~II.~
Der Winter stand vor der Tür, welchen ich immer in beheizten Wirtshäusern oder bei freundlichen Familien verbrachte. Manchmal allerdings, wenn ich keine Bleibe fand oder einfach unentdeckt bleiben wollte, schlief ich in fremden Ställen.
Meine Sinne rissen mich aus meinen Gedanken, als ich Schreie hörte, die den Wind übertönten. ‚Was ist da los?' Ich blieb stehen und lauschte. Anscheinend war so ein stürmischer und trüber Tag genau das richtige, um Rache zu üben. Genauer wollte ich darüber nicht nachdenken. Hastig beschleunigte ich meinen Schritt. In jeder anderen Situation hätte ich versucht, dem Opfer zu helfen und zu retten, was zu retten ist. Doch mein einziges Ziel war es jetzt, schnellstmöglich die nächste Ortschaft zu erreichen, ohne gesehen zu werden. Schnell sprang ich eine leichte Böschung hinunter. Hier unten blies der Wind glücklicherweise nicht so sehr. Ich stieß einen kurzen, aber lauten Pfiff aus, und mein Pferd kam zu mir. Es war ein Schimmelhengst, schnell wie der Wind und unsichtbar wie Luft, wenn er rannte. Ich schwang mich auf seinen Rücken und kraulte seinen Hals.
„So sieht man sich wieder, mein Freund", begrüßte ich ihn. Umherblickend setzte ich meine Kapuze wieder auf und schnürte sie unter der Jacke zu. Es musste ja nicht jeder sehen, dass ich nicht erkannt werden wollte. Mit dieser Kleidung war ich bis jetzt immer recht unscheinbar gewesen und ich hoffte, dass es dabei blieb.
Bis spät in die Nacht ritt ich so, als ich im Dunst vor uns einige Lichter leuchten sah. Endlich hatte ich die Ortschaft erreicht. Nun konnten wir eine Rast einlegen. Der Ort war nicht länger als einen viertel Tagesritt entfernt. Morgen würden wir die restliche Strecke zurücklegen. Müde legte ich mich auf meine Decke. Wenn mein Hengst Nocturîan bei mir war, brauchte ich keine Angst zu haben, er würde mich rechtzeitig warnen.
Als ich aufwachte, ging die Sonne gerade auf und schickte ihre ersten, wärmenden Strahlen auf das taunasse Gras. In letzter Zeit war Draußen-schlafen wirklich ungemütlich geworden. Meine Decke, die ich als Sattel benutzte, war komplett durchnässt. Doch die Sonne trocknete bereits alles und vertrieb den Nebel, der in der Nacht aufgezogen war. Ich rollte die bunte Flickendecke zusammen und steckte sie in meine kleine, lederne Umhängetasche. Später hatte ich noch Zeit und würde sie bei meinem Winterquartier an einen Baum in die Sonne hängen.
Noch bevor die Sonne im Zenit stand, kamen wir in dem kleinen Dorf an. Nocturîan schickte ich außen herum, da er im Dorf zu viel Aufsehen erregen würde, und das konnte ich gar nicht brauchen.
Offensichtlich war Markttag, denn auf einem von Häusern gesäumten Platz im Herzen des Dorfes waren allerhand Stände aufgebaut, die Frauen schrien um die Wette nach Kunden, die Hühner gackerten und flatterten wie wild in ihrem Käfig umher; die Männer jedoch waren bei so einem sonnigen Wetter sicher im Wald und hackten Holz, um für den Winter vorzusorgen. Der ganze Lärm gefiel mir nicht, doch ich sollte heute jemanden treffen in einem Wirtshaus hier und da wollte ich mich am Tag orientieren. Außerdem musste ich zu meinem Winterquartier sowieso durch dieses Dorf und bei Nacht auf den Straßen wollte ich wirklich nicht sein. Da waren so viele besoffene Männer, die nicht mehr bei Sinnen waren in ihrem Alkoholrausch. Ich hatte das schon einmal erlebt und wollte das nicht wiederholen.
Es war sowieso etwas schwer, unauffällig zu bleiben, denn durch die langen Aufenthalte im Wald waren meine elbischen Sinne, die ohnehin besser waren als die der meisten anderen, noch mehr geschärft worden. Es war ganz schön schwer zu erklären, warum man ein Geräusch gehört hatte, das man eigentlich gar nicht hätte hören dürfen. Oder das leise Laufen. Wenn ich allein in einer Gasse lief mit nur einer Person vor oder hinter mir, kamen sie sich meist vor wie in der Gegenwart eines Geistes, weil ich ohne Geräusch laufen konnte. Außerdem fiel mein federleichter Gang in der Öffentlichkeit auf, sodass ich mir Mühe geben musste, normal zu laufen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top