Das Leben ohne ihn

Katniss saß im Zug zurück nach Distrikt 12, nachdenklich aus dem Fenster blickend. Ihre Zeit nach den Spielen im Kapitol war relativ ereignislos verlaufen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie ihre Geschichte am Ende zusammengefasst hatten. Sie konnte sich eigentlich an nichts außer ihrer Begegnung mit Finnick erinnern.

Allerdings wusste sie, dass eine Sache noch fehlte. Was auch immer sie am Ende mit den verbliebenen Monstern gemacht hatte, verwirrte und ängstigte sie, und sie wusste, dass es dem Kapitol genauso ging. Sie wollte beinahe, dass Präsident Snow sie einfach damit konfrontierte, sodass sie aufhören konnte sich Sorgen zu machen. Sie hoffte nur, dass ihre Familie in Sicherheit sein würde.

Verloren in ihren Gedanken, war sie sich nicht sicher, ob Minuten oder Stunden vergangen waren bevor der Zug vor dem Gerichtsgebäude in Distrikt 12 hielt.

Haymitch stand auf und drehte sich zu ihr um, ihr intensiv in die Augen blickend. „Katniss, es ist noch nicht vorbei. Irgendwas ist da drin passiert, wodurch Snow dich als Bedrohung betrachtet, aber ich muss und will es nicht wissen. Du musst weiterhin deine Rolle spielen, okay? Um das Drama zwischen dir und Percy zu erhöhen haben sie Gale in eine Art dunkles, attraktives Gegenstück verwandelt. Die Kapitol Mädchen fallen für ihn fast genauso sehr wie für Percy. Ihr müsst die Romanze zwischen euch beiden überspielen, sprich dich mit ihm darüber ab, wie viel ihr von eurer Vergangenheit erzählen wollt. Ihr könnt euch auch Sachen ausdenken, solange ihr euch davor absprecht. Macht es überzeugend genug und sie werden euch alleine lassen, verstanden?"

Katniss nickte müde. „Ja, verstanden. Einfach weiterhin so tun, nicht ich sein, weil ich nicht so liebenswert wie „das Mädchen in Flammen" bin. Ich weiß, Haymitch."

Er seufzte, akzeptiere aber ihre Antwort und öffnete die Zug Tür. Da waren ihre Mutter, Gale und seine Geschwister, und... Prim.

„Prim", war alles, was Katniss herausbrachte und rannte zu ihr hinüber.

„Schhh, Katniss, es ist okay. Du hast überlebt, genauso wie Percy es gesagt hat. Er hätte es gehasst als Sieger zu leben, das weißt du. So ist er halt. Außerdem wollte er, dass du und Gale glücklich seid", sagte Prim.

Katniss wich ein bisschen zurück. „Was?", fragte sie ungläubig, und sah Prim in die Augen. „Worüber redest du?"

„Percy... als wir kamen und ihn besucht haben, bevor ihr losmusstet, hat er versprochen, dass er dich sicher nach Hause bringen würde. Er ist nicht egoistisch oder dumm, und er wusste, dass du und Gale mehr gemeinsame Geschichte hattet... er wollte nicht zwischen euch beide kommen."

Katniss schloss die Augen und atmete tief durch, die Tränen mühsam zurückblinzelt. Sie umarmte Prim erneut bevor sie schnell aufstand und sich in Gales wartende Arme warf. Sie ließ sich beinahe gehen, ließ die Trauer sie beinahe übernehmen, aber sie wusste, dass sie es nicht konnte. Das Kapitol schaute immer noch zu. Sie musste immer noch eine Show weiterspielen, aber das bedeutete nicht, dass sie ihre wahren Emotionen zu ihrer Unterhaltung freilegen würde.

Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, das Gesicht immer noch in Gales Shirt vergraben, trat sie zurück und umarmte ihre Mutter.

„Katniss, ich bin so stolz auf dich", flüsterte sie. „Du hast gewonnen, aber du hast nicht nachgegeben. Du hast dich nicht in einen reuelosen Mörder wie alle anderen Sieger verwandelt. Du bist dir selbst treugeblieben, und das ist es, was der wahre Sieg ist."

„Ich weiß Mom... aber ich habe es nur dank Percy geschafft. Wenn er nicht da gewesen wäre, um sich um die anderen Tribute zu kümmern, hätte ich nicht gewinnen können ohne mich selbst zu verlieren. Er ist derjenige, der gewinnen sollte, nicht ich", murmelte er.

„Percy hat gewonnen. Sein Kampf war ein anderer als deiner, aber er hat ihn eindeutig gewonnen. Denkst du, das Kapitol hätte verhindern können, den finalen Kampf zu zeigen? Das hätte ihr ultimativer Sieg sein sollen. Lang herausgezogen und grausam. So war es all die Jahre davor, Partner die aufeinander losgehen und das Vertrauen und die Moral der Distrikte zerstörten. Aber Percy hat es gedreht. Er ist gestorben während er Tribute aus drei anderen Distrikten beschützt hat; denkst du, dass das unbemerkt geblieben ist? Er hat das Kapitol in ihrem eigenen Spiel geschlagen. Er wollte als er selbst sterben, und er hat dabei die komplette Nation inspiriert", erzählte Mrs. Everdeen ihrer Tochter.

Katniss nickte mit Tränen in den Augen. „Danke", flüsterte sie, bevor sie ein Lächeln auf ihr Gesicht zwang und Gales Geschwister umarmte.

„Ich habe euch vermisst!", rief sie aus und strich durch Rorys Haare.

Vick hatte sich an ihr Bein geklammert. „Ich werde Percy vermissen, aber ich bin froh, dass du zurück bist.", sagte er ihr. „Gale war immer so grummelig während du weg warst. Die einzigen Male als er glücklich war, war als du und Percy die Bösen fertiggemacht habt. Wie das eine Mal mit den Wespen, das war genial!"

Sie lächelte ihn an. „Danke, Vick. Das dachte ich auch." Das brachte ihr einen kleinen Lacher von den zuschauenden Leuten, und wahrscheinlich einen größeren vom Publikum im Kapitol.

Haymitch kam von hinten zu ihr auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter, woraufhin sie sich umdrehte und ihn neugierig ansah.

„Komm schon, Süße, ich zeig dir dein neues Zuhause im Siegerdorf", sagte er, und führte hinüber zu ihrer Familie.

„Vergiss nicht, du musst dir eine Fähigkeit aussuchen, die du präsentieren willst. Sie werden bald nach dir sehen, also denk dir schnell was aus. Singen würde wahrscheinlich funktionieren, die Menge hat es geliebt als du gesungen hast, während Percy sich erholt hat", wies er sie an.

Katniss runzelte die Stirn. Sie nickte, um ihn zu besänftigen, aber sie würde niemals eine ihrer intimsten und persönlichsten Verbindungen zu ihrem Vater nur zur Unterhaltung des Kapitols aufgeben. Sie hatten gerade einen der engsten Freunde getötet, den sie neben Gale je gehabt hatte. Eine Idee formte sich in ihrem Kopf, eine über die sie nicht zu lange nachdenken wollte, da sie sonst zu viel Angst hätte, um sie durchzuziehen. Die potentielle Gefahr war immens, aber sie war entschlossen. Es würde ein Schritt in Richtung einer besseren Welt sein. Gales Geschimpfe in den Wäldern hatte eine Idee in ihr aufkeimen lassen, eine Idee des Lebens ohne die Regierung, aber sie hatte immer gedacht, dass diese Ideen nutzlos und lächerlich wären. In Percy, wie auch immer, hatte sie jemanden gesehen, der die Gesetze komplett ignoriert und sich mit der Hälfte der Tribute in der Arena angefreundet hatte. Wenn alle sich so verhalten könnten wie Percy, ohne Angst... Das war die Zukunft, die es wert war, Risikos einzugehen.

Sie wusste, dass sie ein Ziel war. Percy hatte wahrscheinlich nicht durchdacht, was seine finalen Handlungen dem Kapitol sagen würden, aber sie wusste, dass es als das ultimative „fickt euch" gesehen wurde, als er einfach ignoriert hatte, was eigentlich seine höchste Priorität in den Spielen hätte sein sollen – sein Leben. Plötzlich erinnerte sie sich an ihre Unterhaltung mit Finnick und runzelte die Stirn. Warum hatte sie sich nicht schon davor über die verschwundenen Waffen gewundert?

Haymitch schaute zu ihrem nachdenklichen Gesichtsausdruck zurück und nickte zufrieden. Katniss erkannte, dass er wahrscheinlich dachte, dass sie darüber nachdachte, welches Hobby sie sich aussuchen würde. Sie grinste innerlich und fuhr damit fort, seinen Ratschlag zu ignorieren, sich über Percys unmögliche Handlungen Gedanken zu machen. Sie hatte das Gift, dass sie bei ihm benutzt hatten, nachgeschlagen, und entdeckt, dass es ein Durchbruch in der Biotechnologie war, ein Virus, und es gab keine Gegenmittel. Es hatte eine 99,999% Todesrate; ohne Percy würden es 100% sein.

NEIN. Er war tot, und sie musste sich damit abfinden. Irgendwie konnte sie nicht ganz akzeptieren, dass Percy nicht da sein würde, wenn sie in brauchte.

Sie betrachtete kritisch ihr neues Zuhause. Es war enorm, sehr viel größer als sie und ihre Familie es bräuchten. Sie drehte sich zu Gale um und öffnete den Mund um zu sprechen, aber—

„Nein."

„Was?", fragte Katniss verwirrt.

„Nein, wir werden nicht kommen und mit dir in deinem tollen Siegerhaus wohnen. Ich kann für mich und meine Familie sorgen", sagte Gale eindringlich.

Katniss runzelte die Stirn. „Ich weiß, dass du es kannst, aber mit mir zu kommen ist der beste Weg für dein Familie zu sorgen. Ich habe ein Haus mit laufend Wasser und einem Heizsystem, Eimern voller Geld, bei denen ich keine Ahnung habe, was ich mit ihnen anfangen soll, und du versorgst eine fünfköpfige Familie mit einem einzigen Job. Wenn wir zusammenarbeiten, musst du nicht die ganze Zeit in den Minen arbeiten und wir können jag – Zeit zusammen verbringen", endete sie lahm. Sie hatte jagen gemeint, aber sie konnte es nicht wirklich gut in der Öffentlichkeit sagen. Es war immer noch ziemlich illegal.

Gale schüttelte den Kopf. „Katniss, ich habe darüber nachgedacht. Ich kann mich nicht auf dich und deine Großherzigkeit verlassen; es wäre unfair. Es gibt so viele Sachen, die du mit dem Geld für alle tun könntest, nicht nur unsere Familie."

Sie seufzte. Gale arbeitete jetzt in den Minen, zusammen mit allen anderen in Distrikt 12. Er arbeitete zwölf Stunden Schichten jeden Tag bis auf Sonntag. Katniss biss die Zähne zusammen und nickte. Es war okay, es würde ihren riskanten Plan nur weiter ausbauen.

Effie kam und verabschiedete sich tränenreich, erinnerte sie aufgeregt an die Siegertour und ihre anderen öffentlichen Auftritte. Katniss stöhnte innerlich. Warum musste sie sie ständig daran erinnern, dass ihre Folter noch nicht vorbei war?

„Oh, und Katniss", fügte Effie hinzu. „Das Kapitol hat entschieden schon jetzt mit deinen Fähigkeiten anzufangen. Welchem Hobby willst du für den Rest deines Lebens nachgehen?"

Katniss erstarrte. „Ähm...", sagte sie zögernd. Sie wusste, was sie machen wollte, aber es würde ihre Familie zu einer noch größeren Zielscheibe machen. Nicht dass sie es nicht bereits waren. Sie verwandelte ihr Gesicht in eine emotionslose Maske und sagte: „Jagen."

Für einen Moment war da nur Stille. „Entschuldigung, was?", fragte Effie, eindeutig unter größter Anstrengung ihr Lächeln aufrecht zu erhalten.

„Ich will jagen gehen als mein Hobby."

„Naja, Liebes, niemand kann verneinen, dass du gut schießen kannst, aber... das ist gegen das Gesetz. Alle wissen, dass das Kapitol das nicht erlauben wird", sagte sie, ein hoffnungsvoller Ausdruck auf ihrem Gesicht.

„Ja, naja, das Kapitol erlaubt auch kein essbares Essen in Distrikt 12 und trotzdem, da sind wir", sagte Katniss beiläufig. Sie wagte es nicht, zu Gale und ihrer Mutter hinüberzusehen.

„Denkt doch mal darüber nach, ich glaube nicht, dass sie Training für die Spiele erlauben. Aber wie ist Cato dann so gut mit dem Schwert geworden, was denkt ihr?"

Effie stand sprachlos da, ihr Mund öffnete und schloss sich lautlos für einen Moment, und Katniss nutze diese Möglichkeit um in ihr neues Haus zu verschwinden.

Sobald sie die Tür geschlossen hatte, legte sie sich die Hand auf ihr hämmerndes Herz und rutschte mit Rücken an der Tür hinunter.

„Was habe ich gerade getan?", flüsterte sie sich selbst zu.

* * *

Katniss glitt durch die Bäume wie ein Geist, still ihre nichts ahnende Beute betrachtend. Irgendwas schien das Reh immer wieder zu verscheuchen, aber sie war geduldig. An diesem Tag, war alles was sie wollte einfach nur im Wald zu sein. Normalerweise würde sie frustriert darüber sein, dass ihre Jagd so lange brauchte, aber gerade freute sie sich über alles, dass es weiter verzögerte.

Endlich schien was auch immer das Tier verschreckte, verschwunden zu sein. Sie spannte den Bogen und wartete, hoffend, dass was auch immer es war ihr eine weitere Ausrede gab, um von Distrikt 12 fernzubleiben, aber nach etwa dreißig Sekunden ließ sie los.

Ihr Pfeil schoss lautlos von ihrem Bogen und sauber durch das Auge des armen Rehs. Widerwillig sammelte sie ihre Beute ein und fing an sie zu säubern, nahm sich Zeit, um sie möglichst effizient zu häuten, bevor die das Fleisch in kleinere Stücke schnitt.

Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren, einen Pfeil anlegen und zielen. Sie wurde von einem verängstigten und trotzdem vertrauten Gesicht eines blonden Jungen erwartet.

„Du... DU bist es!!", schrie sie, die Augen geweitet. „Du... du... du bist gestorben! Direkt vor mir! Percy hat mir natürlich erzählte, dass er dich gerettet hat, aber ich wusste nicht ob... Aber du bist tatsächlich hier! Wie... Warum...?"

Der Junge trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. „Das mit Percy tut mir leid...", murmelte er.

Katniss holte tief Luft und hielt die Tränen zurück. „Mir tut es auch leid, aber warum bist du hier?", fragte sie ihn.

Er sah ihr verzweifelt in die Augen. „Weißt du was mit Lavinia passiert ist?", fragte er atemlos.

„Was? Oh, ist das das Mädchen mit dem du unterwegs warst?"

„Ja. Tschuldigung, ich bin ein bisschen durcheinander. Ich heiße Varius. Hast du Lavinia gesehen?", fragte er erneut.

„Ähm, ja. Sie ist jetzt ein Avox, sie hat mich bedient als ich im Tribut-Gebäude im Kapitol war...", sie verstummte, unsicher wie er darauf reagieren würde, dass seine Freundin nun ein stummer Sklave war.

Sein Gesicht hellte sich auf und er sackte erleichtert zusammen. „Sie ist am Leben... Sie ist am Leben... Danke..."

Katniss war sich nicht sicher, wem genau er dankte und sie hatte den Verdacht, dass er es ebenfalls nicht wusste. „Bist du deshalb hier?", fragte sie ihn neugierig.

„Nein. Deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet, aber das ist nicht der Hauptgrund, aus dem ich hergekommen bin. Ich bin hier, um dir die Unterstützung des Distrikt 13 anzubieten, solltest du sie jemals brauchen."

Katniss blinzelte. „Was?", fragte sie schwach. Sie hatte versucht, den Distrikten einen Sinn von Macht einzuflößen, in der Hoffnung, dass sie vielleicht frei werden würden, aber das hier war jenseits ihrer wildesten Vorstellungen gewesen. Wenn Distrikt 13 tatsächlich immer noch dem Kapitol Widerstand leistete, nachdem sie versucht hatten sie auszulöschen, dann hatten alle anderen ebenfalls eine Chance... und einen Verbündeten.

„Wieso bietet ihr es mir an, und wieso jetzt?", fragte Katniss vorsichtig.

„Ich frage dich, weil du gerade eine der umstrittensten Hungerspiele in der kompletten Geschichte gewonnen hast. Ich frage dich jetzt, weil du bald zu deiner Siegertour aufbrechen wirst. Du könntest so einiges an Schaden anrichten, wenn du die anderen Distrikte inspirierst, deinen Anstecker ein bisschen zu Schau stellst. Es ist bereits eine Art Widerstandssymbol geworden. Du und Percy Jackson habt den ersten Schritt des Widerstandes getan, als ihr angefangen habt zusammenzuarbeiten. Er kam in die Arena mit einem passenden Anstecker.

Wir wissen, dass wenn du das tun würdest, du deine Familie und Freunde in große Gefahr bringen würdest. Deshalb bieten wir dir unsere Hilfe an. Wenn das Kapitol versucht, deine Familie oder Freunde anzugreifen, werden wir sie beschützen. Dein Job ist es die Hölle loszulassen, unser Job ist es die Heimatbasis zu schützen", sagte er.

Katniss Kopf drehte sich. Seit wann hatte Percy einen Anstecker der zu ihrem passte? Der Anstecker war ein Symbol des Widerstandes? Was konnte sie überhaupt in den anderen Distrikten tun, das hilfreich wäre?

Sie holte tief Luft und nickte. „Abgemacht. Das Reh sollte genug sein um dich zurück nach Distrikt 13 zu bringen, oder?" Er nickte. „Okay, sag deinen Leuten, dass ich dabei bin. Haymitch denkt nicht, dass ich in irgendwas gut bin, aber die Hölle loslassen... Ich denke, dass könnte ich schaffen."

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