Kapitel 31
Dorean
„Warte, wirklich?!" platzte es aus Lucas raus.
Alle sahen mich schockiert an. Zum ersten Mal, seit ich die Truppe kennengelernt hatte, wünschte ich mir woanders zu sein. Niemand schien etwas dazu sagen zu wollen. Meine Hand fand ihren Weg zurück zu meinen Haaren und ich sah mit gesenktem Kopf zu Lorelei rüber. Sie sah auch ziemlich unruhig aus. Ihre Augen sprangen von einer Person zur anderen, als wäre sie bereit jede negative Reaktion zu kontern. Als sie sah, dass ich zu ihr schaute, lächelte sie nervös und sah dann wieder in die Runde.
„Tressa", sagte sie dann, „du scheinst nicht besonders überrascht zu sein." Ich hob meinen Kopf leicht und sah zu ihr rüber. Lorelei hatte Recht, sie sah gar nicht überrascht aus. Tressa beobachtete uns alle mit einem kleinen Lächeln im Gesicht.
„Das stimmt. Ich hatte so eine Vorahnung."
„Wie denn das?" fragte Lorelei, aber Tressa schüttelte ihren Kopf.
„Das ist schwer zu erklären. Nennt es Intuition."
„Es macht tatsächlich Sinn", warf Mark in die Runde.
„Sag mir nicht, du hattest auch eine Vorahnung", sagte Cait ungläubig.
„Nein", antwortete Mark, „aber es erklärt so einiges."
„Na klar!" stimmte Lucas mit ein und drehte sich zu mir, „zum Beispiel, dass du die Prinzessin in Aphillia gerettet hast." Das war vielleicht nicht das beste Beispiel, aber ja.
„Oder, dass du so ähnlich sprichst, wie die Nixe", fügte Milo hinzu.
„Wo wir von ihr sprechen", sagte Cait nachdenklich, „zu welcher Art gehörst du?"
„Äh, naja..." Ich wusste nicht, wo ich da anfangen sollte, aber ich wurde sowieso unterbrochen.
„Nein, warte!" rief Lucas dazwischen, „Lasst uns raten."
Ich blinzelte ein paar Mal verwirrt. Was passierte hier gerade?
Tressa griff nach der Enzyklopädie und reichte sie Cait, während alle anderen sich um sie herum versammelten. Lorelei blieb neben mir sitzen und kicherte leise vor sich hin. Sie schien das alles gerade echt zu genießen. Ehrlich gesagt, sahen sie alle ziemlich aufgeregt aus. Ich wusste nicht, mit welchen Reaktionen ich gerechnet hatte, aber ganz sicher nicht mit diesen.
„Aber was..." sagte Cait, während sie auf die Seiten starrte.
„Ich kann nichts davon lesen", stellte Lucas fest.
„Das kann keiner von uns", fügte Milo hinzu.
„Nun ja", sagte Lorelei plötzlich mit einem fetten Grinsen im Gesicht, als hätte sie auf diesen Moment gewartet, „das erklärt auch, wie er dieses Buch lesen kann."
Ich fragte mich, ob das auch wirklich stimmte. Es war komisch, dass ich diese Schrift lesen konnte und die, die die Menschen anscheinend benutzten. Das konnte ich allerdings nicht laut sagen. Dann müsste ich nämlich noch so viel anderes erklären und teilweise Sachen, die ich selbst nicht verstand.
Cait schloss widerwillig das Buch und jeder setzte sich zurück an seinen Platz.
„Also, das mit dem Raten wird wohl nichts", sagte Lucas enttäuscht.
„Es is' schwer zu erklären. Selbst mit dem Buch hättet ihr's nich' 'rausfinden könn'", sagte ich mit einem traurigen Lächeln. Mein Blick wanderte wieder zu Lorelei. Ich schien mich oft an sie zu richten, wenn ich nervös wurde.
„Warum?" fragte Lucas achtlos, worauf er einen Schlag gegen die Schulter von Mark kassierte.
„Er hat gerade gesagt, dass es schwer zu erklären ist", sagte dieser irritiert.
„Richtig", sagte Tressa endlich, „Dorean, wenn du jetzt nicht darüber sprechen möchtest, dann musst du es auch nicht. Wisse nur, dass, egal was du uns erzählst, es wird nicht ändern, wie wir dich sehen."
Das würde es nicht? Meine Augen weiteten sich, als alle ihr zustimmten. Lorelei lächelte zufrieden. Sie hatte scheinbar Recht gehabt. Es schien ihnen nichts auszumachen, dass ich kein Mensch war. Damit wurde mir eine riesige Last von den Schultern genommen. Noch nie zuvor hatte ich mich so leicht gefühlt.
Du lagst falsch, Graham. Ich habe einen Platz in dieser Welt und ich habe ihn gerade gefunden.
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Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg zurück ins Schloss. Mir ging es noch ein Stückchen besser, nachdem Lorelei mir die Medizin der Nixe gegeben hatte, also gab es keinen Grund für uns noch länger dort zu bleiben. Wir fielen schnell in unsere alte Routine zurück. Lucas erzählte eine alberne Geschichte und begann dann aus heiterem Himmel eine neue Diskussion. Es war genau wie auf dem Hinweg. Das einzige, was sich geändert hatte, war das Gefühl, das ich währenddessen hatte. Ich war sorglos, entspannt.
Jetzt gerade argumentierten sie alle über irgendwas. Ich war etwas zurückgefallen und beobachtete das Ganze, bis Lorelei sich zu mir gesellte. „Also", sagte sie, „es sieht so aus, als würde dich jeder behandeln wie zuvor."
„Ja", antwortete ich mit einem kurzen Lachen, „danke." Wir gingen etwas langsamer und brachten etwas mehr Abstand zwischen uns und dem Rest der Gruppe.
„Ich habe doch gar nichts getan", sagte sie stumpf.
„Genau. Du hättest ganz anders damit umgehen könn'... hättest es gegen mich einsetzen könn'. Aber du hast noch nich' mal versucht mich zu löchern."
„Ich glaube, dass du mir aus freien Stücken von dir erzählst, wenn du soweit bist."
Lächelnd sah ich von ihr weg und wieder geradeaus. Um ehrlich zu sein, wollte ich ihr alles erzählen. Ich wusste nur nicht ganz, wo ich anfangen sollte. „Was ich letztens, im Garten, gesagt hab' is' wahr. Ich kann mich nich' an meine Kindheit erinnern."
Seufzend sah ich zu ihr rüber. Lorelei sah aus, als hätte sie etwas Falsches gegessen. Sie hatte ihre Augenbrauen zusammengezogen und presste ihre Lippen fest aneinander. Eine ihrer Augenbrauen zuckte leicht. Sie wollte anscheinend unbedingt etwas sagen, aber hielt sich zurück. Ihr Gesichtsausdruck war jedenfalls zum Totlachen. Ich konnte mich nicht davon abbringen aufzulachen. „Du solltest dein Gesicht jetz' mal sehen."
„... Ich kann mein Gesicht nicht ändern", sagte sie leicht verärgert, während ich noch weiter lachte.
„'Tschuldige", meinte ich grinsend, „das war keine Beleidigung. Ich war nie unter vielen Leuten und find's toll euch alle zu beobachten."
Sie sah irgendwie froh aus das zu hören und obwohl sie jetzt stark versuchte es zu verbergen, konnte ich immer noch sehen, dass sie noch etwas sagen wollte. „Lorelei", sagte ich jetzt ernsthaft, „wenn du mich 'was fragen willst, kannst du das."
Sie riss die Augen aus. „Bist du dir da sicher?" fragte sie.
Ich nickte. „Wenn ich 'ne Antwort darauf hab, sag ich's dir."
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