Thriller oder Liebe?

Alexander

Heute glitten viele Bücher in neue Hände. Dabei hoffte ich immer das jedes Buch ordentlich behandelt wurde. Flecken, Krümmel oder Knicke in den Seiten waren mein persönlicher Alptraum. Ich liebte es, sie wie ein Heiligtum zu behandeln. Wobei Etta zum Beispiel, Eselsohren mochte. Ich hatte für alles Verständnis. Aber Eselsohren störten mich wirklich.

Das war zum Beispiel ein Grund warum ich lieber die Bücher kaufte als auslieh. Sie waren irgendwann verständlicher Weise abgegriffen, da sie so viele Hände gehalten hatten und das ist natürlich schön aber ich mochte wenn sie in meinem Regal standen. In einer Bibliothek war eigentlich nur die Frage spannend, wer die Wörter schon gelesen hatte.

Ich füllte gerade die Kasse, sortierte Kassenzettel und sorgte für etwas Ordnung. Etta führte zwar den Laden und war auch stets um Ordnung bemüht. Allerdings sah man einen Unterschied zu mir. Es war auch nicht so, das ich ihr Sachen hinter her trug. Eher diese penible Ordnung, die ich einfach bevorzugte. Im Augenwinkel sah ich wie die Tür erneut auf ging und zwei bekannte Damen auf mich zu kamen.

Ich ging um den Tresen herum, als auch schon Mrs. Williams vor mir stand. Sie war eine neunzigjährige Dame, die in einem Pflegeheim hier in der Nähe wohnte. Meistens kam sie Dienstags und dann nochmal Ende der Woche. Seitdem ihr Mann Flügel bekommen hat und sein Lächeln sie nur noch durch die Sonnenstrahlen erreichte, war das Lesen etwas, was sie von dem Schmerz ablenken konnte.

"Mrs. Williams schön Sie wieder zu sehen. Haben Sie irgendetwas mit Ihren Haaren gemacht oder ist das ihre Jacken. Irgendetwas wirkt anders." Die ältere Frau in der königsblauen Jacke und den braunen Augen sah mich mit einem kleinen schmunzeln an. Ihre grauen Haaren waren von einer Dauerwelle geformt. Das Gesicht war von Falten geziert, die viel schöner wirkten, wenn man sich vorstellte das sie durch ein freudvolles Leben entstanden sind.

"Ach Alec, das kommt doch nur durch eine neue Falte." Damit deutete sie neben ihr Auge. "Die habe ich mir hart erlacht." Amüsiert lächelte ich die Dame an.

Ihre Stimme zitterte etwas. Sie war leiser als eine Stimme die noch nicht so lange sprechen musste. Doch auch ihr hörte ich gern zu. Kurz wendete ich mich dann an die Frau neben ihr. Es war Cat, eine Pflegerin von Mrs. Williams. Die beiden kamen immer zusammen. Sie war ungefähr so alt wie Etta, dunkelhäutig und genau so freundlich wie ihre Bewohnerin.

"Es ist auch schön dich wieder zu sehen, Cat. Wie geht es Madzie?" Ich kenne ihre Tochter nicht persönlich. Sie erzählt nur immer von ihr. "Ihr geht es gut danke. Kommst du Sonntag wieder zum Kaffee?" Ich wusste das sie nicht hoffnungsvoll klingen wollte, damit sie kein Druck ausübte. Aber mittlerweile war es schon fast Tradition das ich jeden Sonntag in das Pflegeheim ging und zusammen mit den älteren Menschen die Zeitung las oder Gedichte. Es war nicht viel aber eine Kleinigkeit, die ich zu ihrem Tag beitragen konnte.

"Selbstverständlich. Ich hoffe nur das die Nachrichten dieses mal besser sind." Ich zwinkerte Cat zu bevor ich Mrs. Williams meinen angewinkelten Arm hin hielt. "Und in welche Abteilung gehen wir zwei dieses mal?" Die ältere Dame hakte sich bei mir unter und schien dann eine Weile zu überlegen.

"Ich weiß nicht ob ich mal wieder einen Thriller lesen sollte oder etwas romantisches." denkt sie dann laut nach. Mit langsamen Schritten gehen wir auf die Büchersammlung zu. "Warum nicht einfach beides?" Mrs. Williams sieht lächelnd zu mir auf und instinktiv greife ich bereits in meine Hosentasche. "Das ist eine gute Idee. Hast du wieder die Münze einstecken?"

Wenn man eine schwere Entscheidung zu treffen hast, dann wirft man eine Münze. Dabei ist egal wie sie landet. Schon während sie sich in der Luft dreht, wird man wissen worauf man hofft.

Ich warf die silberne Münze hoch und fing sie dann mit einer Hand wieder auf. "Und wie haben Sie sich entschieden?" Die Münze hielt ich noch verdeckt in meiner Faust. "Es soll die Liebe sein." Ich nickte und führte die Frau dann zu dem richtigen Regal. Dabei gab ich Etta ein Zeichen, das ich jetzt erstmal unabkömmlich wäre.

Mrs. Williams unterhielten uns während ihrer Suche über das Leben und was es im Pflegeheim für Klatsch und Tratsch gab. Immer wieder fragte sie mich zu meiner Meinung zu dem Buch. Manchmal fingen wir eine Geschichte zusammen an, um uns beim nächsten mal darüber zu unterhalten.

Als sie sich für zwei Bücher entschieden hatte, ließ sie sich erschöpft in einen Ohrensessel nieder. Sie konnte nicht mehr so lange stehen. Schon oft hatte ich ihr angeboten, das ich ihr eine Vorauswahl treffe oder ihr, während sie sitzt, die Buchtitel vorlese. Aber das wollte sie nicht. Mrs. Williams mochte das Gefühl über die unterschiedlichsten Buchrücken zu fahren.

Schon vor einer kleiner Weilen hatte sie mir erzählt, das sie sich als Kind immer vorgestellt hatte, dass dadurch die Bücher ihr was zu wisperten und dieses wispern dann in ihre Arme hinein kroch und bis zu ihrem Herzen wanderte. Seitdem hat sie nie wieder damit aufgehört und auch wenn es nicht möglich war, so stellte ich es mir mittlerweile ebenfalls vor.

"Werden Sie niemals alt, Alec." Sie streckte eine Hand nach mir aus und ich ergriff ihre. Ich kniete mich vor meine Stammkundin. "Das ist ein Prozess den man nicht aufhalten kann und den ich um ehrlich zu sein auch gar nicht aufhalten möchte." Mrs. Williams musterte mein Gesicht und ich ließ sie gewähren. "Auch wenn man gerne sagte, das man wieder jung sein möchte. So denke ich auch, das man irgendwann an einen Punkt kommt wo man einfach nur gerne zurück denken möchte. Solange ich im Alter sagen kann, das ich mein Leben gelebt habe. Ja, solange ich mit Erinnerungen sterbe und nicht mit Träumen, dann ist das Alt werden doch etwas schönes." Ich umschloss ihre faltige mit Altersflecken übersehene Hand mit meiner eigenen. "Ich meine ein Herz hat keine Falten. Und ein guter Mensch wird auch mit grauen Haaren ein guter Mensch bleiben. Das beste Beispiel sind sie."

Vielleicht waren es meine Worte die sie jetzt wieder zum Lächeln brachte. Es könnte auch eine Erinnerung an längst vergangene Zeit sein, die sie gerade durchlebte. Es war mir gleich. Diese Frau sollte lächeln, das war alles.

"Die Welt braucht mehr Menschen wie Sie." gibt sie dann zu. Ich kann nicht mit Komplimenten umgehen und so zucke ich ratlos einfach meine Schultern. "Die Welt braucht einfach etwas mehr Liebe." Bescheidenheit gehörte wahrscheinlich zu meinen Stärken.

"Bringen Sie mich zur Kasse?" Froh das sie nicht weiter darauf einging, hakte ich sie wieder bei mir unter. "Mit dem größten Vergnügen." Zusammen mit Mrs. Williams und den zwei Büchern ging ich den kurzen Weg wieder zurück. Sie hatte sich doch für zwei Liebesgeschichten entschieden. 'Falling in Love' und 'Stille' ergaben die einzelnen Buchstaben. Sie mussten neu sein, denn ich selbst hatte die beiden Bücher noch nicht gelesen, nahm es mir allerdings vor.

Als sich meine Kundin wieder bei Cat untergehakt hatte, traten die beiden an den Tresen. Ich nannte ihr den Preis. Mit leicht zitternden Händen öffnete sie ihr Portmonee. Wobei ich bemerket wie die Frau hinter ihr ungeduldig auf die Uhr sah und immer genervt seufzte. Auch Cat schien das zu bemerken und blickte entschuldigend zu mir.

Wir beide wussten das Mrs. Williams soviel selbstständig bewältigen wollte wie nur möglich und deswegen gaben wir ihr auch nur zu gern die Zeit, die sie brauchte um das Geld abzuzählen. In einem hübschen beige färbenden Papier, packte ich die Bücher ein und überreichte Cat dann das Paket zusammen mit dem Kassenbon. "Bis Sonntag Mrs. Williams. Haben Sie noch einen schönen Tag. Cat sehen wir uns ebenfalls Sonntag?" Ihr nicken war unsere Verabschiedung. Lächelnd blickte ich den beiden hinter her. Genau deswegen liebte ich diesen Job.

Als die nervöse und sogleich gestresste Frau an die Kasse trat, war ich so freundlich wie immer. Erst als sie ebenfalls das eingepackte Buch in ihre Hände nehmen wollte, stoppte ich und sagte in einem ruhigen Ton. "Ich möchte ihnen nicht zu nahe treten, aber denken sie einfach mal daran, das sie auch mal alt werden und dann nicht mehr so flott unterwegs sind, wenn sie sich das nächste mal solche Gesten verwenden , wenn die ältere Dame an der Kasse etwas länger braucht um das Kleingeld heraus zu suchen." Überrascht sah mich die Frau an und erst jetzt überreichte ich ihr, die gekaufte Geschichte.

Auch ihr blickte ich nach. Etta trat neben mich. "Sag mal kann ich dich allein lassen? Ich wollte noch trainieren gehen für den Sommerurlaub. Es geht dieses mal an das Meer und ich hätte gern eine bessere Bikinifigur." erzählte sie mir. Ich hatte schon mehrere Male allein gearbeitet. "Natürlich, Etta. Ich schließe dann ab." Im Hinterkopf notierte ich mir, gleich die zwei Bücher, die Mrs. Williams gekauft hatte, nochmal heraus zu suchen, damit ich sie dann mitnehmen konnte.

Etta sammelte ihre Sachen zusammen wobei ich sie an ihren Wohnungsschlüssel erinnerte. "Ich hatte doch noch eine Frage." brachte ich hervor. Verwirrt sah sie mich an. "Ist es dem Meer nicht eigentlich egal ob du eine Bikinifigur hast oder eben nicht hast?" Sie schien über meine Worte nachzudenken bevor sie meine Haare verstrubbelte. Ohne weitere Worte verabschiedeten wir uns.

Morgen Abend kommt eine neue Kurzgeschichte. Sie heißt "Stille" und ich würde mich natürlich freuen, wenn ihr alle vorbei schaut.

Lg Krümmel

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