29.

                "Deine Mutter wäre so stolz auf dich", meinte die Freundin meiner Mutter, die mir seit Jahren unter die Arme griff.  "Die Entwicklung, die du in diesen letzten Jahren gemacht hast, ließ das Restaurant noch mehr wachsen und wegen dir, sind wir alle so weit gekommen - Auf Katelyn!", stießen alle Kollegen an. 

                 Ich lächelte vor mich hin und nahm einen Schluck von meinem Orangensaft. Der heutige Abend war wohl mit Abstand einer der stressigsten, die ich je hatte und dennoch war ich überaus glücklich, dass Alles nach Plan verlief. 

                 Fast Alles - ich rechnete nicht damit, dass Ethan Lewis einer der Gäste sein wird. Ab und zu brachten mich seine Augen aus dem Konzept - da ich sie die ganze Zeit auf mir ruhen spürte - und dennoch versuchte ich den Abend irgendwie professionell zu meistern. Nicht nur die Augen von Ethan folgten mir bei jedem Schritt, sondern die von Connor - Ethans Stiefbruder - ebenfalls. 

                 Nachdem sich alle auf den Weg nachhause machten, blieb ich noch zurück im Restaurant und räumte die letzten Dinge alleine auf. Ich bereitete einige Sachen für den nächsten Tag vor und schloss schlussendlich das Restaurant ab. Meinen Mantel machte ich zu und joggte zu meinem Auto. 

                Zuhause fand ich, wie so oft, ein leeres Haus vor. Es dauerte Wochen - nein Monate, bis ich mich daran gewöhnte, dass kein überglücklicher Hund auf mich wartete. Dad war bereit mit mir einen neuen Hund holen zu gehen, doch zu diesem Zeitpunkt war ich dafür noch nicht bereit. Mein Herz vermisste damals Clancy sehr. 

              Nach einer langen, verdienten Dusche ging ich in die Küche und bereitete mir Abendessen zu. Dad verbrachte den heutigen Tag mit seiner Familie irgendwo auf Cape Cod. Aufgrund des Restaurants konnte ich bei dem Tagesausflug nicht teilnehmen - ich gönnte es meinem Vater. Die ganzen Jahre und Monate richtete er sich immer nach mir und tat Alles, damit ich mich nicht alleine fühlte. Dabei vergaß ich oft, dass auch er seine Frau verlor. Weswegen ich ihm diesen Tag mehr als nur gönnte. 

             Auch, wenn Clancy nicht mehr hier war, drehte ich kleine Runden. Diese nächtlichen Spaziergänge beruhigten mich nach einem stressigen Tag in der Arbeit und irgendwie war ich so auch meinem besten Freund nahe. Als ich am Strand vor unserem Haus ankam, sah ich eine männliche Person. Mit seinen Händen in der Hosentasche starrte er den wundervollen Sternenhimmel an. Ethan Lewis. 

          Für einige Sekunden beobachtete ich ihn von der Ferne und kämpfte einen Kampf mit mir selber. Ich wusste nicht, ob ich auf ihn zugehen sollte oder nicht. Eigentlich gab er mir in dem Sommer, als ich achtzehn war, klar und deutliche Zeichen, dass er Nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Er rief mich nicht an und kam im Sommer, als ich neunzehn war, nicht. Doch in diesem Moment spürte ich Etwas in mir. Ethan Lewis war nicht umsonst am Strand.

          Ich erinnerte mich an den Sommer, als ich 15 war und Ethan Lewis mich hier auf diesem Strand ansprach. Damals machte ich ihm klar, dass ich alleine sein wollte. Ethan sprach an, dass sich unsere Wege immer am Strand kreuzten und ich antwortete daraufhin, dass ich nicht gefunden werden wollte. Er sagte jedoch, dass ich dann nicht hier sein würde. 

           Seine Worte hallten in meinem Kopf, während ich mich fragte ob er auch gefunden werden wollte. Ohne weiter zu überlegen ging ich auf ihn zu. Hinter sich hörte er kleine Bewegungen, worauf er leicht über seine Schulter sah und innerhalb von wenigen Sekunden mich erkannte. Ethan atmete tief aus und starrte wieder auf das Meer hinaus. 

           "Toll, nicht wahr? Man denkt, der Sternenhimmel wäre im Sommer am schönsten. Dabei bemerkt keiner, dass er im Herbst umso schöner ist. Jedenfalls hier auf Nantucket", sprach ich sanft und stellte mich neben ihm hin. Meine Hände versteckte ich in meiner Jackentasche und starrte ebenfalls nun die Sterne an. 

            "Ich habe nie verstanden, wieso du diese Insel so sehr liebst. Klar, ich verbringe sehr gerne meinen Sommer hier und dennoch verstand ich nicht wie du all diese Jahre nicht von hier verschwinden wolltest - und jetzt verstehe ich es. Ich verstehe auch, wieso du immer hierher gekommen bist um nachzudenken." 

             Leicht sah ich über meine Schulter zu Ethan Lewises Haus und bemerkte, dass alle Lichter an waren, während mein Haus stockdunkel war.  Ich war hier, weil ich hier sein wollte. Er jedoch wollte nicht in seinem Haus sein.  "Manchmal braucht man keinen, der einem zuhört, sondern einfach nur das Rauschen des Meeres und einen wundervollen Sternenhimmel." 

             Für einige Minuten herrschte Stille zwischen uns. Es war jedoch keine unangenehme Stille, sondern eine sehr beruhigende. In diesen Minuten mit Ethan Lewis vergaß ich den ganzen Stress, ich vergaß meine Probleme und ganz besonders vergaß ich den Herzschmerz, den ich bis vor Kurzem noch spürte - ich genoss den Moment. 

             "New York Times Restaurant-Empfehlung, huh?", lächelte er mich plötzlich an. Seine Sorgen, die man vor wenigen Minuten noch klar und deutlich in seinem Gesicht sah, waren verschwunden. 

              Ich atmete tief aus und nickte - ein Lächeln konnte ich nicht verstecken.  "Das Restaurant meiner Mutter - unglaublich, oder?"

               "Dein Restaurant Katelyn", besserte Ethan Lewis mich sofort aus und schubste mich leicht. "Es gehört dir. Deine Mutter hat es aufgebaut, geleitet doch ohne deiner Arbeit und ganz besonders ohne dein Durchhaltevermögen, wäre das Restaurant nicht das, was es heute ist. Nicht jedes 17-jähriges Mädchen übernimmt von heute auf morgen ein Restaurant und leitet es fast ohne Hilfe. Deine Mutter hat das Fundament gelegt und du hast den Rest erbaut." 

                "Danke Ethan", lächelte ich ihn an und atmete dann schließlich tief aus. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass wir jemals wieder so ein Gespräch führen werden. 

                  Nun sah Ethan sich um. Er suchte nach jemanden. "Wo ist Clancy?", fragte er nun  neugierig und lächelte mich an. In diesem Moment spürte ich einen kleinen Schmerz in mir. Vielleicht würden einige meinen, ich hätte übertrieben und vielleicht war er für einige "nur" ein Hund. Doch für mich war er jemand besonderes. Clancy war für eine gewisse Zeit mein einziger Freund - jemand, der sich nicht von mir abwandte. Ethan sah den Schmerz in meinen Augen klar und deutlich. "Katelyn", meinte Ethan sanft und drehte sich zu mir um. Seinen Kopf legte er schief und schüttelte seinen Kopf.  "Ich wusste es nicht." 

                Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln und zuckte mit meinen Schultern.  "Es ist okay." Danach sah ich wieder auf das Meerwasser und atmete tief durch. Meine Gedanken schweiften zu den unzähligen Erinnerungen, die ich hier am Strand mit meinem Hund und meiner Mutter verbrachte. Das erste Mal, seit langer Zeit, schmerzten die Erinnerungen nicht mehr, sondern ich lächelte vor mich hin. 

                 "Ich bin nicht gekommen, weil ich nicht wusste, ob ich bereit war dich zu sehen", fing er plötzlich an zu reden.  "Ich hatte Angst vor dir zu stehen Katelyn." 

                   "Wieso hast du jetzt keine Angst vor mir zu stehen?", fragte ich sanft während wir beide auf das Meer starrten. 

                   Er dachte über seine nächsten Worte nach und atmete dann schließlich aus.  "Als ich dich im Restaurant sah, wusste ich, dass ich meine beste Freundin wieder in meinem Leben haben möchte. Ich brauche dich in meinem Leben Katelyn." 

                    "Ich wäre nie gegangen Ethan", sprach ich meine Gedanken aus. 

                    "Vielleicht fragst du dich, wieso ich jetzt hier bin", spürte ich nun seine Augen auf mir ruhen. 

                     Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihm tief in die Augen. Seine eisblauen Augen sah zwischen meinen Augen hin und her. In ihnen sah ich so viel Schmerz und mir brach es das Herz in so zu sehen.  "Wieso bist du hier Ethan Lewis?", fragte ich nun diese eine Frage, die mich ebenfalls beschäftigte. 

                     Seine Stirn runzelte er und sah mich für einige Sekunden still an. Danach sah er auf den Sand und sprach leise:  "Ich wollte dich noch einmal sehen bevor mein Vater das Haus verkauft." 

                      

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