Teil 7 _ Die jungen Soldaten

JOHN

"Wegtreten!", befahl Leutnant Travis Blackstone und wandte sich ab. Die Gruppe bewegte sich mit rhythmischen schnellen Schritten vom Platz in Richtung Umkleide.

Dort angekommen begannen die Soldaten, sich zügig umzuziehen. Das Training mit Travis Blackstone war immer schlimm, fand John. Es war gewalttätig, hart und brutal. Es wurde so oft zugeschlagen, bis der Gegner Blut spuckte. Wer sich weigerte, sei verweichlicht, behauptete Travis. Wer aufgab, war zu weich für diese Welt. John war froh, dass er heute nicht in den Ring steigen musste. Letztes Mal war jemand den inneren Blutungen erlegen und oft genug war der Verlierer tage- oder wochenlang krankgeschrieben.

Auch John warf die Uniform ab und schlüpfte in die viel bequemere Alltagskleidung. Die Uniform nahm er mit auf sein Zimmer und hing sie dort in den Schrank. Das Zimmer war lieblos eingerichtet; es gab zwei Stockbetten, die sich gegenüberstanden, zwei Schränke und ein relativ kleines Fenster. Die Wände waren weiß gefärbt und die Lampe bestrahlte die Wände mit grellem, weißem Licht. Er würde sich hier niemals wirklich wohlfühlen.

"Heute Abend werden das erste Mal einige junge Soldaten auf eine Mission mitgenommen", erklang eine Stimme hinter ihm. John fuhr herum und sah dem blonden Mann in die hellgrünen Augen, der in einem der vier Betten lag. Seine längeren Haare standen wüst von seinem Kopf ab.

"Ja, ich weiß, und?", fragte John ungerührt und setzte sich auf sein eigenes Bett. Es war hart und ungemütlich. Meistens hatte er morgens einen verspannten Nacken oder Rückenschmerzen, weil er einfach keine angenehme Position zum Schlafen gefunden hatte. Aber er war froh, ein Bett und ein Dach über dem Kopf zu haben.

"Willst du denn nicht mit?", fragte der Blonde verwundert und stemmte sich auf die Ellenbogen, um John besser sehen zu können.

"Doch, natürlich", antwortete John und sein Blick flog zu dem kleinen Fenster. "Jeder will mit. Aber ich gehöre nicht zu den besten jungen Soldaten, also mache ich mir nicht allzu viel Hoffnung."

Der Blonde brach in ein krächzendes Lachen aus. Nach einiger Zeit schnappte er nach Luft und sah John amüsiert an.

"Sei nicht so bescheiden, John. Du gehörst zu den besten jungen Soldaten in ganz Minneapolis", lobte der Blonde keuchend.

Auch um Johns Lippen spielte ein unterdrücktes Lächeln.

"Na gut, wie du meinst."

Es schmeichelte ihm, dass der Sohn des Colonel ihn lobte. Ryker war zwei Jahre älter als John. Normalerweise war er sehr selbstverliebt und hielt sich selber immer für etwas Besseres als alle anderen. Es kam so gut wie nie vor, dass er jemand anderes lobte als sich selbst.

Die Zimmertür wurde geöffnet und eine junge Frau trat ein.

"War das ein anstrengender Tag!", seufzte sie und kletterte auf das Hochbett über Ryker.

"Maya!", begrüßte dieser sie. "Habt ihr auf eurer Patrouille etwas gefunden? Vorräte? Waffen?", fragte Ryker sichtlich interessiert und streckte sich aus dem Bett, um die junge Frau besser zu sehen.

"Aber hallo!" Ihre Augen glitzerten aufgeregt. "Wir haben Menschen in der alten Western High School gefunden. Ich hätte nicht gedacht, dass sich noch irgendwelche Überlebenden in Minneapolis herumtreiben."

"Vielleicht haben sie einfach nur nach etwas zu Essen gesucht oder sie waren auf der Durchreise. Vielleicht findet man außerhalb der Städte keine Vorräte mehr und die Städte, die nicht vom Militär oder der Regierung besetzt sind, sind zu gefährlich. Meinst du, wir werden sie ausbilden?" John schaute zwischen Ryker und Maya hin und her.

"Ich weiß nicht, das werden wir heute Abend sehen. Ich war mit einigen anderen Soldaten vorgefahren, um zu berichten." Sie zuckte mit den Schultern und ließ sich auf das Bett fallen.

Auch John legte sich auf den Rücken und starrte die weiße Decke über ihm an. Er musste an die Zeit denken, in der die Krankheit das erste Mal in Europa ausgebrochen war. Es war eine seiner allerersten Erinnerungen, an die er nur noch unscharfe Bilder im Kopf hatte.

Er konnte sich an den ständig laufenden Nachrichtensender im Fernsehen erinnern und dass seine Mutter oft geweint hatte. Irgendwann mussten sie ihre wertvollsten Sachen packen. John, damals nicht älter als sieben, hatte einen kleinen Rucksack auf und einen blauen Plüschhasen in der Hand. Er wurde von einem Bus zu Hause abgeholt. Seine Eltern hatten gesagt, dass sie sich bald wiedersehen würden. Dass das Militär sie alle in Sicherheit bringen würde, bevor die Krankheit nach Amerika kommt. John war alleine in den Bus voller fremder und älterer Kinder eingestiegen und hatte sich auf den vordersten Platz gesetzt. Der Bus fuhr durch die Tore einer Kaserne. Dort wurde er mit Essen und Wasser versorgt und er konnte unter einem Dach in der Wärme schlafen. Die Tage vergingen, doch der Bus mit Johns Eltern kam nicht an. Inzwischen waren 20 Jahre vergangen und John hatte seine Eltern nie wieder gesehen. Niemand wusste, was mit ihnen geschehen war.

Er schreckte aus dem Schlaf, als ihm etwas ins Gesicht stieß. Es tat nicht weh, dennoch hatte er sich erschreckt.

"Komm essen, du Schnarchnase", meinte Ryker, der ihm ein Kissen ins Gesicht geworfen hatte.

"Ich schnarche doch gar nicht", murmelte John verschlafen, während er sich aufrichtete und gähnend den Rücken durchstreckte. Ryker war bereits zur Tür hinausgegangen. John stand auf, warf einen Blick auf die Uhr und verließ das Zimmer.

Als er auf den Flur trat, wurde er beinahe umgelaufen. Er stolperte zur Seite, fing sich jedoch wieder.

"Hey, John", ertönte eine hohe Stimme. "Tut mir leid, bist du okay?"

Er brauchte einen Moment, bevor er erkannte, zu wem die blaugrauen Augen gehörten.

"Hey ... Zoe. Ja, es ist alles gut", meinte er knapp und zupfte beschämt an seinem T-Shirt.

"Ich freue mich schon auf das Mittagessen; es soll Hackfleischbällchen geben", teilte sie John mit, während sie neben ihm den langen, weißen Gang entlang lief und Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Er fand Zoe schon immer irgendwie merkwürdig. "Und heute Abend werden die ersten jungen Soldaten für die Mission gewählt. Denkst du, du wirst ausgewählt? Ich denke schon, du bist ein wirklich großartiger Soldat."

Sie ließ John gar nicht antworten und fuhr fort.

"Außerdem haben wir heute drei Menschen gefangen genommen; sie scheinen nicht infiziert zu sein. Vielleicht werden sie unsere Gefangenen sein. Oder wir bilden sie zu Soldaten aus. Das wäre so aufregend! Was meinst du?", Fragte Zoe.

John hörte nicht mehr weiter zu. Zoe konnte unglaublich viel reden. Außerdem war sie so anhänglich, dass es schon unangenehm wurde.

"... oder? Meinst du nicht?", hakte sie weiter nach und strahlte John mit hellen, runden Augen an.

"Äh ja, kann gut sein", antwortete John unbeteiligt. "Entschuldige mich bitte", meinte er, schüttelte Zoe ab und ging zügig zu dem Tisch in der Mitte der großen Halle, wo Ryker und Maya bereits Platz genommen hatten.

"Die will doch etwas von dir", meinte Ryker mit halb vollem Mund und deutete mit einer Kopfbewegung in die Richtung, wo Zoe immer noch stand und John hinterherschaute.

"So ein Quatsch", wehrte John desinteressiert ab und schüttete sich etwas Wasser aus der Karaffe in sein Glas.

"Wenn du das wirklich glaubst, bist du ganz schön dämlich. So wie sie dir hinterhergafft, würde sie dir am liebsten sofort die Klamotten vom Leib reißen und sich ordentlich von dir ficken lassen", grinste Ryker. Maya verschluckte sich beinahe an ihrem Essen, als sie Rykers Ausdrucksweise hörte und stieß ihm ihren Ellenbogen in die Rippen.

"Sprich nicht so!", brauste sie auf und machte ein verärgertes Gesicht. Ryker verdrehte die Augen.

"Na gut. Sie würde ganz gerne mit dir Liebe machen", verbesserte er sich mit übertrieben deutlicher Aussprache.

Maya wandte sich ernst an John: "Aber sei mal ehrlich; du willst doch wohl nichts von Zoe. Die hat doch definitiv eine an der Waffel. Die ist komplett verrückt! So ein Psycho."

"Wir befinden uns in einem Krieg", erklärte John und sah Ryker streng an. "Ich habe keine Zeit zum Liebe machen, egal mit wem." Er stand auf und sein Stuhl rutschte laut quietschend über den Boden.

"Da bist du der Einzige, der keine Zeit hat", behauptete er und warf Maya einen vielsagenden Blick zu, doch sie verdrehte nur die Augen und zischte genervt. Er kaute zu Ende, trank sein Glas aus und wischte sich danach mit einer Serviette den Mund ab. "Vielleicht sind dir auch einfach die Eier abgefallen, wer weiß."

John antwortete nicht mehr. Es war sinnlos, sich mit Ryker zu unterhalten. Er drehte sich um und durchquerte die große Halle. In Gedanken versunken stellte er sich an die Theke und nahm sein Abendessen entgegen. Gerade als er sich wieder an den Tisch setzte, wurde die große eiserne Tür von draußen geöffnet.

John schaute von seinem Essen auf und reckte den Hals, um besser sehen zu können. Der Colonel ging an der Spitze des Trupps. Ihm folgten drei fremde Personen; zwei Männer und eine junge Frau, flankiert von sechs weiteren Soldaten. In der Halle wurde es ungewöhnlich still. Nur die letzten Schritte des Colonel waren zu hören, als er mitten auf der kleinen Bühne stehen blieb. Plötzlich begannen alle miteinander zu tuscheln. Das aufgeregte Raunen wurde immer lauter. Manche stellten offen Fragen wie "Wer sind die?", "Was wird mit ihnen passieren?" und "Wo habt ihr die gefunden?". Mit einer einzigen Handbewegung brachte der Colonel die Soldaten zum Schweigen.

"Ruhe! Wir haben heute Abend einiges zu besprechen!" Die Stimme des Colonels klang laut durch die Halle. "Fangen wir an."

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