N°2 ~ Die Stadt des Militärs
NICK
"Und du meinst wirklich, dass wir hier noch Proviant finden?", fragte William, während sie von dem Berg hinunter in die Stadt blickten. Sie schien so ruhig und harmlos. Wie ein toter Körper, der für immer in Frieden ruhte. Einige Fenster reflektierten die Sonne, die langsam, aber sicher hinter ihnen aufging.
"Das ist Minneapolis. Eine der Städte, die das Militär eingenommen hat. Hier kommen keine Plünderer hin", erklärte Nick und spähte nochmal hinunter auf die Dächer der Stadt. "Die Hauptstraße scheint frei zu sein."
Sie verließen den Garten, in dem sie Deckung gesucht hatten, und liefen die Straße hinunter, entlang der hohen Häuser. Hier hatten bestimmt einst reiche Menschen gelebt. Selbst jetzt erkannte man die ordentliche Struktur der Vorgärten und Einfahrten noch. Jedes der Wohnhäuser besaß einen großen Garten mit einem Pool. Dies war sicher mal eines der schönsten Viertel der Stadt gewesen. Doch die Natur hatte sich alles zurückgeholt. Die Pools waren ausgetrocknet und in den Gärten wucherte Unkraut. Die kaputten Mauern vegetierten vor sich hin. Schade drum, dachte sich Nick. Sie durchsuchten einige Küchen, fanden den ein oder anderen Müsliriegel, mehr jedoch nicht.
Nick blieb plötzlich stehen, als sie am untersten Ende des Berges angekommen waren.
"Hörst du das?", fragte er plötzlich. William schüttelte den Kopf, sagte aber kein Wort mehr. Wie angewurzelt standen sie dort am Straßenrand und lauschten. Einige Vögel zwitscherten, der Wind säuselte leise um ihre Ohren.
Dann hörte er ein Dröhnen. Es war weit entfernt, aber dennoch unverkennbar; das Motorgeräusch mehrerer Autos.
"Lass uns eine der Seitenstraßen nehmen", flüsterte William und seine grünen Augen sahen ihn besorgt an. "Ich will keine böse Überraschung erleben."
Nick gab ihm zu verstehen, dass er einverstanden war. Sie rannten die Hauptstraße bis zur nächsten Seitenstraße entlang und bogen ab. Hier standen kleinere Häuser, die nicht mal eine erste Etage besaßen. Flache Bungalows. Die meisten waren zerstört und von Pflanzen überwuchert. Manche von ihnen besaßen nicht mal mehr ein Dach.
"Die Stadt ist wie ausgestorben. Da hat das Militär aber ordentlich aufgeräumt", bemerkte William. Auch Nick fiel auf, dass hier keine Kreaturen waren, weder tote, noch lebendige. Sogar alle Leichen waren weggeräumt. Die wenigen Autos, die hier noch standen, waren sorgfältig am Straßenrand verlassen worden.
Die Straße führte auf den Parkplatz einer Schule, auf dem noch einige alte, rostige Busse standen. Ein paar Eichhörnchen jagten sich über den offenen Platz. Tiere waren heutzutage nicht ungewöhnlich. Die Krankheit, die die Menschen befiel, war für Tiere harmlos. Auch die Monster schienen sich nicht für Tiere zu interessieren, außer sie waren besonders hungrig. Die Skrim hatten es komischerweise nur auf Menschen abgesehen, die sie manchmal grundlos töteten. Das Virus war vor allem über das Blut übertragbar, somit war der Biss oder ein Kratzer einer dieser Bestien ein Todesurteil.
"Komm", zischte William Nick zu, der gerade die Eichhörnchen beobachtet hatte. "Das ist mir hier zu offen."
Sie liefen über den Parkplatz zum Eingang der Schule, drückten die Tür auf und gingen hinein.
Die Schule schien in einem guten Zustand zu sein, als würden jeden Moment die Glocken läuten und Schüler aus den Klassenräumen stürmen. Nur an manchen Stellen war der Boden schmutzig oder die Wände zerkratzt.
Während William sich die Karte der Schule ansah, um sich orientieren zu können, öffnete Nick einen der Klassenräume. Stühle und Tische waren umgeworfen. Einige Fensterscheiben hatten Risse oder waren eingeschlagen und an der Wand klebten Blutspritzer. Auch der Boden war von getrockneten Blutflecken übersät.
Er konnte sich die Szene ausmalen. Schüler, die dem Lehrer zuhörten. Plötzlich eine Durchsage, die den Lehrern befiel, alle Klassenräume zu verriegeln. Kinder, die verängstigt unter die Tische krochen. Dann eine Tür, die aufgerissenen wurde. Die Schüler schrien panisch, während die Kreatur den Lehrer zerfetzte, der sich schützend vor seine Klasse gestellt hatte.
Seine Augen wurden glasig, als er an seine Frau dachte. Ich werde dich und Jay finden, Isabelle. Das habe ich dir versprochen. Er musste an das schwarze, wellige Haar und die braunen, warmen Augen denken, ihr hübsches, strahlendes Lächeln. Er war davon überzeugt, dass sie noch lebten, nachdem er sie damals in Moonvale im Stich gelassen hatte. Das war inzwischen zwei Jahre her und er würde es sich niemals verzeihen. Er hatte die ganze Gegend abgesucht, jeden Ort und jede Stadt. Er hatte sogar in verschiedenen Clans und Gruppen nach ihr gesucht. Aber ohne Erfolg.
Jetzt war sein Ziel Portland. Es sprach sich unter den Überlebenden herum, dass Portland einer der wenigen Safepoints war. Ein Ort, an dem Überlebende willkommen waren. Ein Ort, der sicher vor aller Art Gefahren war. In Portland sollte es Zivilisation geben. Ich werde euch finden, wiederholte er in Gedanken.
"Nick!", zischte William, drückte ihn in den Raum hinein und schloss leise die quietschende Tür. Nick zuckte erschrocken zusammen.
"Mensch, William!"
Sein Freund hielt sich seinen Zeigefinger vor die Lippen, damit Nick leise war. Vor der Tür hörte man Schritte. Leise, vorsichtige Schritte. Es schien nur eine einzelne Person zu sein.
"Da ist jemand", hauchte William kaum hörbar.
Die Schritte blieben genau vor der Tür stehen.
Nick spannte die Schultern an. Wenn jetzt jemand in den Raum kommen würde, müsste er kämpfen. Er griff nach seiner Waffe.
Doch die Schritte bewegten sich weiter, weg von der Tür.
Er atmete erleichtert aus.
"Das war niemand vom Militär", flüsterte er mit zitternder Stimme und William zuckte mit den Schultern.
"Ein Skrim?", fragte Nick.
Er ging zur Tür und drückte langsam die Klinke runter. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt weit und lugte hinaus. Eine junge Frau schlich den Flur entlang. Sie schien unsicher. Sie gehörte ganz sicher nicht zum Militär. Ihre roten Haare standen chaotisch in alle Richtungen ab und sie trug einen grünen Rucksack. Nick fragte sich, wie sie überhaupt so lange überlebt hatte. Sie sah nicht wie eine besonders starke Kämpferin aus.
"Wer ist da?", fragte Will neugierig.
"Ich... weiß nicht", gab Nick zu.
Gerade als er die Tür weiter öffnen wollte, war eine Stimme zu hören.
"Ich habe hier eben etwas gesehen. Durchsuchen!"
Nick erkannte die Stimme. Es war dieselbe Stimme, die ihn vor zwei Jahren in Moonvale aufgefordert hatte, seine Familie zu verlassen und seinen Pflichten als Soldat nachzugehen.
Doch William kam ihm zuvor.
"Das ist der Colonel", flüsterte er fassungslos.
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