Teil 24 _ Weggefährten

JOHN

Als er wieder zu sich kam fühlte er sich etwas besser. Es dauerte einige Momente, bis er realisierte, dass er nicht mehr auf dem Badezimmerboden lag, sondern auf einer Couch. Sein Blick fiel auf den toten alten Mann, den er erschossen hatte. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen, dann wandte er den Blick ab.

War er doch noch bis zur Couch gelaufen und erinnerte sich nicht? Vorsichtig tastete er nach der Schusswunde. Ein frischer enger Verband war um seine Schulter gewickelt. Vorsichtig setzte John sich auf und sein Blick fiel wieder auf den Toten.

"Du Idiot hast meinen Onkel erschossen." John fuhr herum, wollte nach seiner Waffe greifen, aber griff ins Leere. Er stand einer jungen Frau gegenüber. Ihre Haut war stark gebräunt und ihre grünen Augen fokussierten ihn. Sie fuhr sich durch die goldbraunen Haare. Aber sie schien nicht besonders wütend.

"Ich...äh...ich brauchte Medikamente", stotterte John, als ob es das rechtfertigen würde. "Er hat mich bedroht und..."

"Ist schon gut", winkte die Frau ab. "Er war ein Arschloch." Sie ging an John vorbei in die Küche, mischte irgendetwas in einem Glas und hielt es John dann hin. "Trink das."

Er warf der Frau einen misstrauischen Blick zu: "Ich kenne dich noch nicht einmal. Was wenn du mich vergiftest und dann ausraubst?"

Die Frau verdrehte die Augen und nahm einen kleinen Schluck von dem Getränk. "Ich hätte dich ausrauben können, als du im Badezimmer am verrecken warst. Jetzt trink schon, es wird dir Kraft geben."

John erkannte, dass sie recht hatte und nahm das Glas schweigend entgegen. Er trank es leer. Es schmeckte bitter, aber er unterdrückte die angewiderte Grimasse und stellte das Glas wieder auf den Küchentresen.

"Hast du eventuell meine Freunde gesehen?", fragte John nach einiger Zeit zögernd. "Die eine hat lange, rote Haare und ist etwa so groß", er hielt die flachen Hand an sein Kinn. "Und der andere ist etwa so groß wie ich, dunkle Haare und auffällig blaue Augen."

Die Frau überlegte und zu Johns Überraschung nickte sie "Ja, eine rothaarige junge Frau habe ich gesehen. Sie ist mit einem Mann in einem Truck Richtung Westen gefahren. Aber der Mann hatte einen graubraunen Vollbart", erklärte die Fremde. "Sie sind erst heute morgen hier vorbei gefahren."

Niedergeschlagen sah John zu Boden. "Wenn sie das war, dann ist sie jetzt schon über alle Berge", murmelte er. Wenn Louisa in einem Auto unterwegs war, dann würde er sie nicht mehr einholen können. Hoffentlich geriet sie nicht in Schwierigkeiten.

"Du bist vom Militär, nicht?" Die Frau hob eine Augenbraue. John nickte.

"Ich kann euch Soldaten nicht leiden." Die Fremde stellte Johns Glas wieder weg. "Aber dich lasse ich leben."

"Wie großzügig von dir." Dann tastete John nach dem kleinen GPS Chip in seinem Nacken. "Kannst du mir kurz helfen?", bat er und erklärte ihr, dass er einen kleinen Chip unter der Haut im Nacken trug. "Kannst du ihn rausschneiden?" Wenn sie ihn töten wollte, hätte sie es schon lange getan. Aber der er musste den Chip so schnell wie möglich los werden.

Die Frau zögerte, nickte dann aber. Es stach, als das Messer in Johns Nacken schnitt. Dann drückte die Frau denn Chip heraus.

"Sag mal, heißt du Morgan?", fragte sie plötzlich und sah ihn neugierig an. John hob den Kopf und musterte sie. "Ja, John Morgan. Wieso?"

"Das Militär sucht dich. Habe vorhin zwei Soldaten quatschen hören", erzählte sie und musterte John. "Normal kommt das Militär hier nicht hin, also wollte ich nachschauen was sie wollen. Ich habe nicht alles gehört, aber sie haben von einem Colonel gesprochen und meinten, dass sie nach einem Morgan und einem King-was-weiß-ich suchen."
"Kingsley? Nicolas Kingsley", korrigierte John sie. "Haben sie Griffin erwähnt?" John wurde aufgeregt und vergaß bereits den Schmerz in seinem Nacken. Wenn das Militär noch nach den beiden suchten, hieß es, dass sie Nick und Louisa noch nicht gefunden hatten. Weder lebendig, noch tot.

"Also ist Griffin die Rothaarige? Ist sie etwa das Mädel aus St Cloud?"

"Woher weißt du davon?" John verengte die Augen. Wenn sich herum sprach, dass Louisa aus St Cloud war, durfte sie niemandem trauen. Bestimmt wussten auch viele Überlebende von Louisas Immunität, die sie zu einer Zielscheibe machte.

"Ihr seid der Trupp, der vom Militär geflohen ist!" Die Frau lachte auf. "Das Militär hat ein hohes Kopfgeld auf euch ausgelegt."

"Du hast meine Frage nicht beantwortet." John wurde ungeduldig. "Woher weißt du, dass Louisa aus St Cloud ist?"

"Menschen reden viel", meinte die Frau und zuckte mit den Schultern. "Vor allem Männer, wenn man ihnen etwas Gutes tut. Und ich höre gerne zu. Ich bin mal hier und mal da. Manchmal komme ich sogar bis zum Zaun der Kaserne vor."

"Und?"

"Ich habe sogar mal den Colonel gevögelt." Sie grinste. "Glaubst du nicht? Egal. Das mit der Rothaarigen hat sich unglaublich schnell herum gesprochen. Sie soll immun gegen das Virus sein, aber ich weiß nicht ob es stimmt. Sie ist eine wandelnde Zielscheibe. Ein Schaaf unter Wölfen. Alle wollen sie und früher oder später wird sie jemand bekommen. Selbst Foxmoore ist hinter ihr her."

"Foxmoore?" John fuhr sich durch seine Haare, die wild in alle Richtungen abstanden.

"Du kennst Foxmoore nicht?" Die Frau machte große Augen und seufzte dann. "Die neue Gruppe bei Yellowstone. Also ich würde Riversite ja schon aus dem Weg gehen, aber wenn du in das Territorium von Foxmoore eindringst bist du verloren. Kannst dich direkt aus dem Fenster stürzen."

John hatte noch nie von Foxmoore gehört. Es schien eine ganz neue Gruppe zu sein. Wie konnte eine neue, kleine Gruppe so gefährlich sein?

"Hätte ich die Soldaten heute Nacht nicht abgemurkst, hätten sie mir sicher einen guten Preis für deinen Kopf gegeben." Die Frau grinste.

John runzelte die Stirn. "Und was hast du jetzt mit mir vor?" Er warf einen Blick auf die Waffen an dem Gürtel der Frau.

Sie lachte kurz auf. "Keine Sorge", meinte sie und steckte die Waffe, die sie bis gerade noch in der Hand hielt weg. "Ich kann das Militär nicht leiden und werde denen ganz sicher nicht helfen." Sie kam etwas näher, bis John ihren warmen Atem spürte. "Wie sagt man so schön? Was man gefunden hat darf man behalten." Kurz setzte Johns Herz aus und er sehnte sich nach warmen weichen Lippen auf seinen und der Zärtlichkeit einer Frau.

Doch dann trat er einen kleinen Schritt zurück und sah peinlich berührt zu Boden. Er musste an Louisa denken. "Hör zu, ich habe gerade andere Sorgen...", meinte er entschuldigend.

Die Frau lächelte verständnisvoll. "Okay", meinte sie und wandte sich ab. Sie kramte irgendwo einen großen Rucksack aus einem Schrank und begann ihn mit Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung zu packen.

"Was machst du?", fragte John ein wenig irritiert während er beobachtete wie die junge Frau hier und da etwas in den Rucksack stopfte.

"Ich helfe dir deine Freunde zu finden", erklärte sie ohne das Packen zu unterbrechen. "Mein Onkel ist ja jetzt tot und hier will ich nicht bleiben. Das Militär rückt mir langsam auf die Pelle. Außerdem bist du mir sympatisch." Sie warf John einen flüchtigen Blick zu und deutete auf seinen Verband. "Und du brauchst mich um deine Schulter zu verarzten, ohne mich kommst du also nicht weit."

John nickte und folgte der Frau aus dem Haus, nachdem er selber einen Rucksack mit Proviant und einem Schlafsack gefüllt hatte. Draußen standen fünf Pferde und grasten. Die Frau band den Rucksack auf dem Sattel eines der Pferde fest und stieg auf das zweite. Sie ließ die anderen beiden Pferde laufen. John setzte sich auf das dritte Pferd.

"Wieso hast du das getan?", fragte John und sah den beiden Pferden hinterher.

"Was getan?" Die Frau band sich die Haare in einen Zopf.

"Die Pferde..."

Die Frau zuckte mit den Schulter: "Die kommen schon zurecht. Hier kann sich ja keiner mehr um sie kümmern." Sie ritten die lange Einfahrt entlang in Richtung Straße und ließen das große weiße Haus hinter sich. John konnte sich vorstellen, dass hier bestimmt einmal eine wunderschöne Farm gewesen ist.

"Wohin gehen wir?", fragte die Fremde und schirmte die Sonne mit ihrer Hand ab, während sie John ansah. "Ich heiße übrigens Marlo. Marlo Vazquez."

Der Name passte zu ihr. Irgendwie gefiel sie John. Sie war aufgeweckt und lebensfreudig, wild und entschlossen. Er beobachtete sie einen Moment.

"Wir reiten nach Westen." Johns Stimme war bestimmt. "Wir folgen dem Truck, den du heute morgen gesehen hast."

Die Pferde waren voller Energie. John war froh darüber, dass sie nicht zu Fuß reisten und ihr Gepäck selber tragen mussten. Sie hatten genug Proviant für mehrere Tage dabei. John war fest entschlossen Louisa und auch Nick wieder zu sehen. Ob sie bei der Flucht getrennt wurden wusste er nicht, aber er vermutete es. Er machte sich ein wenig Sorgen; Marlo hatte gesehen, dass eine rothaarige junge Frau bei einem fremden Mann im Auto gesessen hatte. Viele Menschen waren inzwischen hinter Louisa her und hatten es auf ihr Blut abgesehen. Manche waren einfach nur wütend auf die großen Städte und töteten jeden, der aus einer der Städte stammt. John wusste, dass Louisa gutgläubig und manchmal ein wenig naiv war. Er hoffte inständig, dass ihr nichts geschehen würde. Wenigstens konnte sie nun gut genug kämpfen. Und doch war sie jung und unerfahren in dieser Welt. Sie hatte noch nie einen Skrim gesehen, konnte nicht schießen oder Auto fahren und hatte wahrscheinlich noch nie auf einem Pferd gesessen.

"Wie wurdest du eigentlich angeschossen?" Marlo sah John interessiert an, während sie auf einem trockenen Stück Fleisch kaute.
"Ich wurde von meinen eigenen Leuten verraten", log John und sah der Blonden nicht in die grünen Augen.
"Du lügst." Sie beugte sich rüber und stupste ihn an.
"Gut gut", beschwichtigte John und lachte. "Entschuldige."

Dann erzählte er Marlo, wie er Nick und Louisa zur Flucht verholfen hatte und dass der Colonel ihn am folgenden Tag angegriffen hatte. Er erzählte von Louisas und Nicks Plänen nach Portland zu reisen.

Als es zu dämmern begann suchten sie sich einen Schlafplatz. Marlo hielt es für eine gute Idee in einem alten Jägerhäuschen zu schlafen. Die Pferde hatten sie unten angebunden.

"Sag mal", setzte Marlo an. "Wieso ist es dir so wichtig Louisa und Nick zu finden? Es ist doch ihr Plan nach Portland zu gehen, nicht deiner. Ich meine, du warst doch nur ihr Mentor. Wieso denkst du, dass die beiden dich überhaupt wiedersehen wollen?" John starrte sie entsetzt an, dann sah er zu Boden. Natürlich würden sie - vor allem Louisa - ihn wiedersehen wollen. Er würde mit ihnen nach Portland gehen und dort nie wieder von Louisa getrennt sein. Sein Herz schmerzte, als er realisierte wie gern er Louisa hatte. Konnte er es bereits Liebe nennen? Sie hatten wochenlang gemeinsam trainiert und die Nächte mit Quatschen verbracht. Doch in Louisas Freizeit war sie immer nur mit Nick unterwegs gewesen, hatte Fluchtpläne und Zukunftsträume geschmiedet. Konnte Marlo Recht haben? Nachdenklich fuhr er sich durch die Haare.

Es war nie geplant gewesen, dass er das Militär verlässt. Louisa und Nick hatten einander. Wozu brauchte Louisa ihn dann noch? John hatte bemerkt, dass Nick an ihr Gefallen gefunden hatte. Er hatte John immer wieder böse Blicke zugeworfen. Hatte Louisa Gefühle für Nick? Bei dem Gedanken schmerzte sein Herz so sehr, dass ihm beinahe schlecht wurde.

"Oh", meinte Marlo. "Ich verstehe." Sie glitt von dem Stuhl auf dem sie saß hinunter auf den Boden und krabbelte über ihren Schlafsack auf John zu. Er hob den Kopf ein wenig und sah Marlo in die grünen Augen. "Wenn du willst", murmelte sie. "Kann ich dich ein wenig aufheitern."

John zögerte. "Marlo...ich..."

"Entspann sich", flüsterte sie und kam noch ein Stückchen näher, bis ihre Lippen auf seine trafen. John schloss die Augen, schaltete den Kopf ab und ging auf Marlos Kuss ein. Ihre Hände wanderten seinen Oberkörper hinunter und sie öffnete seinen Gürtel.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top