Kapitel 8: "Bitte..."
"Daryan!" Sacht schlug ich ihm mit dem Handrücken seitlich an den pelzigen Kopf und erwartete fast, dass er mir dafür die Hand abbiss, doch nichts dergleichen geschah. "Wach auf!" Mein Schlag wurde fester und Daryans Kehle entwich ein leises Ächzen. "Ich ahnte schon, dass er nichts taugen würde...Nein, ich wusste es.", war das Murmeln meines Vaters im Hintergrund zu hören, während er unruhig zwischen den Löwenkäfigen auf und ab ging. "Vater sei still!" Mit vor Wut verzerrter Miene drehte ich den Kopf zu ihm, woraufhin er schlagartig inne hielt. "Das hast du dir selbst zu verschulden." Ohne weiter auf ihn einzugehen wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem am Boden liegenden Löwen zu. Das Gemurmel meines Vaters war im Moment das Letzte was ich gebrauchen konnte.
Mit einer Spur Besorgnis musterte ich Daryan, der erschlafft vor mir lag, während sein tiefschwarzes Fell unter dem sich schwach heben und senkenden Brustkorb blutig glänzte. Doch mit einem Mal schlug er die Augen auf und schaute mit animalischem Blick zu mir hinüber, was mich etwas zurückschrecken ließ. "Daryan?" Meine Hand legte sich vorsichtig auf seine Schulter, die unter der Berührung schwach erzitterte. Er musste sich verwandeln, wenn er nicht vom Tod eingeholt werden wollte. In dieser Gestalt konnte ich ihm kaum helfen. "Daryan nimm deine menschliche Gestalt an..." Sein Blick hatte nun etwas gleichgültiges. Leben ohne Rechte und ohne Aussicht auf Freiheit oder der Tod? Ich hätte mich an seiner Stelle auch nicht entscheiden können, was die bessere Option gewesen wäre.
"Bitte..." Beinahe flehend schaute ich ihn an und strich ihm kurz sanft über das samtige Fell. Jetzt, wo er so hilflos am Boden lag, schien mit einem Mal alle Angst vor ihm von mir gewichen zu sein. Hätte er mich wirklich töten wollen, er hätte heute genug Möglichkeiten dazu gehabt.
"Daryan gib nicht auf. Bitte lass mich dir helfen.", bat ich flüsternd. Der Blick seiner stechend grünen Augen blieb an mich geheftet, während ich unter meiner Hand spüren konnte, wie sich sein Fell langsam zurückzog und sich zu glatter Haut wandelte. Die Schnauze wurde kürzer, bis sich ein menschliches Gesicht daraus formte. Genau wie seine restlichen Gliedmaßen nach und nach immer menschlichere Züge annahmen, bis schließlich ein nackter Mann vor mir lag, auf dessen mir zugewandter Schulter meine zierliche Hand ruhte. Ich konnte nicht anders als ihn anzuschauen, auch wenn das gegen alle Benimmregeln verstieß, die mir mein Vater je beigebracht hatte. Entblößte Männer sollte man nicht anstarren. Schon gar nicht als Mädchen.
Das schwarze, leicht strähnige Haar hing ihm etwas über die Augen und seine hohen Wangenknochen waren geziert von dunkel violetten Blutergüssen. Ich konnte ihn nicht anders als hübsch bezeichnen, als ich seinen leicht wilden Blick auf mir spürte und seinen Körper betrachtete unter dem sich starke Muskeln abzeichneten. Doch schlagartig blieb mein Blick an seiner Brust hängen, an der seine Haut tiefe, leicht zerfetzt wirkende Wunden aufwies, die von schmierigem Blut dunkelrot gefärbt wurden. Jetzt, als er in seiner menschlichen Gestalt war, konnte ich erst das ganze Ausmaß der Verletzunge an seinem Brustkorb begreifen und musste feststellen, dass es nicht gut aussah. "Vater bring mir bitte meine Tasche.", sagte ich ohne den Blick von der Wunde abzuwenden. Ich werde sie nähen und mit Alkohol desinfizieren müssen. Dankend nickte ich meinem Vater zu, der meine Umhängetasche neben mir auf dem Boden abstellte und ich so eine lederne Rolle mit allerlei Werkzeugen hervorziehen konnte. "W-was machst du mit mir?", ertönte plötzlich Daryans raue Stimme und ich sah, dass er mich noch immer anschaute, weshalb ich inne hielt und die Nadel mit dem eingefädelten Faden auf meinen Schoß sinken ließ. "Das ist ja unglaublich! Er spricht!" Mein Vater setzte sich neben mich und beugte sich etwas zu Daryan. "Und er sieht aus, wie ein ganz normaler Mensch!" Die Begeisterung und Faszination war ihm deutlich anzuhören, doch das war gerade der falsche Zeitpunkt, weshalb ich ihn ernst anschaute. "Gehst du bitte Vater? Ich brauche meine Ruhe und du bist mir im Moment keine große Hilfe." Entschuldigend sah ich ihn an, doch er verstand und ging. Noch kurz schaute ich ihm hinterher, doch dann schwelgte mir Daryans Frage wieder im Kopf, weshalb ich meinen Blick erneut auf ihn richtete. "Ich muss deine Wunde versorgen...Sonst verblutest du." Wieder hob ich die Nadel und legte ihm etwas zögernd die Hand auf die Brust um die Wundränder ein wenig zusammenzudrücken, weshalb er schmerzerfüllt das Gesicht verzog und die Hände sofort um mein Handgelenk schloss, um meine Hand grob zur Seite zu reißen. Sein Griff war fest und bestimmt, weshalb mir Tränen in die Augen stiegen. "Daryan, du tust mir weh! Lass los!" Aus geweiteten Pupillen starrte er mich an und gab augenblicklich meine Hand frei. Schützend zog ich sie an mich und spürte wie die Angst erneut zurückkehrte. Er war ein Raubtier, wie konnte ich nur anders denken?
"Pharanee, hilf mir..." Schwach röchelnd holte er Luft und ich konnte nur hoffen, dass seine Lunge nicht verletzt wurde. "Ich will nicht sterben." Zitternd hob er seine Hand und streckte sie nach mir aus, doch ich rutschte nur panisch ein Stück zurück. "Bleib weg von mir!"
"Bitte..." Seine Hand senkte sich auf meinen Oberschenkel, wobei sich seine Finger leicht in den Stoff meines Kleides krallten, so als wolle er die letzte Hoffnung, dir es für ihn gab festhalten. Ich konnte selbst hören wie sich ein ergebenes Seufzen von meinen Lippen stahl und spüren wie mein Körper wie von selbst wieder näher zu seinem rückte. "Ich helfe dir. Aber nur, wenn du mir nichts tust." Ernst schaute ich ihn an, als er schließlich nickte und ich meine Hand wieder auf seiner Brust positionierte, um die Wundränder aneinanderzudrücken. Mit Nadel und Faden verschloss ich Stich um Stich die Wunden, deren Narben einmal wie ein Mahnmal auf seiner Brust prangen werden. Ich konnte sehen, dass es ihm große Schmerzen bereitete, doch er gab keinen Laut von sich, sondern presste nur in stummer Abfindung die Lippen aufeinander. "Ich habe es gleich geschafft...", versuchte ich ihm Mut zuzusprechen, als ich auch schon den Faden mit einem Knoten verschloss und die Wunden mit einem in Alkohol getränkten Tuch reinigte. Seine Lippen formten schwach lächelnd ein 'Danke', bevor ihm die Lider zufielen und seinen Augen eine Träne entwich, die ihren Weg über seine Wange bis hin zu seinem Kinn fortsetzte und von dort auf den kahlen Steinboden tropfte.
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