Kapitel 28

Vivi

Es war soweit. Ich folgte dem Weg weiter bis zu Ciels Heimatdorf. Schnell sah ich nochmal über meine Schulter zum Waldrand, wo sich der Seher zwischen den Bäumen versteckte. Ich konnte ihn von hier aus nicht sehen, was gut war, denn so würde ihn niemand finden.

Mir war klar, dass ich diejenige war, die das überhaupt vorgeschlagen hatte, aber jetzt wurde ich doch ganz schön nervös.

Gleich würde ich Ciels Familie kennenlernen. Seine Freunde... Seine Mutter. Und dann müsste ich ihnen irgendwie klarmachen, dass Ciel noch lebte, aber in ein magisches Wesen verwandelt wurde. Ob sie mir das überhaupt glauben würden? Wenigstens war er nicht weit weg. Ich konnte ihn also jederzeit herrufen.

Ich nahm noch einen tiefen Atemzug und zwang meine Beine vorwärts. In langsamen Schritten ging ich an ein paar Häusern vorbei. Es war still hier, als würden sich nicht viele Leute hier aufhalten. Nach ein paar weiteren Schritten hörte ich ein lautes Kling!

Und dann gleich wieder, Kling!

Ich folgte dem sich wiederholenden Geräusch bis hin zu einer kleinen Schmiede.

Kling!

Ein Mann mittleren Alters stand vor einer Werkbank und schlug mit einem Hammer immer wieder auf etwas metallisches ein. Das musste der Schmied sein, der Ciel ausgebildet hatte.

Er war nicht ganz so groß wie Ciel, aber dafür noch etwas breiter gebaut. Um seine Hüfte war ein grauer Schurz gebunden, der schon mit verschiedenen Flecken beschmutzt war.

Während ich ihn betrachtete, sah er von seiner Arbeit auf. Seine Augen blitzen kurz überrascht, bevor er seinen Hammer zur Seite legte und die Hände an seinem Schurz abwischte. Lächelnd kam er zu mir herübergelaufen.

„Hallo Reisende", grüßte er mich, während er sich eine Hand über seinen kahlen Kopf fuhr – eine Geste, die Ciel auch öfters machte.

„Ich bin Velten", fuhr er fort und streckte mir seine Hand entgegen.

Ich schüttelte seine Hand und stellte mich ebenfalls vor.

„Und, was bringt dich in diese Gegend, Vivi?"

„Ich ähmm... bin wegen meinem Freund hier. Es ist eine lange Geschichte."

Meine Worte schienen ihn sichtlich zu verwirren, denn er blinzelte mich ein paar Mal an.

„Na gut", meinte er nach ein paar Augenblicken, „komm, ich führe dich erstmal ein wenig herum."

Ich nickte und folgte Velten durch das kleine Dorf.

„Wo sind denn alle Bewohner?" fragte ich vorsichtig.

Velten seufzte und fuhr sich durch seinen dunkelblonden Vollbart.

„Die sind Mount. Mephisto hochgelaufen", antwortete er und zeigte auf den hohen Berg, der über unseren Köpfen türmte, „Vor ein paar Wochen gab es einen... Unfall in den Minen. Seitdem arbeiten alle daran sie wieder freizuräumen."

Er musste von dem Mineneinsturz sprechen, bei dem Ciel eingesperrt und schließlich in einen Seher verwandelt wurde. Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, wie das überhaupt möglich war. Wie konnte man einen Menschen einfach so verwandeln?

„Was das angeht", begann ich, doch wurde schnell übertönt.

„Velten!" rief eine weibliche Stimme den Berg hinunter.

„Hier unten!" antwortete der Schmied automatisch.

Ein Mädchen in meinem Alter kam den Steinweg heruntergelaufen, gefolgt von einer Handvoll anderer Leute.

„Velten, du wirst nicht glauben, was wir gerade erfahren haben!" rief das Mädchen unnötig laut. Sie schien mich gar nicht richtig wahrzunehmen. Erst als ein junger Mann ihr eine Hand auf die Schulter legte, beruhigte sie sich etwas. Als ich die beiden etwas genauer betrachtete, gab es für mich keinen Zweifel. Das waren Sophie und Adrien, ganz sicher.

„Oh?" stieß das braunhaarige Mädchen aus, „noch ein Besucher?"

Verwirrt legte ich meinen Kopf schief. Noch einer?

„Genau", antwortete Velten mit einem Nicken, „und du wolltest mir gerade etwas erzählen?"

Nervös wanderte mein Blick zwischen den einzelnen Personen hin und her. Aber es führte jetzt kein Weg mehr zurück.

„Also, das wird jetzt etwas eigenartig klingen, aber, was dieses Erdbeben vor ein paar Wochen betrifft..."

„Ja, genau!" sprach Sophie, als ich zögerte, „das wollte ich auch gerade erzählen. Der andere Besucher hat es uns gerade erklärt. Pass auf. Velten, das wird dich umhauen. Das Erdbeben wurde von Dämonen verursacht, die uns alle umbringen wollen."

„Was?!" rief ich entsetzt, „das ist totaler Schwachsinn!"

Sophie verengt ihre Augen zu Schlitzen und musterte mich verdächtig.

„Er hat auch gesagt, dass es Menschen gibt, die gemeinsame Sache mit diesen Monstern machen."

Genervt verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Und wer soll dieser Kerl sein, der so gut Bescheid weiß?"

„Nur einer der königlichen Berater höchstpersönlich."

Sophie schien äußerst zufrieden mit ihrer Aussage zu sein, doch mir lief plötzlich ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Meinte sie etwa diesen Barl, der Ciel und die anderen magischen Wesen eingesperrt hatte?

Oh nein. Nein, nein, nein. Das war gar nicht gut.

Ich sollte hier so schnell wie möglich raus. Ich musste Ciel finden und ihn so weit wegbringen, wie nur möglich.

„Ja, gut", sagte ich schnell, „wenn er das sagt, dann muss das natürlich stimmen."

...

Mist, klang das jetzt zu sarkastisch?

Ich nahm einen Schritt zurück und noch einen, bis ich jedoch in jemanden reinlief. Erschrocken sah ich über meine Schulter und fand die hellbraunen Augen des Jungen Mannes, von dem ich dachte, er sei Adrien. Aber wie war er so schnell hinter mich gelangt?

Bevor ich mich versah, hatten mich die Geschwister schon an den Handgelenken gepackt und hielten sie hinter meinem Rücken fest.

„Sophie, Adrien, was soll das?" sprach Velten entsetzt, doch die Geschwister schien das nicht zu interessieren.

Sie zerrten mich in ein kleines Gartenhäuschen, wo sie mich an einem Stuhl festbanden. Velten war uns protestierend gefolgt, konnte die Geschwister aber nicht umstimmen, mich wieder loszubinden.

Sophie verschwand gleich wieder aus dem Raum, gut möglich, dass sie diesem königlichen Berater Bescheid geben würde. Ich musste die Gelegenheit nutzen solange mit Adrien zu sprechen, solange er noch nicht hier war.

„Ich weiß, es muss verrückt klingen... Besonders nachdem ihr schon etwas anderes gehört habt, aber-"

„Es reicht", unterbrach Adrien, „glaubst du wirklich, wir würden einer beliebig fremden Person eher glauben als einem Berater der Krone?"

Da hatte er recht. Wie sollte ich beweisen, dass ich die Wahrheit sagte?

„Also glaubst du, dass alle magischen Wesen böse sind, ohne jemals eins getroffen zu haben?" fragte ich den jungen Mann.

„Nach allem, was ich über die Angriffe auf Aphillia und das Schloss gehört habe. Ja."

„Und wenn Ciel eines wäre?"

Hoppla. So hatte ich das nicht sagen wollen...

Adrien und Velten sahen mich mit riesigen Augen an.

„Was hast du gesagt?" fragte Velten in einem fast flüsternden Ton.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich weitersprach. Ich durfte jetzt keinen Fehler machen.

„Und wenn Ciel ein magisches Wesen wäre, würdet ihr ihn dann auch als Feind sehen?"

„Ciel ist tot!" schrie Adrien los, „erzähl nicht so einen Mist!"

Der junge Mann stürmte aufgewühlt aus dem Raum, was nur noch mich und Velten hinterließ. Der Schmied stand wie festgefroren auf der Stelle. Ich traute mich gar nicht mehr weiterzusprechen. Nach ein paar Augenblicken hörte ich wie Velten laut ausatmete. Langsam kam er auf mich zugelaufen und kniete sich vor mir hin.

„Ich habe dir von dem Unfall erzählt, aber nie von Ciel... Woher kennst du diesen Namen?"

Entschlossen erwiderte ich seinen suchenden Blick.

„Er hat ihn mir selbst gesagt."

Ich erzählte Velten alles, was ich über ihn und Ciel wusste – dass er den Rotschopf als Kind unter seine Fittiche genommen hatte und ihm später die Kunst des Schmiedens beigebracht hatte.

„Und du hast ihn immer Sunny genannt, weil sein Lächeln so hell strahlt wie die Sonne."

Okay, der letzte Teil war von mir... aber ich war sicher nicht die Einzige, die so dachte.

Ciels Ziehvater lief mittlerweile vor mir auf und ab. Er war aufgewühlt und verwirrt.

„Woher weißt du das alles?" fragte er, obwohl ich ihm die Antwort darauf schon gegeben hatte.

Ich öffnete meinen Mund, um nochmal zu betonen, dass Ciel es mir selbst erzählt hatte, doch bevor ich das tun konnte, öffnete sich die Tür.

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