«11» - Kojoten

SASHA

"Wir sind jetzt bald am Black Hills Nationalpark", meinte Philipp, während er die Landkarte studierte, die sie im letzten Ort gefunden hatten.

"Ist das gut oder schlecht?", fragte Sasha und spielte mit einem großen Blatt, das sie an einem Baum abgerissen hat.

"Ich bin mir nicht sicher", setzte er an. "Es ist ein großer Nationalpark. Eigentlich ist da nichts als Wald, also wird es dort wahrscheinlich keine oder kaum Monster geben. Die treiben sich eher in den Städten oder an Straßen herum. Andererseits könnte es nicht so gut sein, dass wir dort auf andere Menschen treffen. Aber der Weg durch den Black Hills Nationalpark ist viel kürzer, als ihn zu umgehen", erklärte Philipp und faltete die Karte wieder zusammen.

"Was ist das?" Sasha hielt ihr Pferd neben einem dicken Baumstamm an und strich mit den Fingern über ein Zeichen, das mit roter Farbe auf die Rinde gemalt war. Es sah aus wie eine Rune und ähnelte einem Fuchskopf.

"Genau das, was ich befürchtet habe", murmelte Philipp und faltete die Karte wieder auf.

"Was denn?" Sasha holte ihn ein und sah ihn fragend an.

"Kojoten", antwortete Philipp knapp.

"Kojoten?"

"Kojoten sind Gruppen von Menschen."

"Also Gemeinschaften?", hakte Sasha weiter nach. Sie verstand nicht ganz, wieso Philipp so besorgt war.

"Nicht ganz. Kojoten reisen umher und haben manchmal ein riesiges Territorium. Sie bleiben aber nie an einem Ort. Sie überfallen andere oder jagen. Die großen Gesellschaften lassen sie meistens in Ruhe, da die Kojotenrudel normalerweise zu klein sind. Manchmal überfallen sie Reisende, wenn diese in ihr Revier eindringen. Doch meist kann man gut mit ihnen handeln. Manche sagen, dass es Kojoten gibt, die Kannibalen sind", erklärte Philipp. "Das Zeichen, das du gesehen hast, markiert den Rand des Reviers. Jede Gruppe hat eine eigene Rune. Der Fuchskopf ist das Zeichen der Leezen. Sie sind einer der wenigen besonders aggressiven Rudel. Aber die Rune war schon etwas älter, was heißt, dass sie sich gerade nicht in dem Teil ihres Reviers aufhalten. Wir sollten also nichts zu befürchten haben. Hoffentlich."

"Woher weißt du das alles?", fragte Sasha und Philipp steckte die Karte wieder weg.

"Ich war selber mal ein Kojote." Philipp sah sie mit seinen grünbraunen Augen eindringlich an und sie realisierte, dass er das noch nie jemandem erzählt hatte. Er war um einiges älter, als er aussah. "Ich war in einem kleinen Rudel. Unser Anführer war verrückt geworden, aber es gibt keine loyaleren Menschen als die Kojoten gegenüber ihrem Anführer. Er befahl uns, Riverside anzugreifen und zu überfallen, was natürlich unmöglich war. Riverside ist eine der größten Gemeinschaften Mittelamerikas. Wir verloren und Miles tötete fast alle von uns. Er nahm nur wenige auf, darunter mich." Er atmete durch. "Kojoten sind zwar gefährlich, weil sie in Gruppen auftreten, aber sie sind keine schlechten Leute. Sie kämpfen nur ums Überleben, so wie wir. Sie sind meistens fair und versuchen, Probleme ohne Gewalt zu lösen."

Sie brachten ihre Pferde an einem kaputten Maschendrahtzaun zum Stehen und sahen sich um. Weit und breit war nur Wald und Wiese zu sehen. Der Zaun hatte große Löcher, sodass sie ihn einfach passieren konnten. Neben einem Schild blieb Sasha nochmal stehen und wischte mit einer Hand den Staub hinunter. Betreten verboten, las sie in Gedanken. Die Schrift war von der Rune der Leezen übermalt.

"Meinst du, Miles kann uns hier noch finden? Meinst du, er sucht überhaupt nach uns?", fragte Sasha nach einer Weile, nachdem sie das öde Grasland vor ihnen angestarrt hatte.

"Wenn, dann nur, um uns den Garaus zu machen", erwiderte Philipp und strich seinem Pferd liebevoll durch die Mähne. Er hatte recht. Und sie wusste, wenn Miles sie finden würde, würde er garantiert keinen kurzen Prozess mit ihnen machen. "Aber ich denke nicht, dass er so weit weg von Riverside nach uns suchen würde." Genau in dem Moment ertönte ein lauter Ton hinter ihnen, als würde jemand durch ein Horn blasen. Sasha zuckte zusammen und sah sich um, als sie drei Pferde mit Reitern auf sie zugaloppieren sah. Die Reiter trieben ihre Pferde und hetzten sie über die große Wiese.

"Scheiße, wo kommen die denn her?", fluchte Philipp, während sie im wilden Galopp vor ihren Verfolgern flüchteten.

"Kojoten?", fragte Sasha.

"Nein."

Kurz bevor sie den Wald erreichten, schnitten ihnen zwei weitere Reiter den Weg ab und Sashas Pferd stoppte so abrupt, dass es stieg.

"Ruhig, ganz ruhig!", beschwichtigte sie ihre weiße Stute, während die anderen drei Reiter sie erreichten. Insgesamt fünf Reiter umkreisten sie. Sie sah sich die Reiter genauer an. Sie trugen Speere und Pfeile, einige hatten sogar Schwerter oder Macheten, doch es sah nicht so aus, als gehörten sie zu einer größeren Gesellschaft.

Blitzschnell zückte Sasha einen ihrer Pfeile und legte an und Philipp zog seine Waffe.

"Denk gar nicht dran, Kleine", knurrte eine Frau auf einem großen, schwarzen Pferd und richtete ihre Armbrust auf Sasha. "Du zuerst? Oder erst dein Pferd und danach du?" Sasha steckte den Pfeil wieder in den Köcher und hängte sich den Bogen um. Auch Philipp senkte seine Waffe.

Die Frau mit den kurzen Haaren entspannte sich.

"Was wollt ihr hier?" Die Kurzhaarige sah dabei Philipp interessiert an.

"Wir sind auf der Durchreise", erklärte er, nachdem Sasha und er einen kurzen Blick gewechselt hatten. Mit drei von denen wären sie noch fertig geworden, aber nicht mit fünf. "Wir wollen nach Portland."

"Wir sind anständige Leute", warf Sasha ein. "Wir tun niemandem etwas."

"Solche wie euch habe ich schon gesehen", meinte eine dunkelhäutige Frau mit dichten, dunklen Locken und deutete auf das Brandmal an Philipps Oberarm. Sashas Brandmal war von ihrem Oberteil verdeckt. "Ihr seid doch aus Riverside." Nach diesen Worten hoben alle fünf Reiter ihre Waffen. Sasha fiel auf, dass es alles Frauen waren. "Seid ihr hier, um zu spionieren? Wollt ihr uns ausrauben? Wir haben vor zwei Monaten schon fünf von euch erledigt."

"Nein! Wir sind geflohen!" In Philipps Stimme schwang Angst. "Wenn die uns finden, sind wir tot!" Sasha nickte zustimmend.

"Und ihr wollt nach Portland? Wieso?", fragte erneut die Frau mit den kurzen Haaren. Wieder wechselten Sasha und Philipp einen verunsicherten Blick.

"Es heißt, dort werden Überlebende aufgenommen. In Portland soll es eine große Gesellschaft geben", meinte Sasha nach einer Weile.

"Das wissen wir. Gut, ihr begleitet uns nach Evergreen. Ich denke, es wird Agnes interessieren, was ihr zu sagen habt." Die Kurzhaarige drehte sich um und trabte voraus. Sasha und Philipp blieb keine andere Wahl, als ihr von den anderen vier Fremden flankiert zu folgen und auf das Beste zu hoffen.

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