Kapitel 11

Lorelei

Als die Sonne unterging, machten wir es uns im großen Wohnzimmer des Anwesens gemütlich. Ich saß in einem der gemütlichen Sessel und beobachtete meinen Trupp. Die Soldaten hatten sich viel untereinander ausgetauscht. Sie schienen die Situation jetzt etwas besser zu verstehen und auch zu akzeptieren. Auch wenn ich hin und wieder sehen konnte, wie ein paar skeptische Blicke in die Richtung unserer magischen Verbündeten geworfen wurden.

Ciel und Vivi hatten sich neben den Kamin gesetzt und waren von den Nixen förmlich umstellt. Die Vier wichen dem Seher nicht von der Seite. Besonders Lyen, für den Ciel so eine Art Held zu sein schien.

Nun, wo wir eine Pause eingelegt hatten und etwas zur Ruhe kamen, holte dieser ganze Stress der letzten Tage mit mir auf. All die Gefühle, die ich tagelang unterdrückt hatte, holten mich mit einem Mal ein – die Anspannung, die Furcht. Sie erdrückten mir den Brustkorb und es war schwer einen ruhigen Atemzug zu nehmen.

Ich durfte jedoch vor den Soldaten jetzt keine Schwäche zeigen. Als ihre Prinzessin und Anführerin musste ich stark sein, oder wenigstens so wirken.
Also setzte ich weiterhin ein neutrales Gesicht auf und entschuldigte mich für die Nacht. Dann eilte ich jedoch so schnell wie möglich die massiven Holztreppen hoch, in das Zimmer, welches Tressa mir zugeordnet hatte.

Als die Tür hinter mir endlich zu fiel, verließ all meine Kraft auf einmal meinen Körper und ich fiel rückwärts gegen die Tür.

Das alles war ein Albtraum. Meine Befürchtung hatte sich bestätigt. Ich war nicht in der Lage gewesen, Barl umzustimmen. Nicht nur das, seine Worte hatten voll ins Schwarze getroffen. Er hatte recht, ich wusste nicht, was ich tat; Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war verloren.
Dazu stach mir der Tod meines Vaters immer noch schmerzhaft ins Herz. Und ich bezweifelte, dass dieser  Schmerz jemals versiegen würde. Ich würde für den Rest meines Lebens mit diesem Loch im Herzen leben müssen.

Dass ich einen Großteil der Soldaten überzeugen konnte, mir und den magischen Wesen eine Chance zu geben, schenkte mir nur wenig Trost, denn der treue Berater meines Vaters hatte mir nun komplett den Rücken zugekehrt.
Er und seine Anhänger würden weiter magische Wesen angreifen. Sie würden den Hass zwischen uns schüren und das alles unter meinem Namen.

Das konnte ich nicht zulassen. Das durfte ich nicht zulassen. Als Prinzessin und künftige Königin, war es meine Aufgabe etwas dagegen zu unternehmen. Ich musste den Bürgern Maeras erzählen, dass sie gegen meinen Willen arbeiteten... Dass sie auf der Flucht waren – Verräter der Krone.

Die Krone ist bereits tot.

Diese Worte hallten in meinem Kopf und übertönten fast alle anderen Gedanken.

Und doch konnte ich nicht anders, als über Barls Worte nachzudenken. Ich war stur auf eine friedliche Lösung fixiert. Ich versuchte so sehr, die Menschen in Maera zu beruhigen, dass ich den Überblick über die Situation verloren hatte. Denn egal wie sehr wir Menschen es versuchten, wenn die magischen Wesen sich gegen den Frieden entscheiden würden, wäre das alles hier umsonst gewesen.

Mein ganzer Körper begann zu zittern. Rastlos lief ich von einer Ecke des Zimmers zur anderen und wieder zurück. Ich kniff meine Augen zusammen und wischte mir eine frische Träne von der Wange.

Meine Hände fanden ihren Weg zu dem Kettenanhänger, der einst meiner Mutter gehört hatte. In die ovale, goldene Fassung war ein weiß glitzender Stein eingebettet, welches an einer ebenfalls goldenen Kette hing. Ich schloss den Anhänger fest in meine Faust und drückte ihn an meine Brust.

Mutter... Vater...

Wie soll ich das alleine schaffen? Was soll ich nur tun?

Plötzlich klopfte es an der Tür und ich fuhr erschrocken herum. Zögernd ging ich ein paar Schritte auf sie zu.

"Lorelei?", erklang Doreans Stimme, von der anderen Seite.

Ich stand nun direkt vor der Tür und starrte auf den Türknauf. Es war nicht so, als würde ich Dorean nicht vertrauen; Das tat ich, keine Frage. Aber wenn ich die Tür öffnen würde, müsste ich ihm erklären warum meine Augen rot waren, warum ich weinte. Ich war mir nicht sicher, ob ich die richtigen Worte finden konnte.

"Lorelei, ich... Wenn du jemand'n zum Red'n brauchst..."

Er beendete den Satz nicht. Es kam nur noch Stille von der anderen Seite der Tür und ich bekam auf einmal Angst, dass Dorean nicht mehr hinter der Tür stehen würde, dass er davongehen würde.
Meine Hand legte sich auf den Türknauf und bevor ich mich versah, hatte ich die Tür auch schon geöffnet. Dorean trat ins Zimmer hinein und ich drehte ihm schnell den Rücken zu, während ich verzweifelt versuchte meine Wangen endgültig zu trocknen. Die Tür schloss sich leise hinter ihm.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte mich ein wenig zu beruhigen. Doch als ich mich umdrehte und Dorean ansah, schossen mir wieder unzählige Tränen in die Augen, denn sein Blick spiegelte jedes einzelne meiner Gefühle wieder.

Einen Moment lang sahen wir uns einfach nur in die Augen. Und dann fing ich leise an zu sprechen.

"Ich kann das nicht. Ich... Ich will einfach nur das Richtige tun. Für Maera. Für Menschen und magische Wesen zugleich. Aber ich weiß nicht was das ist."

Neue Tränen liefen nun an meinen Wangen hinunter und ich wischte sie mit meinen Fingern weg.

"Dorean", schluchzte ich verzweifelt, "ich weiß nicht, was ich tun soll."

Und dann stand er vor mir und hob seine Hände zu meinen Wangen. Doch er zögerte sie zu berühren, so als wäre er sich nicht sicher, ob er das auch durfte. Seine grünen Augen waren voller Schmerz. Hatten ihn meine Worte denn so sehr bestürzt?

Irgendwann spürte ich dann doch seine Hände auf meinen Wangen. Sie waren kühl – ein schöner Kontrast zu meiner siedendheißen Haut.

"Wir tun alle, was wir für richtig halt'n. Lorelei, du trägst diese Last nich' allein...
Vielleicht siehst du's jetz' noch nich', aber so viele Leute steh'n hinter dir. Und es sind nich' nur Mensch'n. Du hast Nix'n auf deiner Seite; Eine Sippe, die die wenigsten auch nur geseh'n hab'n. Und jetz' sogar 'nen Seher, eine Legende unter den magisch'n Wes'n. "

Damit mochte er wohl recht haben. Unsere Verbündeten waren nicht unbedeutend. Ich hatte immer noch Tressa, die mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Und Reno, der im Schloss auf mich wartete. Nura und ihre Geschwister, Ciel und Vivi...
Allerdings hatte Dorean jemanden vergessen. Jemand sehr wichtiges, ohne den ich nie soweit gekommen wäre. Ein kleines Lächeln verirrte sich nun auf meine Lippen. 

"Und dich."

Dorean Wangen färbten sich leicht pink, aber er lächelte zurück.

"Und mich."

Ich lehnte mich vor und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Meine Arme schlungen sich fest um seine Taille. Die Wärme seines Körpers wirkte irgendwie beruhigend auf mich. Ich schloss meine Augen und konnte endlich wieder einen entspannten Atemzug nehmen.

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