#35 - Auge um Auge
Louisa
„Und was jetzt?" Sasha schien am wenigsten enttäuscht von der Situation zu sein. Ihr Blick flog über die leerstehenden Gebäude. Louisa folgte ihrem Blick, konnte immer noch nicht glauben, dass die ganze Reise umsonst gewesen ist. All die Hoffnung, all die Mühe...für nichts.
„Keine Ahnung." Louisa schüttelte verzweifelt den Kopf. „Portland war die letzte - die einzige - Hoffnung. Mit ihr sind wir alle gestorben."
„Sag sowas nicht..." John legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Wir können weiter machen. Hör nicht auf, bis du zufrieden bist."
„Womit weiter machen?" Nicks Frage war laut und wütend. „Sieh dich doch mal um! Portland ist eine verdammte Geisterstadt!"
Louisa schüttelte Johns Hand ab und drehte sich einmal im Kreis, begutachtete nochmal die Ruinen. All die Verzweiflung kam in ihr hoch. In Portland sollte eine Gesellschaft leben, die die Menschheit retten konnte. Doch es waren alles nur Lügen und Geschichten. Es war eine gute Geschichte gewesen. Doch jetzt mussten sie weiter machen. Irgendwie.
„Kommt." Sie ging in die Richtung aus der sie gekommen waren. „Hier ist nichts . Lasst uns gehen."
Niedergeschlagen schlenderten sie an den Ruinen vorbei. Louisas Blick wanderte über die zugewachsene Straße vor ihnen. Wo sollten sie nun hin? Vielleicht würden sie einfach immer weiter wandern.
Eine Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war so schnell gewesen, dass sie glaubte, sich geirrt zu haben. In dem selben Moment stürmten Menschen aus den Gebäuden und umstellten sie. Bewaffnete Personen in Militäruniform. An ihrer Spitze ein sehr bekanntes Gesicht mit einem schwarzen Schnurrbart.
„Leutnant Travis Blackstone." Louisas Stimme war trocken und emotionaslos.
„Jetzt Major General, wenn ich bitten darf." Er grinste breit und in Louisa kochte der Ekel.
„Was willst du, Travis?" John stellte sich vor Louisa.
„Ihr habt verloren. Ihr habt keine Munition mehr. Außerdem seid ihr ein sehr wertvoller Haufen, der dem Militär viel Macht schenken wird."
„Du Idiot." Louisa schob sich wieder nach vorne. „Die Macht kannst du dir nicht einfach nehmen oder kaufen. Die Macht wohnt dort, wo die Menschen glauben, dass sie wohnt."
Travis zögerte und lachte dann.
„So wenig Ahnung und so eine große Klappe." Er verschränkte die Arme. „Und doch habe ich jetzt gerade die Macht über euch. Dich schicke ich zurück nach St Cloud." Dann deutete Travis auf John. „Wir zwei haben ein Problem. Du hast den Colonel getötet. Auge um Auge."
„Auge um Auge und wir wären alle blind." Nick funkte sich ein. „Du musst das nicht machen."
„Ich bin nicht hier um zu quatschen", meinte Travis mit einer abwinkenden Handbewegung. „Ergreift sie."
Sie konnten nichts tun, als sie gefesselt und in die Trucks geladen wurden. Louisa wehrte sich nicht. Sie hatte nicht die Kraft um sich zu wehren. Ihr Blick flog zu Sasha. Gerade als sie in einen anderen Truck gesetzt wurde erhallten Schüsse. Sofort schossen die Soldaten zurück und verkrochen sich hinter den Trucks. Louisa konnte nicht sehen von wo die Schüsse kamen. Mit zusammengebundenen Händen lugte sie aus der offenstehenden Trucktür. Ihr Blick traf auf Sashas Blick und als hätten sie den selben Gedanken gehabt sprangen sie aus den Fahrzeugen und hetzten zum hinteren Teil der Kolonne, wo Nick versuchte mit auf dem Rücken gebundenen Händen die Tür des Trucks zu öffnen. Sasha erreichte ihn als erste und öffnete seine Tür.
"Danke." Keuchte er, als sie quer über das Schlachtfeld zu John rannten, der gerade einen Soldaten blutig prügelte.
"John! Komm!" Louisa zerrte den jungen Soldaten auf die Beine. "Komm jetzt!"
Kurz hörte das Schießen auf, als aus den Seitenstraßen der Stadt das Gebrüll von Skrim zu hören war. Louisa schaute sich mit aufgerissenen Augen um, als Massen von Skrim auf sie zu stürmten. John befreite ihre Hände und machte sich dann daran Sashas Fesseln zu lösen. Louisa knotete das Seil um Nicks Hände auf.
"Beeil dich, beeil dich!", schrie er. Gerade als er frei war, griff er nach der Waffe eines toten Soldaten und schoss auf die Skrim, die mit jedem Schritt näher kamen. Einige Soldaten feuerten ebenfalls auf die Monster, während andere auf die Fenster der Gebäude schossen. Es war ein reines Chaos. John drückte Louisa eine Waffe in die Hand. Sie beobachtete wie einer der Skrim einen der Soldaten in der Luft zerriss. Und kurz darauf den nächstes. Louisa schoss auf den Skrim, bis er zu Boden ging.
In diesem Gefecht hatten sie alle nur einen Feind. Aber solange die Menschen das nicht begriffen, würden sie sich immer weiter gegenseitig abschlachten.
"Wir müssen hier weg!" Nick versuchte den Krach der Schüsse zu übertönen. Schießend rannten sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Auch von dort kamen Skrim. Louisa versuchte eine Verbindung aufzubauen, wie sie es im Tunnel geschafft hatte, doch es funktionierte nicht.
Plötzlich blieb John stehen, sein Gesicht ausdruckslos.
"Weiter! Wir müssen hier raus!" Louisa sah an John herunter und ihr gefror das Blut in den Adern. Auch John sah an sich runter. Tränen bildeten sich in Louisas Augen als Johns Oberteil sich immer mehr mit Blut vollsaugte. Seine Beine gaben nach und er ging zu Boden. Er hustete und schnappte verzweifelt nach Atem. Sie stürzte auf die Knie neben ihn.
"John, alles wird gut." Louisas Stimme zitterte als sie ihre Hände auf die Schusswunde drückte. "Bleib bei mir. Nicht die Augen zu machen, hörst du?"
John keuchte und hustete. Blut lief aus seiner Nase und seine Augen wurden immer glasiger. "John tu mir das nicht an, komm schon." Louisa wollte toben. Die Tränen rannten ihre Wangen wie zwei kleine Bäche hinunter. "Komm schon, komm schon. Das wird wieder", flüsterte sie und schaute sich um, ob hier nicht etwas lag, was ihr helfen konnte.
"Wir müssen hier weg", wiederholte Nick.
"Nein!" Louisa brüllte ihn an. Sie schaute auf und sah Travis, grinsend und mit einer Pistole in der Hand. Kurz darauf traf auch ihn ein Schuss und er ging zu Boden. Louisa senkte ihren Blick wieder zu John. Eine Träne rann seine Schläfe hinunter.
"Wir kriegen das wieder hin, okay? Du musst die Augen auf lassen." Sie wimmerte.
Sein Atem röchelte. Er keuchte. "Lauft." Louisa verstand es kaum. Dann wurden seine Augen starr und er hörte auf zu atmen.
"Nein..." Die krallte sich in seine schwarzen Locken. "Nein, nein, nein. Verdammt."
"Wir müssen weg!" Nick zerrte sie auf die Beine und zog sie die Straße entlang, weg von der Schlacht. Louisas Welt schien zusammenzubrechen, als sie sich von Johns totem Körper entfernten. Sie wankte, doch Nick hatte sie gut im Griff. Sasha schoss und hielt ihnen den Rücken frei.
Plötzlich kam ein schwarzer Jeep aus einer der Seitenstraßen geschossen, fuhr sie beinahe um. Er hielt mit quietschenden Reifen vor ihnen an. Louisas Sinne klärten sich wieder. Die Türen des Jeeps flogen auf und zwei Personen sprangen heraus und begannen auf die Skrim und die kämpfenden Soldaten zu schießen.
"Rein mit euch!" Rief der Mann links neben ihnen ohne sie anzusehen. Gleichzeitig schob die fremde Frau sie in den Jeep und stieg hinter ihnen ein. Der Mann warf sich auf den Beifahrersitz und die Fahrerin des Jeeps fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Es dauerte einige Herzschläge bis Louisa die Fahrerin erkannte, doch Nick war schneller.
"Marlo!"
Louisa war fassungslos, begriff die Welt nicht mehr. Wo kam Marlo denn jetzt her?
"Ich erkläre es später. Festhalten!"
Der Jeep schoss durch die Straßen von Portland und wich noch einigen Skrim aus. Sie ließen das Schlachtfeld hinter sich. Sie ließen John zurück. Louisa schmerzte das Herz und sie bekam keine Luft. Ihr war schlecht. Wut brodelte in ihr. Trauer.
Irgendwann fuhr Marlo ruhiger. Es waren nur noch wenige Schüsse aus weiter Entfernung zu hören.
"Woher wusstest du...", setzte Sasha an, brach aber ab. Marlo lachte kurz auf.
"Dass ihr mitten in Portland seid und Hilfe braucht? Nun", sie machte eine Pause. "Ich wollte nicht durch diesen blöden Tunnel gehen und bin zurück. Da hab ich dann unseren Jeep gesucht und ihn, mit der Hilfe von Lucy und Padraig hier, repariert." Sie hielt kurz inne und schaute in den Rückspiegel. "Uhm...wo ist John?"
Bedrücktes Schweigen herrschte. "Tot", antwortete Sasha ihr dann mit einem mitfühlenden Seitenblick auf Louisa.
"Das tut mir leid." Auch Marlo warf Louisa einen Blick zu und fuhr dann ihre Erzählung fort. "Lucy und Padraig kommen nämlich aus Portland und kennen sich hier aus. Als ich ihnen erzählt habe, dass ihr nach Portland wollt, meinten sie, dass ihr vermutlich in Gefahr seid."
"Ach was", meinte Nick sarkastisch. "Es war alles umsonst. Portland ist eine Geisterstadt. Eine Stadt der Skrim. Hier ist nichts."
"Wohin fahren wir jetzt?", fragte Louisa. Padraig und Marlo wechselten einen Blick. Lucy grinste.
"Wir fahren nach Hause."
ENDE
Der Tag an dem wir starben - Band 1
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top