Kapitel 7

Vivi

Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, so sehr machte ich mir Sorgen. Meine Angst hatte sich schnell in brodelnde Wut verwandelt, als ich eine Gruppe Menschen mit der gleichen Uniform gesehen hatte, wie die, die Ciel entführt hatten.

Erst, als mich das Mädchen mit den Schwimmhäuten angesprochen hatte, verstand ich, was wirklich los war. Scheinbar hatte sich ein Teil ihrer Truppe selbstständig gemacht und bedrohte die ganzen magischen Wesen. Im nachhinein konnte ich mich wirklich glücklich schätzen, dass die Prinzessin, mir gegenüber, so verständnisvoll gewesen war.

"Wir sind auf dem Weg zu einem Anwesen am Spiegelsee, wo die Soldaten sich wahrscheinlich aufhalten," erklärte sie mir.

Während wir liefen, unterhielten wir uns etwas weiter. Ich erzählte ihr, dass ich eigentlich aus dem Nachbarland, Todar, kam und mit meinem Freund herumgereist war. Es lag nah genug an der Wahrheit.

Ein Problem, bekam ich erst, als sie fragte: "Was ist dein Freund denn für ein magisches Wesen?"

Ich hielt meinen Mund geschlossen. Auf keinen Fall konnte ich ihr sagen, dass er ein Seher war. Ciel war nun schließlich der letzte seiner Art. Es erschien mir falsch, es einfach so herauszuposaunen. Andererseits, wenn wir ihn dort finden, würden sie ihn doch sowieso alle sehen.

"Du bist nicht gezwungen darauf zu antworten," sagte sie schnell. Wahrscheinlich hatte sie mir angesehen, dass ich lieber nicht darüber sprechen wollte. Ich nickte ihr dankend zu.

"Hey," rief die raspige Stimme der Nixe, als sie sich zu uns gesellte. "Vivi, oder?"

Ich nickte. Sie nickte ebenfalls.

"Du bist doch 'n Mensch. Wie kommt's, dass du mit 'nem magisch'n Wes'n befreundet bist?"

"Ich hab ihn bewusstlos am Flussufer gefunden," begann ich. "Und habe ihn dann zu mir nach Hause gebracht, um mich um ihn zu kümmern. Naja, und dann führte eins zum anderen."

Ich zuckte mit den Achseln, nicht ganz sicher, wie ich es erklären konnte.
Mir war selbst nicht klar, warum ich mich so zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Sicher, am Anfang war es vielleicht wirklich die Aufregung gewesen, meine Abenteuerlust, aber jetzt...

Es war der Grund, warum ich mich entschieden hatte umzukehren. Ich war gerade erst unten an der Wiese angekommen, da bereute ich schon, mich von ihm getrennt zu haben. Wie angewurzelt, war ich stehengeblieben und hatte auf meine Füße gestarrt.

Ich hatte eine seltsame Schwere in meiner Brust gespürt, die ich nur als eine Art Heimweh einordnen konnte. Und dann wusste ich einfach, dass ich noch eine Weile bei ihm bleiben wollte.

Nura und Prinzessin Lorelei vertauschten kurz ein paar Blicke, bevor die Prinzessin weiter nach vorne lief und sich zu einem der Soldaten gesellte. Er war mindestens einen Kopf kleiner als Ciel, also auch ein wenig kleiner als ich, mit karamellfarbener Haut und braunen, zerzausten Haaren, die beinahe seine Schultern berührten.

Ich war mir nicht sicher warum, aber für mich schien es so, als hätte er einen anderen Status, als die restlichen Soldaten. Es war anders, als beim Kommandeur, bei welcher die Uniform, mit einem Abzeichen vor der Brust und einem Umhang, von den anderen abgehoben wurde. Nein, dieser Mann trug die gleiche Uniform wie alle anderen. Und doch wurde ich das Gefühl nicht los, als wäre er der Prinzessin gleichrangig.

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Vor einer Weile hatten wir den Fluss erreicht und folgten ihm nun bergauf, gegen den Strom, bis zum Spiegelsee. Der nun schmale Weg, auf dem wir liefen, war umgeben von hohen Bäumen. Allerdings waren die nichts, im Vergleich zu den Bäumen im Veersheilwald. Die Nachmittagssonne schien durch die poröse Vegetationsdecke und blendete mich hin und wieder, sodass ich meine Hand schräg vor meine Augen halten musste.

Je länger wir liefen... Je näher wir unserem Ziel kamen, desto nervöser wurde ich.
Was hatten sie mit Ciel gemacht? War er verletzt? Was, wenn er überhaupt nicht dort war? Was, wenn wir ihn nicht finden würden?

Ich hörte ein paar Rufe von vorne. Aufgeregt lief ich in die vorderste Reihe, während die Nixen sich hinten versteckt hielten.
Vor uns standen zwei Soldaten, die scheinbar zu der Gruppe von Entführern gehörten.
Sie waren überrascht, aber glücklich darüber, ihre Prinzessin zu sehen. Allerdings konnte man das von ihr nicht sagen.

"Führt uns zum Anwesen," sagte sie mit neutraler Miene.

"Es ist gleich flussaufwärts," sagte der eine. "Wir müssen jedoch unsere Runde fortführen."

"Eure Befehle sind aufgehoben. Ihr kommt mit uns," drängte Prinzessin Lorelei.

Die zwei Soldaten sahen sich verwirrt an, aber gehorchten ihren Worten.
Tatsächlich war es bis zum Anwesen nicht mehr weit. Wir kamen auf einer breite Rasenfläche an. Auf unserer linken Seite erstreckte sich der große Spiegelsee und vor uns ein großes Anwesen aus hellem Stein. Es besaß viele Fenster, mit Fensterläden aus Holz und einer breiten Eingangstür.

Die Prinzessin bat die beiden Soldaten des anderen Trupps, ihre Kameraden zusammenzutrommeln. Ich hätte am liebsten gleich das ganze Haus durchsucht, aber in der Anwesenheit der Prinzessin wäre das wahrscheinlich nicht gut für mich ausgegangen. Das wäre ja schließlich Einbruch gewesen.
Mir blieb also, für den Moment, nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen.

Die Eingangstür öffnete sich und einige Soldaten in Uniform kamen nacheinander herausgelaufen, gefolgt von einem großen, stämmigen Mann mit rötlich-braunen Haaren und einem gleichfarbigen Vollbart. Er sah böse aus. Anders konnte ich ihn nicht beschreiben.

Im Gegenteil zu den Soldaten, sah er nicht besonders froh aus die Prinzessin zu sehen.
Er blieb ein paar Meter vor ihr stehen und sprach, ohne jegliche Verbeugung oder Gruß.

"Prinzessin, solltet Ihr nicht im Schloss sein und euch krönen lassen?"

Das Wort 'Prinzessin' klang aus seinem Mund fast wie eine Beleidigung. Es gefiel mir gar nicht.

Die Prinzessin hob jedoch nur ihren Kopf an. "Das hat zurzeit keinen Vorrang."

Nun schien auch der ganze Rest der Soldaten hier angekommen zu sein. Die Prinzessin sah sich kurz um, vielleicht um sicher zu gehen, dass auch wirklich alle da waren.

"Ich hoffe Ihr habt einen guten Grund dafür, meine Männer von ihren Posten zu holen."

"Allerdings, das habe ich. Denn das, was ich nun verkünde, soll jeder mit seinen eigenen Ohren hören."

Ihre Stimme wurde lauter, sodass jeder sie klar verstehen konnte, aber sie hielt ihren Blick allein auf den großen Mann gerichtet.

"Und ich möchte, dass mir jeder einzelne von euch genau, von Anfang bis Ende, zuhört."

Sie nahm einen tiefen Atemzug, bevor sie fortfuhr.

"Wie ihr alle wisst, war ich mit eurem Kommandeur und Kameraden auf einer Reise zu den Nördlichen Gebieten. Das Wissen, das wir dort ergattern konnten, möchte ich nun auch mit euch teilen.

Wir haben friedlichen Kontakt, mit magischen Wesen, hergestellt."

Daraufhin tuschelten viele Soldaten unter sich, aber wurden schnell von Tressa wieder leise gestellt. Der große Mann zog nur eine angwiderte Grimasse.

"Aber nicht nur das. Wir haben uns mit ihnen ausgetauscht, uns gegenseitig geholfen, ja, sogar Freundschaften geschlossen.

Ich weiß, viele unter euch mögen das im Moment noch als unmöglich empfinden, aber so wahr ich hier stehe, so wahr wir alle hier stehen, es ist die Wahrheit."

"Unsinn!" rief der stämmige Mann plötzlich dazwischen. "Eure Naivität, kennt eindeutig keine Grenzen, Prinzessin. Habt ihr etwa schon vergessen, wie Aphillia angegriffen wurde? Wie unser Schloss angegriffen und zerstört wurde. Wie unsere Kameraden, einer nach dem anderen, gefallen sind... Wie der König gefallen ist.

Wir haben Schlag um Schlag eingesteckt, ohne zurückzuschlagen. Es ist mehr als eindeutig, dass diese Monster, eine Gefahr für uns alle darstellen. Sie haben ihre Möglichkeit auf Frieden gehabt, nun schlagen wir zurück."

"Ich verstehe eure Wut. Und ich spüre euren Schmerz. Aber wir dürfen uns nicht von diesen Gefühlen fehlleiten lassen.
Nehmt einen Schritt zurück und überlegt, was ihr hier tut. Ihr nehmt wahllos, unschuldige Personen gefangen. Personen, die wie ihr, eine Familie haben, Freunde, ein Zuhause indem jemand auf sie wartet.

Ja, wir müssen diese Konflikte lösen, aber nicht, indem wir anfangen die Unschuldigen zu bestrafen."

Ihre Worte waren mit so viel Gefühl und Überzeugung gesprochen, dass es unmöglich gewesen war wegzuhören.
Leider schienen nicht alle so begeistert von ihren Worten zu sein, wie ich es war.
Der vollbärtige Mann klatschte langsam in die Hände.

"Nette Worte, Prinzessin. Aber seien wir ehrlich. Ihr habt diese schöne Vorstellung, in der Ihr denkt, Ihr könntet euch einfach aussprechen und dann alle friedlich zusammenleben. Doch ich muss euch enttäuschen. So funktioniert die Welt nun einmal nicht. Sagt mir, wie wollt ihr vorgehen, um diesen 'Konflikt' zu beenden? Was ist Euer großer Plan?"

Eine unheimliche Stille breitete sich aus. Der Mund von Prinzessin Lorelei blieb geschlossen und sonst traute sich scheinbar niemand zu Wort. Ich hatte das Gefühl, dass sie diese Auseinandersetzung gerade verloren hatte.

"Nun denn, gute Rückkehr ins Schloss, Prinzessin," sagte er und wandte sich an seine Soldaten.
"Zurück auf eure Posten."

Tressa nahm nun jedoch einen großen Schritt in seine Richtung. "Wenn Ihr Euch gegen den Wunsch der Prinzessin stellt, stellt Ihr Euch auch gegen die Krone."

Der Mann drehte sich nur halb zu uns um. "Die Krone ist bereits tot." 

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