Teil 1 ~~ Aurora

Zwei Jahre ist es her.

Vor genau zwei Jahren bin ich hier reingeplatzt. Vor zwei Jahren hätte ich mir nie denken können, dass das hier einmal mein Zuhause wird, und, dass ich hier Freunde finden werde und meine alte Familie so wenig vermissen werde.

"Aura! Kommst du!", riss mich Hailey aus meinen Gedanken.
"Ja.", rief ich nachdenklich zurück. "Gleich.", flüsterte ich dann nach und blieb noch etwas sitzen. Langsam zog ich meine Knie an und hob meinen Blick vom Rand des Daches zu den aufsteigenden Sonnenstrahlen, die ihr warmes rot-gelbes Licht auf mich warfen. Den Moment genießend versank ich ich in den Strahlen, wie schon davor jeden Tag hier, am Dach meiner Hütte. Seufzend vergaß ich alles um mich herum und wünschte mir, dass ich in diesem Zustand bleiben könnte.
"KOMM JETZT!", brüllte eine wütende Hailey, die jetzt bestimmt schon das halbe Camp geweckt hat.

Ich sprang erschrocken auf und gab einen gequälten Laut von mir. Genervt stieg ich langsam vom Dach und marschierte barfuß in mein Zimmer wo ich schon meine Nymphe antraf. Drei Kleider bedeckten meinem Bett. Es waren keine besonderen aufgetakelten Kleider, aber jedoch sprach jedes für sich selbst. Leichte Stoffe, die auf eine hohe Qualität hindeuten; mit Trägern oder trägerlos, was den Sommer, der jetzt nun anstand, willkommen hieß. Lang waren sie auch nicht, jedes von ihnen ging bis knapp über die Knie und war bis zur Taille eng und verlief ab da in eine leichte A-Linie.

"Kleider?", fragte ich überrascht. Hailey hatte die Augen geschlossen und nickte mehrmals
"Hailey, brauch ich die wirklich?", augenrollend sah ich sie an.
"Aurora! Du musst heute besonders schön aussehen", sagte sie mit Nachdruck und drückte mir zugleich ein Kleid in die Hand. Es war jetzt sowieso zu spät, sie zu einer Hose und einer etwas schickeren Bluse zu überreden.

Im Bad zog ich mir zögernd das trägerlose, hellgelbe Kleid an und trat heraus. Hailey sah mich mit großen Augen an und schwieg. "Ich mag den Herzausschnitt nicht", sagte ich schlicht, worauf mir Hailey das nächste Kleid gab.

Das himmelblaues Kleid mit einem schwarz-goldenen Gürtel bestand fast nur aus Spitze und hatte etwas Edles an sich. Mehrmals drehte ich mich vor dem Spiegel um, aber es stand mir einfach nicht. Ich rief Hailey zu mir das letzte Kleid zu reichen.
"Das ist es!", rief Hailey aufgebracht und fing an in meinem Zimmer auf und ab zu hüpfen, als ich aus dem Bad kam. Ich blickte leicht lächelnd auf das babyrosafarbene Kleid hinunter und schmunzelte. Der Ausschnitt war mit einem dünnen, netzartigen Stoff überdeckt und mit blumigen Stickereien beschmückt. Der Rock wies ähnliche, bunte Stickereien auf.
"So jetzt setz dich. Ich mach dir noch schnell die Haare und gebe dir ein bisschen Schminke drauf und schon sind wir fertig." Etwas zu aufgeregt packte Hailey meinen Arm und drückte mich auf einen alten Holzsessel.

"Du tust ja so, als ob ich heute heirate", lachte ich, während sie den Spiegel vor mir bedeckte. Augenverrollend sah ich zu ihr auf. Hailey war ein Fan von Spielchen und Überraschungen.
"Du wirst in eine Legion aufgenommen! Das ist etwas Wichtiges! Außerdem..."
"Außerdem bin ich die Tochter des Jupiter und muss ihn gut präsentieren", vollendete ich ihren Satz in einem Atemzug. Bis jetzt hat mir jeder in diesem Camp schon gefühlte hundert mal diesen Satz vorgeworfen.
"Außerdem könntest du vielleicht heute auf deinen Zukünftigen stoßen", sagte sie mir zwinkernd. Schnaufend lachte ich auf. Ich hatte wichtiges zu tun, als mich mit Jungs abzugeben.

"Was glaubst du, in welche Legion du kommst?", fragte sie mich aufgebracht nach einigen Minuten Stille, während sie einen Lockenstab in die Hand nahm und anfing an meinen Haaren rumzuexperimentieren. Ob das wohl gut geht?
"Ich weiß nicht. Ich hoffe nur nicht in die Vierte oder Fünfte", sagte ich gleichgültig.
"Ich bitte dich, Aura! Nach DEM Kampf gegen den Basilisken! Ich glaube eher in die Erste oder Zweite Legion. Ganz Bestimmt! Die haben bei der letzten Versammlung angeblich zwei Stunden diskutiert, und es wäre zum Schluss fast zu einem Massaker gekommen", grinste sie und griff zu einer nächsten Haarsträhne.
"Wenn du es sagst, dann wird es wohl so auch sein.", sagte ich ergeben. Ich hatte die Gerüchte auch gehört und die Schreie bei der damaligen Versammlung. Es könnte durchaus möglich sein, dass es diesen Streit gab, weil sich die Legionen nicht entscheiden konnten, aber das konnte ich mir nicht wirklich ausmalen. Ich war einfach zu selbstkritisch.

In einem Camp, das hauptsächlich aus Halbgöttern besteht und das sehr auf die altrömischen Traditionen achtet, kann man viele Lebenswege gehen. Meiner ist einer der berühmtesten unter den Jugendlichen. Der Weg des Kriegers. Die Legionen sind theoretisch nur Gruppeneinteilungen, wobei die Erste Legion sowas wie die Elitegruppe ist, sie beinhaltet nur die Besten der Besten. Bis zu diesem Augenblick habe ich mich nicht sehr darum gekümmert in welche Legion ich komme, doch langsam ergriff mich etwas Panik und üble Gedanken. Legionen waren sehr schwer zum Wechseln und der ganze aufkommende Papierkram ist es meist nicht wert.

Ich sah mir Hailey, als Ablenkung, genau aus dem Augenwinkel an. Sie war eine Nymphe, eine Luftnymphe um genau zu sein, weshalb sie auch nicht zu uns Halbgöttern zählt. Im Camp gibt es hunderte von ihnen, Bergnypmen, Wassernymphen, Naturnymphen und Luftnymphen.
Als einzige junge Luftnymphe kümmert sich Hailey um mich, die Tochter des Jupiter. Göttervater, und König des Olymp, Gott der Blitze und des Sturms und noch mehrerer solcher Titel, die mich nicht im Geringsten interessieren.

Aber ich mochte Hailey, sie war mir schon am ersten Tag sympathisch mit ihren blonden, glatten Haaren und den dunklen Augen, mit dem schwachen Lächeln auf den Lippen und den Wangengrübchen. Schon damals war sie so tollpatschig und witzig, wie ich sie jetzt kannte, und obwohl sie drei Jahr älter war als ich, verstanden wir uns trotzdem bestens.

"So fast fertig", meinte sie und griff zu etwas auf dem Tisch. "Nur noch ein bisschen Lippenstift,", sprach sie gedankenverloren weiter. "Et voilà! So jetzt können die heißen Typen kommen!", rief sie und fing zu kichern an.
"Heiße Typen? Ich bitte dich ich werde doch nur in eine Legion aufgenommen", verwirrt sah ich zu ihr auf, doch sie deutete nur lächelnd mit dem Zeigefinger auf den, nun abgedeckten, Spiegel.

Als ich hinsah, verstand ich worauf sie hinaus war.
Langsam stand ich mit offenen Mund vom Stuhl auf und starrte mein Ebenbild an. Meine braunen Haare mit einem wirklich intensiven Rotstich waren zu perfekten Locken geformt und meine sonst so hellbraunen Augen hat sie durch Mascara und etwas Lidschatten noch mehr zur Geltung gebracht. Außerdem hat sie mein Aussehen mit einem rosaroten Lippenstift noch perfektioniert. Das Spiegelbild lachte mir zu und ich konnte nicht glauben, dass das ich sein sollte. Ungläubig lachte ich weiter.

"Komm. Es ist so weit!" Hailey nahm lächelnd meine Hand und zog mich zur Tür, ohne, dass ich mich noch mal durchatmen konnte.
"Und was ist mit Schuhen?", rief ich ihr nach.
"Hä? Was? Oh Ja! Warte!", sie lief hektisch noch einmal in mein Zimmer und kam völlig außer Atem mit weißen Ballerina mit kleinen Absätzen zurück.
"Achso Hailey! Keine hohen Absätze?", fragte ich lachend nach, da ich weiß wie modebesessen sie ist.
"Nein, heute nicht. Wegen gutem Wetter haben sie die Aufnahmen auf die große Wiese verschoben", sagte sie schmollend bevor sie dann auch in mein Lachen mit einstieg.

Jetzt stand ich hier. Mitten auf einer Wiese und aufgetakelt wie ein Popstar, gegenüber fünf Jungs, die alle um die zwei Jahre älter als ich waren. Jeder mit einem großem goldenen Stab in der Hand, aber verschiedenen Tierköpfen aus Gold an der Spitze. Adler, Eule, Fledermaus, Singvogel und Taube. Die Vögel waren der Reihe nach absteigend, zuerst die Erste Legion mit dem Adler, dann die Zweite Legion mit der Eule und so weiter.

"Aurora Stevenson, 16 Jahre alt, Tochter des Jupiters, Trägerin des Basilliskenfluch", rief der Camp Leiter Morgan den Legionärsleitern zu. Er zählte alle wichtigen Details von mir auf und kam langsam auf mich zu, während er laut weitersprach.
"Ihr habt sie ja schon letzte Woche kämpfen gesehen und ihr wisst wie aufgenommen wird. Jeder Truppenleiter hat Punkte abgegeben, und dein Vater auch, Aurora. Punkte von eins bis zehn. Je höher die Punkteanzahl, desto höher ist die Chance in eine gute Legion zu."
"Jetzt sag endlich schon, wie viel sie hat!", rief eine genervte Stimme aus dem Publikum. Mit einem schmerzerfüllten Ausdruck viel mir wieder ein, dass hinter mir das ganze restliche Camp im Gras versammelt war. Aufnahmen waren hier die Hauptevents, ansonsten kam es selten zu solch großen Versammlungen.
"Von 60 möglichen Punkten hast du...", Moran legte eine dramatische Pause ein und zog das 'du' sehr in die Länge.
"Trommelwirbel bitte!", verlangte er daraufhin und im Publikum schlugen sich einige rhythmisch auf die Oberschenkel.
"Jetzt sag schon!", zischte ich ihm genervt zu.
"59 Punkte!", brüllte er und sah mich amüsiert an. Beleidigt schlug ich ihn und fing ungläubig an zu lachen. Die fünf Legionsleiter gegenüber von mir musterten mich grinsend. Die anderen fingen an zu klatschen und zu jubeln, immerhin schafften kaum welche überhaupt 50 Punkte.

"Ich habe mich schon mit den Truppenleitern unterhalten. Es wurde auch, wie schon bekannt ist, lange diskutiert, aber schlussendlich haben die Jungs entschieden, dass du, Aurora..." Schon wieder so eine dramatische Pause. Ein riesiges Grinsen bildete sich in Morgans jungen Gesicht.
"In die Erste Legion kommst!" Lautstarkes Klatschen und erfreutes Dröhnen brach aus und Morgan fasste mich am Arm. Er musste mir ins Ohr schreien, damit ich ihn überhaupt verstehen konnte. Aus einer Ecke bildete ich mir ein Haileys laute Stimme zu hören.
"Ich stelle dir nun deinen neuen Truppenleiter Liam vor."

Morgan zog mich sanft nach vorne und zeigte mit der Hand zu einem Jungen, der uns entgegenkam, mit einem unwiderstehlichem Lächeln auf den Lippen. Ich musste unwillkürlich lächeln und blieb stehen. Seine kurzen, braunen Haare wehten leicht im Wind mit, als er vor mir stehen blieb.

"Hey, ich bin Liam. Willkommen in der Ersten Legion! Komm, ich zeig dir erst mal dein neues Zuhause", berichtete er mir mit einer tiefen, rauen Stimme und streckte mir lächelnd die Hand entgegen. Erwartungsvoll sah er mich mit seinen eisig blauen Augen an.
Zögernd legte ich meine Hand vorsichtig in seine und er schloss sanft sie sanft.

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