Fleisch oder Fisch?
Alexander
Ich legte die fertige Abrechnung in das Fach von Etta. Sie war heute gar nicht erst auf der Arbeit erschienen. Nur kurz hatte sie mir geschrieben, das es ihr heute noch nicht so gut ginge. Als ich sie fragte, ob sie noch etwas brauchte, kam nur die Antwort, das Magnus bereits bei ihr war. Danach hatte ich mich wieder meinen Kunden zugewendet, die heute alle etwas betrübt waren. Mit ein paar ehrlich und lieb gemeinten Worten, habe ich manche wieder zum lächeln gebracht.
Ich habe vielen auch von der Konfetti Vorstellung erzählt, welches heute unermüdlich vom Himmel fiel. Ich habe manche verträumte Blicke gesehen, die alle nach draußen gerichtet waren. Und auch mich brachte es zum schmunzeln. Leider hatte ich keinen zweites Konfettidach, weswegen ich wahrscheinlich heute eine angenehme und kleine Frühlingsdusche nehmen würde.
Ich zog mir gerade meine dunkelblaue Sweatshirtjacke an, als ich die Klingel hörte, die über der Ladentür hing. "Kann ich noch etwas für sie tun? Wir haben zwar schon geschlossen aber ich bin sicher..." Ich stoppe als ich sehe das Magnus im Laden steht. Das Konfettidach hält er noch immer über seinen Kopf. "Entschuldige das ich hier einfach so herein gerieselt komme. Aber ich dachte mir, das ich dich eventuell abholen könnte, um dafür zu sorgen das du trocken nach Hause kommst."
Magnus grinst mich aus strahlenden Augen. Ihm schien seine eigene Idee so sehr zu erfreuen. Es war ansteckend und ich musste ehrlich zu geben, das meine Wärmflasche vollkommen überhitzte. "Warum entschuldigst du dich? Ich finde diese Idee ganz passabel." Ich ging langsam auf ihn zu und musste selbst einfach nur lächeln. Auch er kam mir etwas näher. "Ach nur ganz passabel?" Ich zwinkerte ihm zu. "Ja so würde ich die Idee beschreiben." Das war alles so neu und aufregend. Es hatte etwas ganz einfaches. Schlicht aber dennoch auffällig schön.
Leise lachte Magnus und schüttelte dabei unmerklich den Kopf. "Das werde ich mir merken, Lightwood." Glücklich traten wir beide heraus, dabei übernahm ich den Regenschirm. Ich war einfach ein paar Zentimeter größer und es erinnerte mich auch an das Gefühl, welches ich bei dem letzten mal hatte. So unbeschwert und frei. Alles in Frage stellend und dennoch mit den Antworten im Herzen.
Dieses mal war es anders. Als hätten wir das schon tausend mal gemacht und selbst die schienen unseren Durst nicht zu stillen. Wir strotzten beide nach mehr. Und trotzdem reichte uns das Schweigsame. Wir beobachteten gemeinsam die schlecht gelaunten, meist hektischen Menschen und zogen am Ende selbst Grimassen, für den jeweils andere. Wir verhielten uns keines Falls erwachsen. Aber das war in Ordnung. Es muss nicht immer alles Sinn machen. Oft reicht es schon, wenn es Spaß macht. Man sollte nie sein inneres Kind ablegen oder gar aufgeben. Es wird nicht wieder kommen.
"Gibt es Situationen wo du dich verstellst?" unterbricht Magnus irgendwann das Gewusel der Menschen, allein mit seiner Stimme, allein für mich. Kurz denke ich nach. Das ist eine gute Frage. "Nicht mehr. Es gab mal Situationen wo ich mich verstellt habe. Meistens wenn ich neue Menschen kennen gelernt habe. Ich war zwar noch ich aber irgendwie auch nicht. Ich wollte das mich die Person mag, ganz unbedingt. Es war alles verkrampft."
Auch wenn ich nicht gern über mich selbst sprach, so beantwortete ich ihm die Frage gern. "Ich habe nie daran gedacht, das ich selbst, so wie ich bin zureiche. Das musste ich erst lernen. Es war nicht immer leicht. Aber jetzt kann ich mit ruhigen Gewissen sagen, das ich mich in keiner Situation mehr verstelle." Magnus sieht mich wieder mit diesem fesselten Blick an, während über uns der Himmel immer noch sein Konfetti streut.
"Was?" frage ich dann etwas unsicher, als er nicht mehr antwortet. Unmerklich schüttelt er den Kopf. "Nichts. Ich war nur kurz in Gedanken." Ich nicke und belasse es dann dabei. Irgendwann wird er mir schon seine Gedanken mitteilen. "Was ist mit dir? Verstellst du dich?"
Ich mustere diesen Mann. Es ist für mich unvorstellbar das er sich verstellt. Seine Art ist anziehend. Vor allem sein Charme. Er ist nie zu viel sondern immer genau richtig. Manche spielen einem die Maske, die sie tragen gut vor. Solange bis der Sturm kommt und sie diese Maske nicht mehr halten können.
"Nein ich bin ich. Auch wenn ich zum Beispiel im Altersheim nie wirklich weiß, ob mein Verhalten angemessen ist. Ich bin zwar nur der Gärtner aber auch ich komme mit den Menschen in Kontakt. Es ist eher Respekt und dadurch entstehende Distanz." Wir stoppen vor meiner Tür. "Hast du morgen schon etwas vor?" Zögerlich schüttelt er mit dem Kopf. "Gut dann hol ich dich morgen ab. Ich bringe Frühstück mit." Ich wackle mit meinen Augenbrauen, was ihn wieder zum schmunzeln bringt.
"Das klingt gut. Wo wir gerade vom Essen reden, ich habe Hunger. Wie sieht es bei dir aus?..." Ich komme gar nicht zum antworten, denn er spricht einfach weiter. "... Du auch? Sehr gut. Hast du etwas da?" Magnus greift in meine Jackentasche und holt dort den Schlüssel raus. Meine Wärmflasche wird neu aufgegossen. "Du bist wahrscheinlich der Meister in Selbsteinladungen." Er öffnet die Tür des Altbaublockes. "Sagt der, der sich morgen zum Frühstück eingeladen hat."
Ich kann nur grinsend hinter ihm her gehen. "Dritte Etage." rufe ich ihm hinter her und hole ihn aufgrund meiner langen Beine ein. "Hätte ich sicher auch so gefunden." Magnus streckt mir seine Zunge wie ein bockiges Kind entgegen. Ich lache auf und wäre vor Freude und Sorglosigkeit fast an meiner eigenen Wohnung vorbei gelaufen.
Daraufhin lachte mich Magnus natürlich aus. Es blieb mir nichts anderes übrig als mit einzusteigen. Sein Lachen ist so atemberaubend schön. Es geht mir unter die Haut wie die Nadeln einer Akupunktur. Nur das dieses Gefühl blieb, wie ein Tattoo. Ich trug es mit voller Ehre.
"Gibt es denn etwas was du nicht isst? Oder eine Allergie? Unverträglichkeiten?" Magnus schließt meine Wohnung auf und in diesem Moment bin ich froh, das ich so ordentlich bin. Er scheint sich sofort interessiert umzuschauen. "Ich esse kein Fleisch und kein Fisch. Ich hoffe das ist ok?" Ich stockte kurz mitten in der Bewegung. Ich verwechselte bestimmt etwas gerade. Anders war es gar nicht möglich.
"Nein das ist überhaupt kein Problem. Hast du jemals Fisch oder Fleisch gegessen?" frage ich dann interessiert, während ich in die Küche abbiege, die in einem schönen marineblau gehalten ist. Ich lasse ihn durch meine Wohnung streifen. Es gibt nichts, was ich verstecken müsste. Außerdem wusste ich so langsam das er eine gewisse Neugier in sich heckte.
"Ich habe es nur einmal als Kind probiert und sofort war mir klar, das ich es nicht mag. Auch wenn in meinem Herkunftsland gerne Fleisch zum Mittag gegessen wird. Aber irgendwie mochte ich es nicht. Dafür liebe ich Reis über alles." antwortete er mir als er ebenfalls die Küche betrat. "Schöne Wohnung. Es hat etwas ganz gemütliches." Dankend nicke ich ihm zu. "Und wo kommst du genau her?"
Triumphierend halte ich zwei Tüten Reis hoch. Dazu könnte es ja eine Gemüsepfanne geben. Ich stelle die Zutaten sowie die Utensilien heraus. "Indonesien. Meine Mum ist mit mir hier her gekommen, da war ich neun." Während Magnus spricht, schnippelt er das Gemüse. Ich höre ihm gebannt zu und kümmere mich gleichzeitig um den Reis und den Tisch. "Mein Dad ist in Indonesien geblieben."
Seine Stimme wird immer ruhiger, konzentriert darauf, die Tränen nicht heraus zu lassen. "Er ist freiwillig dort geblieben. Schon in Indonesien, hatten wir keinen wirklichen Kontakt. Er kam nur dann wenn er Lust hatte. Ich konnte zu ihm nie eine Bindung aufbauen.... auch wenn ich es versucht habe. Aber er war der Mann, der die Schuld, für die Tränen meiner Mum trug. Nur manchmal kommt er uns besuchen und dann ist er irgendwie auch nur das. Ein Besuch, ein Gast, etwas was nur Arbeit macht und Kraft kostet. Ich sehe ihn nicht als Vater. Seine Entscheidung hat damals zwei Leben verändert..." Es ist wieder so ein Moment, wo man sich in Erinnerung rufen muss, das jeder noch so fröhlicher Mensch, Sachen erlebt hat, die alles andere als aufbauend sind. Es machte das Lächeln dieser Person umso wertvoller.
„Und trotzdem hofft man das er eines Tages vor einem steht und einen in dem Arm nimmt." vervollständige ich seinen Satz. Ich legte meine Hand auf seine Schulter. Magnus sah auf und ich konnte ihn nur anlächeln. Er legte seine Hand auf meine. Es spurte meine Mundwinkel an, sich nur noch mehr zu heben.
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