn die Esel hatten meine Anwesenheit vermutlich bemerkt. Nachdem die Karawane vorbeigezogen war, huschte ich über die Straße, glitt in die gegenüberliegenden Sträucher und verschmolz mit ihnen. So schlich ich, bis die Sonne den Zenit überschritten hatte. Ich wusste zwar, dass ich keine Zeit hatte, um zu verweilen, doch in den Nachmittagsstunden wurde es noch einmal richtig warm und mein Weg kreuzte einen Flusslauf. Die Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen und wusch mein Gesicht. Das Wasser war trotz allem eiskalt und rann meinen Hals hinunter. Gierig schlürfte ich etwas auf und füllte meine Flasche erneut auf, obwohl sie nur halb leer war. Doch dann hörte ich Schritte in der Nähe und huschte weg, wie ein aufgescheuchtes Reh. Schnell hatte ich mich in den Büschen verborgen und sah eine Garde in der Ferne, die anscheinend die Grenzen von etwas bewachten. Schnell eilte ich weiter. Es dämmerte schon und außerdem wollte ich keinen Ärger. Ich würde die Grenze parallel passieren. Wenn ich Glück hatte, würde ich nicht gesehen werden.


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