Kapitel 20 II - SIE

Er war doch hier. Viggo war doch zurückgekommen.

~+*+~

Mein Herz schlug mir bis zum Hals und doch wich das breite Grinsen keine Sekunde aus meinem Gesicht. Mein Kopf pochte bereits wieder wie verrückt und doch wandte ich nicht einen Wimpernschlag meinen Blick ab.

"Viggo!" rief ich, woraufhin Lars mir einen warnenden Blick zuwarf und eine der Wachen neben mich trat. Ich allerdings ignorierte das, meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit galt den Personen am Ende des Kiesweges.

Selbstbewusst schritt der Zug auf uns zu, Viggo an seiner Spitze. Zwar waren weder Ryker, noch Palma bei ihnen, dafür aber meine Mutter und Ruben. Doch obwohl ich mich wunderte, zweifelte ich nicht an den Menschen, die mir so viel bedeuteten. Allein ihr Auftritt, ihre Anwesenheit, ließ mich Hoffnung schöpfen.

Auch die Wachen neben Lars traten nervös von einem Fuß auf den anderen, während er selbst ganz ruhig blieb. Er verschränkte lediglich die Arme vor der Brust und sah seinen Gegnern entgegen. Auch schien er nicht im geringsten überrascht von Viggos Anwesenheit, doch hatte der Bote bereits von Männern in schwarzen Umhängen gesprochen. Meine Hoffnungen waren wohl doch nicht unbegründet gewesen.

"Willkommen!" rief Lars in diesem Moment, als würde er alte Freunde empfangen. Irgendwo entsprach das der Wahrheit, immerhin nannten die beiden Drachenjäger sich seit vier Jahren Cousins. Dennoch war davon nicht zu sehen, beide musterten sich mir kühlen, abschätzenden Blicken, als die Gruppe in einiger Entfernung stehen blieb. Erst dann zuckte Viggos Blick zu mir und für einen Augenblick flammten Schuld und Schmerz in seinem Blick auf.

Ich allerdings lächelte beruhigend, als auch meine Eltern und Ruben mir besorgte Blicke zuwarfen. Jetzt wo sie näher gekommen waren, erkannte ich erst, wie elend alle vier aussahen. Sie waren blass und unausgeschlafen, dunkle Ringe umgaben ihre Augen und ihre Haare waren zerzaust. Besonders meine Eltern, die sich sonst stets um ein ordentliches Auftreten bemühten, waren kaum wiederzuerkennen.

Mein Lächeln verblasste angesichts dieser Erkenntnis und ich biss mir auf die Unterlippe. Nur Viggo konnte den Schein des Selbstbewusstseins halten, den anderen merkte man die Nervosität und Spannung an.

Auch meine Euphorie flaute so weit ab, dass ich die Gefahren wieder sehen konnte. So atmete ich tief durch, sammelte meine Gedanken und richtete meine Aufmerksamkeit auf das anstehende Gespräch. Ich wusste, dass die Aufstandskämpfer ein neues Handelssystem einführen wollten, immerhin hatten Viggo und ich uns lange genug damit beschäftigt. Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass das auch Lars wahren Absichten waren. Niemand würde jemals seinem Feind die wahren Absichten erzählen, besonders wenn dieser Feind Viggo war.

"Was willst du Lars?" fragte er in diesem Moment und ich hielt die Luft an. Offensichtliche Fragen waren eine zweischneidige Klinge, doch wenn es gut lief, konnte er in Windeseile die Oberhand erlangen.

Allerdings war Lars gewappnet, er legte lediglich den Kopf schief und sah seinen Cousin für einen Moment schweigend an. Leider konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, da er den Rücken zu mir gewandt hatte, jedoch bemerkte ich, wie Viggos Kiefer sich anspannte.

"Immer noch kein Ew, ich habe dir vertraut! für mich?" erwiderte er nur, seufzte gespielt und hob ergeben die Arme, "aber okay, wenn du nur das Geschäftliche willst, kannst du das haben." Seine Stimme war mit einem Mal kalt und bedrohlich. "Das kannst du haben", wiederholte er leiser und mir jagte ein eiskalter Schauer über den Rücken.

"Letzte Chance aufzugeben", gab Viggo grinsend bekannt und Lars schnaubte. "Du hast wirklich keine Ahnung, womit du es hier zu tun hast!" erklärte er siegessicher, doch der junge Grimborn zuckte nur mit den Schultern. "Ich muss dir nicht erst sagen, dass ich deinen Plan durchschaut habe", gab er zurück.

"Du weißt noch lange nicht alles, Cousin", fauchte Lars.

In diesem Moment sah Viggo in meine Richtung, zumindest dachte ich das. Doch lag sein Blick auf etwas hinter mir. Mühselig verdrehte ich den Kopf und erkannte gerade noch, wie der Riegel des schmalen Guckloches im Tor zugeschoben wurde.

"Das muss ich auch nicht, ich glaube unser Plan funktioniert auch so ziemlich gut", stellte Viggo fest und wie aufs Stichwort ertönte ein Klappern hinter den schweren Holztoren. Ich drehte mich wieder um, wo ich breit grinsend Viggos Blick auffing.

Lars Aufmerksamkeit richtete sich augenblicklich auf die Tore und er knirschte mit den Zähnen. Eilig flüsterte er der am nächsten stehenden Wache etwas zu, doch bekam ich dies nur am Rande mit. Ich war damit beschäftigt Viggo durch meine Blick von den Schützen zu informieren, die sich in den Schatten der Wäldern tarnten. Ich formet still die Worte Schützen, und halbes Dutzend, welche er noch einmal wiederholte und ich nickte.

Kurz zuckte sein Blick weg, als zwei Wachen sich daran machten die Toren von außen zu verriegeln, allerdings sperrten sie damit nicht nur die Feinde, sondern auch ihre eigenen Leute ein, was ihre Zahl deutlich verringerte.

Dann sah er wieder zu mir zurück, lächelte und deutete ein leichtes Nicken an.

Somit wand er sich wieder an Lars und verschränkte die Arme vor der Brust. "Wir wissen auch von deinen Schützen, glaubst du wirklich, dass ich so unvorbereitet herkomme?"

"Doch, das glaube ich in der Tat", meinte der Angesprochene nur gelassen und drehte sich wieder zu seinem Gegner um, "Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass du bis vor ein paar Sekunden gar nicht von den Schützen wusstest." Er sah über die Schulter zu mir und mir wurde mit einem mal schlecht.

"Glaub nicht, dass ich deinen Blick nicht bemerkt habe, Kleine", ergänzte er mit einem breiten Grinsen und Viggo sah ihn düster an.

"Also, was willst du?" knirschte der dunkelhaarige Drachenjäger ernst und wechselte damit das Thema. Mein Herzschlag erhöhte sich und ich biss die Zähne zusammen. "Löst den Vertrag auf", forderte Lars.

Wie eine Welle trafen die Worte auf die Gruppe vom Anwesen, sie zuckten zurück oder keuchten auf. Meine Mutter schlug sich die Hände vor den Mund und mein Vater sah aus, als hätte man ihn geschlagen. Sie alle sahen nervös zwischen sich hin und her, immer wieder vielen die Blicke auf mich. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Warum -?

Lars bemerkte meinen verunsicherten Blick und lächelte, seine Augen funkelten gefährlich. "Hat dir niemand von dem Vertrag erzählt, an dem ihr so lange gearbeitet habt?" Langsam sah ich von ihm zu meinen Eltern, die noch blasser geworden waren, falls das überhaupt noch denkbar war. War es möglich, dass man mir nicht vom Vertrag erzählt hatte?

"Das bedeutet", erklärte Lars dramatisch und sah mich an, "dein Leben", er wand sich an meinen Vater und Viggo, "gegen eines von ihren."

Ich keuchte und sah Lars entgeistert an. "Nein! Du lügst, warum sollten wir sowas jemals..." doch meine Stimme erstarb voller Unsicherheit und ich sah hilfesuchend zu meiner Familie. Mein Herz war schwer wie Blei und ich bekam kaum mehr Luft. Ich hätte es wissen müssen. Nie hatte man mir so etwas erzählt, warum sollte es sich in den letzten Wochen auch geändert haben. Nur von Viggo hätte ich gedacht, dass er es mir sagte.

Doch zu meinem großen Entsetzten nickte er langsam. Er schloss kurz die Augen und holte zitternd Luft, als kostete es ihn viel Kraft. "Der Vertrag der Handelsinseln solle nur nach einer Zeitspanne von fünfzehn Jahren, oder aber dem unglücklichen Todesfall einer der Verantwortungsträger im Namen der großen Familie gelöst werden", zitierte er leise und mir stiegen Tränen in die Augen. "Nein!" hauchte ich.

"NEIN!" Heiß rannten mir die Tränen übers Gesicht und verschleierten mein Sichtfeld. Immer wieder versuchte ich, mich aufzurichten, auch wenn die Wache neben mir mich direkt wieder in die Knie zwang. Ein Schluchzen erschütterte meinen Körper und ich sackte hoffnungslos zusammen. Keiner von ihnen durfte sterben. Lieber würde ich in den Tod gehen, als mein Vater oder Viggo.

Beide mussten wohl das selbe denken, durch mein eigenes Weinen verstand ich immer wieder Fetzen ihrer Sätze. Viggo war einen Schritt nach vorne getreten, doch mein Vater hatte seinen Arm gepackt und hielt ihn zurück. Beide redeten wild aufeinander ein. Ich hörte meinen Vater "viel zu jung" gefolgt von "meine Tochter", sagen während Viggo etwas von "meine Schuld" und "meine Familie" erwiderte.

Ich verfolgte die Szene schweigend, das Blut rauschte in meinen Ohren und stumme Tränen rannen meine Wangen hinab. Auch die Schmerzen in meinem Kopf nahmen wieder zu und ich schwankte leicht, versuchte aber mit allen Kräften wach zu bleiben.

"Euch läuft die Zeit davon", stellte Lars gelassen fest, der meine zunehmende Schwäche sofort bemerkt hatte. "Mögen die Götter dich verfluchen du elender Verräter", fauchte ich, woraufhin er nur abwehrend die Arme hob. "Wenn Viggo nicht hinter alles und dann auch noch zurück gekommen wäre, wäre jetzt alles einfacher, das ist nicht meine Schuld, dass es so kommen musste." Er lächelte unschuldig, doch ich funkelte ihn böse an. Wir beide wussten, dass es noch schlimmer gekommen wäre, hätte Viggo es nicht bemerkt.

Lars allerdings störte sich nicht an meinem vernichtenden Blick und klatschte enthusiastisch in die Hände, während er sich zu meiner Familie umdrehte. "Habt ihr euch entschieden?" fragte er und ich sah verzweifelt zu meinem Vater. Er musste etwas unternehmen, irgendeine Sonderregel, irgendwas.

"Bitte", hauchte ich, weitere Tränen tropften auf den staubigen Boden. "Das dürft ihr nicht", ich wurde etwas lauter und auch Viggo sah zu mir. Allerdings verriet mir sein Gesichtsausdruck, dass er alles tun würde, um das hier zu beenden und mir zersprang das Herz in der Brust. "Nein, Viggo, bitte", meine Augen brannten, "Vater, ihr-"

"Laila, hör auf", knurrte Lars genervt, doch ich achtete überhaupt nicht auf ihn.

Mein Vater und Viggo teilten einen letzten Blick, bevor der junge Drachenjäger ein letztes Mal zu mir sah. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf, doch er lächelte zuversichtlich. "Du weißt doch nicht einmal, dass ich dich-" Mein Satz wurde unterbrochen, indem die Wache mir den Mund zuhielt und meine letzten Worte verschluckt wurden.

So konnte ich nur stumm und unter Tränen beobachten, wie die Liebe meines Lebens nach vorne trat, sich vor Lars in den Staub kniete und den Kopf senkte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top