2. Kapitel
Sie antwortete nicht sofort, sondern ließ ihn erst auf sich wirken.
"Schöner Name", lächelte sie und quittierte ein unberührtes Schulterzucken des Mannes, der neben ihr herlief und dabei Mühe hatte, mit ihrem eiligen Tempo mitzuhalten.
"Nicht ... nicht so schnell", machte er sie schlussendlich darauf aufmerksam, weshalb sie augenblicklich langsamer wurde.
"Tut mir leid", meinte sie kleinlaut und ließ ihren prüfenden Blick an ihm hinabwandern. Dabei entging ihr natürlich nicht sein ungleichmäßiger Gang und wie er versuchte, seine rechte Körperhälfte nicht zu sehr zu belasten.
"Wir sind gleich da. Nur noch zwei Häuserblocks", versprach sie mit festerer Stimme. Desto näher sie ihrem Zuhause kamen, desto stärker wurde das mulmige Gefühl, welches er überall in Mark und Bein verspürte. Er hatte ja keine Ahnung, was ihn eigentlich erwarten würde. Und dieses Schweigen machte die ganze Situation nicht besser. Es war seine Schuld, dass sie nicht miteinander redeten, da er ihr den Anschein verlieh, dass er es nicht wollte.
"Weston?", sagte sie schließlich nach einer Weile, doch er reagierte nicht, weshalb sie seinen Namen ein wenig lauter wiederholte.
"J-ja?" Er blickte vom Boden irritiert zu ihr auf und musste feststellen, dass er nicht bemerkt hatte, wie sie stehen geblieben sind.
"Wir sind da. Komm", forderte sie ihn mit ihrer samtweichen Stimme auf, als sie die Tür aufschloss und hineintrat.
Unbehagen machte sich in ihm breit, als er seinen rechten Fuß über die Türschwelle setzte und ihr in den einigermaßen warmen Flur des Wohngebäudes folgte. Wie lange war es her, dass er in einem Haus war?
"Ich wohne ziemlich weit oben, also ab zum Fahrstuhl", sagte sie und zeigte dabei zum Ende des Flurs, der mit einer eintönigen Farbe bemalert wurde. Dann ließ sie ihn vor, damit er weiterging und sie ihn im Blick hatte. Sie meinte zwar, dass sie ihm vertraute, doch ihre Angst war noch nicht vollkommen verschwunden.
Die beklemmende Anspannung, welche im Fahrstuhl herrschte, löste sich wie in Rauch auf, als sie oben angekommen waren und mit einem gewissen Abstand zur Tür laufen konnten, die in ihre Wohnung führte.
"Du- du kannst zuerst ins Badezimmer, wenn du willst. Ich lege dir neue Sachen vor die Tür, die du dir dann nehmen kannst. Also- ja ... Sie gehören halt meinem Dad", erklärte sie nervös und mit einem Zucken ihrer Achseln, während sie die Tür öffnete und ihm diese schließlich aufhielt.
Als er mit einem kurz angedeuteten Nicken eintrat, kam ihm direkt eine Welle wohliger Wärme entgegen, sodass er leise unbeabsichtigt seufzen musste. Neben sich konnte er die junge Brünette lächeln spüren, während sie ihn fasziniert beobachtete.
"Ich- ich mach dann auch gleich die Suppe nochmal warm, wenn du- du weißt schon", stammelte sie verlegen herum.
"Ja", sprach er schließlich leise und von all dessen mit berührter Stimme, "ja, danke."
"Nichts zu danken." Sie zog sich ihre Schuhe aus, schob sie mit einem Fuß unter die Kommode und verschwand dann in Richtung Küche, vor der sich das kleine Wohnzimmer befand. Dort stellte sie die silberne Thermosflasche und den Behälter ab, bevor sie wieder zu ihm zurückkam.
"Ich zeige dir noch schnell das Bad", sagte sie, als ihr Blick über seine dreckige Kleidung glitt. Sie traute sich nicht, ihn danach zu fragen, ob er seine Jacke gleich hier ausziehen wollte. Deshalb ließ sie es lieber und ging stattdessen voran. Dabei bog sie nach rechts in einen kleinen Flur ab, an dessen Wänden kleine Fotos hingen.
Sie führte ihn in ein Badezimmer, welches in jeder Ecke sauber zu sein schien. Die Badewanne befand sich links von ihnen und die Dusche ebenso, jedoch ein wenig versetzt, sodass man für beides genug Platz hatte. Geradezu war das große Waschbecken mit einem riesigen Spiegel, den man an den Seiten verstellen konnte. Und rechts waren mehrere Kommoden und zwei hohe Schränke aus weißem Material.
"Gut, dann lasse ich dich mal ... alleine", gab sie murmelnd von sich, "wenn du Fragen hast, dann frag einfach."
Um ihr zu signalisieren, dass er aber im Moment keine hatte, schüttelte er den Kopf.
"Okay." Sie nickte leicht, schien aber zu zögern, da sie an der Badezimmer stehen blieb. "Vielleicht ist ein Bad besser als zu duschen. Aber mach das Wasser nicht zu warm. Ich weiß nicht, wie schlimm deine Hände und Füße sind. Ich-", brach sie kopfschüttelnd ab. "Tut mir leid, da kommt einfach die Krankenschwester in mir durch", meinte sie räuspernd, bevor sie dann in einer flinken Bewegung aus dem Badezimmer huschte.
Großartig, dachte sich Weston und seufzte schwer. Mit langsamen Schritten ging er unsicher auf den Spiegel zu, eigentlich traute er sich gar nicht, seinen Körper anzusehen.
Es zerstörte ihn von innen, sehen zu müssen, was aus ihm geworden war. Er, ein ehemals starker Lieutenant in anmutiger Uniform, der einst Leben gerettet und seine Hände in das Feuer gelegt hatte, war nur noch ein Schatten seiner selbst.
Ein Blick in den Spiegel, ließ ihn kalt erschaudern. Der Bart verdeckte den Großteil seines Gesichts und sorgte dafür, dass er viel älter aussah, als er eigentlich war. Dicke Strähnen und schwarze Locken hingen ihm vor den Augen, die ihn schon seit längerem störten. Irgendwann musste er all das loswerden, doch heute war nicht dieser Tag, an dem dies geschehen würde.
Weston legte seinen Rucksack ab, in den er all die Habseligkeiten gestopft hatte, die ihm über die Jahre noch erhalten geblieben sind. Dann hielt er sich schließlich am Waschtisch fest und streifte die kaputt gelaufenen und schmutzigen Schuhe von seinen schmerzenden Füßen ab. Dann öffnete er den Reißverschluss seiner dunklen Jacke, der manchmal stockte, wenn man ihn herunterziehen wollte. Diesmal passierte dies aber nicht und er konnte sie ohne Probleme ablegen. Das tat er auch so schnell er konnte, denn er musste diese stinkenden Klamotten loswerden.
Innerhalb kürzester Zeit folgten zwei Pullover und ein nicht mehr weiß aussehendes Unterhemd, die bereits mehrere Löcher besaßen. Danach öffnete er seine graue Cargohose, die er vor Monaten gefunden hatte. Und als er schließlich aus dieser Hose stieg und sich dabei vorbeugte, um sie an den Füßen festzuhalten, schwangen ihm seine Erkennungsmarken vor dem Gesicht hin und her, die er nie abgelegt hatte. Sie sollten ihn immer daran erinnern, wer er einmal gewesen war.
Er raffte sich auf, um zur Badewanne zu laufen, wo er sich schließlich auf den Rand setzte. Die Entlastung, die er dabei verspürte, ließ ihn erleichtert aufatmen. Doch dies währte nicht lange, als er an seiner Prothese anpackte, um sie von dem Rest seines Oberschenkel zu ziehen, den er noch besaß. Er biss die Zähne zusammen, damit Valerie ihn nicht hören würde, wenn er wirklich schreien müsse. Jedoch riss er sich stark genug zusammen, sodass er es verhinderte.
Dann lehnte er die Prothese sicher gegen die Badewanne an und drehte sich anschließend mit dem Oberkörper in Richtung des Wasserhahns, den er schließlich betätigte. Und da merkte er, wie sehr ihm eigentlich die Finger und Zehen schmerzten, als er mit dem Wasser in Berührung kam. Nicht zu heiß, erinnerte er sich an die Worte der jungen Frau. Mit einem konzentrierten Blick, drehte er das Wasser so angenehm warm, dass es für ihn erträglich sein könnte und tat zusätzlich einen Badezusatz hinzu. Dieser war grün und duftete wunderbar nach Wäldern und frischen Kiefern. Es dauerte eine ganze Weile, bis so viel Wasser in der Wanne war, dass es einem die Füße bedecken konnte, wenn man darin stand. Doch er wollte auch nicht, dass Valerie seinetwegen eine hohe Rechnung bekam, weshalb er das Wasser abstellte und dann langsam auf einem Bein aufstand, damit er sich die Unterhose ausziehen konnte. Nachdem er sie über seine Hüfte gezogen hatte, rutschte sie bereits an seinem Bein nach unten auf den gefliesten Boden. Dann setzte er sich wieder mit einer gewissen Vorsicht und legte eine Hand auf die gegenüberliegende Seite der Badewanne, von der er gerade saß und die andere Hand stützte er neben sich ab, damit er sich letztendlich hochdrücken konnte, sodass sein Po nicht mehr den Rand berührte. Er schwang sich anschließend langsam herüber, bis er den Fuß in das warme Wasser eintauchen lassen konnte. Jedoch zuckte er bei der ersten Berührung zusammen und verzog schmerzverzerrt sein Gesicht. Seine Arme gaben darauffolgend auf halbem Weg nach, weshalb er sich nur noch hineinfallen ließ.
Seine Haut begann zu jucken und teilweise zu schmerzen, weshalb er seine Hände und seinen Fuß abwechselnd massierte, in der Hoffnung, dass es bald verging, indem er sich an die - ihm mittlerweile schon fremd gewordene - Wärme, gewöhnen würde.
Doch der Schmerz wurde unerträglicher, als der wunde Stumpf seines Oberschenkels aus Versehen das Wasser berührte. Er stützte ihn deshalb mit einer Hand, atmete tief durch und dachte nach. Ihm war bewusst, dass dort früher oder später sowieso Wasser heranmusste, um ihn zu säubern. Also warum nicht jetzt?
Mit einem kleinen, aber entschlossenen Nicken, ließ er ihn wieder in das Wasser sinken und biss sich derweil auf die trockene Unterlippe, während ein höllischer Schmerz seinen gesamten Körper durchfuhr. Als er Luft holen wollte, entkam ihm ein leises Wimmern und er spürte, wie seine Wangen ungewollt feucht wurden. Das konnte nicht von dem Wasser stammen, da er noch nicht einmal komplett nass war. Er weinte nicht nur aufgrund des Gefühls der Aussichtslosigkeit oder wegen seiner körperlichen Schmerzen, die immer weiter in den Hintergrund rückten, sondern auch wegen seiner seelischen Gebrochenheit.
Und dann kam auch noch dazu, dass er es nicht an einem Ort tat, an dem er alleine war, sondern bei einer völlig fremden Person, die ihm, ohne groß darüber nachzudenken, ihr blindes Vertrauen geschenkt hatte. Wie sollte er nur damit umgehen?
Er schüttelte ahnungslos den schweren Kopf, wobei die Erkennungsmarken aneinanderklimperten und ihn dadurch aus seinen bedrückenden Gedanken holten.
Wie benommen griff seine Hand zum Duschkopf, mit dem er den Rest seines Körpers nass machte. Er japste vor Schmerz auf, hielt es aber aus, bis seine Haare schließlich vor Nässe trieften. Währenddessen trank er außerdem kleine Schlücke des sauberen Wassers, da sein Durst ihn sonst noch weiter in den Wahnsinn getrieben hätte. Danach nahm er sich irgendein Duschgel, mit dem er sich zu waschen begann. Das Wasser wurde immer brauner, doch der Dreck wollte nicht ganz abgehen, weshalb er sich hilflos umschaute. An der Wand neben der Wanne hingen mehrere Waschlappen und Handtücher. Davon nahm er sich einen, den er kurz in das Wasser eintauchte, bevor er mit diesem über seine Haut schrubbte. Diese rötete sich dabei nach einer Weile, doch zumindest war er nun komplett sauber. Auch seine Haare wusch er zweimal, damit er sich sicher sein konnte, dass diese nach dem Baden auch immer noch nach etwas Angenehmen rochen.
Nach dem Abduschen mit klarem Wasser, ließ er das dreckige heraus und hievte sich anschließend aus der Badewanne, sodass er sich auf den Rand setzen konnte. Er lehnte sich zur Seite, damit er an die Handtücher herankam und trocknete sich anschließend mit einem ab. Dann begab er sich mit seiner Prothese zu den hohen Schränken, in denen er nach Verbandmaterial suchte. Tatsächlich fand er welches, das er zum Verbinden seines Stumpfes nutzte.
Danach lief er zur Tür, die er nur vorsichtig einen Spalt öffnete, da er nicht wollte, dass Valerie ihn dabei erwischte, wie er die Sachen aufhob. Es handelte sich dabei um einen dunkelblauen Pullover, eine schwarze Jogginghose, weiße Socken, sowie eine schwarze Unterhose.
Nachdem er sich angezogen und die Zähne mit einer neuen Zahnbürste für Gäste geputzt hatte, verließ er das halbwegs aufgeräumte Badezimmer und suchte die Küche auf, in der Valerie bereits auf ihn wartete.
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