Kapitel 16
Dorean
Meine Gedanken rasten. Warum hatte ich Ciel nur so unüberlegt zugestimmt? Ich wusste doch gar nicht, ob es dort wirklich eine Stadt gab.
Rakar.
Und trotzdem… In dem Moment hatte es sich so richtig angefühlt. Mein Herz war sich so sicher, aber musste das wirklich etwas heißen? Was wenn mein Gefühl mich trügte, oder ich es mir nur einbildete?
Nach der Besprechung floh ich regelrecht nach draußen, an die frische Luft. Während die Soldaten ihre Sachen zusammenpackten, tapselte ich im Gras hin und her. Ich hielt erst an, als ich Lorelei aus dem Augenwinkel auf mich zukommen sah.
„Dorean“, sagte sie mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen, „du wirst dich Nura anschließen, nicht wahr?“
Ich seufzte schwer und fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. Am liebsten wäre ich bei Lorelei geblieben, hätte sie ins Schloss begleitet, auch wenn ich nicht wirklich wusste, wie ich in ihr Leben dort reinpasste. So sehr mein Herz auch zu ihr gehören wollte, ein Teil davon hielt mich immer auf Abstand. Lag das vielleicht daran, dass ich nicht wusste, wer ich in Wirklichkeit war?
Und jetzt zog mich irgendwas in mir zu dieser Stadt. Rakar. Das konnte einfach kein Zufall sein.
… Rakar… Rakar…
Seitdem der Seher diesen Namen ausgesprochen hatte, konnte ich an kaum etwas anderes denken. Ich wollte dorthin. Ich sehnte mich regelrecht danach die Stadt zu sehen.
Als ich vor sechs Jahren in Grahams Hütte aufgewacht war, war mein Gedächtnis wie leergefegt gewesen. Es fehlte ein großer Teil von mir, den ich bis zum heutigen Tage nicht hatte wiederfinden können. Und damit waren nicht nur meine Hörner gemeint, sondern meine Identität – mein Leben davor.
Jahrelang hatte ich versucht mich zu erinnern, erfolglos, und jetzt… sollte ich endlich einen Hinweis darauf gefunden haben? Ich musste diese Chance einfach nutzen.
Aber dann sah ich zu Lorelei und bekam gleich Zweifel. Wenn ich wirklich Antworten in Rakar finden würde – wenn ich mich erinnern würde – könnte ich dann immer noch zu ihr zurückgehen? Würde ich dann immer noch einen Platz dort haben?
Ich gab ihr ein kurzes Nicken, als Antwort auf ihre Frage, und sah dann zu Boden.
„Du kennst die Stadt von der Ciel gesprochen hat“, meinte Lorelei dann. Irgendwie schien sie immer zu wissen, was in meinem Kopf vorging. Andererseits sollte mich das nicht mehr wundern. Nach allem, was wir durchgemacht hatten, kannte sie mich besser, als jeder andere.
Nervös spielte meine linke Hand mit den Haarspitzen unterhalb meiner Narbe.
„Ich… bin mir nich‘ ganz sicher“, antwortete ich leise, „Ich hab‘ das Gefühl, dass ich da schonma‘ war, aber…“
„Aber du kannst dich nicht erinnern“, beendete sie besonnen und ich nickte.
Lorelei kam ein paar Schritte auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Langsam griff sie nach meinen Händen und drückte sie fest in Ihre.
„Dorean, wenn auch nur eine winzig kleine Möglichkeit besteht, dass du dich an etwas aus deiner Kindheit erinnerst, dann solltest du diese Gelegenheit nutzen.
Aber… bevor du gehst möchte ich, dass du mir etwas versprichst.“
Verwirrt musterte ich ihre besorgten Gesichtszüge. Eine Reihe verschiedener Gefühle ging von ihr aus. Nervosität. Sehnsucht. Verlegenheit.
Ihre Wangen hatten sich leicht rosa gefärbt. Das, was sie jetzt sagen würde, fiel ihr also nicht leicht.
„Bitte, versprich mir, dass ich dich wiedersehe.“
Ein leichtes Schmunzeln formte sich auf meinen Lippen und ich konnte nicht anders als erleichtert aufzuatmen. Scheinbar fiel ihr der Abschied genauso schwer wie mir.
Vorsichtig zog ich meine Hände aus ihrem Griff. Stattdessen schlang ich meine Arme um ihre Schultern und zog sie an mich.
„Ich versprech’s dir.“
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