Der Topinamburheld und der Alte

„Verschwinde aus meinem Garten!", fluchte ich und brüllte so laut ich konnte. Wie konnte es dieser Bengel wagen schon wieder in meinen Garten einzudringen? Das war mein Grundstück! Noch immer! Würde es auch noch bleiben bis ich ins Gras biss! Dann konnten meine Söhne machen mit dem Stückchen Land was sie wollten, aber nicht solange ich lebte. So undankbar und respektlos!
Der braunhaarige Junge zuckte zusammen, lächelte dann aber breit und kam auf mich zu. Dieser Lausebengel! Was bildete er sich ein?!„Tut mir ja sehr leid, aber Ihre Klingel funktioniert nicht mehr. Da dachte ich mir, ich gehe eben durchs Gartentor und bringe Ihnen Ihr Paket. Es wurde fälschlicherweise bei uns abgelegt.", sagte er und hielt ein kleines Paket in der Hand.
Misstrauisch schaute ich auf ihn herunter. Ich schaute aus dem Fester des Erdgeschosses, welches trotzdem durch mehrere Stufen vom Grund entfernt war. Warum hatte ich mich damals für eine solche Erhöhung entschieden? Ach ja, wegen Elfriede, meine Geliebte. Meine Liebe Elfriede... Wenn du das nur erleben könntest. Diese Respektlosigkeit der Kinder heutzutage. Und unserer Söhne! Du hättest dich so geschämt...
„Soll ich es Ihnen hochreichen?", fragte der Jungspund und hob das Päckchen in die Luft. Grob konnte ich einen Namen auf dem Karton entziffern. Bestellt hatte ich trotzdem nichts. Ich erwartete kein Paket. Ich ging viel lieber zu Fuß in den Hofladen drei Straßen weiter. Wie konnte er mich an lügen es sei meines. „Ich erwarte kein Paket! Nimm es mit! Ich brauche es nicht und vor allem: verschwinde jetzt aus meinem Garten!"

Es war nur ein paar Tage später als ich den Jungspund wieder in meinen Garten erspähte. Unsanft riss ich das Fenster auf und schaute in das Gestrüpp das sich mein Garten nannte. Einmal war er schön gewesen und gepflegt. Doch nun kümmerte sich keiner mehr um ihn. Selbst wenn ich wöllte, meine Beine und Hände gaben es einfach nicht mehr her stundenlang in ihm zu arbeiten. Der Braunhaarige wurschtelte gerade in einer meiner Hibiskuspflanzen und zerknickte dabei sämtliche Blüten. „Was zum Donnerwetter machst du da?! Und schon wieder in meinem Garten?!", brüllte ich, denn er war am äußersten Ende meines Urwaldes.
„Tut mir leid.", rief er zurück und hielt etwas triumphierend in die Luft. „Ich habe meinen Federball aus versehen hier herein geschleudert." Ein Knurren entwich mir. Bei sowas konnte man wenigstens fragen! Unhöfliche Pack! „Sie haben im übrigen ihre Klingel noch nicht repariert. Deswegen konnte ich auch nicht fragen, ob ich mal kurz hinein dürfe.", erklärte er sich und lächelte leicht beschämt. Ihm schien es wirklich leid zu tun. Pah. In meinen Garten hat niemand sonst Zutritt! Nur ich! „Worauf wartest du!? Geh! Verschwinde!" Und mit einem Nicken war der braunhaarige Bube aus dem Garten verschwunden.

„Guten Morgen Herr Min", flötete mir der Junge zu. Mit geschultertem Rucksack und Handy, diesem neumodischen Ding, in der Hand trat er gerade in dem Moment aus dem Haus, als ich meinen Biomüll in die Tonne werfen wollte. Das hatte mir noch gefehlt. Wenigstens war er diesmal nicht in meinem Garten. „Wie geht es Ihnen?" Einen Moment stockte ich. Wann wurde ich zuletzt gefragt wie es mir geht? Meine Liebe Elfriede musste es wohl gewesen sein. Wie konnte er es wagen eine Frage zu stellen die Elfriede und mich Verband?! „Das geht dich nichts an!"
Wütend stopfte ich meinen Müll in die Tonne. Der Jungspund stand noch immer da. „Tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.", sagte der Bengel und begann in Richtung Bushaltestelle zu laufen.

Ich hatte beschlossen den Bengel Topinambur zu nennen. Nur für mich. Wie ich es damals mit meinem Kameraden Jin gemacht hatte. Immer doofe Namen für alle Verteilen. Ach Gott haben wir damals viele Schläge erhalten. Trotzdem würde ich es immer wieder tun.

Topinambur war wieder in meinem Garten. Es war nicht das erste Mal diese Woche. Eigentlich fand er fast jeden Tag einen Grund in den Garten von mir einzudringen. Fast könnte man meinen er wohne hier. Diesmal hatte er sich einen Apfel gepflückt. Als ob die schon reif sind! Der hat ja keine Ahnung! Diesmal hatte ich ihn nicht zusammen gestaucht. Ich hatte mich daran erinnert wie ich zusammen mit Richard auch Äpfel geklaut hatte. Ach, war das schön. Damals.

„Herr Min, kann ich Ihnen helfen?", fragte mich Topinambur als ich mit zwei Einkaufstaschen die Straße entlang ging. Er hatte seine Schultasche wieder locker über die Schulter geworfen und trug Kleidung für die ich eines auf den Hintern bekommen hätte. So ändern sich die Zeiten wohl. „Nein, danke!", murrte ich und lief stur weiter. Nur weg von diesem Jungspund der scheinbar nicht wusste das man andere Leute nicht belästigte. „Wissen Sie, ich frage mich immer warum Sie so unfreundlich sind. Hannelore meinte eigentlich Sie wirken manchmal etwas grimmig, aber ansonsten sehr feinfühlig. Ich möchte mich auch nicht einmischen. Mich interessiert es nur, warum Sie so eine Abneigung gegen mich haben."
Hannelore... Soso, die alte Schnepfe. Das wohl unfreundlichste Gemüt mochte Topinambur. Welch ein Wunder. Mit ihr hatte ich ewig nicht geredet. Hatte ich nach Elfrides Tot auch keinen Grund dazu mehr. „Ist es nicht genug, dass du einfach so in meinen Garten stolperst, mir Äpfel klaust und meine Hibiskusbüsche verunstaltest?", erwiderte ich und blickte ihn ernst an. Wir waren stehen geblieben. Auf offener Straße. Ich mit den schweren Taschen in der Hand, er mit seinem halbhängenden Schulranzen. „Ich sagte doch es tut mir leid. Ich bin ungeschickt im Garten und der Apfel... Ich... " Er wurde rot. Er schämte sich. Gut so. „Wissen Sie. Ich möchte Ihnen gerne näher kommen und Sie mehr kennen lernen. Deswegen war ich auch so oft im Garten. Er sieht nicht schön aus, aber ich möchte ihn gerne wieder schön machen. Für Sie. Sie haben einen schönen Garten verdient." Von was zum Geier redete der Bengel da. „Ich brauche keine Hilfe.", murre ich, packe die nun noch schwerer gewordenen Taschen und gehe.

Fragt mich nicht wie es dazu kommen konnte. Topinambur saß nun in meinem Garten über und über mit Erde bedeckt, jätete Unkraut und erntete jede Topinambur die er nur finden konnte. „Das sind ja eklige Dinger! Warum pflanzt man die?", fluchte er, machte aber unter meinem wachsamen Auge brav weiter. Diese Frage stellte ich mir heute auch. Seit dem ich zu viel Papierkram zu erledigen hatte, hatte die keine mehr ernten können. Sie wucherten fröhlich vor sich hin. „Zum Essen.", antwortete ich also. Elfriede hatte Topinambur gemocht. Sie mochte wahrscheinlich auch Topinambur, der gerade die Knollen aus der Erde buddelte. Seit mehreren Tagen arbeitete er nach der Schule schon bei mir im Garten. Nach einer Woche betteln und Kuchen bringen hatte er es geschafft das ich zusagte unter der Bedingung er befolgt alles so haargenau wie ich es sagte. So ungeschickt er sich anfangs auch anstellte und mich in den Wahnsinn damit trieb, desto mehr sah man seine Verbesserung. Mittlerweile kam er ganz gut klar. „Sagen Sie Herr Min.", begann er und ich wusste schon was folgte. Topinambur unterhielt sich gerne mit mir. Warum auch immer tat er das gerne. Er hatte es mir sogar bestätigt, als ich ihn danach fragte. Auf der einen Seite konnte ich ihn für sein dahergelaufenes unaufhaltsam Gerede nicht leiden, auf der anderen war er wohl der Einzige der überhaupt mit mir noch sprach. War ich wohl auch selbst dran schuld. Selbst den netten Familienvater der mich mit seinen Kindern immer so genervt hatte, hatte ich vergrault. „Lasst ihn lieber in Ruhe.", meinte er einmal nur zu seinen Kindern und zog sie schnell weiter.
„Yoongi.", meinte ich und wusste selbst nicht mal woher er die Ehre erhalten hatte mich beim Vornamen zu nennen.
Er starrte mich verblüfft an. Seine Augen für einen Moment groß, bevor sie sich zu einem breites Lächeln zusammen kniffen. „Dankeschön.", hauchte er leise und arbeitete still weiter. Was auch immer er mich fragen wollte er hatte es wohl vergessen.

„Warum denkst du, ich habe einen schönen Garten verdient?" Über diese Frage hatte ich schon die letzten Tage immer wieder Nachgedacht. Wie konnte ich Griesgram, genervt von allem einen schönen Garten verdient haben? Ja, natürlich wusste ich, dass ich kein freundliches Gemüt war. Mein Charakter war eben so. Entweder man kam damit klar oder nicht. Der Jungspund schien einer zu sein der damit mehr als nur klarkam. „Sie sind ein Held.", lächelte er. „Zumindest für mich." Er legte die Heckenschere beiseite und trat auf mich zu. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und er schmierte sich Erde in dieses als er seine Haare aus dem Gesicht wischte. Sein Ausdruck war ernst. „Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, aber Sie haben mal eine junge Frau davon abgehalten zu springen.", erzählte er, jedoch dämmerte mir nicht was er meinte. „Naja, eigentlich haben Sie ihr nur einen Regenschirm gegeben und Geld für eine Nacht im Hostel. Aber das hat ihre Gedanken davon abgehalten springen zu wollen. Sie hat dadurch Hoffnung geschöpft." Er erzählte das mit einem sanften Lächeln. Die Liebe zu seiner Mutter war ihm anzusehen und tatsächlich konnte ich mich erinnern vor mehr als sechzehn Jahren einer weinenden Frau in einer mehr als verregneten Nacht einen Schirm gegeben zu haben. Nachdem ich sie fragte was sie hier mache und nicht nach Hause ging, hatte sie mir weinend gestanden sie hätte keinen Ort. Ich hatte ihr meinen Namen und meine Adresse gegeben, falls sie nochmal Hilfe bräuchte, jedoch dann nie wieder von ihr gehört. Nur ein Brief mit dem Betrag des Hostels war angekommen. Es war erstaunlich. Jungkook vor mir schien mir sehr dankbar dafür zu sein, dabei hatte er damit doch gar nichts zu tun. „Sie war damals schwanger.", fuhr er fort. „Hätten Sie ihr nicht die Hoffnung an gute Menschen gegeben, hätte sie uns beide in den Tod gerissen. Ich hätte nie diese Welt erblickt. Deswegen sind Sie mein Held."

Gute Taten zogen sich wohl auch wie Topinambur. Wie Topinambur, konnten sie immer wachsen. Und wenn nur ein kleines Stück vorhanden war. Und wenn man dachte, alle Topinambur sei ausgemerzt und zerstört, konsumiert oder ausgerottet, dann begegnete man nur wenig später wieder einer Knolle im Garten. Topinambur also.









Ende

Für Fragen stehe ich gerne hier. Und gerne Kritik abgeben! Ich würde mich über deine Meinung freuen!

Gerry Moon

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