Kapitel 8

Lorelei

Das Schloss stand auf einem Hügel, im nördlichen Teil von Maera, umgeben von Wäldern. Mein Vater hatte mir früher stets gesagt, dass man von dort aus das ganze Königreich überblicken konnte. Er hatte gesagt, ich sollte stolz darauf sein. Als Kind dachte ich, dass er die Sicht oder das Land im Allgemeinen gemeint hatte. Erst als ich meine Reise antrat habe ich verstanden, dass Maera viel mehr war als seine wunderschöne Natur. Unser Volk war das, was uns so stolz machte. Es war voller Gutherzigkeit, Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft.

Ich erinnerte mich an den Tag, als ich zum ersten Mal Aphillia betreten hatte. Es war ein kalter Tag gewesen und ich war regelrecht durch die Stadttore gestolpert. Müde hatte ich die erste Person, die ich sah nach dem Weg zu einem Gasthaus gefragt. Lustigerweise war das Rita gewesen, die später meine beste und auch einzige, richtige Freundin geworden war. Sie hatte mich persönlich zu Madeleine’s geführt und mir auf dem Weg, ein paar Sehenswürdigkeiten gezeigt. Das erste, was Madeleine getan hatte, als ich durch die Tür kam, war mir ein Bad einzulassen. Dabei hatte ich ihr zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erzählt, wer ich war. Ich hatte mich sofort sehr wohl bei ihr gefühlt.

Bevor ich mich versah, betrat ich schon den Waldweg zum Schloss. Es gab glücklicherweise nur einen Weg. Ich konnte mich also nicht verlaufen.

Es war später Nachmittag, als ich endlich ankam. Ich ging durch die vertrauten Schlosstore, die sich mir öffneten und hinter mir wieder zu fielen. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass mich bei meiner Rückkehr jemand begrüßen würde. Doch es schien als würde niemand wirklich bemerken, dass ich wieder da war. Bis auf die zwei Wachen bei den Schlosstoren natürlich.

Ich ging zu einer der vielen Wachen und sagte: „Ich würde gerne mit dem König sprechen.“

Er verbeugte sich. „Selbstverständlich Prinzessin, bitte folgt mir.“

Er führte mich vorbei an der großen, offenstehenden Tür zum Thronsaal und die Treppen hoch zum Versammlungsraum. Großartig, mein Vater würde mit seinen Beratern zusammen sein und ich würde nicht allein mit ihm sprechen können. Nicht, dass die Berater des Königs nicht vertrauenswürdig waren. Ich kannte sie schließlich schon fast mein ganzes Leben. Es wäre jedoch einfacher gewesen mit ihm unter vier Augen sprechen zu können.

„Ich werde Euch ankündigen“, sagte die Wache und verbeugte sich bevor er den Raum betrat. Kurz darauf, öffnete sich die Tür für mich. Ich nahm einen tiefen Atemzug und betrat den Raum.

Mein Vater und seine drei Berater standen um einen breiten Tisch in der Mitte des Raums herum.
Links neben dem König, stand sein Militärberater, Barl Kriglan. Er hatte mich schon immer an einen Bären erinnert. Groß, stark und leicht zu provozieren. Sein rotbraunes Haar hing locker herunter und machte den Anschein, als würde es in seinen Vollbart übergehen. Ich hatte immer einen großen Bogen um ihn gemacht, nicht nur wegen seines Temperaments, sondern allgemein, die Art wie er mich ansah war teilweise beängstigend. Ja, ich war eine verwöhnte Prinzessin und ja, ich war noch nie außerhalb des Schlosses gewesen, aber es schien immer so, als würde er mir das immer und immer wieder an den Kopf werfen. Er hatte mich nie ernst genommen und das würde er wahrscheinlich auch nie. Dennoch hoffte ich, dass er mich, nun da ich außerhalb des Schlosses gelebt hatte, wenigstens ein bisschen respektieren würde.

Auf der rechten Seite meines Vaters stand Tressa Enseilles, Strategin und Kommandeur der Königsgarde. Ich glaube, ich habe sie noch nie aufgewühlt oder wütend gesehen. Sie war die Verkörperung von Selbstbeherrschung. Letztes Jahr, bevor ich meine Reise antrat, kam sie zu mir. Ich konnte mich sogar heute noch an ihre exakten Worte erinnern.

Führung wird weniger mit Worten und mehr durch Verhalten und Taten bewiesen.“

Ich hatte im Laufe des Jahres viel darüber nachgedacht. Das alles brachte mich zum Lächeln. Ihre braunen Augen musterten die Karte auf dem Tisch und ihr dunkelbraunes Haar war, wie immer, kurz geschnitten, wohl nicht länger als fünf Zentimeter.

Schlussendlich, zu ihrer Rechten stand Reno Alure. Er war Bibliothekar und mein Lehrer. Trotz seines jungen Aussehens gab es wenig, was er nicht wusste. Wenn dieser Fall doch einmal zutreffen sollte, wüsste er wenigstens einen Weg die Informationen zu bekommen. Er war außerdem der einzige, neben meinem Vater und Rita, der mich bei meinem Namen nannte, ohne meinen Titel zu verwenden. Anders als Tressa, sah er mich schon strahlend mit seinen hellbraunen Augen an. Sein langes, blondes Haar war ordentlich in einen Pferdeschwanz gebunden.

Ich hörte, wie die Tür sich hinter mir schloss und nahm nochmal einen tiefen Atemzug, um mich zu beruhigen. Jetzt, wo mich alle ansahen, fiel mir auf wie nervös ich war wieder hier zu sein. Es war nett, aber ich wünschte es wäre unter besseren Voraussetzungen gewesen.

„Bitte entschuldigt meine plötzliche und unerwartete Rückkehr. Ich komme jedoch mit dringenden Neuigkeiten“, fing ich an. Ich wartete auf Erlaubnis, um fortzufahren. Mein Vater nickte mir zu. „Letzte Nacht gab es ein Erdbeben in Aphi-„

Barl fiel mir ins Wort. „Ja Prinzessin, das ist uns bekannt. Es hat auch hier gebebt. Wir kümmern uns schon darum, also gibt es keinen Grund, für Euch, hier zu sein.“ Er winkte mich fort und ich tat mein Bestes, um einen neutralen Gesichtsausdruck zu behalten. Ich öffnete meinen Mund, um ihm Konter zu geben, aber er war schneller. „Und das Feuerchen danach war letztendlich schnell erloschen oder nicht?“

Nichts hatte sich geändert. Er verwarf immer noch alles was ich sagte, als ob nichts davon von Bedeutung wäre. Doch ich war auf meiner Reise gewachsen und somit nahm ich einen Schritt vorwärts. Ich würde ihm diese Genugtuung nicht geben — nicht mehr.

„Entschuldigt meine Naivität. Natürlich sind Sie schon bestens informiert“, sagte ich voller Sarkasmus. Ich sah von Barl zu meinem Vater, der mich neugierig ansah. „Allerdings ist das nicht der Grund, weshalb ich hier bin. Nein, ich bin hier, weil es von höchster Bedeutung ist, dass der König erfährt, dass das Erdbeben nicht die einzige Tragödie war, die Aphillia an diesem Tag befallen hat.“ Ich nahm einen tiefen Atemzug und fuhr fort. „Denn das Feuerchen, wie Sie es nannten, Herr Kriglan, war kein Unfall oder Folge des Erdbebens, sondern ein Anschlag auf Aphillia.“

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