Kapitel 23

Lorelei

Alle hatten sich nun zu mir umgedreht. Ich atmete einmal nervös ein und aus und verließ dann mein Versteck. Ich hielt meinen Kopf geduckt und hoffte, dass meine Kapuze mein Gesicht gut verdeckte, damit sie mich nicht erkennen würden, doch Tressa war keine Närrin und genauso wenig Dorean, oder die Soldaten.

„Nun", sagte Tressa, „Warum seid Ihr uns gefolgt?"

„Ich, ähm..." murmelte ich zu mir selbst, unsicher, wie ich antworten sollte. Ich wagte es, meinen Kopf etwas zu heben und wurde gleich auf Dorean aufmerksam, der erfolglos versuchte sein Grinsen zu verbergen.

Sie wissen Bescheid.

Seufzend zog ich mir meine Kapuze vom Kopf. Die Reaktionen der Soldaten wären amüsant gewesen, wenn ich nicht in Schwierigkeiten gesteckt hätte. „Prinzessin?!" platzte es aus Lucas heraus und die anderen starrten mich geschockt an. Dorean hingegen lachte sich kaputt. Es sah so aus, als hätten doch nur Dorean und Tressa mich bemerkt.

„Wie habt ihr es herausgefunden?" fragte ich vorsichtig.

„Dorean hat Euch heute Morgen erspäht", antwortete Tressa.

Bedeutete das etwa, dass er mich schlafend gesehen hatte? Ich spürte wie ich rot anlief. Aus diesem Grund waren sie also heute langsamer gelaufen. Sie wussten, dass ich ihnen folgen würde.

Tressa ging auf mich zu und ich zwang mich ihren Blick zu halten.

„Wenn das so ist", begann ich zögerlich, „warum habt ihr mich heute Morgen nicht sofort weggeschickt?"

Tressa lächelte. „Um ehrlich zu sein, war das mein erster Gedanke, als Dorean mir davon berichtet hatte. Doch aufgrund der möglichen Gefahr zurzeit könnte ich Euch, mit gutem Gewissen, nicht allein zurück zum Schloss schicken. Und ich kann leider keinen aus dieser kleinen Gruppe entbehren."

„Bedeutet das, dass ich mit euch kommen kann?" fragte ich hoffnungsvoll.

„Es bedeutet, wenn ich diese Reise fortführen möchte, habe ich keine andere Möglichkeit, als Euch mitzunehmen."

Ich lächelte sie strahlend an. „Dankeschön. Ich werde euch keine Probleme bereiten, versprochen."

Nun seufzte Tressa. „Ich hoffe nur, dass der König nicht in Panik verfällt, wenn er erfährt, dass Ihr fort seid."

„Keine Sorge", versicherte ich ihr, „ich habe ihm einen Brief hinterlassen, der alles erklärt."

Tressa nickte. „In Ordnung. Lasst uns fortschreiten. Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Prinzessin, Ihr lauft in der Mitte", befahl Tressa.

„Jawohl."

Somit stiegen wir nun einen Bergpfad hinauf. Nach einer Weile wurde der Pfad so steil, dass wir regelrecht klettern mussten, um voranzukommen. Glücklicherweise war er aber breit genug, um normal gehen zu können, ohne Angst, dass man jeden Moment in die Tiefe stürzen könnte. Die Temperatur fiel schnell und an einem bestimmten Punkt, mussten wir eine kurze Pause einlegen, um uns wärmere Klamotten überzuziehen.

Wir unterhielten uns viel, im Laufe des Tages. Ich wurde den beiden Soldaten vorgestellt, die ich noch nicht kannte. Milo und Cait schienen nett zu sein und hatten viel von sich erzählt. Beide kamen aus Jem, hatten sich aber erst im Schloss kennengelernt. Das wunderte mich nicht. Jem war nämlich die größte Stadt in Maera. Es war unmöglich alle ihre Bewohner zu kennen. Geographisch lag Jem weit westlich von Aphillia. Die Stadt wurde um den Fluss Mirrorfall herum gebaut, welcher sich von der südlichen Bergkette bis in die Obsidiansche See erstreckte. Ich war auf meiner Reise nicht besonders lange in Jem geblieben. Auch wenn die Stadt schön und ihre Bewohner meist freundlich waren, war sie auch sehr unübersichtlich. Es herrschte ein permanentes Durcheinander. Viele Leute, besonders viele Händler, kamen und gingen jeden Tag. Und obwohl ich es äußerst interessant gefunden hatte, die verschiedenen ungewöhnlichen und exotischen Waren zu betrachten, hatte ich mich in den riesigen Menschenmassen eher unwohl gefühlt.

Als die Sonne unterging, suchten wir uns einen Unterschlupf, um ein Lager aufzuschlagen. Wir fanden eine kleine Höhle, die gerade genug Platz für uns sieben bot. Mir fiel auf, dass es in der Gegend keinen einzigen Baum gab, von dem wir Feuerholz gewinnen konnten, doch glücklicherweise hatte Tressa an alles gedacht. Sie hatte heute Morgen vorsichtshalber welches mitgenommen. Ich wollte meinen Schlafsack so nah wie möglich ans Feuer legen, sodass ich mich am Feuer wärmen konnte, aber ich zögerte. Das Feuer machte mich nervös. Ich wusste, dass es nicht so war wie in Aphillia. Das waren schließlich keine natürlichen Flammen gewesen, aber dieser Gedanke brachte mich auch nicht weiter. Es war seitdem nur wenig Zeit vergangen. Ich würde wahrscheinlich einfach noch ein wenig Zeit brauchen, um darüber hinwegzukommen. Letzten Endes ließ ich doch ein paar Meter Abstand zwischen mir und dem Feuer.

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Nach einem weiteren Wandertag durch die verschneiten Berge, waren wir endlich an der Höhle angekommen. Ich verglich sie schnell mit der Zeichnung im Buch. Es war eindeutig die richtige Höhle.

Ich nickte Tressa zu. „Das ist sie."

„Gut", sagte sie anschließend, „seid auf der Hut. Wir wissen nicht, was uns darin erwartet. Das ist alles Eis, also passt auf, wo ihr hintretet und was auch passiert, seid so leise wie möglich", sagte sie und warf Lucas am Ende einen strengen Blick zu. Dieser presste als Antwort nur seine Lippen zusammen.

Wir nickten alle und folgten ihr dann, durch die große Öffnung, in die Höhle. Es war hell genug, sodass wir genau sehen konnten wo wir hingingen und ich musste zugeben, dass es hier drinnen wunderschön war. Unzählige Eiszapfen hingen von der Decke und mit den Sonnenstrahlen, die darauf fielen, schimmerte alles in verschiedenen Blautönen. Der Boden war fast komplett mit Schnee bedeckt, der wahrscheinlich vom Wind hineingeweht worden war.

Vor uns waren mehrere Wege, die tiefer in die Höhle führten. Wir entschieden uns, diese erstmal zu inspizieren, bevor wir einen auswählten. Theoretisch hätten wir aufgeteilt schneller vorankommen können, aber mit der Möglichkeit, dass wir hier auf Drakonier stoßen könnten, war es besser zusammen zu bleiben.

Als alle mit den Wegen beschäftigt waren, nahm ich die Gelegenheit, um mich selbst etwas im Raum umzusehen. Meine Augen fielen auf ein kleines Loch, in der Nähe der Wand, zu meiner Rechten. Die Neugierde packte mich und ich ging etwas näher heran. Es war ein schmaler Spalt. Ich hätte vielleicht ganz knapp durchpassen können. Vorsichtig kniete ich mich davor und versuchte zu sehen, ob die Öffnung irgendwohin führte.

Auf einmal erklang ein grollendes Geräusch. Zu meinem Entsetzen wusste ich nun, aus Erfahrung, was das bedeutete.

„Raus aus der Höhle", befahl Tressa. Ich sah nach oben, zu den wackelnden Eiszapfen über mir und bevor ich mich versah, fielen sie auch schon nach und nach herunter.

Ein großer, spitzer Eiszapfen hing direkt über mir und als er fiel, hatte ich kaum Zeit zum Reagieren. Er hätte mich mit Leichtigkeit aufspießen können. In letzter Sekunde jedoch, wurde ich von jemandem nach hinten gezogen. Der Eiszapfen zersprang, als er auf den Boden prallte, direkt vor meinen Füßen. Ich wollte gerade erleichtert aufatmen, als plötzlich der Boden unter meinen Füßen laut knackte. Das Eis zerbrach und ich stürzte in die Tiefe.


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