Gesucht oder Gefunden?

Alexander

Ich streichle vollkommen versunken über seine Beine. Schon immer konnte ich mir Dinge gut merken, behielt ich doch alles für die Ewigkeit auf. Wie eine Kiste in die man alles herein legte. Egal ob man es jemals noch brauchen würde oder nicht. Izzy hatte so eine Ramsch Kiste immer besessen und hat sie wahrscheinlich immer noch. Nur meine war geordnet, wie meine Bücher.

"Ich war ein sehr aufmerksames Kind. Viele Details die meine Eltern vor mir und auch dann vor Izzy geheim halte wollten, bekam ich mit. Mir entging nichts. Ich lernte ziemlich schnell und war so immer sehr frühreif. Deswegen sollte ich auch eher eingeschult werden. Bereits mit fünf Jahren. Meine Eltern haben sich dagegen entschieden. Sie empfanden es als zu früh. Mir war es eigentlich immer egal. Auch wenn ich die letzten Wochen im Kindergarten als eher uninteressant betiteln würde."

Magnus grinste mich an. "Es gab also auch mal Zeiten wo du manches nicht interessant fandest?" Ich fuhr neckend über seine Fußsohlen und stellte dann mit einem lächeln fest, das er da kitzelig war. "Ja, ich habe es zwar immer wieder versucht, mich für Sachen neu zu interessieren. Aber es war nicht mehr das gleiche."

Mein Lächeln fror ein, um dann mit einer schnellen Geschwindigkeit von meinem Gesicht zu verschwinden. "Meine Schulzeit war sehr durchwachsen. Ich habe es geliebt zu lernen und selbst Mathe mochte ich. Durch meine ruhige Art stach ich immer etwas hervor. Meist wurde ich neben sehr laute Mitschüler gesetzt, weil ich es schaffte die Ruhe auf sie zu übertragen. Die wenigen Freunde die ich hatte, würde ich jetzt eher als Bekannte betiteln. Da war nichts wahres."

Es ist verrückt, wie viel Zeit vergangen war, fühlte es sich doch so an, als sei es erst gestern gewesen. "Ich war ab der ersten Klasse immer mal wieder ein beliebtes Mobbing Opfer. Mehrmals habe ich mit Izzy über einen Schulwechsel nachgedacht und oft standen meine Eltern auch kurz davor. Aber in mir war immer dieser Widerstand. Ich wollte mich nicht geschlagen geben."

Ich umhülle Magnus Händen wie ein Kokon mit meinen. Ich liebe dieses Gefühl. Seine Hände sind gepflegt, etwas kleiner als meine. Diese Fingerspitzen tragen soviel Gefühl in sich. "Wie schlimm war es?" Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern. "Jedes Schuljahr war anders. Aber da es schon in der ersten Klasse los ging, wusste ich wahrscheinlich später wie man damit umzugehen hatte. Die Auswirkungen habe ich eigentlich erst dann in der Pubertät gemerkt. Meine Eltern hatten mit mir nie Probleme. Ärger habe ich ihnen keinen gemacht. Dafür hatte ich mit mir selbst zu tun. Selbstbewusstsein war Fehlanzeige. Viele lange Jahre. Dazu kam meine Sexualität für die ich mich schämte. Und trotz allem behielt ich meine Fröhlichkeit."

Ich hörte immer lieber zu. Es war komisch jetzt über sich selbst zu reden. "Die Zuflucht waren meine Bücher und Izzy. Mit ihr war ich immer die Person, die ich vor anderen nicht sein konnte. Ich war gerade Siebzehn als ich Jonathan in einem Café kennen lernte. Man hatte unsere Bestellungen vertauscht. Wir waren sofort in einem Gespräch vertieft. Die Gefühle konnte ich schnell nicht mehr leugnen. Das ich damals noch gar nicht bereit für eine Beziehung war, stellte ich erst später fest. Wir kamen also total verliebt zusammen. Ich habe mich so gut gefühlt."

Der Horizont schien mir die Vergangenheit zu sein. Ich habe einen langen Weg zurück gelegt um hier zu sein. Jeden Schritt, so schwer er mir auch fiel, habe ich gerne gemacht. "Schnell habe ich erkannt, das er zwei Seiten hat. Sein Vater hat ihn sehr streng und ohne wirkliche Liebe erzogen. Es gab nicht viele Menschen, die er diese liebe Seite von sich zeigte. Wir waren am Anfang sehr glücklich. Er war immer der Stärkere von uns beiden. Ich habe mich untergestellt, habe nicht mal einen Gedanken daran verschwendet mit ihm auf Augenhöhe zu gehen. Jon hatte mich im Griff, wusste welche Punkte er streifen musste um mich zu verletzen. Und davon gibt es nicht viele. Ich halte viel aus und komme mit eigentlich fast allem zu recht." Magnus beobachtete mich genau.

"Wir stritten uns immer mehr. Er machte mich ganz klein. Zu oft saß ich am Boden, während er vor mir stand und einfach auf mich einredete. Oft wollte er die Hand erheben. Jedes mal hat er es geschafft sich zurück zu halten. Ich fing an mich nicht mehr wohl zu fühlen... ich konnte mich irgendwann nicht mehr vor ihm ausziehen, habe nicht mehr zugelassen das er mich körperlich berührt. Das hat ihn wahrscheinlich so frustriert das er sich andere gesucht hat. Als ich es heraus gefunden habe, wollte ich immer noch an ihm festhalten. Ich hatte ihm alles von mir gegeben, mich so sehr an ihn gebunden, unterworfen, abhängig gemacht."

In meinen Augenwinkel sah ich wie Magnus unmerklich mit dem Kopf schüttelte. "Mental habe ich wahrscheinlich viel eher mit ihm Schluss gemacht, als körperlich. Als es dann soweit war, ging es mir anfangs ziemlich gut. Ich dachte das ich dort weiter machen konnte, wo ich aufgehört hatte. Aber dem war nicht so. Ich habe erkannt, das ich jeden anderen Menschen liebte, nur nicht mich selbst. Um daran nicht zu denken stürzte ich mich in jede erdenkliche Ablenkung. Ich zog mich zurück und nach einem sehr, sehr langen Prozess habe ich mich gefunden. Ich habe angefangen mich selbst zu akzeptieren. Das Selbstvertrauen was ich all die Jahre nicht besessen hatte, erlangte ich von Tag zu Tag. Ich fing im Traumleser an und mittlerweile kann ich sagen, das ich bei mir selbst angekommen bin."

Schon lange hatte ich angefangen an meinen Ohrläppchen wieder zu spielen. Noch bevor Magnus irgendetwas sagen konnte, ergänzte ich etwas, was mir sehr wichtig war. "Ich weiß das, das was Jon getan hat nicht in Ordnung war. Aber ich kann auch sagen, das wir wirklich eine schöne gemeinsame Zeit hatten. Es war nicht alles schlecht und im Grunde genommen ist er einfach nur ein zerrissener Mensch, der so viel Misstrauen in sich hegt, das er sich selbst im Weg steht. Er ist ein guter Mensch, auch wenn er das nicht jedem zeigt."

Erst jetzt sehe ich meinen Freund wieder an. Er scheint etwas ungläubig. "Nicht jeder redet so über seinen Ex-Freund." Magnus lächelt leicht. "Ja wahrscheinlich. Aber für mich hat jeder Mensch irgendetwas gutes. Zumindest versuche ich es immer zu finden."

Wir verknoten unsere Hände, während ich mit meiner anderen wieder über seine Beine fuhr. "Trotz allem was passiert ist?" Ich fing wieder an meine Mundwinkel zu heben. "Nein nicht trotz allem sondern eher genau deswegen. Nächstenliebe bereitet mir keine Schmerzen. Ich meine...es gibt immer ein Bleiben im Gehen. Ein gewinnen im verlieren und ein Neuanfang im Ende."

Und da war er wieder, dieser Blick von Magnus, so als würde er grübeln oder irgendetwas suchen, was direkt vor seiner Nase ist. "Und wie schaffst du es immer so ruhig, freundlich und gleichzeitig auch so ein fröhlich, humorvoller Mensch zu sein beziehungsweise zu bleiben?" Wieder zucke ich mit meine Schultern. "Das liegt wahrscheinlich in meiner Natura. Meine Eltern waren anfangs immer eher strenger. Erst als ich älter war und mich selbst fand, wurden sie sehr viel lockerer. Dazu kommt mein ellenlanger, robuster Geduldsfaden."

Ich mag diesen Abend. Er lässt mich tatsächlich, auch wenn es um mich geht und ich den Mittelpunkt alles andere als mag, herunter kommen. Die funkelnden Kometen fangen an, sich langsam zu zeigen und mein Blick sucht sie. Mrs. Lovelace.

"Wie oft bist du in deinem Leben schon mal ausgerastet oder warst gemein? Hat du eigentlich schon mal die Stimme gegen irgendjemanden gewendet?" Darüber muss ich erstmal selbst nachdenken. "Vielleicht so geschätzt zwei bis dreimal."

Magnus seufzt und da er mich immer noch suchend ansieht, spreche ich ihn darauf an. "Was denkst du gerade?" Er schien sich ertappt zu fühlen, denn er wendet sofort sein Gesicht von mir ab. "Ich.. es ist.. in meinen Leben habe ich immer oft gesucht. Ich wusste nie wonach. Jetzt wo ich weiß, wie du zu diesem Menschen geworden bist, scheint es mir fast unmöglich das du dich mal so abhängig von einer Person gemacht hast. Eigentlich war ich mir immer sicher, das man sich eher von dir abhängig machen musste. Du hast immer alles im Griff. Immer die Kontrolle. Dir scheint nichts zu entgehen. Wenn man mit dir redet, hat man deine volle Aufmerksamkeit. Du lässt dich durch nichts ablenken." Kurz stockt er. "Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, das ich immer wenn ich dich ansehe, dann sehe ich den Menschen zu dem ich nach Hause kommen möchte. Du bist der Mensch, dem ich erzählen möchte wie mein Tag."

Ich rutsche näher an ihn heran. "Ständig, kontinuierlich, konsequent, du. Ich kann manchmal wahrscheinlich einfach nicht glauben, das du zu mir gehörst. Trotz des Altersunterschieds habe ich das Gefühl, durch dich so viele Sachen erst zu lernen und ich war wahrscheinlich noch nie so wissbegierig."

Meine Lippen legen sich auf seine und dann ist auch bei uns beiden der Moment gekommen. Gleichzeitig bringen wir ein "Ich liebe dich" hervor. Wir können nicht anders als leise zu lachen. Er würde immer mein Happy ohne Ende bleiben. Auch wenn ich in diesen Minuten noch nicht wusste, das doch noch nicht alles ausgestanden war.

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