Kapitel 3 - SIE
Mit wehenden Haaren rannte ich zwischen den Bäumen durch, immer tiefer in den Wald hinein. Seit der Sache auf dem Markt vor drei Tagen hatte mein Vater mich im Haus gehalten und mich von meinem Cousin Ruben beaufsichtigen lassen. Natürlich hatte ich überhaupt nichts dazu zu sagen und nach einem eher belanglosen Streit mit meinem Vater heute morgen war ich explodiert und einfach drauf los gelaufen.
Ich hatte es so satt in dieser vergoldeten Festung zu sitzen! Bevormundet zu werden und dennoch nichts zu wissen! Ich hielt das nicht aus!
Vor lauter Zorn merkte ich gar nicht richtig wo ich hinlief, bis ich irgendwann am Rand einer Klippe zum stehen kam. Der salzige Wind blies mir entgegen, ich reckte den Kopf zur Sonne und schloss die Augen, sodass die warmen Strahlen auf meiner Haut kitzelten. Ein Teil meines Frustes verblasste augenblicklich und ich lächelte stumm. Unter mir rauschte das Meer an den Steilhang und fiel dann schäumend und spritzend zurück, in einem stetigen, gleichmäßigen Rhythmus.
Meine negativen Gedanken waren wie weggeblasen und ich entspannte mich, stumm lächelnd. Wie gerne würde ich das jeden Tag so erleben. Die unbändigen Wellen unter mir, den Wind im Gesicht. Frei da draußen in der Welt, die Sterne zum Ziel. Doch das würde wohl nie so passieren. Seufzend setzte ich mich in das weiche Gras und sah gedankenverloren zum Horizont. Ich liebte meine Familie, daran gab es keinen Zweifel, doch gaben sie mir ein Leben vor, dass ich nicht haben wollte. Aber was sollte ich tun? Niemals würde ich es auch nur in Erwägung ziehen meine Familie zu hintergehen, gar aufzugeben, also konnte ich nur hoffen und träumen. Hoffen, dass sich etwas änderte und davon träumen, wie es wäre.
Nach einer Weile schlug ich wieder die Augen auf, als sich eine Wolke vor die Sonne schob und sich ein Schatten über mich legte. Schlagartig wurde es kühler und ich erhob mich vom Klippenrand. Die Luft trug den Geruch von Regen mit sich und ich bemerkte die schwarze Unwetterfront am Horizont. Vielleicht sollte ich zu Lydia gehen? Schließlich hatte ich keine Lust meine kurzfristige Freiheit wieder gegen die Gefangenschaft in meinen Zimmern einzutauschen. Außerdem hatte ich meine beste Freundin seit Tagen nicht mehr gesehen, da war ich ihr zumindest einen Besuch schuldig. Also strich ich das Gras von meinem Kleid und lief zurück durch den Wald. Was ich allerdings nicht mehr sah, war die Gruppe der Schiffe, die sich der Anlegestelle näherten - stolz prangte die weiße Nelke auf den flatternden Segeln der Gäste.
Schnellen Schrittes eilte ich erneut über den bemoosten Waldboden. Und obwohl ich diese Insel in und auswendig kannte, auch wenn man das vielleicht nicht erwarten würde, erkannte ich erst nach einer Weile wo ich war. Ich musste wohl vorhin nicht bemerkt haben wie weit ich eigentlich gelaufen war, zumindest brauchte ich lange, um endlich den kleinen See zu erreichen, den Lydia und ich manchmal im Sommer besuchten.
Es war ein kleines Staubecken mit klarem Wasser, das an jedem anderen Tag in der Sonne gefunkelt hätte, doch nicht heute. Die Wolken zogen sich nämlich immer weiter über mir zusammen und ich sah nervös zum inzwischen grauen Himmel. Ich würde die Siedlung sicher noch rechtzeitig erreichen, aber ich wollte nicht, dass meine Cousins sich im Regen auf die Suche nach mir machten. Allerdings hatte ich kaum eine andere Möglichkeit, da wir am höchsten Punkt der Insel lebten und ich es wohl nicht mehr schaffen würde dort anzukommen...
So lief ich weiter Richtung Siedlung, verlangsamte jedoch meine Schritte, da der Boden uneben wurde. Wo vorhin noch unberührter, von Moos und Gras überzogener Boden gewesen war, schlängelten sich nun Wurzeln und niedrige Pflanzen über die nackte Erde. Irgendwann achtete ich kaum mehr auf die Umgebung, bis es plötzlich hinter mir raschelte.
Vögel stoben auf und ich fuhr berrascht herum, wobei mir ein spitzer Schrei entwischte. Doch da war nichts. Unruhig wanderte mein Blick über die schweigsamen Bäume vor mir. Vermutlich war es nur der Wind, der mich erschrocken hatte. Ich verharrte noch kurz, bevor ich mich wieder meinem größeren Problem zu wand.
So wollte ich mich wieder auf den Weg machen, da raschelte es erneut. Und wieder fuhr ich herum, doch dieses Mal sah ich den dunklen Schatten in den Bäumen. Es war nur ein kleiner Sekundenbruchteil, doch es genügte um mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Das musste ein Drache sein, kein Vogel war so groß. Aber hier gab es überhaupt keine Drachen, schon gar nicht auf der Hauptinsel...
Regungslos stand ich da und versuchte das Wesen wieder zu finden. Die Angst kroch in mir hoch und ich biss mir auf Lippe, während mein Blick über die Bäume huschte und ich langsam zurückwich. Es knackte fast direkt hinter mir und ich zuckte mit einem weiteren Aufschrei weg. Ich schrammte mit dem Arm an einem Ast entlang, doch bemerkte es kaum.
Hektisch stolperte ich zurück bis - plötzlich stieß ich gegen etwas und schrak zusammen, mein Herz schien unter dem Druck zu zerbersten. Doch ich wurde von zwei starken Armen gehalten, die mich an der Brust des Fremden hielten.
Ich versuchte heftig mich zu befreien, während mein Herz immer weiter und voller Panik gegen meine Rippen hämmerte. "Immer langsam, ich werde dir nichts tun", ertönte eine tiefe, eindeutig männliche Stimme hinter mir und ich fröstelte. Ich kannte beinahe jeden auf dieser Insel, doch dieser Mann gehörte nicht dazu. Vorsichtig lockerte sich der Griff des Fremden, doch stützte er mich immer noch, als ich mich herumdrehte.
Zwei dunkelbraune Augen funkelten mir belustigt entgegen, als ich endlich das Gesicht des - eindeutig - Fremden sah. Für einen Moment vergaß ich komplett mich gegen seinen Griff zu wehren und musterte den Unbekannten einfach, ohne überhaupt etwas gesagt zu haben. Er durfte etwa zwanzig Jahre alt sein, besaß kurze, doch wuschelige Locken, die einen beinahe schwarzen Braunton hatten. Sein Gesicht war schmal, doch ansonsten schien er ziemlich kräftig zu sein. Seine schwarz rote Tunika und die metallenen Schulterpolster konnte ich genauso wenig einordnen wie den Mann selbst. Ich sah wieder auf und bemerkte das amüsierte Lächeln, dass seine verhältnismäßig vollen Lippen umspielte.
"Fertig?" fragte er belustigt und ich wand schnell den Blick ab, die Hitze stieg mir ins Gesicht. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er nun mich musterte, und mich eine Weile nachdenklich ansah.
"Was?" brachte ich schließlich hervor und der Fremde lachte leise. Diese Situation wurde immer skurriler, somal sie mir eh schon unangenehm war. Langsam versuchte ich etwas Abstand zwischen uns zu bringen, doch der Fremde hielt meine Unterarme fest umschlossen, als müsste er mich immer noch stützen. Allerdings beeinflusste mich seine Gelassenheit in keinster Weise, ich wurde nur immer noch nervöser.
"Ach nichts", erwiderte er unschuldig, "ich wundere mich nur, warum ich so heldenhaft in den Kampf stürzen musste, ohne das Gefahr bestand?" Er grinste frech, während ich ihn nur mir großen Augen ansah. Ich brauchte einige Sekunden um überhaupt zu realisieren, was dieser Fremde gerade gesagt hatte.
Das Bild, wie ich dort stand und ihn ungläubig anstarrte brachte ihn erneut zum lachen und seine Hände rutschten zu meinem Handgelenk, die er nun sanft umschloss. "Was immer so ein so schönes Mädchen wie dich in derartige Angst versetzt hat, jetzt bin ich hier um dich zu beschützen", erklärte er grinsend und ich blinzelte, aus meiner Starre erwacht. Vielleicht lag es an meinem gewohntem Umgang, aber so etwas hatte ich noch nie erlebt. Was erlaubte sich dieser Mann?
Erneut versuchte ich mich frei zu winden, doch er hielt mich bestimmt fest. "Wer bist du überhaupt?" brachte ich stattdessen hervor und versuchte ihm in die Augen zu sehen, doch brachte mich der tiefe Braunton, zusammen mit seinem stetigen Lächeln völlig aus dem Konzept, weshalb ich den Blick abwand.
"Mein Name? Abgesehen von heldenhafter Retter, darfst du mich Viggo nennen. Es ist mir eine Ehre dich kennen zu lernen", stellte er sich lachend vor und ich zog eine Augenbraue hoch. Wie konnte man nur so ein eingebildeter - !? Kopfschüttelnd unterbrach ich mich und überlegte fieberhaft, woher ich diesen Namen kannte. Ich suchte ihn nach irgendeinem Wappen oder ähnlichem ab, doch sagte mir die Faust auf seinem Gürtel genauso wenig, wie alles andere an diesem Mann.
"Viggo was?" fragte ich schließlich nach. Ich hasste es, fragen zu müssen.
"Grimborn", erwiderte er ohne zu zögern, ein stolzer Ton schwang in seiner Stimme mit. Ich erstarrte. Das war doch wirklich ein Grimborn, der da vor mir stand. Langsam schüttelte ich den Kopf und befreite mich endgültig aus seinem Griff, was eigentlich nur daran lag, dass er mich ließ.
"Nun, ich denke ich sollte zurück gehen - mein Vater wartet bestimmt schon auf mich" murmelte ich schnell und ging ein paar Schritte rückwärts, bevor ich mich umdrehte und losrannte. Der Fremde mache keine Anstalt mir zu folgen, doch ich wollte so schnell wie möglich, so viel Abstand wie möglich, zwischen uns bringen. Das konnte doch wirklich nicht sein, was machte er überhaupt hier? Hatten wir irgendeine große Lieferung zu übergeben? Oder gab es Komplikationen?
Während meine Gedanken immer noch um diesen dunkelhaarigen Grimborn kreisten, trafen die ersten Regentropfen meine Haut. Bald schon war ich komplett durchnässt, doch ich lief immer weiter, nach Hause, Lydia war wie vergessen. Wenn dieser Viggo wirklich ein Grimborn war, musste ich vor ihm dort sein.
~*~
Kopfschüttelnd strich ich mir die nassen Haare nach hinten und lief ebenfalls aus dem Wald. Das Prasseln des Regens begleitete mich auf meinem Weg hinunter zur Anlegestelle, während meine Gedanken immer noch bei der seltsame Situation von eben waren.
Das Mädchen verwunderte mich. Ich wusste weder, was sie in solch eine Angst versetzt hatte, noch, was sie dort gesucht hatte. Ihre makellose Haut und die teuren Stoffe gehörten weder in den Wald noch in die Siedlung. Auch schien sie irgendwas mit mir zu verbinden, das Erstaunen in ihren Augen, als sie von meinem Namen gehört hatte erweckte zumindest den Anschein. Aber das kannte ich bereits, unsere Familie war bekannt, teilweise sogar gefürchtet. Und das zurecht!
Allerdings wusste ich nicht sicher, ob sie mich erkannt hatte. Zwar kannte man den Namen Grimborn im ganzen Inselreich, doch hatten weder Ryker, noch ich uns einen eigenständigen Ruf gemacht. Die Faust auf meinem Gürtel stand nur für einen Mann oder eine Frau, die im Dienste der Familie auf Reisen waren. Immerhin konnten sie nicht die weiße Nelke nutzen, da es sich hierbei um das persönliche Zeichen der Familie handelte. So trugen Segel und Ware aller Jägertrupps diese dunkelrote Faust. Und noch, wo keiner von uns der offiziell angekündigte Erbnachfolger der Familie war, war es auch keinem von uns erlaubt das golden Oktagramm zu tragen. Es konnte nur einen geben, der an der Spitze des Stammes stand. Noch war es mein Vater, wer es danach sein würde müssten Ryker und ich noch entscheiden. Auch wenn das nicht besonders schwer werden sollte...
Nach einer Weile war ich vollständig durchnässt und schüttelte mir die Nässe aus den Haaren, als ich wieder zu meinem Bruder stieß, der sich untergestellt hatte und den Jägern beim entladen der Schiffe zusah. "Und wo ist die Jungfrau in Not?" fragte er mit einem schiefen Grinsen, woraufhin ich nur mit den Schultern zuckte. Als würde er auch nur annähernd meinen Gedankengang verstehen... "Normalerweise ver-" "Pass auf was du sagst!" zischte ich, er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich mit zusammen geschoben Augenbrauen an. Ich seufzte.
"Ich meine das ernst, wir sollen hier einen guten Eindruck hinterlassen", sagte ich scharf, ermüdet von seinem einfältigen Gestreite, doch er winkte nur lachend ab. "Das musst du nicht mir sagen!" Ich schnaubte leise, ließ ihn da im Regen stehen und lief auf das Schiff zurück.
So, da haben sie sich wirklich direkt getroffen. Was sagt ihr?
LG Honigmuesli
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