Kapitel 19 - ER

"Dann willst du mir also erzählen, dass ihr zufällig noch hier seid - nachdem ihr in See gestochen seid. Und das erfahre ich KURZ NACHDEM MEINE TOCHTER VERSCHWUNDEN IST?!" schrie Oswald und ich biss die Zähne zusammen. Sämtliche Bewohner des Anwesens, sowie Besatzung meines Schiffes beobachteten uns schweigend und die Spannung hing bedrückend in der Luft.

Dennoch wirkte die Eingangshalle riesig, geradezu einschüchternd. Oswalds Anwesenheit beherrschte den gesamten Raum, in dem er aufgebracht auf und ab lief, nur unterbrochen von den vernichtenden Blicken, die er mir zuwarf. Seit wir in die Halle gestürmt waren hatte ich kein Wort sprechen können, Lailas Vater war sprichwörtlich über uns hergefallen.

"Oswald, ich bitte Eu-" - "Nein, du hast hier überhaupt nichts mehr zu sagen!" rief er nachdrücklich und ich zuckte zusammen. Noch nie hatte jemand mich einschüchtern können. Doch diesmal hatte ich einen Grund dazu. Es war mein Fehler. Und ich war zu spät. Meine schlimmste Angst war eingetreten.

Die junge Frau neben Lailas Cousin, Lena, war wohl verantwortlich für die Händlerstochter gewesen und hatte vor wenigen Stunden bemerkt, dass sie fort war. Noch immer war sie aufgewühlt, ihre Haare waren zerzaust und ihre Augen rot vor Tränen. Ruben versuchte sie etwas zu beruhigen, er beobachtete mich nachdenklich, genauso wie seine Tante, Lailas Mutter. Sie redete inzwischen sanft, jedoch nicht minder besorgt, auf ihren Ehemann ein.

"Viggo", sprach sie nun mich an, eine Hand ruhte auf Oswalds Schulter, der missbilligend die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Ihren grünen Augen hingegen glänzten voller Hoffnung auf, als sie mich ansah. Nie hatte ich so einen aufrichtigen Blick gesehen, ich konnte all ihre Sorgen und Ängste sehen, die tiefe Furcht um ihre Tochter, wie nur eine Mutter sie hatte.

Ich nickte leicht, dankbar und geehrt von ihrem Vertrauen. Eistla lächelte schwach, bevor sie fortfuhr, "was war der Grund für deine Rückkehr?" Kurz zögerte ich, holte dann aber tief Luft. Das hier war wohl meine einzige Chance, das Gehör von Lailas Vater zu erhalten. Und ich brauchte ihn, ohne seine Unterstützung war mein Plan nicht möglich.

"Es tut mir leid, Oswald, ihr habt Recht damit, dass es meine Schuld war", erklärte ich zerknirscht, doch trat nun auch Palma neben mich und reichte Oswald den Brief, bevor er sich zu meiner Aussage äußern, oder ich weitersprechen konnte.

"Das ost Unsinn... Dies hier ist ein gefälschter Brief an unsere Heimatsinsel", begann sie bestimmt und die Aufmerksamkeit der Halle richtete sich auf sie, "Es ist mir erst auf dem Weg hierher aufgefallen, allerdings kam ich erst während unserer Rückreise dazu, Viggo davon zu berichten. Diese - nicht der Wahrheit entsprechende - Nachricht, sorgte in unserer Heimat für einen heftigen Streit und damit auch für die Schwäche, die der Gegner für den Angriff nutzte", erklärte sie, während Oswalds Augen eilig über das Papier huschten.

Er nickte langsam, die Stirn in Falten gelegt. Noch immer traute er uns kein Stück, doch sah er mich auffordernd an. So fasste ich schnell unseren Gedankengang zusammen und enthüllte Lars als den Kopf hinter allem, den Aufständen, den Angriffen, der Entführung.

"Es ist also euer Cousin, den, wenn ich mich recht erinnere, du hier bleiben ließt", brauste er erneut auf, seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt und er musterte mich kritisch. "Was sagt mir, dass ihr nicht mit ihm zusammenarbeitet, dass all das von Anfang an geplant war?!"

"Ich habe es nicht gewusst, nichts davon, Lars hat uns alle fast vier Jahre lang ausgespielt. Ich hätte das erkennen sollen, aber jetzt ist es zu spät. Ich kann nur um Vergebung bitten", antwortete ich ehrlich, doch der Zorn des aufgebrachten Vaters legte sich dadurch kein bisschen.

Die drückende Last meiner Schuld, meiner Angst, wurde immer schwerer, je aussichtsloser die Lage wurde. Mein Puls hatte sich seit der Erkenntnis auf dem Schiff nicht verlangsamt, eher wurde ich immer panischer. Mit jeder Sekunde die wir hier verschwendeten, könnte Lailas Lage schlimmer werden...

"Ich denke, dass er recht haben könnte", warf nun die Person ein, von der ich es am wenigsten erwartet hätte. Ruben. "Wenn er etwas damit zu tun hätte, wäre er immerhin nicht augenblicklich zurückgekehrt, oder?" fragte er nun und auch Eistla nickte. "Der Brief erscheint mir auch gefälscht zu sein, so wie Viggo es erklärt hat", bekräftigte sie ihren Neffen und Oswald schnaubte leise.

"Ich bitte euch", sprach auch noch meine Cousine auf ihn ein, "wieso hätten wir unsere eigene Insel attackieren und unseren Großvater sterben lassen sollen?" fragte sie und ihre Stimme erzitterte, zu viel Schmerz lag in dieser Aussage. Auch ich fröstelte, während Oswald zwar inne hielt, allerdings nicht gänzlich überzeugt wirkte. Abschätzig musterte er uns, die Stirn in Falten gelegt. Ich atmete tief durch, mein letzteres Argument musste ihn überzeugen.

"Wieso hätte ich den Vertrag unterzeichnen sollen, nur um ihn wenige Stunden später wieder zu brechen und die folgenden Konsequenzen in Kauf zu nehmen? Hätte ich La- Adelaila entführen wollen, so hätte ich es früher getan."

Für einen Moment herrschte Stille in der riesigen Halle, in der Oswald mich lediglich nachdenklich ansah. Ich unterdrückte den Drang, nervös meine Hände zu reiben und hielt seinem Blick stand. Meine Nerven standen kurz vor dem Zerbersten und ich biss die Zähne schmerzhaft fest zusammen.

Schließlich seufzte Lailas Vater und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. "Also gut", gab er nach, und reichte mir den Brief, "aber glaube nicht, dass ich dich auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen werde, Grimborn!" Er sah mich eindringlich an und ich nickte ergeben, doch voller Erleichterung.

"Was machen wir also?" fragte nun Ruben und ich wollte gerade meinen Plan erläutern, als eine schwache Stimme hinter uns sprach. "Hier, das lag neben ihrem Bett..."

Wir alle drehten uns zu Lena um, die einen kleinen Zettel in ihrer Hand freigab. Sofort kamen alle auf sie zu, außer Eistla, welche mich sanft zurückhielt. Die anderen hatten sich schon einige Schritte entfernt.

Ihr Blick war traurig und zum ersten mal wirkte sie alt, erschöpft und so voller Sorge, als wäre sie ein anderer Mensch.

Allerdings nahm sie meine Hand bestimmt in ihre und sah mir fest in die Augen. "Finde sie, ich bitte dich", flüsterte sie eindringlich, fast flehend und ich nickte sofort, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ich hatte einen tiefen Respekt vor dieser Frau. Für einen kurzen Moment hielt sie meinen Blick, doch wurden ihre Züge wieder weich.

Da legte sie eine Hand an meine Wange und lächelte stolz, als wäre ich ihr eigenes Kind. Eine plötzliche Wärme überkam mich, doch damit wand sie sich ab, während ich noch einen Moment stehen blieb. Ich lächelte schwach, straffte meine Schultern und lief zu den anderen herüber.

Oswald redete auf Lena ein, welche einen zweiten Zettel an ihre Brust gedrückt hatte. "Gib mir den Brief!" forderte sie nun mich auf und ich zögerte kurz, hielt ihn ihr aber wortlos hin, woraufhin sie zwischen den beiden hin und her sah, bevor sie sie an mich weitergab. "Es ist die selbe Schrift", erklärte sie laut und ich runzelte die Stirn.

Lailas Vater knurrte missbilligend in Lenas Richtung die unter seinem Blick kurz zusammenzuckte und den Kopf senkte. Ich aber lächelte ihr kurz zu, immerhin musste sie mich damit in Schutz genommen haben, bevor ich den Gedanken allerdings verwarf und zu lesen begann:

"Oswald,

es tut mir leid, dass es so kommen musste, doch musste ich deine Tochter zu mir holen. Keine Sorge, ihr wird es gut gehen. Und versuche nicht erst sie zu befreien, ohne meine Hilfe werdet ihr sie nie finden, geschweige denn von dem Gift heilen können..." Meine Stimme erstarb und meine Hand zitterte so stark, dass ich die letzten Worte kaum lesen konnte.

"Gezeichnet, Viggo..." krächzte ich schwach, die Panik schnürte mir die Luft ab.

Meine Gedanken trudelten haltlos, es war schlimmer, als ich gedacht hätte. Sie war vergiftet. Wer wusste, wie und vor allem ob sie das überleben würde? Für kaum ein Gift gab es wirksame Heilmittel...

Eine Weile lag bedrückendes Schweigen über uns, bis Ruben sich dann räusperte. "Also..." - "Hätte er den Brief an unseren Großvater geschrieben", fiel Palma ihm kalt ins Wort, "hätte er nur gelacht. Und da das die gleiche Schrift ist, besteht kein Zweifel. Das müssen wir nicht nochmal durchsprechen denke ich. Danke", ihre Stimme war scharf wie ein Messer und ihre Augen schienen Funken zu sprühen. "Das meine ich nicht", widersprach Ruben, Panik in seinem Gesicht.

"Was tun wir? Wir müssen sie umgehend befreien, andernfalls wird das Gift sie umbringen", sprach er die größte Angst jedes Anwesenden aus. Lailas Eltern waren ebenfalls leichenblass und nicht einmal Oswald hatte seine Stimme erhoben. Ihre Mutter lehnte sich an ihren Mann, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Ich seufzte schwer. Es war Zeit.

"Gut, ich habe einen Plan. Wir machen es so..."

~*~

"Komm weiter, Kleine!"

Mein Kopf dröhnte. Mein Arm brannte. Ich fühlte mich so schwach.

Im nächsten Moment knickte ich schon weg, doch wurde ich aufgefangen und sofort gestützt. Mein gesamtes Sichtfeld war verschwommen und ich zitterte am ganzen Körper. Immer wieder fielen meine Augen zu, mir fehlte jede Kraft sie offen zu halten. Doch es gäbe nichts zu sehen. Ich sah nur grün, viel grün und etwas blau. Ich hatte keine Ahnung wo ich war. Ich hörte nur undefinierbares Rauschen. Mir war schlecht...

"Verdammt, das Vieh war eindeutig zu jung. Die Wirkung ist zu stark..." murmelte eine Stimme. Sie war so weit weg...

Erneut schloss ich meine Augen, doch zerrte die Person, die mich stützte und zu der die Stimme gehörte, mich schon weiter und setzte mich wenige Schritte später ab. Zumindest glaubte ich das.

"Hier, einfach nur kauen, dass wird dich wieder etwas stärken, immerhin muss..." erklärte die Stimme, doch reagierte ich gar nicht. Dass sie noch weiter sprach, mir von einer Planänderung und einer zweiten Nachricht an das Anwesen erzählte hörte ich ebenfalls nicht.

Ich ließ meinen Kopf erschöpft zur Seite kippen und beobachtete die schwarzen Punkte, die vor meinen Augen herumtanzten. Mit einem schwachen Kichern versuchte ich danach zu greifen, doch fiel meine Hand kraftlos zu Boden und ich schloss meine Augen wieder.

Am Rande bemerkte ich noch, dass ich auf etwas zähem, bitteren herumkaute und die Stimme immer weitersprach, allerdings glitt ich bald wieder in einen der zahllosen Fieberträume zurück.

Allgemeines Stimmungsbild oder sowas?

Einen schönen Tag :)

LG Honigmuesli

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top