Überlebenskunst
Erneut knurrte mein Magen und ich spürte wie die Kraft, Stück für Stück meinen Gliedmaßen entwich. Feucht vom Regen und völlig erschöpft, schleppte ich mich durch die Menschenmenge zu dem Mülleimer, der mir bis jetzt mein Überleben gesichert hatte. Ausnahmsweise hatte ich mal Glück im Unglück, dieses versteckte Restaurant, mit den immer üppig entsorgten speiseresten entdeckt zu haben. Mittlerweile störte ich mich nicht mehr daran, aus Tonnen zu fressen. Meine Würde hatte ich ohnehin schon längst verloren. Weshalb also sollte ich mich noch schämen, aus Mülltonnen zu leben.
Andere hätten ihrem Dasein warscheinlich schon viel eher ein Ende gesetzt, doch ich wollte leben.
Für alles gab es eine Lösung. Warum nicht auch für den Fluch der auf mir lag?
Irgendeine Alte Frau sprach ihn mir aus, als ich sie hab links liegen lassen wo sie gestürzt war und ich ihr nicht geholfen hatte. Damals hatte ich sie deswegen belächelt. Heute weiss ich, dass diese Alte, mächtig gruselig und gefährlich war. Warscheinlich hatte ich es auch nicht anders verdient. Rückblickend war ich wirklich ein widerliches Stück scheiße.
Jede Gelegenheit nahm ich wahr, jemanden zu schikanieren oder bloß zu stellen. Nächstenliebe war ein Fremdwort für mich, genau wie Rücksichtnahme oder Hilfsbereitschaft. Letzteres hatte mich auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht, indem ich zum Tier gemacht wurde, welches mich eines besseren lehren sollte.
Am folgenden Tag, als das Mütterchen mir irgendwas von "du trägst keine Liebe und keine Freundlichkeit im Herzen" an den Kopf warf, musste ich feststellen das ihr Geschwafel von "ich verfluche dich bis zu dem Tag, an dem dein Herz danach verlangt" Früchte getragen hatte.
Nun waren schon einige Wochen vergangenen und ich hatte keine Ahnung was sie damit meinte, wie dieser Fluch zu lösen wäre.
"Nanu?"
Ich erschrak bis ins Mark und fiel gleich mit dem Kopf im Eimer um. Noch nie hatte mich hier jemand erwischt. Nun müsste ich mir eine andere Futterstelle suchen.
"Was bist du denn für ein süßer?"
SÜßER?
Sofort drehte ich mich zu der Person um, die mit mir sprach und ging in abwehhaltung. Zu oft hatte ich es erlebt, wie schlimm Menschen zu Tieren sein konnten. Ich war zwar auch nie einer von den guten, aber an Tiere hatte ich mich nie vergriffen.
Eine junge Frau hockte sich mir gegenüber und lächelte mich an. Auf diese gespielte Freundlichkeit konnte ich auch verzichten. Mit gefletschten Zähnen knurrte ich sie böse an.
"Hey Hey... ganz ruhig. Ich tue dir nichts."
Natürlich nicht. Genau wie all die anderen auch. Laut und gefährlich bellte ich sie an, während ich einige Schritte auf sie zu ging.
Sie schreckte aus der hocke hoch und bewegte sich zurück.
"NEIN... hör zu... ich lasse dich auch in ruhe weiter fressen. Alles cool. Ich wollte nur nett sein und helfen."
Unaufhörlich stellte ich mich ihr abwertend entgegen. Ich wollte nur meine Ruhe und mich satt fressen, bevor die Verwandlung einsetzen würde.
"Ist gut... ist gut... lässt du mich wenigstens gehen?"
Langsam fing ihre Stimme an zu Beben. Anscheinend hatte mein Auftreten seine Wirkung nicht verfehlt. Nur musste ich feststellen, dass diese Frau in die falsche Richtung gehen wollte. Dort war nicht der Weg zur belebten Straße, sondern der zu meinem Unterschlupf, in einer überdachten und versteckten Hausecke.
Ich musste sie davon abhalten in die diese Richtung zu verschwinden. Lange würde es auch nicht mehr dauern bis ich mich verwandeln würde und auf Zuschauer hatte ich nun wirklich keinen Nerv. Niemals dürfte jemand von meiner seltsamen Existenz erfahren. Das würde nur unnütze Probleme mit sich ziehen.
Augenblicklich stellte ich mich ihr aggressiv in den Weg.
"Och ne, komm schon. Ich muss in DIESE Richtung. Da wohne ich... verdammt. Was ist dein Problem?"
Da wohnte sie? Diesen Weg hoch, lag nur ein kleines Mehrfamilienhaus, wo ich mich auch versteckte. Wenn sie dort wohnte, warum hatte ich sie hier noch nie zuvor gesehen?
Ich glaubte ihr kein Wort, doch meine Zeit drängte, weshalb ich sie an mir vorbei ließ.
"Oookeeey... gut. Danke dir. Ich werde dich auch nie wieder ansprechen. Versprochenen."
Und schon rannte sie in einem Affenzahn an mir vorbei.
Als ich ihr noch provozierend hinterher bellte, staunte ich doch nicht schlecht. Offensichtlich hatte sie wirklich Schlüssel zu diesem Haus, denn sie war binnen Bruchteil von Sekunden in diesem verschwunden.
Ich wandte mich erneut dem Restmüll zu, denn einen Happen konnte ich noch riskieren, bevor ich meine wahre Gestalt annehmen würde.
Fürs erste, ging ich dann satt und zufrieden zu meiner provisorischen Unterkunft und wartete auf den Mond, der jeden Moment über den Dächern der Stadt aufgehen müsste.
Denn dieser, war mein Zeichen zur Verwandlung.
Am Tag, wenn die Sonne den Himmel berührt, wurde ich zum Hund. Bei Nacht, wenn das Silberlicht das schwarz erhellte, nahm ich meine nackte Menschen Gestalt an, was mehr als lästig war. Auch wenn ich es versuchte mich immer bei meinen Klamotten zu verwandeln, so gelang es mir nicht jedesmal. Manchmal musste ich mir mit einer Mülltüte aushelfen oder einem alten Autoreifen oder so, nur um mich irgendwie zu bedecken.
Das Leben als verfluchter war wirklich nicht leicht.
Langsam wurde es leicht hell über mir und der erste strahl des Mondlichtes, berührte meine Hinterläufer. Augenblicklich spürte ich wie meine Pfoten sich veränderten, das Fell mit und mit ab fiel, meine Ohren kleiner wurden, der Schwanz sich zum Steiß zurückzog und das Gesicht sich zu dem eines Menschens formte. Diese Prozedur war nicht schmerzhaft. Allerdings war sie auch nicht gerade angenehm.
Wieder lag ich da, in der versteckten Ecke des Hauses, wo diese Frau zu wohnen schien, deckte mich mit einem alten Umhang zu und versuchte so schnell wie möglich einzuschlafen. Hoffentlich würde sie mich nicht bemerken. Auf Erklärungen war ich nämlich wirklich nicht scharf.
Am nächsten Morgen wurde ich überraschend geweckt. Ein wunderschönes Gefühl an meinen Rücken ließ meinen Schweif wie von selbst wedeln und mein Kreuz durch Strecken. Am ganzen Körper machte sich eine Gänsehaut breit was mich zufrieden hecheln ließ.
"Du bist ja doch nicht so böse was?"
Sofort schlug ich meine Augen auf und sah perplex hinter mich.
Es war diese Frau. Gleich zeigte ich ihr meine Zähne und fing an zu brummen. Sie hatte mich angefasst? Mich berührt? MICH GESTREICHELT?
Wenn sie wüsste was ich war, hätte sie das sicher nicht getan.
Doch jetzt hatte ich ein Problem. Einerseits wollte ich das sie geht, andererseits sollte sie weiter machen. Nun wusste ich warum sich Hunde so gerne streicheln ließen. Schließlich war ich jetzt selbst einer.
"Na siehst du. Hast du dich beruhigt?"
Auch wenn ich mich gerade zu Grund und Boden schämte, ließ ich sie mich weiter kraulen. Das war einfach zu herrlich. Sie schien ja doch recht nett zu sein. Ob ich wohl bei ihr bleiben könnte? Dann würde sie mich jeden Tag so schön streicheln. Das war gerade das bezaubernste Gefühl, seit ich ein Hund war... nein... seit ich denken kann. Noch nie wurde ich so verwöhnt.
"Och das gefällt dir aber. Du kannst ja richtig niedlich sein."
Was zum Geier tat ich da? Von ganz allein und ohne es zu merken, lag ich vor ihr auf dem Rücken und präsentierte ihr meinen blanken Bauch, welchen sie ebenfalls wild kraulte.
Ich hätte heulen können. Warum war das nur so verdammt schön.
"Du bist so ein süßer kleiner Schatz."
Wie gesagt, ich könnte heulen. Die ganze Zeit.
"Hey, sieh mal was ich dir mitgebracht habe."
Schräg schaute ich sie mit gespitzten Ohren an, worauf sie kurz aufquietschte wie putzig ich doch sei.
Man, wie dieses Hundeleben nervte.
Dann stellte sie mir eine kleine Schüssel Wasser und eine Schale mit Hundefutter auf den Boden.
Oh Gott... das durfte doch nicht wahr sein. Mein Köterkörper flippt gerade völlig aus. Ich sprang auf und hüpfte vor Freude hin und her. Und dann noch dieser Drang... dieser dran sie abschlabbern zu wollen. Scheiße, bloß nicht. Irgendwie musste ich mich beruhigen. Nur wie? Dieser verdammte Schwanz machte auch was er wollte. Mein Hintern flog nur so von links nach rechts.
Der Futternapf war nun direkt vor mir und ich vernahm diesen schrecklichen typischen, alte Fleisch Geruch.
Verdammt... ICH WILL NICHT!!!
Doch wieder übernahm der Köter in mir und versenkte seinen Kopf in diesen Napf.
"Das schmeckt dir oder?"
Ich wollte einfach nur sterben, so ekelig war es. Mit dem Verlangen eines Hundes und dem Geschmacksnerv eines Menschen zu leben, war die Hölle.
"So, ich lass dich jetzt in ruhe. Später komme ich wieder, dann bringe ich dir was richtiges zu futtern mit."
Wieder fing mein Körper an zu Beben. Diesmal allerdings zurecht. Was richtiges zu futtern?
"Wuff" - STEAK
"Wuff" - SCHNITZEL
"Wuff" - FILET
"Wuff" - LEBER
"Wuff" - BRATEN
"Wuff" - RIPPCHEN
"Wuff" - Irgendwas
Sie lachte, doch ich meinte es todernst.
"Dann bis später mein kleiner."
Verdammt. Wie konnte ich nur zulassen sowas wie ein Frauchen zu bekommen? Auch wenn sie wirklich hübsch war mit ihren Rosa Haaren und den Smaragdgrünen Augen. Ich war nicht NUR ein Hund. Niemals könnte ich bei ihr bleiben. Das musste ich auf jeden Fall verhindern.
FORTSETZUNG FOLGT...
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