Kapitel 26
Dorean
„Was machen wir jetz'?" fragte Casat leicht genervt.
Nachdem der Naja verschwunden war, hatten wir uns etwas von der Stadt entfernt. Jetzt saßen wir am Waldrand und wussten nicht so richtig weiter.
„Ich weiß doch auch nich'", antwortete Nura, „Ich kann immer noch nich' glauben, dass der Kerl einfach gegangen is'."
Man konnte ihr ansehen, dass sie richtig eingeschnappt war.
Die Geschwister unterhielten sich weiter, aber ich hörte nur mit einem Ohr zu. Mein Blick lag die ganze Zeit auf dem Hügel, hinter dem sich die Burg befand.
Als ich den Naja zum ersten Mal gesehen hatte, war mir sofort klar gewesen, dass etwas nicht ganz stimmte. Wütend hatte er mich angemotzt, dass ich nicht hier sein durfte und doch konnte ich ganz deutlich spüren, wie froh er darüber war. Er half mir Nura und Casat zu finden, obwohl es ihn irgendwie verletzte. Warum? Warum hatte ihm das so zu schaffen gemacht?
Erst, als er gegangen war, verstand ich es, doch da war es schon zu spät gewesen. Ich hatte nicht schnell genug geschaltet.
‚Du entehrst deine Familie'
Dieser Mann kannte mich. Er wusste wer ich gewesen war, bevor ich meine Hörner verloren hatte. All die Jahre, und dabei war er die ganze Zeit so nah gewesen...
„Dorean", erklang plötzlich eine Stimme in meinem Ohr und riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte meinen Kopf zu den beiden Nixen, die mich mit grimmigen Mienen ansahen.
„Was is' los?" fragte Casat.
Ich seufzte. „Der Naja... Ich glaub' er kennt mich."
Verwirrt sahen mich die Geschwister an und ich bemerkte, dass ich ihnen noch nie von meinen fehlenden Erinnerungen erzählt hatte. Natürlich konnten sie dann auch keine Ahnung haben, wovon ich sprach. Ich schilderte ihnen die Situation, woraufhin den beiden gleich ein Licht aufzugehen schien.
„Verstehe", raunte Nura in ihrer kratzigen Stimme und fuhr sich mit einer Hand durch die unterschiedlich langen Strähnen ihres Haars, „dann kennt ihr euch also von früher, aber du kannst dich nich' erinnern. Kein Wunder, dass er sauer is'."
„Hast du's ihm gesagt?" meinte Casat auf einmal, „dass du dich an nichts erinnern kannst?"
Ich schüttelte den Kopf. Die Chance hatte ich gar nicht bekommen. Als ich endlich kapiert hatte, dass er mich tatsächlich kannte, war er schon wieder verschwunden.
„Vielleicht solltest du ihm klar machen, dass es nich' nur er is', sondern, dass du dich an rein gar nichts erinnern kannst."
Langsam ließ ich mich gegen einen der Baumstämme fallen. Casat hatte Recht. Ich musste nochmal zu ihm gehen und mit ihm sprechen. Aber wie sollte ich jetzt unbemerkt in die Burg kommen?
Ich inspizierte die alten Steinmauern, die die Burg umgaben. Sie waren locker drei Meter hoch, allerdings uneben gemauert, was es mir ungemein erleichtern würde daran hochzuklettern. Als nächstes fanden meine Augen ihren Weg zu den zwei Wachposten, die vor dem großen Tor standen. Ansonsten schien die Burg nicht weiter bewacht zu sein. Ich würde nur aufpassen müssen, dass ich drinnen nicht entdeckt werden würde.
„Also", flüsterte Casat lautstark, „du schleichst dich rein, findest den Naja, erklärst ihm alles und überredest ihn mit uns mitzukommen."
„Danke für die Zusammenfassung, Bruderherz", meinte Nura etwas aufmüpfig, „als hätte er vergessen, warum wir hier sind."
Ich nickte jedoch nur abwesend und wartete auf einen guten Moment.
Es war mittlerweile ziemlich spät geworden. Die Sonne hatte den Horizont erreicht und wir würden schon bald in Dunkelheit gehüllt sein.
Als es dann endlich soweit war, schlich ich mich aus unserem Versteck hinter ein paar Büschen raus und lief nach rechts um die Ecke, damit ich nicht entdeckt werden würde. Ich war mir ehrlich gesagt unsicher gewesen, ob ich es überhaupt schaffen würde die Mauer zu erklimmen, aber wie sich herausstellte war das überhaupt kein Problem. Vielleicht hatte ich sowas schon mal gemacht. Oder vielleicht war ich auch nur extrem motiviert, weil ich gleich herausfinden würde, wer ich war.
Jedenfalls schaffte ich es über die Mauer und ließ mich in einer kleinen Gasse zwischen der Mauer und dem Hauptgebäude fallen. Nun musste ich nur noch den Naja finden.
Ich hatte unglaubliches Glück, denn er saß in einem Fenster im ersten Stock. Eins seiner Beine schwang an der Außenfassade entlang und kratzte leicht an den rauen Steinen.
Mein erster Gedanke war nach ihm zu rufen, doch erstens würde das zu viel Aufsehen erregen und zweitens fiel mir auf, dass ich seinen Namen gar nicht kannte. Tja, und von innen sein Zimmer zu suchen war mir zu heikel. Es konnte zu viel schief gehen. Also musste ich wohl oder übel auch hier hochklettern. Glücklicherweise hielt sich keiner mehr hier draußen aus, was das ganze nochmal ein Stück erleichterte.
Ich hatte gerade mal die erste Hälfte der Strecke geschafft, als er mich bemerkte.
„Was zum-?" stieß er aus und sprang auf die Beine.
Kurz darauf hielt er eine Fackel in meine Richtung. „Du..." fing er an, doch schüttelte dann den Kopf. Er wartete bis ich oben angekommen war und reichte mir dann seine Hand, um mich zu sich ins Zimmer zu ziehen.
„Bist du lebensmüde?!" knurrte er gleich.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss mit dir reden."
Der Naja lachte ungläubig auf und raufte sich seine langen, graublonden Haare. „Ach, jetz' auf einmal willst du reden?"
Ich nickte und sah ihm entschlossen in die Augen. Dabei bemerkte ich, dass sie etwas rot waren. Es war meine Schuld. Ich hätte ihm sofort hinterhergehen sollen, als er von meiner Familie gesprochen hatte.
„Du weißt, du hättest vorhin die ganze Zeit mit mir reden können. Aber nein, du wolltest lieber Menschlein spielen und so tun, als wärst du nur ganz zufällig hier zu Besuch."
„So is' das nich'", versuchte ich ihm klarzumachen, „lass mich einfach erklären, okay?"
Er verschränktewütend seine Arme und für einen Moment dachte ich wirklich, er würde mich ausdem Fenster werfen. Doch da war zu viel Zweifel in ihm – zu viel Hoffnung – und nach ein paar Momenten sackte sein Oberkörper förmlich zusammen.
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