#24 - Süß wie Schokolade, bitter wie der Verrat

LOUISA

Blut sickerte zwischen ihren Fingern hervor als sie mit dem Taschenmesser einen kleinen Schnitt in ihren Nacken drückte um den GPS Chip vom Militär zu entfernen. Sie schaute ihn sich genauer an; ein kleiner länglicher elektronischer Chip, nur etwas größer als ein Reiskorn. Louisa zuckte mit den Schultern und warf ihn aus dem Fenster, wo er sofort vom Fahrtwind erfasst wurde.

"Was haben du und dein Freund eigentlich im Fluss gemacht?" Hugo ließ die Fenster des Autos wieder hoch fahren. Es schien zwar die Sonne, aber dennoch war es kühl draußen.

Louisa kuschelte sich tiefer in die zwei Decken, die Hugo ihr zum aufwärmen gegeben hatte. Damit sie nicht krank wurde hatte sie die nassen Sachen abgelegt und trug nun ein viel zu großes T-Shirt von Hugo und eine bequeme Jogginghose.

"Nun", begann Louisa und versuchte sich schnell irgendetwas auszudenken. "Wir haben gut versteckt im Wald gelebt und sind beim Fischen in den Fluss gefallen." Sie hätte sich selber ohrfeigen können für diese unglaublich schlechte Lüge. Louisa konnte noch nie besonders gut lügen, denn sie hatte auch nie lügen müssen.

"Wo genau habt ihr in dem Wald gelebt?" Hugo ließ seinen Blick weiter auf der Straße vor ihnen ruhen.

"Ähm." Louisa erinnerte sich, dass John ihr von der alten Eiche erzählt hatte, wo sich die Skrim gehäutet hatten. "Bei der großen alten Eiche." Es war das erste was ihr eingefallen war. Hugo nickte. "Und wo kommst du her?", fragte Louisa um das Thema zu wechseln und beobachtete die vorbei rauschenden Büsche auf der kahlen Grasfläche.

"Ursprünglich komme ich aus Minneapolis. Ich war Geschichtslehrer. Doch als das Militär sich dort stationiert hat, habe ich die Stadt verlassen. Ich habe mit einer Gruppe versucht nach St Cloud hinein zu kommen..."

"Da kommt keiner rein", rutschte es Louisa raus und sie verstummte sofort. Hugo sah sie prüfend an.

"Woher weißt du das?" Er musterte sie und es schien, als könnte er Louisa lesen wie ein Buch. "Du kommst doch nicht etwa aus St Cloud? Ich habe gehört dass eine junge Frau ins Exil geschickt wurde. Die halbe USA sucht nach ihr. Sie soll aus irgendeinem Grund sehr wertvoll sein." Louisa starrte Hugo einige Herzschläge fassungslos an und schluckte. Ihr Herz begann stärker zu schlagen und sie stellte sich alle möglichen Szenarien vor. "Ich weiß aber nicht, wie sie aussieht. Ich weiß nur, dass sie die Tochter von Milantha Griffin ist", fügte Hugo hinzu und lachte kurz. "Manche sagen sie sei immun. Andere behaupten, sie könnte mit den Monstern sprechen. So einen Blödsinn habe ich ja noch nie gehört."

Louisa atmete erleichtert aus. Erneut wurde ihr klar, dass sie hier draußen niemandem trauen konnte und sie war froh, dass sie ihren Namen nicht verraten hatte. Sie vermisste Nick. Er war ihr einziger wahrer Freund, dem sie ihr Leben anvertraute. Er hätte sie Kaserne nicht ohne sie verlassen, das wusste sie. Ob er noch nach ihr suchte? Louisa hatte Hugo gezwungen mehrmals am Fluss entlang zu fahren, doch sie hatten keine Spur von Nick gefunden. Sie hoffte inständig, dass das Militär ihn nicht gefangen hatte. Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie an John dachte. Auch John hatte sie vertraut und ihm ihre Pläne erzählt. Er hatte sie zwar zum Tunnel geführt, jedoch kurz darauf verraten. Ohne John hätte das Militär sie nicht gejagt. Ohne John hätte sie Nick nicht verloren.

Und sie hatte ihm vertraut. Sie hatte sich beinahe in ihn verliebt. Bei dem Gedanken schmerzte ihr Herz so sehr, dass sie es sich am liebsten aus der Brust reißen würde und sie konnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Wäre sie nur nicht so neugierig gewesen. Hätte sie damals in St Cloud einfach nur die Proben ins Labor gebracht und wäre wieder gegangen, dann wäre das alles gar nicht passiert. Sie hätte niemals von den grausamen Experimenten erfahren und wäre niemals ins Exil geschickt worden. Dann würde sie immer noch ihr ganz normales Leben führen, wo sie um fünf Uhr aufstand, zur Arbeit geht, um vierzehn Uhr Feierabend hatte und mit ihrer besten Freundin ein Eis essen ging. Ihre beste Freundin war nicht mal zu ihrer Verurteilung gekommen. Louisa vermisste ihr gemütliches, weiches Bett und das gute Essen, das man ihr jeden Abend servierte. Und ja, Louisa vermisste auch ihre Mutter. Nicht die blonde Frau mit dem hasserfüllten Blick, sondern die Frau, die sich Jahre lang um Louisa gekümmert hatte. Ihre Mutter, die jeden Tag zehn Stunden lang gearbeitet hatte und ihr jeden Abend eine warme Umarmung gegeben hatte. Die Mutter, die Louisa aufgezogen hatte und ihr Honig gab, wenn es ihr schlecht ging. Diese Mutter vermisste Louisa sehr.

Hugo sah zu Louisa herüber. Dann Griff er ins Handschuhfach und reichte ihr eine Plastikverpackung. "Hier, iss das. Das hilft", erklärte er. Louisa hob den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie nahm die Packung Schokolade entgegen und begann zu essen. Tatsächlich. Es half. Die Schokolade war zwar brüchig und trocken, aber sie half.

Plötzlich blieb Hugo stehen. Louisa hatte sich inzwischen beruhigt und sah auf. Ein riesige Tier kam aus den Büschen auf die Straße getorkelt. Hugo fuhr seinen Sitz zurück und duckte sich in den Fußraum des Wagens, sodass das Tier ihn nicht sehen konnte. Aber Louisa saß da, konnte sich nicht rühren, schluckte gerade noch das Stückchen Schokolade hinunter und starrte das merkwürdige Lebenwesen an. Es war groß, größer als ein Mensch.

Und es war hässlich.

Es sah aus, als würde irgendeine Krankheit auf seiner Haut wachsen, die sie hart und krustig machte. Das Wesen hatte ein eingefallenes Gesicht und große, raus stehende weiße Augen. Es öffnete den Mund und zeigte seine zwei spitzen gelben Zahnreihen. Louisas Blick fiel auf die langen Finger mit den Klauen. Plötzlich hatte sie einen Geistesblitz und erinnerte sich an die kalten Finger, die sie in den Mauern von St Cloud angefasst hatten. Das Kreischen, als das Tor nach draußen geöffnet wurde. Waren diese Kreaturen zwischen den Mauern etwa Skrim gewesen?

"Bist du wahnsinnig? Versteck dich!", flüsterte Hugo und sein Gesicht offenbarte blanke Panik.

Louisa blinzelte. Der Skrim blinzelte auch. Louisa legte den Kopf schief. Der Skrim tat es ihr gleich. Langsam legte Louisa die Decken auf Seite und stieg aus dem Auto aus. Die Monster in St Cloud hatten sie nicht angerührt, vielleicht würde ihr dieses hier auch nichts tun? Schritt für Schritt ging sie wie in Trance auf den Skrim zu. Dieser beobachtete sie, bewegte sich aber nicht. Louisa war nun so nah an der Kreatur, dass sie seinen köchelnden Atem hören konnte. Der Skrim sah sie mit seinen ausdruckslosen Augen an.

Plötzlich knallte hinter ihr eine Autotür zu und der Skrim bäumte sich wütend kreischend auf. Louisa duckte sich unter einem Schlag weg. Dann ein Knall, noch einer und der Skrim ging zu Boden.

Louisa traute sich die Augen zu öffnen und sah Hugo an, der gerade seine Waffe weg steckte, wütend auf sie zu kam und sie am Oberarm wieder auf die Beine zog.

"Sag mal, bist du komplett bescheuert? Willst du uns umbringen oder was?", schrie er und schüttelte sie. "Hast du noch nie einen Skrim gesehen, oder was? Das sind keine Hunde, Herrgott!"

Louisa befreite sich aus dem Griff, der nun zu schmerzen begann und schüttelte peinlich berührt den Kopf.

Hugo hielt inne und musterte Louisa eine gefühlte Ewigkeit. "Du bist die aus St Cloud", murmelte er ungläubig. "Nun, Hübsche." Hugo richtete nun seine Waffe auf Louisa. "Steig ins Auto."

Louisa zögerte. Sollte sie versuchen Hugo zu entwaffnen? Doch sie traute sich nicht. Sie würde sicherlich eine bessere Chance bekommen. Sie stieg wieder auf den Beifahrersitz und schwieg.

"Greif ins Handschuhfach und zieh dir die Kabelbinder um die Handgelenke." Louisa tat wie es ihr gesagt wurde und band sich die dicken Kabelbinder um die Handgelenke, sodass ihre Hände nun gefesselt waren. Ließ sie jedoch so locker, dass sie ihre Hände gerade noch hinaus ziehen konnte.

Als Hugo wieder einstieg und den Schlüssel drehte sah Louisa zu ihm auf. "Wohin bringst du mich?"

Hugo grinste und machte sich eine Zigarette an. "Ich bringe dich zu einem guten Freund von mir." Er startete den Motor. "Ich bringe dich zu Balter."

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