Kapitel 23
Sesto
Seine Haare waren dunkler als früher und um einiges länger, aber es gab keinen Zweifel, dass er es war. Seine Augen verrieten ihn. Die Augen, die in dein Innerstes schauen konnten und denen man keine Gefühle verheimlichen konnte.
Ich verstand es nicht. Warum würde er wieder herkommen und sich gefangen nehmen lassen? An dem Ort, wo ihm so viel Leid zugefügt wurde...
Wo war er nur all die Jahre gewesen? Warum hat er mich jahrelang ohne ein einfaches Lebenszeichen hier zurückgelassen? Und vor allem... Wieso, um alles in der Welt, tauchte er hier plötzlich als Mensch verkleidet auf?!
Ich konnte es kaum fassen. Er lebte. Er war am Leben und stand direkt vor mir - zum Greifen nah.
Doch so wie ich halt war, verwandelte sich meine Freude sofort in Wut.
"Was machst du hier?" knurrte ich ihn an, doch er blieb wie üblich ganz gelassen.
"Ich bin gerade erst in die Stadt gekommen. Ich will kein' Ärger machen. Meine Freunde sind noch in der Stadt, die könn' das bezeugen."
Wütend sah ich ihn an. Was war das denn für eine Antwort? Nach all den Jahren hat er mir nichts Besseres zu sagen?!
Wie wäre es denn zum Beispiel mit: „ Hey Sesto, sorry, dass du jahrelang glauben musstest, ich sei tot."
Oder wenigstens: „Ja, ich freu' mich auch dich zu sehen."
Egal. Völlig egal.
Ich durfte jetzt nicht den Kopf verlieren. Erast musste hier raus. Das war kein Ort, an dem er sich aufhalten sollte.
Zähneknirschend packte ich ihn am Handgelenk und zog ihn mit mir nach draußen. Ich zerrte ihn über den Hof und durch die breiten Tore. Zum Glück hatte Altair mir die Aufgabe gegeben, mich um ihn zu kümmern. Ich wollte mir gar nicht ausmalen was die Bruderschaft mit ihm gemacht hätte oder noch schlimmer, wenn Loic ihn gesehen und erkannt hätte.
"Wieso bringst du mich zurück in die Stadt?" fragte er, während wir den Hang runterliefen.
"Du hast doch gesagt deine Freunde sind da unten. Ich bring dich zu ihnen und dann verschwindet ihr von hier."
"Warum tust du das?"
Vor der Stadtgrenze blieb ich stehen und nahm ihm die Fesseln ab.
"Warum hilfst du mir?" drängte er.
Seufzend sah ich ihm in die Augen. Eigentlich hatte ich vor ihn nochmal anzuschnauzen, aber seine grünen Augen strotzten nur so vor Verwirrung. Und da traf es mich wie ein Blitz. Warum er mir vorhin so eine komische Antwort gegeben hatte. Warum er mir nichts zu sagen hatte.
Er hat mich gar nicht erkannt.
Erast, mein bester Freund, erinnerte sich nicht an mich.
"Dorean!" rief plötzlich jemand und als ich mich umdrehte sah ich zwei Leute, die auf uns zu kamen. Seine... Freunde...
...
Warte... Dorean?
"Zum Glück", meinte der schwarzhaarige Kerl, "die Stadtbewohner haben uns gerade erzählt, dass man dich weggeschleppt hat. Alles okay?"
Erast - oder Dorean - nickte, sein Blick lag jedoch allein auf mir.
Ich nahm einen tiefen Atemzug. Es war egal, ob er mich nicht erkannte, entschied ich. Das würde es für mich leichter machen, ihn wieder gehen zu sehen, schließlich hatte ich hier noch etwas zu erledigen.
"Gut. Dann ma' los. Verschwindet endlich!" meckerte ich und wollte mich gerade aus dem Staub machen, als das Mädchen mich am Arm packte. Ich sah runter zu ihrer Hand und sah die Schwimmhäute zwischen ihren Fingern. Eine Nixe? Echt jetzt? Seine neuen Freunde waren Nixen?!
"Du bist es!" sagte sie mit einer rauen Stimme und ich sah weiterhin genervt zu ihr runter.
"Wir haben dich gesucht", erklärte der schwarzhaarige Kerl, der ihr ziemlich ähnlich sah.
"Aha", meinte ich nur und riss mich aus ihrem eisernen Griff, "und warum das?"
"Tja, erstmal bist du ohne Erlaubnis des Heilers aufgestanden und dann bist du einfach ohne ein Wort verschwunden", meckerte das Mädchen.
Was? Von wo sollte ich denn...? Achso, ja, die Gefangenschaft.
Dann hatten die mir also geholfen? Aber, das würde bedeuten, dass sie zusammen mit den Menschen dort gewesen waren. Was? Wieso? Okay, ich war nun offiziell verwirrt.
"Natürlich bin ich so schnell wie möglich abgehauen. Die Tür stand offen und diese ganzen Menschen hatten sich vorm Haus versammelt. Das war die Gelegenheit. Da warte ich doch nich' ab, um mich bei irgendwem abzumelden."
"Aber das is' jetz' sowieso egal", meinte ich noch schnell, "seht einfach zu, dass ihr verschwindet."
Damit drehte ich mich um und nahm einen Schritt in Richtung Burg. Meine Schulter streifte die von Erast, als ich an ihm vorbeiging.
"Ich weiß nich' warum du vorgibst 'n Mensch zu sein und letztendlich kann es mir auch scheiß egal sein", flüsterte ich ihm zu, "aber hör auf diesen falschen Namen zu benutzen. Du entehrst deine Familie."
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