Kapitel 25
Lorelei
„Wie du sehen kannst, reisen wir mit Menschen", erklärte Naqai dem Gestaltenwandler, „und das klappt besser, als erwartet."
Der Mann verengte seine Augen zu dünnen Schlitzen. „Für euch vielleicht", murmelte er grimmig.
„Davon entnehme ich, dass du wohl keine gute Erfahrung mit Menschen gemacht hast", stellte ich laut fest, „das tut mir leid. Aber ich kann dir versichern, dass auch magische Wesen in Maera willkommen sind."
Der Metamorph betrachtete mich mit kleinen, braunen Augen.
„Maera?"
Ich nickte. Mir war bewusst, dass die magischen Wesen sich nicht mit unseren Grenzen und Königreichen auskannten. Wie denn auch? Ihre Bräuche kannten wir schließlich ebenso wenig.
„Is' das jetz' 'n anderes... Königreich?" fragte er, während er seinen Kopf schieflegte. Das Gehässige in seiner Stimme wurde nach und nach mit einem Hauch Neugierde vermischt.
„Wir Menschen haben vor langer Zeit Grenzen zwischen unseren Ländern gezogen", erklärte ich, „das hat den Grund, dass-"
„Ich weiß", unterbrach mich der Metamorph, „das hab' ich alles schonma' gehört. Und es is' immer noch Schwachsinn."
Überrascht weitete ich meine Augen. Woher wusste er das?
„Fang doch einfach von vorne an", meinte Lyen, „wer bist du und warum hast du dich so verausgabt?"
Ich nickte. „Genau, vielleicht können wir dir ja behilflich sein."
Der Mann warf mir einen misstrauischen Blick zu, begann aber zu erzählen.
„Ich heiße Noah und komme aus 'nem kleinen Dorf weit südlich von hier. Vor ein paar Wochen haben sich 'n paar Menschen in unser Dorf verlaufen. Wir waren alle total baff. Keiner von uns hatte je 'nen Menschen gesehen, deshalb wusste auch keiner so richtig, was wir machen sollten. Zum Glück sind sie schnell abgezogen, aber dann... vor drei Tagen sind wieder welche aufgetaucht. Nur diesmal waren's viel mehr. Die meinten, dass wir auf ihrem Land wohnen und, dass sie uns da nicht dulden..."
Gerade, als er sich etwas beruhigt hatte, kam er zu dem Teil der Geschichte, den ihn sichtlich aufwühlte.
„Was soll das überhaupt bedeuten, heh?!" wütend schlug er mit der Faust auf den Boden, „die können doch nich' einfach aus dem Nichts auftauchen und uns aus unserem Zuhause werfen!"
Mir wurde klar, dass die Situation viel komplizierter war, als sie für den Einzelnen erschien. Wir Menschen hatten das ganze Land unter uns aufgeteilt. Bei den magischen Wesen war das jedoch anders. Sie erhoben keinen Anspruch auf Land. Sie hatten ihre kleinen Gemeinden, die für sich selbst sorgten und der Rest der Welt, war freies, herrenloses Land. Selbstverständlich war es für sie verwirrend, plötzlich zu hören, dass das Land, auf dem sie lebten jemandem gehören sollte.
Andersherum konnte ich auch verstehen, wie sich die Menschen fühlten, wenn plötzlich ein Dorf von magischen Wesen auftauchte – Wesen, von denen wir nur in Märchen und Sagen gehört hatten. Das ganze Wissen von Magie war nicht selbstverständlich.
„Wir haben uns natürlich geweigert und jetz' belagern die doch tatsächlich unser Dorf! Wir sind nich' gerade Viele und Kämpfer schon gar nich'. Deshalb bin ich losgeflogen, um Hilfe zu holen."
„Verstehe... das ist eine wahrlich schwierige Situation", sagte ich, während sich meine Gedanken schon darum drehten, wie ich seinem Dorf helfen konnte. Doch wenn sie sich in einem anderen Königreich befanden, gab es nicht viel, was ich tun konnte.
„Kennst du den Namen des Königreiches, in dem dein Dorf liegt?"
Noah nickte. „Ich glaub es war Toda... oder sowas."
„Todar", korrigierte ich schnell. Unser Nachbarkönigreich im Süden.
„Lorelei, du bist doch jetz' die Anführerin hier, oder nicht? Gibt's irgendwas, das du machen kannst?" fragte Naqai.
Angespannt sah ich auf den Boden. „Ich könnte versuchen mich mit dem König Todars in Verbindung zu setzen, aber bis meine Nachricht dort angekommen ist... Nun ja, sagen wir, dass sie bis dahin sicher schon etwas unternommen haben werden."
Eine erdrückende Stille breitete sich in dem kleinen Zelt aus. Als ich nach einer Weile aufsah, saßen die beiden Nixen geknickt nebeneinander und Noah hielt seinen Kopf in den Händen. Es war schrecklich. Konnte ich denn wirklich nicht verhindern, dass Noah sein Dorf verlor? Nein, egal wie oft ich es überdachte, es lag nicht in meiner Macht.
Aber...
„Vielleicht kann ich anders behilflich sein", sprach ich in die Stille hinein, „Noah, ich kann leider nicht verhindern, dass ihr aus eurem Dorf vertrieben werdet, doch wenn ihr willig seid, könnt ihr mit uns in Maera leben."
Der Metamorph hob den Kopf aus seinen Händen und sah mich nachdenklich an.
„Zu diesem Zeitpunkt mag ich zwar noch nicht wissen wie viele magische Wesen sich in Maera aufhalten, oder wie die anderen Menschen zu euch stehen werden. Doch ich möchte, dass wir alle in Frieden zusammen leben können. In den letzten Wochen habe ich vieles gelernt und Freundschaften geschlossen, von denen ich bisher nur geträumt habe."
Meine Gedanken wanderten wieder zu Dorean. Im Anschluss erschien Nuras Gesicht vor meinen Augen und ich blickte kurz zu ihren Brüdern, bevor ich mich wieder dem Metamorph widmete.
„Und ich werde alles dafür tun, diese Bindungen aufrecht zu erhalten", beendete ich.
Noah rieb mit einer Hand über seine dunklen Brusthaare. Die Bewegung zog meine Aufmerksamkeit wieder auf seinen nackten Oberkörper. Deshalb wandte ich meinen Blick komplett von ihm ab und sah stattdessen zu Lyen und Naqai, bevor ich die Chance bekam wieder rot anzulaufen.
„Diese... Freundschaften", begann Noah vorsichtig, „wem genau gelten die?"
Es war diese Frage, die mich wirklich zum Grübeln brachte. So wie er die Frage gestellt hatte und mich nun voller Erwartung ansah... Außerdem hatte er erzählt, dass er von irgendwoher Hilfe holen wollte. Konnte er da etwa jemandem aus Rakar meinen? Eine bestimmte Person?
So oder so müsste ich jetzt das Richtige sagen, damit er mir vertrauen würde. Aber was sollte das sein? Ich selbst kannte doch niemanden aus Rakar... außer Dorean, eventuell...
„Das wären einmal die Nixen, die aus ihrer Heimat hergekommen sind und uns helfen, euch besser zu verstehen."
Ich sah zu Naqai und Lyen, welche mich beide mit einem großen, stolzen Lächeln ansahen.
„Und Ciel, dem Seher!" fügte Lyen meinen Worten hinzu, obwohl ich noch gar nicht fertig war.
„D-dem Seher?" stotterte Noah mit aufgerissenen Augen. Scheinbar übertraf das seine Erwartungen, aber ich bezweifelte, dass es das war, was er hören wollte.
Nichtsdestotrotz lächelte ich. „Genau. Die Nixen, der Seher... und Dorean, einem Drakonier."
Noah schien in Gedanken zu sein, doch als ich den Drakonier erwähnte, blinzelte er mich interessiert an.
„Dieser Drakonier... kommt der hier aus der Gegend?"
Ich nickte. Obwohl ich es nicht hundertprozentig wusste, kam es mir richtig vor. Ich erinnerte mich an Doreans Gesichtsausdruck, als er mir von seiner Entscheidung erzählte nach Rakar zu reisen. Er hatte gewusst, dass die Stadt existierte, auch wenn er bewusst noch nie dort gewesen war. Ich fühlte mich wohl dabei zu sagen, dass er von dort kam.
Der Metamorph rieb sich wieder seine Brust – eine Geste, die er wohl oft beim Nachdenken verwendete.
„Und dieser Drakonier arbeitet mit dir zusammen?" fragte er zögerlich, woraufhin ich nochmals nickte.
Es schien, als hätte ich die richtige Antwort gegeben, denn Noahs Augen funkelten auf. Er sah zu den beiden Nixen, die ebenfalls zustimmend nickten.
„Okay", meinte Noah mit einem Seufzer, „okay, ich bring' meine Leute her."
Wir sprachen noch eine ganze Weile über die Details – welchen Weg die magischen Wesen gehen sollten, wo wir sie erstmal unterbringen sollten, und so weiter.
Gegen Mittag verließ ich dann das Zelt, um Tressa in alles einzuweihen. Ich brachte sie anschließend mit ins Zelt der Nixen, wo Noah an einem Stück Brot kaute, und stellte die beiden einander vor. Noah schien immer noch vorsichtig in unserer Gegenwart zu sein, besonders wenn er mit uns allein war. Aber ich war froh, dass er sich uns anvertraut hatte. Und mir war klar, dass ich das allein den Nixen zu verdanken hatte. Ohne sie hätte ich ihn wahrscheinlich nicht überzeugen können. Deshalb war ich umso trauriger, dass sich unsere Wege hier fürs Erste trennen würden.
Gerade als Noah sich ein paar Ersatzklamotten von uns übergezogen hatte und aus dem Zelt kam, stieß auch Naqai wieder zu uns.
Entschlossen nickte er mir zu.
Er war bereit.
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Heey! 👋
Sorry für das kryptische Ende, aber irgendwie muss ja noch etwas Spannung aufgebaut werden 😜
Ich bin jetzt soweit, dass ich nur noch wenige Kapitel in diesem Buch zu schreiben habe und irgendwie habe ich richtig Lust dazu, aber zur selben Zeit auch wieder nicht... ich bin immer noch der Ansicht, dass ich mich noch lange nicht im Detail mit dem dritten Teil der Trilogie beschäftigen muss und doch wird es so langsam Zeit. Komisches Gefühl.
Jedenfalls, bis dahin!
Bisous ❤️
MarSuu
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