Kapitel 1
Der junge Seraphiel saß auf der kalten, bröckelnden Mauer in den düsteren Slums unter Midgar, seine silbernen Haare wehten leicht im Wind. Der Himmel über ihm war grau, die Luft stickig und schwer von Ruß und Verzweiflung. In seinen tiefblauen Augen, deren Pupillen sich in schmalen Schlitzen verengten, lag ein unendlicher Schmerz, der ihn erdrückte. Die Mauer unter ihm war alt und abgenutzt, wie die Welt, die er kannte. Um ihn herum flackerten die schwachen Lichter der Slums, die wie vergessene Sterne in der Dunkelheit des urbanen Dschungels zu verblassen schienen.
Er wünschte sich nichts sehnlicher, als die flimmernden Lichter von Midgar zu verlassen, zurück in die Welt, die er nie wirklich gekannt hatte – die Welt seiner Eltern. Sephiroth und Melissa, seine geliebten Eltern, die ihn in seinen Träumen immer wieder besuchten. Doch er wusste, dass er sie niemals wiedersehen würde. Die Erinnerungen an ihre Stimmen, ihre Umarmungen, ihre Liebe – all das war zu einem flimmernden Nebel in seinem Herzen geworden. Er wollte zu ihnen zurück, zu der Familie, die ihm so viel bedeutet hatte, aber das war unmöglich.
Er konnte es nicht ertragen, wie leer und verlassen er sich fühlte, und doch hatte er nie wirklich eine Wahl gehabt. Cloud, der einst ein Fremder für ihn war, hatte ihm versprochen, ihn zu erziehen, ihm beizubringen, was es hieß zu leben, und ihm beizubringen, was es hieß, zu überleben. Es war ein Versprechen an seine Mutter, Melissa, die ihn bat, ihren Sohn zu beschützen, damit er nicht dasselbe Schicksal erleiden musste wie sie und ihr Mann.
Seraphiel hatte in diesen Jahren gelernt, sich anzupassen. Aber der Schmerz blieb. Er hatte nie wirklich erfahren, was es hieß, geliebt zu werden, ohne dass der Schatten der Vergangenheit ihn überflutete. Er hatte keine Familie, die ihm das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermitteln konnte, nur das leise Versprechen seines Vaters, das er niemals hatte einlösen können.
In seiner Hand hielt er das einzige, was ihm von ihnen geblieben war: ein vergilbtes Bild, das seine Eltern in ihren letzten glücklichen Tagen zeigte. Melissa hatte immer gesagt, dass er eines Tages ein großer Mann werden würde, dass er stärker und weiser als Sephiroth selbst sein könnte. Doch dieser Gedanke fühlte sich leer an. Was nutzte es, stark zu sein, wenn man mit einer zerbrochenen Seele kämpfen musste?
Plötzlich spürte er etwas – eine vertraute Präsenz. Es war kein gewöhnlicher Moment. Er wusste sofort, dass es Sephiroth war. Wie in vielen Nächten zuvor tauchte sein Vater heimlich in den Slums auf, um seinen Sohn zu sehen. Ohne ein Wort trat er aus dem Schatten der verlassenen Gebäude. Sephiroth hatte sich nie wirklich von ihm verabschiedet. Die Angst vor der Welt, die ihn verfolgte, hatte ihn gezwungen, weit entfernt von seinem Sohn zu leben, und dennoch konnte er nicht ganz von ihm lassen. Manchmal schlich er sich in den Slum, um Seraphiel zu beobachten, ihm Geschenke zu bringen, die er mit Sorgfalt und Liebe ausgewählt hatte – kleine Dinge, die für Seraphiel wie Schätze wirkten. Ein Spielzeug, das er nie bekommen hatte. Ein kleines Notizbuch, in dem er seine Gedanken festhielt.
„Ich habe dich vermisst, mein Sohn“, flüsterte Sephiroth leise, seine Stimme rau und gebrochen, aber immer noch voller Macht.
Seraphiel hob den Kopf, und für einen Moment blitzte ein Funken Hoffnung in seinen Augen auf, doch dann ließ er den Blick wieder sinken, als der Schmerz über die verlorene Zeit ihn wieder einholte. Er hatte keine Worte, um die Leere auszudrücken, die in ihm loderte. Kein „Ich vermisse dich auch“, kein „Komm zurück zu mir“. Nur das stumme Bild in seiner Hand, das die Geschichte einer Familie erzählte, die nie wieder vereint sein würde.
„Du hast uns nie vergessen, oder?“, fragte Sephiroth, als er neben ihm auf die Mauer stieg und seinen Sohn sanft ansah. „Deine Mutter hat immer geglaubt, dass du eines Tages stark genug sein würdest, um deinen eigenen Weg zu gehen.“
Seraphiel schloss für einen Moment die Augen. Der Wind strich sanft über seine silbernen Flügel, die von seiner Mutter stammten. Sie hingen schlaff und schwer an seinen Seiten, ihre einst majestätische Erscheinung in der trüben Luft der Slums verblasst. Diese Flügel, die ihm Hoffnung und Freiheit versprochen hatten, hatten nie wirklich die Freiheit erfahren, von der sie träumten.
„Ich will einfach nur nach Hause...“, flüsterte Seraphiel, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch. Die Worte fielen wie ein schwerer Stein zu Boden.
„Du bist mein Zuhause“, antwortete Sephiroth mit einem bitteren Lächeln. „Und auch Melissa ist immer bei dir, auch wenn du sie nicht sehen kannst. Sie ist in dir, in allem, was du tust.“
Seraphiel sah zu seinem Vater auf, ein schwaches Lächeln zitterte an seinen Lippen, doch es konnte den Schmerz nicht vertreiben. Dann schloss er wieder die Augen und stellte sich vor, wie es wäre, zurückzukehren – in die Arme seiner Eltern, in ein Zuhause voller Liebe, fernab der Dunkelheit und des Schmerzes, die ihn hier umgaben.
„Ich werde immer bei dir sein, Seraphiel“, flüsterte Sephiroth und verschwand in den Schatten, bevor er noch etwas sagen konnte. Die Lichter der Stadt flackerten im Hintergrund, und für einen Moment war es, als ob die Zeit stillstand.
Seraphiel saß noch eine Weile da, das Bild seiner Eltern in der Hand, und träumte davon, nach Hause zurückzukehren.
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