Kapitel 5

Lorelei

Wir waren auf dem Weg gen Süden, zum Spiegelsee, wo wir hoffentlich Barl und den Rest der Soldaten finden würden.
Ich war nervös. Auch wenn Tressa meinte, dass Barl verpflichtet sein würde, mir zuzuhören, zweifelte ich dennoch stark daran, dass er das wirklich tat.

Ich seufzte und sah zur Seite, wo Dorean sich meinem Tempo angepasst hatte. Seine zerzausten, braunen Haare bewegten sich im Wind, wodurch man hin und wieder die kahle Stelle hinter seinen Ohren sehen konnte - seine Narben.

Er schien in seinen eigenen Gedanken verloren zu sein. Das war jedoch kein Wunder, mit allem, was Nura uns erzählt hatte. Die Nixen waren davon überzeugt, dass Dorean der Drakonier aus der Prophezeiung war und ich musste zugeben, dass es eigentlich ganz plausibel klang.

Mein Herz zog sich in meiner Brust zusammen, als mir auffiel, dass ich seit diesem Zeitpunkt kein einziges Wort mit ihm gewechselt hatte.

"Dorean," fing ich an, aber war mir unsicher, was ich sagen sollte.

Er sah kurz zu mir herüber und dann wieder nach vorn.

"Glaubst du, dass Nura recht hat?" fragte er zögerlich.

"Nun, wir können die Möglichkeit nicht ausschließen. Es könnte gut sein."

Wir schwiegen für eine Weile. Ich wusste nicht, was ich ihm noch dazu sagen konnte. Ehrlich gesagt war ich mir selbst nicht sicher, ob ich Nura glaubte.

"Lorelei," sagte Dorean auf einmal und ich drehte meinen Kopf erneut zu ihm. "Beim Kampf im Schloss..."
Seine Stimme versagte, aber ich verstand sofort worauf er hinauswollte.

"Richtig, stimmt ja. Was war denn dieser 'glückliche Zufall', von dem Tressa gesprochen hatte?"

Dorean presste seine Lippen aufeinander. "Ich... ich versteh' nich' wirklich, was passiert is'... Da war 'n Fantom und ich bin hinterher."

"Ein unsichtbares Fantom?" fragte ich und er nickte.

"Es kam genau auf dich zu und ich..."

Ich ließ ihm etwas Zeit, um seine Worte zu wählen. Er zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf.

"Ich war zu weit weg," sagte er letztendlich. "Ich hätte dich nich' rechtzeitig erreicht..."
Er öffnete ein paar Mal seinen Mund, ohne zu sprechen, bevor er seine Stimme wiederfand.
"Und dann war da dieses Gefühl."

Er schüttelte nochmals den Kopf, so als würde er seine Gedanken abschütteln wollen.

"Lorelei, es hat Feuer gefangen."

Seine Augen waren weit aufgerissen, als er es mir sagte und ich starrte mit ebenso großen Augen zurück. Irgendwo in meinem Kopf, kamen die Erinnerungen der brennenden Menschen in Aphillia zu mir zurückgeflogen, ihre gequälten Schreie, doch ich schob sie erst einmal zur Seite - Genau wie alle anderen meiner Gefühle.

"Du hast deine Magie benutzt. Wie ist das möglich?"

Seinem Gesichtsausdruck zufolge hatte er auch keine Antwort darauf. Er zuckte nur mit den Achseln.

"War kein großes Feuer. Schnell gelöscht... Aber es hat für ganz schönes Chaos, unter den magisch'n Wes'n, gesorgt."

Ich lächelte, als die Information wirklich bei mir ankam.
"Du hast mir wieder das Leben gerettet."

Das brachte ein kleines Lächeln auf seine Lippen. "Sieht ganz so aus."

Ganz vorne, gab es plötzlich einen Aufruhr und wir eilten zu Tressa, Milo und Cait.

In der Mitte der Straße stand eine junge Frau, die uns wütend ansah. Sie trug eine dunkelbraune Latzhose mit einem weißen langarmshirt darunter. Ihre schulterlangen, blonden Haare sahen etwas zerzaust aus, so als hätte sie sie eine Weile nicht mehr gekämmt. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt, die an ihren Seiten vor Anspannung regelrecht zitterten.

Ich stellte mich zu Tressa, die ruhig auf sie zuging.

"Können wir Ihnen irgendwie behilflich sein, Fräulein?" fragte Tressa die Blondine, doch das schien sie nur mehr zu verärgern.

"Willst du mich auf den Arm nehmen?!" schrie sie zurück. "Wo ist er? Wo habt ihr ihn hingebracht?!"

Hingebracht? Wen denn?

"Hier muss ein Missverständnis vorliegen," versuchte ich, aber es brachte nichts.

"Komm mir bloß nicht damit! Als würde ich dir das abkaufen!"

Tressa ging einen großen Schritt auf sie zu. "Zügele deine Zunge. Du sprichst hier schließlich mit der Prinzessin."

"Umso schlimmer!" wütete die junge Frau. "Euer eigenes Volk zu verschleppen, nur weil sie... euren Idealen nicht entsprechen. Kein Status der Welt, gibt euch das Recht dazu!"

Ich nahm einen sicheren Schritt vorwärts. "Richtig. Niemand hat das Recht zu so etwas. Ich habe nichts dergleichen angeordnet."

Sie lachte humorlos auf und zeigte auf meine Soldaten.
"Wenn das wirklich stimmt, warum haben die Leute dann genau die gleiche Uniform getragen?"

Meine Augen weiteten sich und ich sah zu Tressa.

"Is' dein Freund 'n magisches Wes'n?" fragte Dorean plötzlich von hinten.

Die Blondine schluckte sichtlich und zögerte mit ihrer Antwort; Schlussendlich nickte sie aber.
Das würde bedeuten, dass die Soldaten unter Barls Führung wahllos magische Wesen entführten. Wie war es nur soweit gekommen?

"Hör mir zu, bitte," sagte ich. "Diese Soldaten handeln nicht nach meinen Befehlen. Wir sind selbst auf der Suche nach ihnen."

Sie sah immer noch ungläubig aus, aber ich wusste nicht, was ich sagen konnte, um sie zu überzeugen. Erst als ich Nuras Stimme hörte, fiel es mir ein. Ich drehte mich nach hinten und winkte die Nixen zu mir.

"Was is'?" fragte Nura, während sie sich mit einer Hand durch ihre unterschiedlich langen Haarsträhnen fuhr.

Ich zeigte auf die Blondine. "Sie glaubt wir hätten jemanden entführt. Er ist ein magisches Wesen, also denke ich, dass sie eher euch glauben wird, als mir."

Nura nickte kurz und ging dann auf die junge Frau zu. Als die Nixe ihre Hände hob und der jungen Frau ihre Schwimmhäute zeigte, entspannte sich ihr Körper schon einmal sichtlich.

"Lorelei is' meine Freundin. Die is' voll okay," sagte Nura mit ihrer rauen Stimme und mein Herz schwoll leicht an. Ich freute mich, dass sie mich als Freundin betrachtete. "Anscheinend such'n wir dieselben Leute. Komm einfach mit uns mit."

Die Blondine sah kurz über Nuras Schultern, zu mir, und dann wieder zurück zur Nixe. Endlich entfalteten sich ihre Hände und sie nickte. Dann kam sie auf mich zu und sah mich verlegen an.

"Entschuldigung, dass ich Euch beleidigt habe."

Ich schüttelte den Kopf und lächelte sie an.
"Ich bewundere deinen Mut. Du warst so sehr in Sorge, dass du dich nicht einmal von unserem Trupp hast einschüchtern lassen."

Ich nahm einen tiefen Atemzug und fuhr dann fort.

"Was deinem Freund widerfahren ist, tut mir leid. Doch ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert."

Als Reaktion bekam ich ein kleines Lächeln, woraufhin meine eigene Anspannung auch endlich ein wenig fiel.

"Aber genug davon," sagte ich erleichtert. "Wie darf ich dich denn nennen?"

Die Blondine lächelte leicht und machte einen kleinen, verbesserungsfähigen Knicks, bevor sie sich mir vorstellte.

"Ich bin Viviane Kallet, aber nennt mich ruhig Vivi."

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