N°34 - Pulsschlag der Nacht
NICK
Die Glut flimmerte nur noch leicht. Es roch angenehm nach Holzfeuer und Nick sog scharf die kühle Nachtluft ein. Er war sich nicht sicher, ob das laute Zirpen der Grillen gruselig oder beruhigend war. Doch es wäre schlimmer, wenn es still wäre. Andererseits würde er dann nahende Gefahr eher hören.
Er blinzelte und hob den Kopf, sah sich die Sterne an, suchte mit den Augen den Himmel nach dem hellsten Stern ab. Er stellte sich vor wie die Menschen von der Erde flohen und den Mars bevölkerten. Wer weiß, vielleicht würde das noch irgendwann passieren.
Hinter ihm raschelte etwas. Erschrocken fuhr Nick herum und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Er zog seine Waffe. Wartete. Wieder raschelte es und Louisa trat aus der Dunkelheit. Sofort entspannte er sich und steckte die Waffe wieder weg. Louisa kam auf ihn zu und setzte sich neben ihn auf den umgefallenen Baumstamm. Nick wollte etwas sagen, doch er wusste nicht was. Also schwiegen sie sich an. Er lugte aus dem Augenwinkel zu ihr rüber. Sie starrte in den Himmel und das Mondlicht färbte ihre sonst roten Locken Silber.
„Wie heißt er?" Ihre Stimme war rau, doch sie klang nicht wütend.
„Hm?" Nick hob den Kopf und sah sie an. „Wer?"
„Dein Sohn. Wie heißt dein Sohn?" Sie drehte den Kopf zu ihm und wartete auf eine Antwort.
Nick zögerte, dann antwortete er: „Jay." Ihm wurde warm ums Herz als er seinen Namen aussprach. Gleichzeitig wurde er unglaublich traurig.
„Jay", wiederholte sie. „Wie der Häher."
„Ja, wie der Häher." Ein Lächeln umspielte Nicks Lippen. Irgendwo in der Nähe hörte er den Schrei einer Eule. „Er hat die blausten Augen der Welt."
Louisa lächelte nun auch. „Blauer als deine?"
„Sogar blauer als meine." Sie hatte recht. Nick hatte unglaublich blaue Augen. Doch in Jays Augen leuchtete noch das Glück eines Kindes.
„Glaubst du deine Familie ist in Portland?"
„Ich weiß es nicht", gab Nick zu. Er seufzte tief und richtete den Blick wieder auf die Sterne. „Ich glaube nicht. Aber mein Gewissen wird mich umbringen, wenn ich nicht nachsehe."
„Ich hab etwas gegen den Schmerz."
„Was denn?" Nick sah Louisa überrascht an. Sie grinste dann breit und zückte eine Flasche Martini.
„Wo hast du die denn her?" Er nahm die volle Flasche entgegen und öffnete sie. Er roch an dem Alkohol und sog vorsichtig den süßlichen Duft ein. Erinnerungen hingen mit dem Duft zusammen. Er erinnerte sich an Bars und Discos, an Parties und ruhige Abende.
„Lag in einer der Autos auf dem Weg." Louisa zuckte mit den Schultern und bedeutete Nick einen Schluck zu nehmen. Er zögerte nicht, setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Louisa tat es ihm nach.
„Was wenn meine Immunität die Lösung ist." Louisa nahm noch einen Schluck und fuhr dann fort. „Wenn wir mit meiner Immunität ein Heilmittel oder wenigstens eine Impfung herstellen können?"
„Wie willst du das herausfinden? Du denkst doch nicht etwa darüber nach, nach St Cloud zu gehen und dort an dir experimentieren zu lassen?"
Louisa zögerte und sah zu Boden. „Nein...ich weiß nicht..."
„Das ist doch der Grund wieso wir nach Portland wollen; um das Militär und St Cloud auszuschalten!" Nick machte eine Pause. Trank noch einen Schluck und fuhr dann fort. „Wir müssen nach Portland und dort erzählen, was hinter der Mauer von St Cloud vor sich geht. Die werden die Menschheit noch ausrotten, wenn wir nichts tun."
Louisa griff nach der Flasche und nahm einen großen Schluck. „Vermutlich." Sie seufzte tief.
„Spürst du das?", fragte Nick sie nach einer Weile.
„Was denn?"
„Der Pulsschlag der Nacht." Er sah wieder zum Himmel hinauf. Die Nacht war magisch, mysteriös.
„Ich will, dass es so ist wie früher." Louisa rückte ein Stückchen näher. Nicks Herz begann schneller zu schlagen.
„Was meinst du?"
„Ich vermisse die Zeit in der Bibliothek." Sie kam Nick noch näher. Sein Blick fiel auf die halb leere Flasche Martini in ihrer linken Hand. „Die Zeit, wo es nur uns beide gab. Uns und unsere Träume über eine bessere Welt."
„Wir sollten...äh..." Nick nahm Louisa die Flasche ab und stellte sie auf Seite. Ihm wurde heiß. Er griff sanft, aber doch bestimmt nach ihrer Taille und zog sie zu sich ran. „Schlafen die anderen?"
Louisa nickte und leitete ihn mit zwei Fingern auf seiner Brust in eine Liegeposition. Ihre Nasen berührten sich. Sie spielte mit ihm. Kam näher und zog dann ihr Gesicht wieder ein Stück zurück. Mit einem Ruck schwang Nick sie unter sich und hockte nun über ihr, grinste sie frech an. Ihre Lippen berührten sich, erst sanft und dann immer wilder. Sie lächelte zwischendurch und Nick wurde von Gefühlen überschwemmt.
Louisa krallte sich in seinen Rücken und er liebte diese Mischung aus zierlich, sanft und wild. Erst als das Sonnenlicht langsam den Horizont lila färbte hielten sie inne. Sie lagen schweißgebadet auf dem kühlen Waldboden.
„Was wenn wir in Portland nichts finden?" Die Frage überraschte Nick. Er sah zu ihr rüber, lächelte und fuhr ihr durch die zotteligen Haare.
„Dann machen wir einfach so weiter."
Plötzlich richtete sie sich auf und starrte in die Dämmerung. Nick folgte ihrem Blick, sah jedoch nichts. Doch Louisa starrte angestrengt in Richtung Wald.
„Was ist da?", fragte er schließlich und musterte Louisas Gesichtzüge.
„Man verfolgt uns." Flüsterte sie. „Die Sonne geht auf. Wir sollten weiter. Weck die anderen." Ihre Befehle waren kalt und ließen keine Widerworte zu. Nicks Herz zog sich schmerzhaft zusammen und er neigte kurz bestätigend den Kopf.
Sie zogen sich an und rannten zurück zu ihrem Schlafplatz. Unsanft weckten sie John und Sasha. Sofort packten sie ihre Sachen zusammen und liefen los. Teilweise joggten sie, teilweise kämpften sie sich durch ein Feld aus Dornenranken.
Sasha und John schauten verschlafen drein, verstanden wohl nicht ganz was los war.
Dann blieb Louisa, die an der Spitze der Gruppe rannte, stehen. Nick konnte es auch hören. Motoren. Stimmen. Direkt neben ihnen auf der Straße. Louisa hielt sich einen Finger vor die Lippen und ging langsam in die Hocke, versteckte sich im spärlichen Unterholz.
„Wir sollten laufen", flüsterte Nick der Gruppe zu. „Es ist nicht mehr weit nach Portland. Dort sind wir in Sicherheit."
„Nein. Wir bleiben hier und erregen kein Aufsehen." John warf Nick einen kurzen Blick zu und zu seiner Überraschung war er nicht hasserfüllt. Nick bekam ein leichtes schlechtes Gewissen. Wenn John wüsste, würde er ihn auf der Stelle erschießen.
„Seid leise." Sasha zischt, genau als eine Kolonne von mindestens einem Dutzend Militärwagen in ihnen vorbei rasten. Nick drückte sich noch tiefer in die trockenen Pflanzen. Erst als die Motoren und das Gebrüll der Soldaten nicht mehr zu hören war, hob er den Kopf. Er atmete tief ein. Dem Militär wollte er nun wirklich nicht begegnen. Nicht jetzt. Nicht so kurz vor ihrem Ziel.
„Weiter, bevor sie zurückkommen." Sasha war die erste, die sich umguckte und dann auf stand. „Weg von den Straßen."
Diesmal lief Nick als zweiter der Gruppe. Es wurde anstrengend, denn es ging bergaufwärts. Sie waren alle so angespannt und konnten es kaum erwarten anzukommen, dass niemand von ihnen nachließ. Sie sammelten ihre letzte Kraft und kämpften sich den Berg hoch. Sasha humpelte immer noch und John zischte schmerzerfüllt. Nick wusste, dass er an der Schulter verletzt war. Es war nur ein Streifschuss, doch er war immer noch entzündet. Er wusste wie schwer es war hier draußen Wunden zu heilen. Louisa holte irgendwann zu ihm auf und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, bevor sie begann Sasha zu stützen.
Die letzten Schritte auf den kleinen Berg waren die leichtesten und sie waren dreifach schneller auf der anderen Seite wieder unten. Plötzlich stürzten sie aus dem Unterholz hinaus in einen alten, kaum noch erkennbaren Stadtpark. Nick lief es bei dem Anblick kalt den Rücken runter und er wusste im ersten Moment nicht ob er lachen, weinen oder sich übergeben wollte. Wenige hundert Meter vor ihnen begannen die Hausreihen Portlands. Diese wurden schnell größer bis zu den hohen Gebäuden der Innenstadt. Jedes einzelne der Gebäude war eine Ruine, von der Natur und dem Wetter beschädigt oder sogar zerstört.
Nick wusste nicht was er erwartet hatte. Glitzernde hohe Wolkenkratzer und ein Empfangskomitee?
Louisa hatte Tränen in den Augen. Sie sprintete auf die Gebäude zu. Nick rannte ihr nach. Seine müden Beine konnten ihn kaum tragen und seine Lunge ließ kein Rufen zu.
Louisa blieb erst wieder stehen, als sie zwischen den zerstörten Hochhäusern stand. Die Stadt war zugewuchert mit Pflanzen. Die Natur hatte sich alles von hier zurückgeholt. Über ihnen zog der Himmel mit dicken grauen Wolken zu, als würde die Welt sie auslachen.
„Hier ist nichts..." Nicks Blick flog über die Ruinen der mal gläsernen, glitzernden Wolkenkratzer. „Nichts..."
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