Teil 7 ~~ Aurora

Mit letzter Kraft versuchte ich meine Augen vergeblich offen zu halten. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Diese Schmerzen übernahmen mich! 

Mein Arm pochte wie wild und mein Bein fühlte sich von den ganzen Schmerzen schon taub an.
Liam kam klitschnass auf mich zu.
"Geht's? Oder soll ich dich stützen?"
"Hilf mir mal, bitte." 
Kaum war ich auf den Beinen sackten meine Knie zusammen und die Schmerzen führten mich fast in den Tod. "Au! Nein! Hör auf!" Klagend ließ ich mich wieder auf den Boden fallen.
Die Schmerzen glichen schon fast denen, die ich verspürte als meine Brüder gingen, nur waren sie diesmal physikalisch. 
"Der Minotaurus hatte es ja ganz schön auf dich abgesehen", sagte Liam misstrauisch.
Ich ahnte auch warum, aber das konnte ich Liam nicht erzählen und bevor er weiterfragen konnte, ließ ich mit Hilfe meines Windes einen Ast auf mein Bein stürzen und ließ Liam im Glauben, dass der Ast von selbst fiel. Gespielt fegte ich sauer den Ast weg, aber konnte die Tränen wegen meines schmerzenden Beines nicht unterdrücken. Mist, das hat wehgetan! Ich fragte mich gerade bitter lachend, ob es nicht einfacher wäre Liam alles zu erzählen, doch das würde mich nur meinen Kopf kosten.

"Lass mich mal etwas versuchen", meinte Liam und hob mich schon vorsichtig hoch. Kleine Stromschläge kitzelten meine Haut, als er mich in seinen Armen trug.
"Passt es so?", fragte er besorgt, worauf ich nur nickte. Ich hätte nie erwartet, dass Liam eine liebevolle Seite an sich hatte. Er rief gerade den Jungen irgendetwas zu, was ich nicht mitbekam, obwohl er mir aus dieser Position ins Ohr schrie. Sein Duft und seine trainierte, weiche Brust lenkten mich zu sehr von den Geschehnissen um mich herum und meinen Schmerzen ab. Plötzlich setzte mich Liam am Boden ab und hatte eine Ampulle in der Hand. Die Flüssigkeit war dunkelblau und wirkte durch das Gewackel von der Ampulle fast schon lebendig.
"Keine Sorge. Das ist eine Mischung aus Schmerz- und Schlafmittel, das schnell wirkt. Habe ich von Daina." Daina war die Heilerin im Camp. Sie stamm eigentlich von einer mystischen Art ab und lebte mit ihren Eltern und Ihresgleichen im hohen Norden, bis sie für ihre Kräfte gejagt wurden. Irgendwie hat sie es geschafft mit ihren Naturkräften zu uns ins Camp zu finden. Daina vertraute ich, weshalb ich die Ampulle von Liam nahm und austrank. Schon im nächsten Moment wurden meine Augenlider schwer und ich sackte müde zusammen.

Ich wachte in einer weißen und ruhigen Welt auf. Den Boden erkannte ich, weil ich draufstand, aber sonst konnte ich nichts erkennen. Außer, dass ich nicht hier hineinpasste. Mal wieder passte ich nicht dazu. Weder Zuhause, noch im Camp, noch hier, wo auch immer hier war. Ich war anders. Bunt, um es so zu sagen. Komischerweise trug ich einen bunten Rock und ein hellrosa T-Shirt. Das Outfit kam mir irgendwie bekannt vor.

Plötzlich fing der Boden an sich zu drehen und ich fiel schwindelig um. Schon sprießen aus dem weißen Boden gigantischen Bäumen und unter mir war alles mit getrockneten Matsch und Laub bedeckt. Hirsche, Wildschweine, Bären und die weiteren Tiere des Waldes rannten an mir vorbei. Alle kamen aus einer Richtung und liefen wahrscheinlich vor demselben Etwas ängstlich weg. Vorsichtig ging ich auf Zehenspitzen dorthin und versuchte nicht auf die, am Boden liegenden, Äste zu steigen, so wie es mir in meiner Kindheit immer beigebracht wurde.
Ich stellte mich hinter einen breiten Baum und blickte vorsichtig zu dem Etwas.
Es war eine Lichtung zu sehen weiches, leuchtend grünes Gras strahlte mich an. In der Mitte stand ein Junge. Er hatte lockiges und dunkles Haar, trug ein weites, weißes Hemd mit einer dunklen Hose. Mehr konnte ich nicht erkennen, da er mir den Rücken zugewandt hatte.

"Was willst du hier? Geh lieber! Solange du noch kannst!", sprach eine tiefe Stimme.
Sie sprach zu mir. "Nein! Warte! Bleib!", rief sie daraufhin verzweifelt. Daraufhin folgten wilde Selbstgespräche, die den Anschein hatten, als ob der Junge verrückt wäre. Er hatte vorhin klar und deutlich mit mir geredet. Geschockt stellte ich fest, wem die Stimme gehörte. Es ist ein komisches Gefühl sie wieder zu hören. Nach so langer Zeit. Mein Puls raste und ich wunderte mich warum mein Herz nicht schon geplatzt ist. Langsam setzt ich einen Fuß vor den anderen, ich fing an zu gehen und schlussendlich lief ich auf den Jungen zu. Ich musste zu ihm!

Zwei Meter von ihm weg blieb ich auf einmal ruckartig, mitten in der Bewegung, stehen. Meine Hände hingen in der Luft fest und mein linkes Bein flog nur ein paar Zentimeter über den Boden. Mit Tränen in den Augen wandte ich mich ihm zu. Seine rechter Arm war ausgestreckt und seine Hand auch. Sie war zu mir gewandt.
"Erik?", brachte ich mit gebrochener Stimme hervor.
"Aurum", flüsterte er. "Es ist schön dich zu sehen." Aus dem Augenwinkel konnte ich das Profil seines Gesichtes sehen. Er weinte.
"Erik, bitte! Lass mich zu dir! Lass mich dir helfen!"
"Du bist größer geworden und schöner."
"Erik!", brüllte ich verzweifelt. Er drehte sich zu mir um und lächelte mich mit seinen blauen Augen an. Im nächsten Moment verzog sich sein ebenes Gesicht und er starrte mich zornig an.
"Ich hab gesagt: Geh! Und das meine ich auch ernst so!", rief eine verzerrte Version von Eriks Stimme. Sein Gesichtsausdruck änderte sich wieder und aus seinen Augen flossen blutige Tränen. Liebevoll lächelte er mich an. "Ich habe dich lieb, Aurum. Immer." Die Tränen wurden stärker und der Blick seiner Augen änderte sich. "Geh! Hau ab! Verschwinde" Die Stimme wurde immer lauter. Mit jeder noch so kleinen Silbe wurde er immer aggressiver.
"Aber-". fing ich an.
"Kein aber! Geh!" Nun flüchteten sogar die letzten Tiere, die von vorher noch übrig geblieben waren. Eriks Hand schloss sich zu einer Faust und ein heftiger Wind erschien, der mich nach hinten pustete.

Um mich wurde es schwarz. Es war plötzlich viel zu ruhig. Ich befand mich in einem schwarzen Loch und konnte nicht mal meine eigene Hand vor Augen erkennen. Der Ort unterschied sich von dem allerersten nur durch die Farbe. Schon wurde ich nochmal nach hinten gepustet. Diesmal wachte ich auf einer harten Trage auf. Mein Atem ging stoßweise und ich setzte mich ruckartig auf, nur wenige Hundertstelsekunden nachdem ich meine Augen geöffnet hatte.
"Hey! Aura, beruhig dich. Tief ein und ausatmen", ruhig sprach eine tiefe Stimme zu mir. Verwirrt drehte ich mich zu der Person. Liam saß neben mir auf einem Stuhl und hatte seine Hand schützend auf meine gelegt.
"W-Wo bin ich?" Mein Hals war trocken und mein Arm schmerzte fürchterlich.
"Du bist in der Krankenstation, im Camp. Ich habe dir ein Schlafmittel gegeben, damit du eher schmerzfrei ins Camp kommst", erklärte er ruhig.

Ich schaute mich gut im Raum um. Ja, es war eindeutig die Krankenstation. Es waren so ungefähr fünfzig weitere Tragen hier, nur ein paar davon waren besetzt. Mehrere Apoll-Kinder liefen wie verrückt hin und her.
"Komm ruh dich aus. Du siehst ziemlich fertig aus. Ich kann dir noch was vom Abendessen holen wenn du willst?" Abendessen? War es schon so spät? Wir sind doch bei Sonnenaufgang aufgebrochen.
Schwach schüttelte ich meinen Kopf. Schlechte Idee, wie sich schließlich herausstellte, denn dieser fing sofort an zu schmerzen. Mitfühlend drückte Liam meine Hand und musterte mich besorgt.
"Sehe ich so schrecklich aus?", fragte ich verwirrt, worauf er nur kehlig auflachte.
"Nein. Du siehst nur so aus, als hätte dich ein Minotaurus durchgeschüttelt und wie ein altes Spielzeug weggeworfen." Gespielt beleidigt zog ich meine Hand weg und schlug ihn leicht.
"Was machst du eigentlich hier?", fragte ich und deutet mit dem Kopf vorsichtig auf ein Glas Wasser neben der Trage.
"Ich bin dein Legionsleiter. Ist doch klar, dass ich hier bin. Außerdem sind wir Freunde," sagte er lachend und reichte mir das eiskalte Glas. Ich trank es gierig in großen Schlucken aus. Kaum hatte ich ausgetrunken stand auf einmal Daina vor mir. Sie sprach mit vielen Fachbegriffen auf mich ein, sodass ich gerade noch ihr 'Hallo' verstanden habe. Verzweifelt sah ich hilfesuchend zu Liam.

"Linker Arm gebrochen, rechtes Bein geprellt", erklärte er grinsend.
"Habe ich doch gerade gesagt!", sagte Daina verwirrt. Mein Arm war in einen beigefarbenen, dicken Verband eingebunden, doch mein Bein war leer.
"Ich hab deinen Arm und dein Bein mit Ambrosia und Nektar eingerieben. Der Bruch ist verheilt, aber lass den Verband sicherheitshalber noch auf. Dein Bein überanstrenge die nächsten Tage lieber nicht so viel. Sonst kannst du meiner Meinung nach gehen", lächelnd ging sie dann zur nächsten Trage. Liam half mir beim Aufstehen und begleitete mich stützend zu unserer Hütte.
"Das ist das erste Mal, dass sich wer von meiner Gruppe am allerersten Tag verletzt", sagte Liam lachend. Draußen war es schon dunkler geworden. Leise horchte ich auf und sah im Wald die Patrouillen Wache stehen.
"Tja. Bisher war ich ja nicht in der Legion", lachte ich.
"Ja, kann sein." Nachdenklich kickte er ein paar Steine, die am Boden lagen, weg.

"Was ist eigentlich mit den Neuen?", fragte ich nach ein paar Minuten Stille.
"Also einer davon ist mein Bruder, sonst Vulcanus, Merkur und ein Unbestimmter."
"Ein Unbestimmter?", fragte ich etwas nervös nach. Den Jungen werde ich mir unbedingt genauer ansehen müssen. Es kann ja sein, dass er aus meinem alten Zuhause ist.
"Ach komm schon! Du erinnerst dich nicht mehr was ein Unbestimmter ist, du warst anfangs selbst unbestimmt. Dein Vater hat sich auch erst letztes Jahr zu dir bekannt."
"Als wenn sich die Götter für uns schämen würden", gab ich leise von mir.
"Hey! Glaubst du wirklich, dass sich dein Vater für dich schämt? Du bist ein wundervoller Mensch und eine super Halbgöttin", meinte er lächelnd. "Außerdem sind die meisten Götter sehr viel beschäftigt und bemerken nicht mal, dass wir ins Camp kommen oder sie haben einfach sehr selten oder fast keine Kinder."

"Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich habe versucht das zu verdrängen." Tröstend legte sich sein Arm um meine Schulter. Wir waren schon an der Legionshüttentür angekommen und blieben vor der Tür stehen. Der Ausblick auf den sternenbewachsenen Sternehimmel war unbeschreiblich.
"Wow!" Erstaunt versuchte ich die Sterne am Sternenhimmel zu zählen, was aber unmöglich war.
"Verblüffend, nicht wahr? Von der Jupiter-Hütte hast man keinen so guten Blick auf die Sterne", grinste Liam.
Er stellte sich hinter mich und legte mir eine Hand auf die rechte Schulter, während er sein Kinn an meine linke Schulter lehnte. Irgendwie war mir die Pose unangenehm, weil er so nah an mir war, aber eine gewisse Intimität verfüllt mich vollkommen.
Mein Herz begann zu klopfen, wie noch nie. Meine Knie würden am liebsten auf der Stelle den Geist aufgeben, aber dann würde ich fallen und er auch. Fast schon frustriert versuchte ich die Schmerzen in meiner linken Schulter zu verdrängen.

Während wir da so standen und in den Sternenhimmel sahen, dachte ich nochmal über die letzten zwei Tage nach. Über die Aufnahme, die beiden Partys, den Wald, die Krankenstation und über meinen Traum. 

Ich hoffe zu mindestens, dass es ein Traum war. Logischerweise muss es einer gewesen sein. Erik könnte das nie gewesen sein, da er ja tot war. Liam hat auch gemeint, dass ich geschlafen habe, also war es ein Traum. Dennoch war alles so echt. Vorsichtig streckte ich meine rechte Hand, außerhalb von Liams Sichtfeld aus. Mit einer ausstreckenden Bewegung blieben die kleinen Grashalme wie erstarrt stehen, als ich die Hand zu einer Faust schloss, wurden die Halme nach hinten gedrückt, von einem schwachen Wind. Es waren die Handbewegungen, die auch Erik gemacht hat und sie hatten dieselbe Wirkung. Ein erschrockenes Keuchen entfuhr mir, nachdem mich ein kalter Schauer durchfuhr. Plötzlich fing ich an zu zittern und schaute etwas paranoid durch die Gegend. Vor meinem inneren Auge erschien wieder mein Outfit aus dem Traum und die Lichtung. Das kann alles kein Zufall sein. 

Träume waren nicht so real. Die Handgeste, sein Auftritt und sein älteres Aussehen. Es war Erik. Am Himmel tauchte ein plötzlicher Blitz auf, der quer durch den Himmel ging. Horizontale Blitze. Das ist sein Zeichen!

"Liam? Können wir rein? Mir ist kalt!", rief ich etwas panisch. 

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