Kapitel 4

Dorean

Seit dem Kampf im Schloss, war die Moral in der Gruppe ganz schön im Keller.

Lorelei war die ganze Zeit lang wie in einer Trance gewesen. Sie hatte scheinbar nichts von meiner... Tat mitbekommen. Ich schämte mich, das zu denken, aber ich war froh darüber. Mit den Erfahrungen, die sie mit drakonischem Feuer hatte, war es so vielleicht das beste. Der Tod ihres Vaters war schon schlimm genug.

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Wie angewurzelt blieb ich stehen und sah zu wie sich die magischen, orange-roten Flammen am Körper des Fantoms festbissen. Es schrie auf und wurde mit einem Mal wieder sichtbar.

Ich zitterte nicht. Nein, mein ganzer Körper bebte. Das war nicht wirklich gerade passiert, oder? Hatte ich wirklich gerade, ohne Mal, meine Magie benutzt? Wie? Das konnte einfach nicht sein. Es war unmöglich.

Und doch hatte ich deutlich gespürt, wie die Magie meinen Körper verlassen hatte. Es hatte sich so natürlich angefühlt. So befreiend.

Das Fantom versuchte vergeblich das Feuer, das seinen Körper verschlung, zu löschen. Seine gequälten Schreie zogen sich über das ganze Schlachtfeld, was einmal der vordere Teil des Schlosses gewesen war, und bald lagen alle Blicke auf ihm.

Als seine Schreie endlich versiegten und das Feuer nur noch an einem leblosen Körper nagte, durchzog ein neuer Schrei die Menge.

"DRAKONIER!"

Unter den magischen Wesen brach das pure Chaos aus. Panik und Angst lagen in der Luft.

"Drakonier!" hörte ich nochmal.

"Rückzug!" rief ein anderer. "Rückzug!"

Und im nächsten Augenblick waren sie auch schon verschwunden. Die Menschen brauchten ein paar Momente, um zu realisieren, dass der Kampf vorbei war, dass sie gewonnen hatten.
Es gab jedoch kein richtiges Gejubel, sondern nur müde Seufzer. Hier und da fielen sich erleichtert ein paar Soldaten in die Arme, aber das war auch alles.

Mein Herz schlug wild gegen meinen Brustkorb und mein Atem kam genauso schnell. So bekam ich nicht genug Luft. Mir wurde schwindelig und ich taumelte einen Schritt rückwärts.

Doch dann spürte ich eine Hand auf meinem Rücken, die mir etwas Halt gab, und ich drehte meinen Kopf leicht zur Seite. Es war Tressa. Ihrem Gesichtsausdruck zufolge, hatte sie wohl schon eins und eins zusammen gezählt. Nach allem was wir durchgemacht hatten, wusste ich, dass ihr dieses Wissen nichts ausmachen würde, aber bei allen anderen... 

Es war alles nur in meinem Kopf, aber das machte es nicht besser.

Mir wurde plötzlich klar, dass ich hier das einzige magische Wesen war. Ein Drakonier zwischen einer Vielzahl von bewaffneten Soldaten.
Wenn es sonst jemand herausfinden würde...

Panisch sah ich mich um. Ich musste hier raus.

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Die Soldaten, die geblieben waren, hatten begonnen ihre gefallenen Kameraden zu beerdigen und das Schloss wieder aufzubauen.

Es gab einige freiwillige Arbeiter in Aphillia, die beim Wiederaufbau des Schlosses helfen wollten. Reno hatte sie dorthin begleitet und überwachte nun die Bauarbeiten.

Jetzt, wo Lorelei wieder voll ansprechbar war, gab es nicht nur viel zu besprechen, sondern auch dringendes zu tun. Deshalb hatten wir uns zu dritt im Gesellschaftsraum des Gasthauses verschanzt, um alles zu besprechen.

"Barl ist mit dem Großteil unserer Soldaten den Angreifern hinterher. Sie streben nach Vergeltung," erzählte Tressa.

"Das ist Unsinn," meinte Lorelei. "Dabei gießen sie nur weiter Öl ins Feuer."

"Das ist nicht alles, Prinzessin. Wir haben auf unserer Reise viel erlebt und Neues erfahren. Weder Barl, noch die Soldaten wissen, was wir wissen. Ich befürchte, dass er jedes magische Wesen angreifen wird, das ihm über den Weg läuft."

Lorelei schüttelte müde den Kopf. "Vater hätte ihn schon längst davon abgebracht."

"Und nun ist es Eure Aufgabe."

"Nein, unmöglich," antwortete Lorelei, während sie sich in ihrem Sessel nach vorn lehnte. "Er wird nicht auf mich hören."

"Mit dem Tod des Königs, geht die Krone nun auf Euch über. Er wird auf Euch hören müssen."

Lorelei sah immer noch skeptisch aus.

Sie ist unsicher. Verzweifelt. Überfordert.

Aber sie schob ihre Gefühle beiseite und setzte ein strammes Gesicht auf.

"Also gut, was schlägst du vor?" fragte sie Tressa.

"Wir wissen, dass sie nach Südosten gegangen sind. Laut Reno, besitzt Barl ein Anwesen südlich von Jem, am Spiegelsee."

Plötzlich stürzte Lucas durch die Tür. "Ihr müsst... zum Stadtplatz," sagte er völlig außer Puste. "Schnell."

Wir sprinteten gemeinsam zum Stadtplatz. Viele Menschen hatten sich vor dem großen, baumförmigen Springbrunnen, auf der mitte des Platzes, versammelt.

Als Tressa lautstark Loreleis Ankunft bekanntgegeben hatte, machten die aufgebrachten Leute etwas Platz, um uns durchzulassen.
Ich sah Milo, Cait und Mark, wie sie versuchten die Leute von einer kleinen Gruppe Reisender fernzuhalten. Und als wir näher kamen, verstand ich auch wieso.

"Nura?" rief Lorelei überrascht.

Die schwarzhaarige Nixe lächelte.

"Jap. Und die hier."

Sie zeigte auf die drei männlichen Nixen hinter sich, die ihr sehr ähnelten. Alle drei hatten schwarze Haare und elfenbeinfarbene Haut. Sie waren eindeutig Geschwister. Zwei von den Brüdern waren etwas größer als ich, was nicht besonders schwer war, und trugen dunkelblaue, enganliegende Ganzkörperanzüge mit einem einfachen Umhang darüber. Der dritte Bruder trug die gleiche Art von Klamotten, war aber gerade mal so groß wie Nura, die ungefähr so groß war wie Lorelei. Er schien sehr jung zu sein, vielleicht um die fünfzehn Jahre.

"Schön dich zu sehen," fing Lorelei an. "Aber was tut ihr denn überhaupt hier?"

"Lange Geschichte," antwortete Nura knapp.

Ich sah mich in der Menge um. Die Gesichter der Menschen waren unbezahlbar. Keiner schien zu wissen, wie sie darauf reagieren sollten, dass ihre Prinzessin mit magischen Wesen befreundet war.

"Dann reden wir am besten im Gasthaus," sagte Lorelei zu der Nixe und sah dann um sich, zu ihren Bürgern.

Sie stieg auf den Rand des Brunnens und fing an laut zu sprechen.

"Es herrscht kein Grund zur Sorge! Diese Reisenden sind nicht unsere Feinde! Bitte, schenkt ihnen die Gastfreundschaft, die ihr auch Menschen geben würdet."

Die Menschen sahen ziemlich misstrauisch aus, sahen stirnrunzelnd von einem zum anderen. Aber das konnte ich ihnen nicht verübeln, nach dem Angriff der Drakonier und all den Gerüchten, die bestimmt die Runde machten. Ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, wie sie auf mich reagiert hätten, hätte ich noch meine Hörner gehabt.

Jedenfalls schafften wir es, ohne weitere Vorfälle, zum Gasthaus und setzten uns wieder in den Gesellschaftsraum.

"Nun, dann erzähl mal," bat Lorelei und Nura fing gleich damit an.

"Als ich wieder Zuhause war, hab' ich mit den Ältest'n gesproch'n. Die Nixen woll'n die Leute der Prophezeiung unterstützen. Deshalb hab' ich'n paar Freiwillige zusammengetrommelt. Meine älteren Brüder, Casat und Naqai. Plus unser'n Jüngsten, Lyen."

"Oh, dann können wir wohlmöglich zusammenarbeiten," sagte Lorelei aufgeregt. Es war schön, sie endlich wieder etwas lächeln zu sehen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.

Nura runzelte die Stirn. "Was meinst 'n du mit 'wohlmöglich'? Ihr seid doch schon längst Teil der Prophezeiung."

Okay, das war überraschend. Mit großen Augen, sah ich mich im Raum um. Anscheinend ging es nicht nur mir so. Alle starrten die Nixe geschockt an.

"Das verstehe ich nicht," sagte Lorelei endlich. "Inwiefern gehören wir dazu?"

Die Nixe seufzte übertrieben laut und warf ihren Brüdern einen 'Könnt ihr das glauben'-Blick zu.

"Das euch das nich' aufgefall'n is'... Na, zum Glück sind wir ja jetz' da. Erinnerst du dich an den Teil mit den Drakoniern?"

Lorelei nickte verwirrt. Daraufhin hob Nura eine Hand und zeigte mit ihrem Finger auf mich.

"Es geht um ihn."

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