Kapitel 92.
Alle Götter benötigen eigentlich eine Therapie, nur juckt es keinen
Sie holte aus. Ihre Faust krachte gegen meinen Kiefer und bunte Sternchen tanzten besoffen Discofox vor meinem inneren Auge. Ich blinzelte.
,,Ari!" Enyo schrie, mein Schädel pochte. ,,Du dämlicher Pfosten! Zerkratzt meine Rüstung nicht!"
Halb ächzend halb schnaubend zeigte ich ihr einen Vogel. ,,Tut mir leid, schreib es auf die Liste mit der Überschrift "Ist mir scheiß egal!""
Sie zeigte mir als Geschenk den Mittelfinger.
,,Und jetzt lass das Halbblut und die Idioten in Ruhe. Glaub nicht, ich wüsste nicht, was du machst. Ich kenne deine Methoden."
Der Wind wirbelte weiße flöckchen vom Boden auf und bließ sie in unsere Richtung. Dick lag der Nebel wie ein Mantel um uns herum.
Mit einem tiefen Atemzug holte ich Luft, atmete ein, damit sich meine Lungen mit Sauerstoff füllten, bevor ich die angestaute Lust wieder in die kalte Luft entließ und kleine Atemwölkchen vor meinem Gesicht aufstiegen, die dem Nebel um uns herum Konkurrenz machen konnte.
Enyo legte den Kopf schief und streckte mir Kleinkindmäßig die Zunge raus. ,,Wer sagt, dass ich überhaupt was mache? Vielleicht bringen die sich einfach gegenseitig um, weil sie zu – wie sag ich es am besten? Ach, ja – dumm, sind?" Ihr Lächeln war scharf wie Rasierklingen und spitz wie Stahlnägel.
Mit einem deutlich ernsteren Lächeln kickte ich Schnee in ihre Richtung. Die weißen klumpen blieben an ihrer Hose hängen.
,,Und ich verkleidet mich regelmäßig als Santa und breche in Häuser ein."
,,Tatsächlich?"
,,Nein."
Kann doch jetzt nicht ihr Ernst sein. Als wenn ich das machen würde. Wie seh ich denn bitte aus, das ich das machen würde: wie ein Vollidiot etwa?
Meine Schwester schnaubte, ehe sie etwas vor sich hin murmelte, das sich stark nach 'Boreas könnte es dann bestimmt sein', anhörte.
(Nur zur Info, ich glaube nicht, dass Boreas freiwillig einen auf Weihnachtsmann macht. Eher erweitert er seine Eisstatuen. Warum haben eigentlich alle so ein Hobby? Boreas und Medusa besitzen beide einen "Garten" voller Statuen, die einmal lebende Wesen waren – meistens Menschen oder Halbblute. Ein wenig Gruselig.)
,,Spiel keine Spielchen mit mir." Warnend sah ich sie an – aber wann hat es sie denn je gejuckt?
,,Sonst was? Rennst du zu Daddy Zeus? Wir beide wissen, dass er mir eher glauben würde als dir.", erwiderte meine Schwester Schulterzuckend, bevor sie erneut den Kopf schief legte um mich überheblich an zu lächeln.
,,Nicht, wenn ich genug Zeugen habe.", korrigierte ich, was ihr Lächeln nur breiter werden ließ. Sie deutete mit dem Finger auf mich und ließ ihn Kreise ziehen, bis sie stoppte und stattdessen auf den Boden deutete.
,,Nicht wenn sie alle tot sind, Pfosten." Nachdenklich legte sie den Finger ans Kinn. ,,Unter der Erde werden ihre verrottenden, fetten Körper wohl kaum etwas gegen mich sagen können. Also fällt diese Möglichkeit weg. Desweiteren, um den Standards getreu zu bleiben, wird keine andere Gottheit etwas sagen, weil ihnen auch die Beweise fehlen, was widerumbedeutet, dass Vater sie bei einer "Falschen" Aussage bestrafen würde. Womöglich springt dabei dann auch ein Kurzurlaub bei Apollo –diesem dämlichen Gaskopf – raus.", kam es heiter von ihr, die Augen heimtückisch leuchtend wie grüne Gasflammen.
Nie im Leben ist ihr das alles allein eingefallen. Die hatte doch bestimmt Hilfe.
,,Enyo-"
,,Halts Maul!", schrie sie plötzlich und wedelte mit dem Schwert in ihrer Hand herum, als würde sie Moskitos vertreiben wollen.
Wütend malmte sie mit dem Kiefer, ihre Wangen vor Zorn gerötet.
,,Wie kannst du nur diese kleinen, unnützen Bastarde über deine eigene Familie stellen! Ich bin deine Schwester! Dein Zwilling! Wir sollten zusammen halten! Aber nein, stattdessen musst du alles nur komplizierter machen! Es ist deine Schuld, das wir jetzt hier stehen! Du hättest nur zurück gehen müssen, aber du konntest nicht aufhören fragen zu stellen! Also musste ich was machen, ansonsten hättest du noch alles ruiniert! Glaubst du, ich wollte dich erstechen? (Vielleicht ein wenig, dass tut jetzt aber nichts zur Sache!) Wichtiger ist, das wir das immernoch gemeinsam beenden können. Wenn die Valar diese Handlung als Akt des Krieges sehen und Vater nicht mehr auf dem scheiß Thron sitzt, werden die anderen sehen, dass wir doch zu was gut sind! Dann wird dafür gesorgt das Hera aufhört, so zutun, als wären wir eine Familie – wir bekommen endlich den Respekt, den wir verdient haben! Kein schlechtes gerede mehr hinter unserem Rücken. Nicht einmal Hera wird sich das mehr trauen. Denn ich weiß wie sie über mich redet! Sie tut so, als wäre ich Verrückt! Ich bin nicht verrückt! Ich bin nicht verrückt! Ich. Bin. Nicht. Verrückt! Wir können-!"
Je mehr sie redete, desto mehr geriet sie in rage. Sie wurde immer wieder lauter, dann leiser, dann wieder lauter und dann wieder leise, ehe sie beinah wieder schrie.
,,Yo!", fuhr ich ihr laut über den Mund. Unter meinen Füßen knirschte der Schnee, als ich mein Gewicht verlagerte. ,,Es reicht!" Ich starrte sie kopfschüttelnd an.
,,Du hast keine Ahnung, was du damit auslösen würdest! Zeus stürzen? Bist du wahnsinnig!"
,,Da bin ich mir selbst manchmal unsicher.", raunte meine Zwillingsschwester leise vor sich hin, den Blick langsam senkend. Etwas hatte sich in ihrer Stimme geändert, war plötzlich unsicher geworden, weicher, weshalb meine harte Miene ein wenig einfühlsamer wurde.
,,Ich weiß, das diese... Stimmungsschwankungen nicht deine Schuld sind. Aber du musst das beenden. Lass die Zwerge in Ruhe. Es ist nur eine Sache zwischen uns Göttern."
,,Das kann ich nicht. Ich-ich-" Tränen stiegen ihr in die Augen. ,,Ich bin Zerstörung! Ich will das alles brennt! Und das wird es auch! Womöglich ist es eine Sache zwischen uns, aber-aber es muss- Ich meine- Du- Von- Also- Ich-" Ein verzweifelter, zorniger laut entkam ihren Lippen, bevor sie ihre freie Hand in ihren geflochtenenzopf Krallte. Die Hand mit dem Schwert hing locker an ihrer Seite herab.
Vorsichtig trat ich einen Schritt näher, als wäre sie ein scheues Tier, welches jeden Moment zum Angriff über gehen könnte – was durchaus möglich bei ihr war.
Na schön Ares, jetzt musst du einmal in deinem Leben wirklich richtig einfühlsam sein. Ja. Ich schaff das. Ich bekomm' das schon hin. Ganz sicher...
Wird schon schief gehen.
Zögerlich räusperte ich mich, dabei verlagerte ich unruhig mein Gewicht wieder zurück auf das andere Bein.
,,Yo, ich weiß, ich bin kein sehr guter Bruder und nicht wirklich einfühlsam. Aber ich werde mein Wort halten. Wenn du zurück nach Hause gehst, dann werde ich mich dafür einsetzen, das weder du, noch Gizem, das komplette Ausmaß der Konsequenzen tragen werdet."
,,Nein." Enyo kniff die Augen fest zusammen, während sie ihren Kopf wild schüttelte, so dass ihr Zopf umher wippte. ,,Nein. Nein. Nein!", brachte sie mit brüchiger Stimme heraus. ,,Nein!"
Ich unterdrückte ein seufzen, während ich das stärker werdende brodeln meines Ichors ignorierte. Trotzdem schnürte sich mir die Kehle zu, wie als würde mich jemand gnadenlos strangulieren, während es in meiner Brust schmerzhaft zu stechen begann.
Schuld und das Gefühl versagt zu haben zog durch meine Nervensträngen.
,,Du hast zwei Halbblute getötet, Yo. Die Strafe wird schwer sein."
Da wär mir doch glatt ein "zurecht" rausgerutscht.
Die Schuld wog plötzlich noch schwerer auf meiner Seele. Ich verdrängte es in die hinterste Ecke meines Bewusstseins.
,,Jackson wird dich in den Tartarus befördern wollen. Und ich könnte das selbe Verlangen. Aber ich bin gewillt davon ab zu sehen, weil du meine Schwester bist und ich mehr auf dich hätte aufpassen müssen, da ich ja weiß, dass du meistens nichts dafür kannst."
War das einfühlsam? Oder eher; einfühlsam genug? Bin mir nicht sicher...
So gut bin ich echt nicht darin.
Geduldig sah ich sie an, wartete, bis sie sich endlich sammelte, merkte wie sich ihre Haltung langsam wieder versteifte und die Augen öffnete. Feuriger Zorn schlug wie zündelnde Flammen-Zungen hinauf zu ihren dunklen Winpern.
,,Was soll das heißen?!", fauchte die dunkelhaarige Kriegsgöttin mich ungehalten an.
Hä?
,,Dein Vertrauen in mich ist wirklich- Ich weiß nicht einmal wie ich es bezeichnen soll! Aber es kotzt mich an! Alles kotzt mich an!"
,,Hör-"
,,Nein!", blaffte sie. ,,Nein! Neinneinnein! Du hast überhaupt kein Vertrauen! Nicht in mich!"
Warum hab ich das Gefühl ich rede mit einem Schwerhörigen Baum der lieber Eichhörnchen beobachtet?
,,Lieber hörst du auf diese lügenden kleinen Scheißer!"
Jetzt geht das wieder los.
,,Diese-diese dreckigen Zwerge!"
Ahhch, vielleicht sollte meine Schwester Mal den Therapeuten von Zeus und Mutter besuchen. Oder einen Psychologen, wobei wohl nicht nur sie einen brauchen würde. Gibt genug Unsterbliche die einen Knacks weg haben. Diese Lyssa ist auch so eine Nummer der ich eine Therapie empfehlen würde.
,,Die beiden Halbblute waren Kollateralschäden!"
Jetzt war es an mir das Gesicht vor Zorn zu verziehen. Unweigerlich straffte ich die Schultern.
Genau. Das eine war ja nicht eines meiner Demigott-Kinder – ihr Neffe –, ne? Überhaupt nicht. Nein. Und die Verletzungen hat sich der Rest meiner Kinder beim auf dem Boden wälzen hinzugezogen, als sie sich mit einem imaginären Jack the Ripper kurz nach dem Cricket spielen mit ihm, geprügelt haben. Klar.
Ich zwang mir eine Maske auf und änderte meinen Gesichtsausdruck.
Doch mein skeptischer Blick schien sie nur noch wütender zu machen.
,,Schön! Dann glaub mir nicht! Vertrau doch auf diesen schrulligen Alten, die Arschlöcher von Gartenzwergen, die Blonde Barbie und den Sterblichen! Töten werde ich sie dennoch!" Sie schwang mit einer ruckartigen, unkontrollierten Bewegung ihr Schwert.
Meine Gesichtszüge verhärteten sich und ich hob Minuial um den hieb nach meinem Kopf abzufangen.
,,Ich sehe, dass du nichts von Zauberern wie Gandalf weißt, kleine Schwester.", entkam es mir kühl, ehe ich etwas tat, was mich selbst überraschte. Ich zitierte Therence la Barbie, Queen vom Düsterwald. ,,Sie sind wie ein Wintergewitter, das auf einem rasenden Wind heranrollt, um dann donnernd schlechte Kunde zu bringen."
So tief bin ich schon gesunken, dabei bin ich doch so unglaublich toll.
Wie als Bestätigung pfiff eine Böe mit voller Wucht an uns vorbei. Sie riss an unseren Haaren und zerrte an der Kleidung, fraß sich durch die Rüstungen. Eine Gänsehaut legte sich über meine Arme.
,,Hä?", kam es wenig schlau von ihr, weshalb ich ein seufzen unterdrückte, dennoch weiter sprach.
,,Bis auf ihn und die Ober-Barbie mögen sie alle so sterblich wie eine Eintagsfliege auf Kocks sein. Ich kann dir jedoch versichern, das es keinen von den lebensmüden Idioten an Mut fehlt. Von dem haben sie viel zu viel."
Schnaubend stieß sie ein gehässiges lachen aus. Ihr Schwert scharbte über meines. ,,Und du denkst, sie können es mit mir, einer Göttin; der zerstörerin von Dörfern und Königreichen, aufnehmen? Ein dummer Traum!" Schallend lachte sie weiter, so Zynisch, als Schnitt eine Klinge Stein in zwei Hälften.
Daraufhin schob ich schnaubend ein: ,,Ich hab dich gewarnt. Dann musst du die Konsequenzen auch tragen.", in ihre Richtung, weshalb Enyo daraufhin aufhörte zu lachen.
,,Ich denke, du verweichlichter Gott mit Blödmann-Komplexen, du hast genug Warnungen – die mir am Styx vorbei gehen – ausgespuckt.", erklärte meine Zwillingsschwester schließlich lässig mit der Bronzefarbenen Schwertspitze auf mich deutend.
Oh, mir würden noch mehr einfallen, glaubt mir.
Ein fast lautloses, angenervtes Seufzen entwich mir. Gut, Plan A ist Kacke, also doch B. Jetzt nicht meine erste Wahl... Aber es bleibt mir wohl nichts anderes mehr übrig.
,,Εγώ είμαι ο πόλεμος, Enyo, η αρχή του τέλους. Χωρίς εμένα δεν υπάρχουν εξεγέρσεις, ούτε επιθυμία για αλλαγή. Χωρίς εμένα, κανένα βασίλειο δεν ανεβαίνει και δεν πέφτει. Χωρίς εμένα, δεν θα μετατραπούν σε στάχτες, ώστε να μπορέσουν να αναγεννηθούν από τα ίδια."
(Ich bin der Krieg, Ἐνυώ*, der Anfang vom Ende. Ohne mich gibt es keine Rebellion, keinen Wunsch nach Veränderung. Ohne mich erhebt sich kein Reich und fällt kein Reich. Ohne mich werden sie sich nicht in Asche verwandeln, damit sie aus derselben wiedergeboren werden können.)
Ich sah ihr fest in die Augen.
,,Εγώ είμαι ο πόλεμος. Και ως αυτός ο θεός, μερικές φορές πρέπει να κάνεις θυσίες. Συγγνώμη."
(Ich bin der Krieg. Und als dieser Gott muss man manchmal Opfer bringen. Tut mir leid.)
Ihr fragender, zutiefst verwirrter Blick brannte sich in mein Gedächtnis. Der Grund, weshalb ich mir jegliche Emotionen Verbot. Mich vor ihnen verschloss.
Doch da hatte ich schon mit dem Kurzschwert ausgeholt. Sie riss die Augen vor Schock auf.
,,Κάθαρμα!", fauchte Enyo Angriffslustig. Nur kam jede Reaktion zu spät.
Krachend schmetterte ich die rötliche Klinge von Minuial gegen ihren Schwertknauf, riss es ihr mit einer (nur so am Rande erwähnt) beeindruckenden Präzession aus der Hand. Das Schwert wirbelte durch die Luft, bis es unweit neben Ringil in der weißen Masse landete.
Ich schwang die Elbenklinge über meinen Kopf, die Spitze in der nächsten Bewegung Richtung Bodend zischend, um sie dann schräg hoch zu führen.
Der Aufprall war so heftig, das meine Knochen vor Wucht erzitterten. Meine Zähne krachten aufeinander. Fast biss ich mir ausversehen auf die Zunge.
Die grelle Funken flirrten durch die Luft. Glühend. Beißend.
Metall knirschte. Knarrte. Ächzte. Gab nach. Verbog sich.
In meinem Sichtfeld erschien ein Silberstreifen. Bevor die Welt versank im Chaos der nächsten paar, Kaugummi artigen, Sekunden – begleitet mit dem dröhnenden leuten der Glocke aus dem Erebor.
~~~
Ἐνυώ — alt Griechisch für Enyo
→ Rechtsschreibung wird noch kontrolliert
(hatte im Moment einfach nur
keine Zeit dazu es zu machen)
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