Kapitel 15

Lorelei

„Eure Hoheit", sprach Tressa mich von der Seite an, „es gibt noch etwas, dass ich mit Euch unter vier Augen besprechen möchte."

Neugierig sah ich zu ihr herüber. In ihrem ernsten Blick konnte ich eine seltene Müdigkeit erkennen, welche mir zuvor noch nicht aufgefallen war. Beim näheren Hinsehen konnte man ihr deutlich ansehen, dass wir schon länger von unserem alltäglichen Leben getrennt waren. Tressa hatte leichte Augenringe, die aufgrund ihrer hellen Haut nun stark zur Geltung kamen. Auch ihre sonst so kurzen, braunen Haare, fielen ihr mittlerweile strähnenweise auf die Stirn.

„Tatsächlich? Was denn?" fragte ich meinen Kommandeur.

„Nun, unsere Mission ist anders ausgegangen, als erhofft... Natürlich müssen wir Barl und den Naja der Prophezeiung wiederfinden, aber das können wir genauso gut getrennt ausführen."

„Du meinst, unseren Trupp zweiteilen. Ein Teil verfolgt Barl, der andere sucht den Naja?"

„Nicht zwei, sondern drei. Ich denke, wir sollten bald ins Schloss zurückkehren."

So war das also. Ich sollte zurück ins Schloss. Das hatte ich noch gar nicht in Erwägung gezogen, aber es machte tatsächlich Sinn. Barl hatte ich leider nicht umstimmen können und nun würde ich im Schloss wohl besser aufgehoben sein. Schließlich gab es dort auch noch genug zu tun. Ich würde mich endlich mit Reno austauschen, über alles, was wir in den Nördlichen Gebieten gesehen hatten. Und dann würde ich bald auch zur Königin gekrönt werden.

„Ich verstehe", meinte ich zu Tressa, welche daraufhin nickte und sich schonmal in den anderen Raum begab.

„Ist alles in Ordnung?" ertönte eine männliche Stimme hinter mir.

Ich sah über meine Schulter nach hinten, wo Ciel und Vivi nebeneinander die Treppe herunterkamen. Bevor ich Ciels Frage beantwortete, ließ ich die zwei etwas näherkommen.

„Natürlich, alles bestens", sagte ich zu den beiden, „habt ihr zwei gut geschlafen?"

„Allerdings. Es tut gut, endlich mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen", sagte Ciel, während Vivi zustimmend nickte.

Da fiel mir auf... „Ciel, du bist ein magisches Wesen, sprichst aber wie wir Menschen. Warum?"

Er wirkte nervös. Das Wirbeln seiner Augen wurde unruhig und er mied jeglichen Augenkontakt mit mir. Ich wollte mich fast schon für meine aufdringliche Frage entschuldigen, aber dann sprach er los.

„Ähm... Das liegt wohl daran, dass ich eigentlich ein Mensch bin... oder war."

Mein Atem stockte. Ich konnte nicht anders, als ihn mit offenem Mund anzustarren. Was hatte er gerade gesagt? Er war einst ein Mensch gewesen? Wie war das möglich? Was war mit ihm passiert?

„Fragt mich bitte nicht wie oder warum", fügte er noch schnell hinzu, „ich verstehe es selbst nicht ganz."

Das war wirklich äußerst eigenartig. Ob Dorean oder Nura etwas darüber wussten? Das konnte ich mir nicht vorstellen... Ich bezweifelte, dass ich in meinen Büchern im Schloss etwas darüber finden würde. Allerdings würde mich das nicht davon abhalten es zu versuchen.

„Prinzessin, wie sieht denn Euer Plan nun aus?" fragte Vivi.

„Nun, wir haben gleich eine Besprechung. Möchtet ihr zwei daran teilnehmen?"


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Wir hatten uns im Esszimmer versammelt. Ich saß an einem Ende des langen Tisches und ließ meinen Blick über all meine Verbündeten schweifen. Dorean hatte den Abend Recht gehabt. Es gab mittlerweile einige, auf die ich bauen und denen ich vertrauen konnte. Auf meiner rechten Seite saß Tressa, gefolgt von Milo, Cait, Mark und Lucas, sowie ein paar Soldaten aus Barls ehemaligem Trupp. Zu meiner Linken saß Dorean mit Nura und ihren Geschwistern. Auch Vivi und Ciel hatten sich dazugesetzt.

„Wie wollen wir nun weiter vorgehen?" fragte Tressa in die Runde.

„Wir müss'n dem Naja hinterher", meinte Nura sofort.

„Ja, aber das hat momentan keine Priorität. Barl ist immer noch eine Bedrohung für alle magischen Wesen. Wir müssen ihn finden und gefangen nehmen", warf Milo ein.

Nura schnaubte empört. „Von weg'n keine Priorität. Wir könn' den Naja aus der Prophezeiung doch nich' einfach so geh'n lassen!"

„Aber wir können das Risiko mit Barl nicht eingehen", unterstützte Cait ihren Partner, „wir müssen ihm zuvorkommen, bevor er die Situation noch schlimmer macht. Außerdem wissen wir doch gar nicht, wo der Naja hin ist. Wer weiß, wo der sich aufhält."

„Ach, und ihr wisst natürlich schon, wo euer Mensch hinwill."

„Genug", schlichtete ich schnell, bevor die Situation eskalieren konnte, „Eins nach dem anderen. Haben wir denn eine Spur oder einen Hinweis auf Barls Pläne?"

„Nein", antwortete ein Soldat aus Barls altem Trupp, „soweit ich weiß, haben wir keinerlei Informationen, über einen Aufenthaltsort, erhalten."

„Das ist schonmal gut", meinte Tressa, „Barls beste Möglichkeit wäre somit in die nächste Stadt, nach Norden, auszuweichen."

„Jem", fügte Cait grimmig hinzu.

„Was ist mit dem Naja?" fragte ich und sah von einem fraglosen Gesicht zum anderen, bis mein Blick auf Dorean liegen blieb. Mir war klar, dass Dorean sich an vieles nicht erinnern konnte, aber irgendwie hoffte ich, dass er doch etwas beizutragen hätte.

Allerdings war es Ciel, der als nächstes sprach.

„Also, ich hätte da vielleicht eine Idee." Seine Stimme war unsicher, so als würde er seinem Wissen nicht trauen. „Es müsste eine Stadt, südlich von Mount. Mephisto geben. Rakar... oder so."

„Müsste?" wiederholte Lucas fragend, worauf Ciel nur mit dem Achseln zuckte.

„Ja", meinte Dorean jetzt und ich sah ihn überrascht an. Allerdings sah dieser nur stirnrunzelnd auf den Tisch. „Müsste", fügte er noch leise hinzu.

Er schien nicht mehr ganz bei der Sache zu sein, grübelte nur so vor sich hin. Ich wollte es ansprechen, aber würde wohl bis zum Ende der Besprechung warten müssen. Für den Moment zerrte ich meine Gedanken von ihm weg und sah wieder in die große Runde.

„Nun gut", sagte ich mit einem tiefen Atemzug, „dann teilen wir uns auf. Tressa und ich werden mit einem Teil der Soldaten zum Schloss zurückkehren.

Milo, Cait, ihr kennt euch doch in Jem aus. Ich möchte, dass ihr eine kleine Gruppe dorthin führt und euch nach Barl umhört."

Die zwei Soldaten nickten. Daraufhin wanderte mein Blick zur anderen Tischhälfte, wo die Nixen sich gegenseitig ansahen.

„Nura, möchtest du mit deinen Brüdern die Suche nach dem Naja übernehmen?" fragte ich sie.

Die Nixe ließ ihre violetten Augen kurz über ihre Brüder schweifen und sah dann wieder zu mir.

„Kann ich mach'n. Aber 'n Teil von uns sollte mit dir mitgeh'n. Es gibt zu viel, über den magischen Teil der Welt, das ihr Menschen nich' wisst."

„Genau", fügte Naqai hinzu, „Lyen und ich werden dich begleit'n und dir alles wichtige erzähl'n."

Nura nickte zustimmend. „Und ich suche mit Casat nach dieser Stadt."

„In Ordnung", antwortete ich mit einem Lächeln. Dann sah ich zu unseren neuen Verbündeten in der Gruppe. „Vivi, Ciel, was ist euer Plan?"

Das Paar vertauschte ein paar tiefe Blicke. Sie schienen sich erst nicht ganz einig zu sein, doch Vivi räusperte sich letztendlich und fing meinen Blick ein.

„Also, wir waren auf dem Weg nach Mount. Mephisto."

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