Kapitel 17: "Unermüdlich und unerschütterlich."

Der Abend dehnte sich langsam um uns herum aus, ebenso wie die Stille zwischen uns. Ich sah ihn an. Unermüdlich und unerschütterlich. Doch als er endlich das Schweigen brach und sich der angespannte Knoten in meinem Bauch löste, machte sich augenblicklich erneutes Unwohlsein in mir breit.
"Wie war das?" Meine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.
"Ich sagte: Wenn dem Gott des Todes keiner zuvorkommt, werde ich sogar deine Enkel noch heranwachsen sehen können." Das konnte nicht sein. Nein, das war sogar unmöglich.
"A-aber wenn...wenn du schlimm verwundet wirst? Wie jetzt?"
"Und was ist, wenn", begann er und zupfte leicht an dem Knoten seines Verbandes, "wir schneller heilen? Und Krankheit unserem Körper auf Dauer nichts anhaben kann?"
Mit einem Ruck löste er den Knoten und begann das Tuch von seiner Brust zu wickeln. Schicht um Schicht, bis ich es sehen konnte.
"Nein...", hauchte ich und hob die Hand, um mit der Fingerspitze über die Narben auf seiner Brust zu streichen, wie um mich selbst zu vergewissern, dass dort nicht mehr die Nähte prangten, mit denen ich eigenhändig die klaffende Wunde geflickt hatte.

"Doch." Bestimmt sah er mich an. "Du wolltest es mir ja nicht glauben, als ich dir schon einmal sagte, ich würde schneller heilen." Ja, das wollte und konnte ich nicht, weil es mir unmöglich erschien. Doch so war es nicht. Das hier war wahrscheinlich auch der Grund, wie er die Kraft dazu hatte aufbringen können, mich trotz seiner Verletzung anzugreifen.
Ich spürte wie sich mein Entsetzen in Erstaunen wandelte und meine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen, als ich die Finger von seiner Brust gleiten ließ.
"Das muss Magie sein!" Ich konnte mir leises Gelächter nicht verkneifen und bekam eine Gänsehaut, als er mit einem rauen Lachen einstimmte.
"Nein Pharanne." Sein Lachen wurde leiser und verstummte schließlich ganz, auch wenn ein Lächeln auf seinen Lippen zurückblieb. "Das ist weder Magie, noch Werk der Götter." Die Unbekümmertheit aus seinen Zügen schwand und mein eigenes Lächeln versiegte.
"Das ist ein schlechter Scherz von Mutter Natur."
"Warum?", hauchte ich etwas verwirrt, als er nicht weiter fortfuhr. Doch mir war die Antwort bereits klar, bevor ich die letzten Silben gesprochen hatte. Er hatte nichts, wofür es sich lohnte solch eine lange Zeit auf dieser Welt zu verweilen. Keine Familie. Keine Liebe. Kein Ansehen. Nur Verachtung und das Spiel mit dem Tod, um anderen, wie meinem Vater und mir das Leben ein wenig besser zu machen. Dabei mussten sie selbst in den schlechtesten Verhältnissen leben. Ständig angewiesen auf die Gnade ihrer Herren.

"Tut mir leid." Mit einem schweren Seufzen senkte ich den Kopf, unfähig ihm in die Augen zu sehen. Etwas Raues schmiegte sich an meine Wange und erschrocken stellte ich fest, dass es seine Hand war, mit der er meinen Kopf langsam anhob. Der Blick seiner grünen Augen fing meinen ein und ich fühlte mich sofort gefangen von Schuld und in Ketten gelegt von Verpflichtungen.
"Wenn das so ist, lass mich gehen." Sein Daumen strich über meinen Wangenknochen und ich spürte, dass ich ihm ausgeliefert war, wie die Maus dem Falken. "Du musst nur die Tür öffnen. Keiner wird wissen, dass du es warst." Seine Stimme wurde mit jedem Wort sanfter, leiser und jagte mir einen Schauder über den Körper, der von der kälter werdenden Luft noch verstärkt wurde. Plötzlich fühlte ich mich ungeschützt und schwach.
"Das geht nicht...", hörte ich plötzlich meine eigenen Worte ganz fremd, als hätte sie jemand anderes gesagt.
"Warum nicht?", war Daryans Antwort und ich konnte seinen Daumen über meine Unterlippe streichen spüren. Zärtlich, wie die Liebkostungen eines Liebhabers.
Ich musste tief Luft holen, bevor ich seine Hand zur Seite schlug und mit verzerrtem Gesicht von ihm wegrutschte. "Es geht nicht!" Schützend hob ich die Arme und schlang sie um mich. "Hör auf damit!" Mit aller Kraft unterdrückte ich das Zittern in meiner Stimme und erhob mich. "Erst versuchst du mich zu erwürgen und jetzt kommst du mit sanften Berührungen, um mich zu etwas zu Überreden, das ich nicht tun sollte!" Verletzt sah ich ihn an und hob meine Tasche vom Boden auf. "Ich dachte, du seist ein Löwe und keine Schlange..." Mit gesenktem Blick nach unten drehte ich mich zur Tür und kramte in meiner Tasche bereits nach dem Schlüssel, der mich aus diesem Käfig befreien würde. Doch ehe ich die Gitterstäbe erreicht hatte erfasste mich ein leise warnendes Knurren, noch während sich eine schwarze Gestalt zwischen mich und den Ausgang schob. Von plötzlicher Angst erfasst wich ich weiter ins Innere des Käfigs zurück, doch Daryan folgte mir. Schritt für Schritt trat ich zurück, doch auf einmal war da nichts mehr. Nur noch das Gefühl der rauen Wand an meinem Rücken. Mit einem leisen Wimmern hob ich die Hände vor mein Gesicht und schloss die Augen. "Hast du nicht gesagt, du bereust?", flüsterte ich, wartend auf seine Hände um meinem Hals oder seinen Zähnen in meinem Fleisch. Doch das Knurren verstummte und ich spürte seinen heißen Atem im Gesicht, bevor sich weiches Fell an meine Wange schmiegte. Überrascht darüber öffnete ich die Augen und fand mich zwischen seinen an die Wand gestützten Pfoten wieder.

"Tu mir nicht weh..." Mit zittrigem Atem schloss ich die Arme um mich, seinem Maul an meinem Hals deutlich bewusst. Doch anstatt seiner Reißzähne spürte ich seine raue Zunge über die Seite meines Halses streichen und ich konnte mir ein überraschtes Keuchen nicht verkneifen. Was bei aller Götter Namen tat er da?
Meine Hände verkrampften sich in den Stoff meines Umhangs, als ich seine Zunge weiter sanft über meinen Hals und Nacken streichen spürte und fühlte, wie seine nasse Nase immer wieder gegen meinen Kiefer stieß. Sein warmer Atem strich über meine bloße Haut und ich bemerkte, dass mir Kleid und Umhang bereits über die Schulter gerutscht war. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, geschweige denn was er tat. Als Zeichen von Zuneigung putzten Löwen ihre Löwinnen, doch er war nicht nur ein Löwe und ich nicht seine Löwin.
Zögernd löste ich meine jämmerliche Haltung, entschlossen mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen und vergrub meine zierlichen Finger in seinem Brustfell, um ihn etwas von mir zu schieben, doch vergebens. Wie sollte ich auch eine Chance gegen jemanden seiner Gestalt haben?

Er schien mein Scheitern bemerkt zu haben, denn seine Atemzüge wurden kürzer und unregelmäßiger, bis er in ein raues Lachen verfiel und den Kopf hob, sodass sich seine breite Schnauze direkt vor meinem Gesicht befand.
"Glaubst du ernsthaft, du könntest mich beiseiteschieben?" Seine Augen glitzernden neckisch und etwas in mir begann sich wie ein trotziges kleines Kind zu fühlen.
"Glaubst du ernsthaft, du könntest das von eben einfach tun, so als wäre ich deine Gefährtin?"
Sein Grinsen wurde breit und ich ahnte nichts Gutes. Meine Befürchtung wurde bestätigt und ich verzog das Gesicht, als seine Zunge über meine Wange strich.
"Benimm dich nicht so albern!", tadelte ich ihn, während ich mir mit der Handfläche über die Wange wischte. "Und jetzt lass mich gehen." Mein Blick wurde finster. Doch das war nur das Mittel zum Zweck, ihm nicht zu zeigen, dass ich noch immer Angst hatte.

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