~IV.~

Ich legte mich seufzend neben ihn ins weiche Ufergras und mein Blick streifte zum letzten Mal wachsam über die Umgebung, bevor ich wegschlummerte. Ich erwachte, als die Sonne gerade untergegangen war und nur noch rotes, warmes Licht über das Land schickte. Besser gesagt wachte ich nicht auf, sondern wurde geweckt von Nocturîan, der mich leicht, aber energisch an der Schulter anstupste. Als er sah, dass ich aufgewacht war, gab er sich wieder seinem Grasen hin. Die roten Sonnenstrahlen ließen sein weißes, sauberes und unschuldiges Fell feurig aufflammen. Er machte seinem Namen alle Ehre. Nocturîan, Abendfeuer. Wieder einmal bewunderte ich seinen Stolz, seine Kraft und Schnelligkeit, die man an den Muskeln erkennen konnte, die sich nun deutlich unter seinem Fell abzeichneten. Sein Schweif schlug hin und her, also war er entspannt. Schnell sprang ich auf, wofür ich Schwindel erntete, doch eilig lief ich weiter, zu meinem Vorratsbaum, an dessen Fuß ich alle Vorräte gelagert hatte. Meinen Bogen ließ ich in seinem Versteck, meine Dolche nahm ich zur Sicherheit mit. Ich versteckte sie unter meinem Mantel am Saum meiner ledernen Hose, an der sich unbemerkt eine Schwertscheide befand. Dann streifte ich mir die Kapuze über den Kopf und lief Richtung Dorf. Die Straßen waren still. Noch. ‚Die Ruhe vor dem Sturm.' Schnell war das Wirtshaus gefunden und ich stieß die Tür auf. Drinnen empfing mich stickige, heiße Luft, die nach Alkohol und Schweiß roch. Der Anblick der angetrunkenen, bärtigen Männer rief Ekel in mir hervor. ‚So kann man sein Ansehen auch zerstören.' Ich tat so, als bemerke ich die Männer nicht, die mir schmachtende Blicke hinterherwarfen. Ich war verhüllt, was sie neugierig machte, und außerdem hatte mich die Zeit im Wald schlank und zäh gemacht. In anderen Worten: Ich sah nicht wirklich so aus wie die meisten Frauen hier. Das waren ja auch Menschen.

In einer stillen Ecke setzte ich mich nieder und wartete auf denjenigen, den ich treffen sollte. Ich wusste nicht, wer es war und wie er aussah. Meine Schwester schickte jedes Mal einen anderen, um mich mit Geld auszustatten. Zumindest über den Winter.

Während ich wartete, beobachtete ich die nun vollkommen betrunkenen Männer, wie sie langsam und torkelnd das Wirtshaus verließen. Ein kleines Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen. Nach schier einer Ewigkeit erschien ein nicht hässlicher, junger Mann und sah sich um. Erstaunt hob ich die Augenbrauen und musterte ihn. ‚Ist das nicht der, der heute Mittag in mich rein gerannt ist? Naja, wenigstens sieht er nicht arm aus.' Also räusperte ich mich leise, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Als ich den Blick wieder hob, kam er auf mich zugelaufen.
„Ich wünsche Euch einen guten Abend", begrüßte er mich und deutete eine Verbeugung an.
„Ich Euch auch. Setzt Euch doch.", antwortete ich und neigte den Kopf. ‚Ob er mich erkennt?'
„Ähm, ja", meinte er etwas verlegen und zog sich seinen Stuhl heran. „Also, kommen wir auf den Punkt, Lûthien hat Euch noch sicher etwas gegeben."
„Ja, natürlich." Etwas verwirrt schaute er mich an, wahrscheinlich, weil ich so konkret war.
„Ich will mich nicht länger als nötig hier aufhalten", meinte ich leise und deutete auf den Wirt, der angestrengt auf etwas zu lauschen schien, während er einen Becher abtrocknete.
Der Mann nickte verständlich. „Doch könntet Ihr vielleicht Eure Kapuze abnehmen, damit ich Euer Gesicht sehen kann?"
Sofort spannten sich meine Muskeln an. „Wieso wollt Ihr mein Gesicht sehen, wenn Ihr es sowieso nicht wiedersehen werdet?"
„Ich dachte mir nur, das wäre persönlicher", meinte er zögernd. „Ihr könntet..."
Kurz lachte ich auf. „Ihr meint, ich könnte jeder andere sein? Jemand, der es auf Geld abgesehen hat? Sagt, wer wusste noch davon? Mit wie vielen hat Lûthien darüber geredet? Wäre jemand anderes heute pünktlich dagewesen? An dem Ort wie ausgemacht? Nein, und das wisst Ihr auch." Etwas verunsichert starrte er mich an, doch ich wusste, er konnte dank meiner Kapuze meine Gesichtszüge nicht erkennen. „Ich nehme meine Kapuze nicht ab. So leid es mir tut."
„So soll es sein", sprach er und schluckte.
„Und wenn ich bitten darf", sagte ich und hielt die Hand auf. „Ich habe zwar nichts Wichtiges mehr vor, doch dieser reizende Ort ist nichts für mich."
„Oh ja, selbstverständlich", erwiderte er und ließ ein kleines Säckchen in meine Hand plumpsen, in dem Münzen klirrten. Eilig steckte ich es weg.
„Lasst uns nun so schnell wie möglich verschwinden. Der Wirt guckt schon", bemerkte ich. Ohne ein weiteres Wort standen wir auf und gingen auf die Tür zu. Ich drehte mich wie immer noch einmal um, um mich zu vergewissern, nichts verloren zu haben, da bemerkte ich, wie der Wirt hinter seiner Theke hervor schlich und uns mit erhobener Bratpfanne folgte.
„Dreht Euch jetzt nicht um, bleibt ganz ruhig stehen", flüsterte ich. Der junge Mann hinter mir erstarrte. Blitzschnell wandte ich mich um und hielt die Hand des Wirts mit der Bratpfanne fest.
„Verdammt, wie...?", fluchte er. „Reflex", antwortete ich unschuldig mit einer Miene, die nicht zu deuten war. „Passt am besten besser auf, wen Ihr mit Eurer Bratpfanne schlagt", fügte ich gleichermaßen belustigt wie drohend hinzu.
„Dieb!", zischte er. „Das ist ein Dieb!", rief er durch die Gaststube und die restlichen Gäste, die nicht betrunken und noch hier waren, schauten ängstlich auf.
Erschrocken ließ ich seine Hand los und fasste den Mann hinter mir am Arm. „Raus!", presste ich hervor und drückte die Tür auf. Doch die Männer aus der Gaststube folgten uns, und sie waren nicht so träge, wie ich sie immer eingeschätzt hatte. Draußen hatten sie uns schnell eingeholt und umzingelt, mit Hilfe anderer, die den Ruf des Wirts gehört hatten. Wie eingepferchte Schweine drehten wir uns um die eigene Achse, konnten jedoch keinen Weg sehen, der uns hinausgebracht hätte. Als sich ein besonders bulliger Mann auf uns stürzen wollte, zog ich meinen Dolch. „Bleibt fort von uns!", rief ich und verfluchte mich dafür, dass meine Stimme ein kleines bisschen zitterte. ‚Das kommt nur von dem schnellen Lauf.' Die Männer wichen verunsichert zurück. Ich hörte einige Frauen in der Nähe aufschreien und in ihre Häuser flüchten.
„Lasst uns fort. Dann tun wir auch niemandem etwas."
Erst herrschte Ruhe, doch dann rief jemand: „Ihr müsst Eure gerechte Strafe erhalten!" Zustimmende Rufe ertönten.
„Was wisst Ihr schon über Gerechtigkeit?", zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
„Mehr als Ihr, Dieb!" Das wurde mir jetzt alles zu bunt.
„Könnt Ihr rennen?", fragte ich den Mann, der sich hinter mir versteckte. „J..ja sc..schon."
„Schnell?"
„De.. denke ja."
„Dann könnt Ihr es jetzt beweisen", schmunzelte ich. Die Stelle im Kreis, die am nächsten am Rand des Dorfes lag, steuerte ich an. Zielstrebig lief ich, mit energischem Schritt und verschlossenem Gesicht auf die Männer zu. Verwirrt wichen sie zurück.
„Lasst uns durch!", meinte ich ruhig. „Eher würde ich sterben", antwortete einer und zog sein Schwert. Die anderen, die eins bei sich hatten, taten es ihm gleich.
„Achtung, jetzt wird es lustig", warnte ich den Mann. Sein Gesicht sah angespannt und gar nicht nach ‚lustig' aus. „Bleibt immer nah bei mir und sucht Euch einen Weg, um ungesehen an den Rand der Menschen hier zu kommen", riet ich ihm, bevor sich schon der erste Mann auf mich stürzte. Kaum überrascht stellte ich fest, dass auch diese Männer nur mit ihren Muskeln kämpften, nicht mit dem Kopf. Ich konnte ihre Schläge mit Leichtigkeit parieren. Schließlich löste sich der Mann aus seiner Starre, schlich unbemerkt an den Rand des Getümmels und rannte dann davon. ‚Nicht einmal bedankt hat er sich.' Kritisierend schüttelte ich den Kopf und schließlich waren die Männer so weit weg von ihren Freunden vom Gasthaus, dass sie lieber schnell das Weite suchten. Ich kämpfte erbittert, bis der letzte Mann geflohen war.

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